Luxembourg Science Center

Andrew Warrington ist ein Gesundheitshacker. Was ist das? Interview mit einem engagierten Diabetes-Patienten während seines Besuchs der Sparks-Ausstellung.

Forschung im Bereich Medizin liefert Ergebnisse oftmals nicht besonders schnell: Klinische Studien dauern lange und sind kostenspielig. Ehe Medikamente oder Therapien auf Sicherheit und Wirksamkeit getestet wurden und auf den Markt kommen können, vergehen Jahre. Einigen Patienten geht das nicht schnell genug. Sie wollen schnellstmöglich Ergebnisse, die ihnen erlauben, besser mit ihrer Krankheit zu leben.

Aus diesem Grund haben einige Patienten damit begonnen, sich immer stärker in Wissenschaft und Entwicklung mit einzubringen, und sich aktiv an der Weiterentwicklung medizintechnischer Geräte zu beteiligen. Diese engagierten Patienten bezeichnet man als Gesundheitshacker.

Um Gesundheitshacking und andere Arten der Hobbywissenschaften geht es zurzeit in der vom Luxembourg Science Center organisierten und animierten Ausstellung Sparks : ‘Jenseits des Labors : Die Revolution der hausgemachten Wissenschaft’ (Infobox 1).

Persönliche Geschichten und Erfahrungsberichte werden hier zusammen mit den daraus entstandenen ‘Do-it-yourself’ - Entwicklungen vorgestellt. Auf diese Art und Weise wird der Erfindungsreichtum von Hobbywissenschaftlern hervorgehoben. Hobywissenschaftlern, die mit großem Erfolg forschen, entwickeln und erfinden. 

‘Genau wie Tim Omer aus der Sparks Ausstellung, habe ich mir eine künstliche Bauchspeicheldrüse gebaut.’

So begann Andrew Warrington das Gespräch und erzählte mir dann seine berührende und inspirierende Geschichte. Als Andrew 8 Jahre alt war wurde bei ihm Typ I Diabetes (Infobox 2) diagnostiziert. Seine Erkrankung beeinträchtigte stark seinen Alltag, während der Umgang und das Leben mit Diabetes ihm sehr schwer fielen. Andrew erklärt mir, das Leben mit Typ I Diabetes sei vergleichbar mit einem Flug durch ein schweres Gewitter –der Flieger ist ständig in Bewegung und es ist schwierig, ihn ohne Autopilot auf Kurs zu halten. Während Andrew sehr mit seiner Krankheit zu kämpfen hatte und sich oft schlecht spürte, erwarteten die Menschen in seinem Umfeld dass er ein normales Leben lebt.

‘Der Umgang mit Diabetes war sehr aufwendig und die Erkrankung selbst hat mich stark beeinträchtigt.’

Mit traditionellen medizinischen Methoden war Andrews Blutzuckerspiegel nur 25 % der Zeit im Normalbereich – demnach war es eher die Regel statt die Ausnahme, dass der Alarm seines Blutzuckermessgerätes ihn oftmals mitten in der Nacht weckte.

Während Andrew mit den gebräuchlichen Methoden der Diabetes-Behandlung nur sehr wenig Erfolg hatte, entschied er vor einem Jahr, im Alter von 41 Jahren, sich eine künstliche Bauchspeicheldrüse zu bauen. Andrews künstliche Bauchspeicheldrüse erlaubt ihm, den gesamten Prozess der Blutzuckermessungen, Datenverarbeitung und Insulininjektion zu automatisieren und ihm dadurch einen neuen Freiraum zu schaffen, den er vorher nicht in dem Maß kannte.

Zusammen mit der OpenAPS Community, Peter Szakaly, einem Ingenieur aus seinem Dorf, und seiner Ärztin hat Andrew angefangen seine künstliche Bauchspeicheldrüse zu entwickeln. Die OpenAPS Community ist eine weltweite Community von Diabetes-Hackern, die Pläne entwerfen und online teilen – diese haben Andrew inspiriert und die Basispläne geliefert. Außerdem war seine Ärztin von Anfang bis Ende mit in die Entwicklung eingebunden. In den ersten Monaten waren die Ergebnisse mit Andrews selbstentwickelter künstlicher Bauchspeicheldrüse noch nicht optimal. Nach 10 Monaten und vielen Optimierungsschritten sind die Ergebnisse jetzt phänomenal.

‘Letzte Woche waren meine Blutzuckerwerte 98 % der Zeit im Normalbereich.’

Andrew nennt seine künstliche Bauchspeicheldrüse "BOBS". BOBS besteht aus einem Gerät, welches kontinuierlich den Blutzuckerspiegel misst, einem Datenempfänger, welcher die gesammelten Daten aufzeichnet und verarbeitet, und einer kommerziellen Insulinpumpe. Basierend auf den gesammelten Daten trifft das Gerät eine Entscheidung, die an die Insulinpumpe weitergesendet wird. Falls der Blutzuckerspiegel steigt oder schon zu hoch ist, wird Insulin eingespritzt. Fällt der Blutzuckerspiegel jedoch oder ist schon zu tief, wird weiter kein Insulin eingespritzt.

Dieses voll automatisierte System birgt durchaus Gefahren – wird zu viel oder zu wenig Insulin eingespritzt, kann dies zu verheerenden gesundheitlichen Konsequenzen führen. Doch auch hier hat Andrew vorgesorgt und verwendet innovative Algorithmen und andere Sicherheitsmaßnahmen, die eine Fehlsteuerung verhindern sollen.
Andrew erzählt mir, dass jeder Gesundheitshacker eigene Methoden zur Sicherheitsoptimierung entwickelt und jede Community stolz auf ihren Beitrag ist. Einige behaupten, dass Andrews Methode gefährlicher ist als andere veröffentlichte Lösungen. Andrew hält dagegen und behauptet dass seine Methode für ihn selbst die sicherste sei.

Obwohl Andrew bereits ein gut funktionierendes System entwickelt hat, gibt es immer noch etwas zu verbessern. Andrews System ist so eingestellt, dass oft Insulin gespritzt wird – jedoch in sehr kleinen Mengen. Über den Tag verteilt führt das dazu, dass Andrew mehr Insulin zu sich nimmt als mit herkömmlichen Methoden. Mehr Insulin bedeutet, dass Andrew hungriger ist und mehr isst – woraufhin erneut Insulin gespritzt wird – ein Teufelskreis der gerne mal zur Gewichtszunahme führt. Ein weiteres Problem ist die Kommunikation zwischen den verschiedenen Bestandteilen seiner künstlichen Bauchspeicheldrüse, die immer wieder mal kurz die Verbindung verlieren. An all dem tüfteln Andrew und die gesamte Community momentan noch – wahrscheinlich wird es nicht lange dauern bis sie auch diese Probleme in den Griff bekommen.

Letztendlich wollte ich von Andrew wissen, was sein Rat an andere ist, die auch darüber nachdenken ihre eigene künstliche Bauchspeicheldrüse zu bauen. Andrew erzählt mir, dass es jetzt wohl nicht mehr nötig sei, sich eine künstliche Bauchspeicheldrüse selbst zu entwickeln. In Amerika wurde ein kommerzielles Gerät auf den Markt gebracht, das wohl auch bald in Europa erhältlich sein wird. Andrew ermutigt andere dazu, kommerzielle Geräte zu benutzen wenn sie erhältlich sind. Allen, die nicht warten können, empfiehlt Andrew:

‘ Mach es einfach! Aber sei dir und anderen gegenüber verantwortungsbewusst.’

Andrew verdeutlicht jedoch, dass man sich am besten an Communities wenden sollte, die Erfahrung mit der Entwicklung haben. Außerdem gibt er zukünftigen Gesundheitshackern folgendes mit auf den Weg:

‘Denk vorher gut darüber nach.’
‘Sei dir den Risiken bewusst und versuche diese zu mindern.’
‘Sei dir bewusst dass du alleine dafür verantwortlich bist.’
‘Du kannst deine Pläne und dein Design teilen, aber sei dir bewusst dass du es nicht für andere sondern für dich selbst baust.’

Um die Ausstellung Sparks zu besuchen, ist Andrew aus Bartenheim, Frankreich, gekommen. Dort wohnt er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern und arbeitet im IT-Bereich einer Pharmafirma. Andrew und seine Familie waren von Sparks begeistert und finden vor allem die Zusammenstellung der Ausstellung sehr gelungen.

‘Oftmals reden wir zuhause über Sparks und diskutieren über die dort entdeckten Geschichten von Hobbywissenschaftler ’.

Andrew Warrington wird auch bei der großen Abschlussveranstalltung der Sparks Ausstellung dabei sein. Am 11. November 2016 um 18:00 Uhr organisiert das Luxembourg Science Center ein so genanntes ‚Reversed Science Café‘ oder ‚Umgedrehten Wissenschaftskaffee‘. Während diesem Event stellen Wissenschaftler und Experten aus Luxemburg ihre Forschungsprojekte und Arbeiten rund um das Thema „personalisierte Medizin“ vor. Und fragen dann das Publikum um Rat und nach ihrer Meinung zu diversen gesellschaftlichen Fragen. Diese Veranstaltung lädt jeden dazu ein, direkt mit Wissenschaftlern zu diskutieren, sich aktiv mit in die Wissenshaft einzubringen und seinen persönlichen Beitrag zu leisten.

Anmeldung per e-mail sparks@science-center.lu.

Autor: Nadia Battello – Luxembourg Science Center
Fotos: © Luxembourg Science Center

Infobox

‘Sparks’

Ausstellung  -  ‘Jenseits des Labors: Die Revolution der hausgemachten Wissenschaft’
Vom 17 September – 11 November 2016
Auf Deutsch/Englisch/Französisch

Organisiert und animiert vom Luxembourg Science Center

Eintritt frei !
Führungen auf Anfrage: sparks@science-center.lu

Wissenschaft wird von Wissenschaftlern gemacht. Aber nicht nur!
Diese Ausstellung erzählt bemerkenswerte Geschichten von Menschen, die wissenschaftliche Forschung für jedermann zugänglich gemacht haben. Sie haben die Forschung aus den professionellen Laboren in Häuser, Werkstätte und Hinterhöfe verlagert.

Wo ?

Forum du Campus Scolaire Geesseknäppchen
40, boulevard Pierre Dupong
L-1430 Luxembourg

Öffnungszeiten ?

Montag – Freitag  7h - 23h (geschlossen ab 19 h während der Schulferien )
Samstag  7h bis 13h
Sonntags und Feiertags geschlossen

Mehr Infos auf www.science-center.lu

Typ I Diabetes

Typ I Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, die meist im Kindesalter diagnostiziert wird. Hierbei werden die körpereigenen Insulinproduzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört. Dies führt dazu, dass Typ I Diabetes Patienten selbst kein Insulin mehr herstellen können. Jedoch ist Insulin ein lebenswichtiges Hormon, welches benötigt wird, um Zucker aus der Blutzirkulation in die Körperzellen einzuspeisen und sie somit mit Energie zu versorgen. Typ I Diabetes Patienten müssen sich also das Insulin regelmäßig spritzen, damit der mit der Nahrung aufgenommene Zucker auch von den Körperzellen verwertet werden kann.

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