„Entscheidend ist der Vergleich zu den Nachbarländern“, sagt Wirtschaftswissenschaftler Tom Haas.

(c) Uwe Hentschel

Tom Haas von Statec

Die Einwohnerzahl in Luxemburg wächst seit Jahren. Und das wird sie auch weiterhin. Wie schnell und wie stark das geschieht, hängt von vielen Faktoren ab.

Wann wird Luxemburg die Eine-Million-Einwohner-Marke knacken? In 35 Jahren? In 40? Oder erst in 50? „Die demografischen Projektionen für Luxemburg waren bislang größtenteils nur abstrakte Hypothesen“, sagt Tom Haas. Und deshalb seien die politischen Diskussionen zum Bevölkerungswachstum im Grunde auch nur „Phantomdebatten“ gewesen. Weil dabei seiner Auffassung nach bislang zu wenig Anhaltspunkte berücksichtigt wurden. Wie es am Ende kommen wird weiß keiner. Tom Haas übrigens auch nicht Doch der Experte des luxemburgischen Statistik-Instituts STATEC kennt zumindest die Zusammenhänge. 

Um die Grundlage für Entscheidungen über die Zukunft Luxemburgs zu verbessern, hat Haas deshalb ein neues Modell entwickelt, bei dem sowohl demografische als auch makroökonomische Aspekte berücksichtigt werden. „Während die Bevölkerungsentwicklung in den meisten Ländern in erster Linie von der Differenz zwischen Geburten- und Sterberate geprägt ist, ist das Bevölkerungswachstum in Luxemburg vor allem auf Migration zurückzuführen“, erklärt der Statistiker. Luxemburg lockt – nicht zuletzt aufgrund des vergleichsweise hohen Lohnniveaus - ausländische Arbeitskräfte.

Wachstum durch Produktivität statt durch Arbeitsplätze

„Wir wissen, warum die Menschen aus den benachbarten Ländern in Luxemburg arbeiten“, sagt Haas. „Und wir können statistisch belegen dass das ganze wachstumsabhängig ist“, fügt er hinzu. Je besser die Wirtschaftslage, desto größer auch der Bedarf an Arbeitskräften. „Das Wirtschaftswachstum zieht ausländische Arbeitskräfte an, die gleichzeitig dazu beitragen dass die Wirtschaft weiter wächst“, so Haas. Die Bevölkerung nimmt also mit der Wirtschaftsleistung zu – eine Entwicklung, die nicht überrascht, die sich aber durchaus beeinflussen lässt.

„Jahrzehntelang wurde das Ziel verfolgt, für mehr Wirtschaftswachstum zu sorgen, weil dadurch die Steuereinnahmen steigen und mehr Arbeitsplätze entstehen“, erklärt der Statistiker. „Inzwischen entwickelt sich der Konsens dahin, dass man nur noch durch Produktivität wachsen will und nicht mehr durch Arbeitsplätze.“

Entscheidend ist der Vergleich zu den Nachbarländern

Haas unterscheidet hierbei zwischen intensivem und extensivem Wachstum. Letzteres bezieht sich auf die Schaffung von Arbeitsplätzen, wohingegen mit intensivem Wachstum der Anstieg der Produktivität gemeint ist. Je weniger das Wirtschaftswachstum also von einem Anstieg der Arbeitsplätze abhängt, desto weniger Verkehr wird dadurch auch auf Luxemburgs Straßen verursacht. So weit, so gut. „Produktivität und Arbeitsplätze sind aber nicht unabhängig“ sagt Haas. „Im Gegenteil: Mehr Produktivität hat in der Vergangenheit auch immer höhere Löhne und mehr Arbeitsplätze mit sich gebracht.“

Und es gebe auch noch einen weiteren Aspekt, der bei dem Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Produktivität, Löhnen und Migration eine wichtige Rolle spiele. „Entscheidend ist der Vergleich zu den Nachbarländern“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler. „Die höheren Produktivitätsgewinne in Luxemburg haben in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Einkommensunterschied von 50 Prozent geführt“, sagt Haas. „Und solche Unterschiede werden nicht innerhalb von ein paar Jahren verschwinden.“ Arbeitskräfte werden somit auch in Zukunft angezogen. Nur durch Produktivitätsgewinne zu wachsen, erweist sich somit als reines Wunschdenken.

Projektion der Bevölkerungsentwicklung in zwei Stufen

Aus diesem Grund werden bei dem vom STATEC kürzlich veröffentlichten makroökonomischen und demografischen Projektionen für den Zeitraum 2017 bis 2060 unterschiedliche Szenarien durchgespielt. Grundlage ist dabei immer das Wirtschaftswachstum. Weil sich das auf lange Sicht aber nur schwer prognostizieren lässt, gibt es bei den Projektionen zwei Stufen.

Die erste befasst sich mit dem Zeitraum 2017 bis 2030 und geht auf Grundlage der jüngsten Schätzungen von einem tendenziellen Wirtschaftswachstum von drei Prozent aus. Je nachdem wie hoch der Anteil derjenigen ist, die nur zum Arbeiten die Grenze überqueren, ergibt sich hieraus ein Zuwachs von 25 bis 33 Prozent auf 736000 bis 785000 Einwohner.

Wenn Einkommensunterschied bleibt, ist die Million unausweichlich

In der zweiten Stufe, die sich auf den Zeitraum von 2030 bis 2060 bezieht, werden vier unterschiedliche Wachstumsraten zwischen 0 und 4,5 Prozent zugrunde gelegt. Bei einem stagnierendem Wirtschaftswachstum läge die Einwohnerzahl im Jahr 2060 demnach bei 996000 Menschen. Bei einem jährlichen Wachstum von 4,5 Prozent würde die Bevölkerung im gleichen Zeitraum auf 1,162 Millionen Einwohner steigen.

Die unterschiedlichen Entwicklungen seien wieder einmal auf Produktivität und Löhne zurückzuführen, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler. „Wenn der Einkommensunterschied hoch bleibt oder sogar weiterhin steigt, sind eine Million Einwohner unausweichlich“, so Haas. „Nur wenn die Produktivität, und somit auch die Löhne, im Ausland schneller steigen als hier, könnte Luxembourg 2060 weniger als 700000 Arbeitsplätze und  eine Million Einwohner haben.“

Autor: Uwe Hentschel
Foto: Uwe Hentschel

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