(C) Sophie Steinmetz

Im September 2012 haben die Vereinten Nationen beschlossen, dass für sie gelten soll, was es bisher nur auf Staatenebene gab: Rechtsstaatlichkeit. Das Prinzip also, dass staatliche Macht nur auf Grundlage der Verfassung ausgeübt werden kann. Das klingt zunächst einmal selbstverständlich, ist aber nicht einfach umzusetzen – denn die Vereinten Nationen sind eben kein Staat. Auf einer Konferenz am Luxemburger Max-Planck Institut für internationales, europäisches und regulatorisches Verfahrensrecht galt es daher auszuloten, wie sich dieser Grundsatz – der die Freiheit jedes Menschen garantieren soll – umsetzen lässt. Der Jurist Clemens Feinäugle im Interview.

In der Satzung der UN ist von solch einer Rechtsstaatlichkeit nirgends die Rede. Im Zuge von UN-Sanktionen können zum Beispiel Personen als Terrorverdächtige gelistet und ihnen als Folge davon das Konto gesperrt werden. Hiergegen steht ihnen kein gerichtlicher Rechtsschutz zur Verfügung. Rechtsstaatlichkeit könnte hier erfordern, dass ein UN-Gericht eingerichtet wird, das für Fragen der Terroristenlistung zuständig ist. Immerhin hat sich im Bereich der hier anwendbaren Verfahren in den letzten zehn Jahren schon viel entwickelt, und man kann sich heutzutage an eine UN-Ombudsperson in New York wenden, die dann die Streichung von der Terroristenliste zumindest empfehlen kann. Die Frage ist aber, ob dies im Sinne der Rechtsstaatlichkeit schon ausreicht.

Was bedeutet Rechtsstaatlichkeit in der UN  für internationale Missionen?

Auf der Konferenz haben wir identifiziert: Es wird besonders schwierig, wenn UN-Personal als Exekutivgewalt auftreten muss, um Staatsstrukturen wieder aufzubauen - also etwa Gesetze umsetzt wie dies sonst eine Regierung oder die Polizei macht. Vieles spricht dafür, dass UN-Mitarbeiter, wenn sie im Rahmen solcher Missionen zum Beispiel Personen verhaften,  so vorgehen müssen, dass sie Macht auf Grundlage einer Verfassung ausüben   auch wenn die UN ihrerseits keiner nationalen Rechtsordnung unterliegt. Als Elemente solcher Rechtsstaatlichkeit kämen die Beachtung der Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht sowie allgemein das Prinzips der Verhältnismäßigkeit in Betracht.

Was – bei nicht intakten staatlichen Strukturen – sicher oft schwer umzusetzen ist?

Das ist richtig: Die UN-Übergangsverwaltung im Kosovo übt weitgehende staatliche Befugnisse aus und muss zugleich schnell und mit wenigen Ressourcen agieren. Das macht die Beachtung von Rechtsstaatsprinzipien noch schwieriger. Die UN-Beamten waren zum Beispiel mit der Privatisierung von Volkeigentum befasst. Dabei stellte sich die Frage: Muss sich die UN-Mission – wie nach rechtsstaatlichen Grundsätzen gefordert   über Eigentumsrechte und -schutz Gedanken machen oder ist sie daran nicht gebunden?

An der Konferenz haben auch UN-Mitarbeiter teilgenommen?

Wir hatten natürlich viele Wissenschaftler zu Gast. Es ging uns aber darum, auch einen ausgeglichenen Anteil  an Praktikern als Teilnehmer zu haben! Denn wenn man nur die wissenschaftliche Perspektive aus dem Elfenbeinturm hat, ist die Gefahr groß, dass sich  vieles in der Praxis nicht verwirklichen lässt. Die sich ergebenden Erkenntnisse sollten vor allem auch eine realistische Perspektive bieten.

Herr Feinäugle, warum hat die Konferenz in Luxemburg stattgefunden und was waren ihre Ziele?

Der Tagungsort hat sich angeboten: Rechtsstaatlichkeit hat viel mit Verfahren zu tun und daher ist das Max-Planck-Institut für Verfahrensrecht in Luxemburg der prädestinierte Ort für eine entsprechende Konferenz. Luxemburg war außerdem in den Jahren 2013 und 2014 Mitglied des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen  so dass eine Konferenz zu einem UN-Thema sehr gut in diese Phase gepasst hat. Auf der Konferenz wollten wir klären: Ist die Idee der Rechtsstaatlichkeit, die ursprünglich von der nationalen Ebene kommt, überhaupt auf das Völkerrecht und internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen übertragbar und wie kann eine Definition von Rechtsstaatlichkeit für die UN lauten? Welche Beispiele für Rechtsstaatlichkeit gibt es bereits in der UN und wie müsste sich die Praxis weiterentwickeln, wenn man den Auftrag zur Rechtsstaatlichkeit ernst nimmt?

Kurzbiographie

Der promovierte Jurist Clemens A. Feinäugle arbeitet als Wissenschaftler und Forschungskoordinator am Max-Planck-Institut für internationales, europäisches und regulatorisches Verfahrensrecht in Luxemburg und forscht zum Völkerrecht, zur internationalen Streitbeilegung, dem Recht internationaler Organisationen, zum internationalen Handelsrecht und zum Verfassungsrecht. Vor seiner Arbeit in Luxemburg war Feinäugle am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches und Völkerrecht in Heidelberg tätig, arbeitete am Bundesverfassungsgericht und in der Rechtsabteilung der Weltgesundheitsorganisation in Genf.

Autor: Tim Haarmann
Foto © Sophie Steinmetz

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