Nobelprize.org, Prof. Muller, Prof. Ollert
Heute erhielten Katalin Karikó und Drew Weissmann gemeinsam den diesjährigen Nobelpreis für Physiologie und Medizin. Sie wurden für ihre Arbeiten zu den Grundkenntnissen der mRNA-Technologie ausgezeichnet, welche die Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe ermöglichten. Wir haben zwei Experten aus Luxemburg gefragt, wie sie die mRNA-Technologie einschätzen und an welcher Art Impfstoffen in Luxemburg geforscht wird.
Prof. Muller, Sie sind Virologe und haben während Ihrer beruflichen Karriere an Impfstoffen geforscht. Erinnern Sie sich noch daran, wie die mRNA-Technologie vor ca. 20 Jahren zuerst im Kontext von Impfstoffen vorgestellt wurde?
Claude Muller: Ja, in der Tat. In meiner Zeit in Tübingen arbeitete ich mit Prof. Günther Jung an verschiedenen Impfstrategien und an der Entwicklung neuartiger Adjuvantien (Anm. der Red.: ein Zusatzstoff, der die Wirkung von Impfstoffen verstärkt). Ingmar Hoerr arbeitete mit Prof. Jung an der Stabilisierung von mRNA mit Blick auf deren Verwendung als Vakzine. In den späten neunziger Jahren kam es zu einem Durchbruch, als es Hoerr gelang, zusammen mit dem bekannten Tübinger Immunologen Hans-Georg Rammensee spezifische zytotoxische T Lymphozyten und Antikörper zu induzieren (Anm. der Red.: zwei Markenzeichen einer erfolgreichen Immunantwort nach Impfung). Hoerr gründete die Firma CureVac in Tübingen. Im November 2021 hat der Tübinger Oberbürgermister Boris Palmer Hoerr mit der Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet. Er würde als Entdecker der neuen mRNA-Impftechnik gelten, hieß es damals. Man muss aber feststellen, dass sich die Entwicklung dieser Impftechnik über viele Jahre hingezogen hat. Welcher Schritt am Ende der entscheidende ist, ist oft schwer zu entscheiden. Weissman und Kariko haben für ihre mRNA-Arbeiten bereits mehrere hochkarätige Preise erhalten. Der Corona-Impfstoff von Curevac erreichte zunächst nicht die notwendige Wirksamkeit, vermutlich wegen Stabilitätsprobleme so dass Pfizer-BioNTec das Rennen für sich entscheiden
Welches Potenzial sehen Sie für die mRNA-Technologie in der Zukunft?
Claude Muller: Ich sehe ein sehr großes Potential, weil mRNA-Vakzine sehr angepasst hergestellt werden können, und wie wir spätestens seit den Corona-Impfstoffen wissen, sehr immunogen sind. Das Anwendungsfeld geht weit über Infektionskrankheiten hinaus. Insbesondere gegen Tumorantigene (Anm. der Red.: Bestandteile auf der Oberfläche von Krebszellen, die vom Immunsystem erkannt werden) bei Krebskrankheiten dürfte diese Plattform eine vielversprechende Zukunft haben. Im Prinzip könnte auf diese Weise gegen jedes bekannte Tumorantigen therapeutisch geimpft werden. (Anm. der Red.: ein therapeutischer Impfstoff behandelt eine Krankheit nachträglich, wogegen ein prophylaktischer Impfstoff gegen eine Krankheit vorbeugend schützt.) Das Problem wird sein, dass die Wirksamkeit nur durch große, nur durch sehr aufwendige Studien nachweisbar sein wird. Dadurch würde für die Patienten viel Zeit verloren. Besteht ausreichend Erfahrung, geht man vielleicht bei geringen Nebenwirkungen dazu über auf Wirksamkeitsstudien zu verzichten und probatorisch gegen den Tumor zu impfen. Es könnte sich zeigen, dass eine solche nebenwirkungsarme Impfung besser ist, als den Patienten seinem Schicksal zu überlassen. Insbesondere die Kombination der besten derzeitigen Therapie mit einer spezifischen mRNA-Impfung, könnte erhebliche Therapiefortschritte bringen.
An welcher Art von Impfstoffen haben Sie geforscht?
Claude Muller: In den neunziger Jahren war eine der aktuellen Fragen, wie man frühzeitig Kleinkinder gegen Masern schützen kann, und zwar bereits in Gegenwart von Antikörpern gegen das Masern-Virus, die passiv von der Mutter über die Plazenta auf das Kind übertragen wurden. Es ging darum, die Suszeptibilitätslücke zu schließen bei Kindern, die ihre mütterlichen Antikörper bereits verloren hatten und noch nicht mit dem lebend-attenuierten Impfstoff gegen Masern geschützt werden konnten. Während diesem Zeitfenster musste der Impfstoff so konstruiert sein, dass er Virus-neutralisierende Antikörper induziert, aber selber nicht durch die mütterlichen Antikörper inaktiviert wird. Dazu entwickelten wir verschiedene Strategien. Wir identifizierten neutralisierende lineare Bindungsstellen beim Masern-Virus, die als Proteinbruchstücke synthetisiert und als sogenannte Peptidvakzine verwendet wurden. Wir verwendeten auch ein Bakterium das in der normalen bakteriellen Mundflora vorkommt, oder transgene Karotten, die jeweils das immunologisch wichtigste (immunogene) Protein des Virus an der Oberfläche präsentierten. Andere Strategien beschäftigten sich mit Plattformen für ein universelles Influenzavakzin, das also nicht jedes Jahr d.h. saisonal angepasst werden muss. Auch Zeckendarmproteine und Umweltkarzinogene wie das Benzo[a]pyren waren Teil dieser Strategien.
Prof. Ollert, sie leiten die Abteilung Infection & Immunity am Luxembourg Institute of Health (LIH) und waren während der Covid-Pandemie auch in der Covid-Taskforce in Luxemburg sehr aktiv. Was denken Sie: Ist der Nobelpreis gerechtfertigt?
Markus Ollert: Meines Erachtens ist der Nobelpreis für Medizin an diese beiden Forscher mehr als gerechtfertigt. Schon im letzten Jahr hatten wir darüber spekuliert, ob der Preis nicht an mRNA-Forscher gehen könnte. Dieses Jahr ist es nun soweit. Ohne die bahnbrechenden Arbeiten der beiden wäre die enorm schnelle und flächendeckende Entwicklung der hochwirksamen mRNA Impfstoffe gegen COVID-19 von Firmen wie BioNTech und Moderna nicht möglich gewesen. Diese Impfstoffe haben während der COVID-Pandemie Millionen von Menschenleben gerettet. Es war besonders den jahrelangen grundlegenden Forschungsarbeiten der beiden jetzt mit dem Nobelpreis ausgezeichneten Forscher zu verdanken, dass die Impfstoffe so schnell – innerhalb eines Jahres – nach Beginn der Pandemie zur Verfügung standen.
Beide Forscher hatten übrigens im Laufe der Jahre auch viel Gegenwind, weil sich Anfang der 2000er Jahre die Forschung mehr für das Genom und die DNA als für die mRNA und seine Möglichkeiten zur verbesserten Medikamentenentwicklung interessierte. Dies führte teilweise sogar zu Problemen, eine ausreichende Forschungsförderung für ihre Forschung zu erhalten. Doch die beiden hielten an ihren Zielen fest.
Welches Potenzial sehen Sie für die mRNA-Technologie in der Zukunft?
Markus Ollert: Medikamente oder Impfstoffe, die auf der Basis von mRNA in die Körperzellen geschleust werden und dort Eiweiße produzieren oder zelluläre Prozesse beeinflussen, stellen eine völlig neuartige Klasse von medizinischen Wirkstoffen dar. Die COVID-Impfstoffe sind somit Wegbereiter für viele nachfolgende Medikamente, die zukünftig gegen verschiede Erkrankungen entwickelt werden. Dazu zählen Impfungen gegen andere Erreger, aber auch neuartige Krebstherapien, sowie Behandlungen gegen Autoimmun- und Allergieerkrankungen, um einige zu nennen. Ohne die Arbeiten von Karikó und Weissmann wäre all dies nicht möglich gewesen. Die beiden fanden in einer ihrer wegweisenden Arbeiten, die 2005 in der Fachzeitschrift Immunity publiziert wurde, einen Trick das Immunsystem so zu überlisten, dass eine veränderte mRNA ohne immunologische Abwehrreaktion toleriert wird und gezielt in den Körperzellen die gewünschten Eiweißstoffe herstellt, welche zur Krankheitsbehandlung oder -vorbeugung benötigt werden.
Welche Forschung gibt es aktuell am LIH generell zum Thema Impfstoffe?
Markus Ollert: Am Department of Infection and Immunity des LIH haben wir mehrere Projekte zur Wirkung und Optimierung von Impfungen laufen. Dies bezieht sich zum einen auf die Masern- und Rötelnerkrankung, wo das LIH ein Internationales Referenzzentrum in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation WHO ist. Die Nachuntersuchung und Optimierung von Impfstrategien gegen Masern und Röteln ist hierbei ein wesentlicher Gesichtspunkt der Forschung, die von Frau Dr. Judith Hübschen am LIH geleitet wird. Zusätzlich sind wir in einem ursprünglich vom FNR geförderten Projekt auch in der Entwicklung eines neuartigen Coronavirusimpfstoffes, einer Vakzine mit breiterer Pan-Coronavirusaktivität, tätig. Hierzu arbeitet eine ganze Gruppe von Forschern in unserem Department zusammen. Diese Vakzine wurde in der frühen Entwicklungsphase noch als klassische Antigenvakzine eingesetzt, könnte bei Bedarf aber jederzeit auch als mRNA-Vakzine weiterentwickelt werden.
Wir danken Prof. Muller und Prof. Ollert für ihre spontane Stellungnahmen!
Mehr Infos über den Nobelpreis in Physiologie und Medizin auf der Internetseite des Nobelpreises.
Während der Covid-19 Pandemie haben wir auf science.lu regelmäßig über die Entwicklung der Covid-19-Impfstoffe und auch die Technologie der mRNA-Impfstoffe allgemein berichtet. Hier die wichtigsten Artikel aus unserem Archiv:
Fragen und Redaktion: Michèle Weber (FNR)
Antworten: Prof. Claude P. Muller und Prof. Markus Ollert (LIH)
Fotos: Nobelprize.org, Prof. Claude P. Muller, Prof. Markus Ollert
Dieser Artikel ist Teil einer Serie
- 1 / 4 Medizin-Nobelpreis: Einschätzung von Experten aus Luxemburg zu mRNA-Impfstoffen Lesen
- 2 / 4 Nobel prize in physics: Research from Luxembourg connected to experiments with short pulses of light Lesen
- 3 / 4 Chemie-Nobelpreis: Auch in Luxemburg wird an Quantenpunkten geforscht Lesen
- 4 / 4 Nobel prize in economics: Research in Luxembourg on gender differences in the labour market Lesen