(C) Uwe Hentschel
Wie anfällig Banken sind, hat die Finanzkrise gezeigt. Ein Forscher aus Luxemburg hat ein Modell entwickelt, mit dem sich Risiken frühzeitig erkennen lassen.
Eine der vielen Antworten auf die Finanzkrise ist die Einführung der so genannten Stresstests: Alle zwei Jahre werden die wichtigsten europäischen Banken von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) auf Herz und Nieren geprüft. Dabei wird kontrolliert, ob die Banken genügend Kapital haben, um einen längeren Zeitraum mit wirtschaftlichen Verlusten zu überstehen.
Eine zentrale Annahme bei diesen Stresstests ist die, dass die Banken in dieser Phase an ihrer Bilanz nichts ändern. Doch für den Mathematiker Eric Schaanning ist diese Annahme sehr unrealistisch. „Wenn sich große Verluste anbahnen, werden die Banken nicht regungslos warten, bis der Sturm vorbeigezogen ist“, sagt er. „Was derzeit in den Stresstests fehlt, ist die Modellierung der Schneeballeffekte und Kettenreaktionen, wie sie in der Finanzkrise eindrucksvoll zum Vorschein traten“, erklärt Schaanning, der genau daran arbeitet.
Der junge Wissenschaftler aus Luxemburg hat sich im Rahmen seiner kürzlich eingereichten Dissertation am Imperial College London mit den Systemrisiken der Finanzmärkte befasst. Gemeint ist damit die Gefahr, die der Zusammenbruch eines Marktteilnehmers (in diesem Fall eine Bank) auf andere haben kann. „Wenn man besser versteht, wann solche Effekte eintreten und wann nicht, dann lässt sich daraus ein Konzept entwickeln, mit denen sich das Verhalten der Banken besser vorhersagen lässt, und somit in die Stresstests als Reaktion einbauen lässt“, sagt der Mathematiker. Gemeinsam mit Forschungskollegen hat er ein entsprechendes Simulations-Modell zur Erkennung von Risiken entwickelt.
Bis zu einem gewissen Verlust besteht keine weitere Gefahr
„Uns interessiert besonders, wie robust unsere Vorhersagen sind“, erklärt Schaanning, der bei der Erstellung des Modells englische Banken und deren „indirekte Exponierung“ zum spanischen Immobilienmarkt berechnet hat. Gemeint ist damit gewissermaßen die Ansteckungsgefahr, der sich die englischen Banken durch ihre Verbindung zum spanischen Häusermarkt und damit indirekt aussetzen. Das perfide an dieser Ansteckungskette sei, dass Banken noch nicht einmal selbst im Besitz der zunächst betroffenen Anleihen oder Aktien sein müssten, sagt der Forscher und erläutert das anhand der Subprime-Kredite. Damit werden in Amerika die Darlehen für Kreditnehmer mit geringer Bonität bezeichnet.
„Angenommen Bank A hat viele dieser Subprime-Kredite im Portfolio, Bank B aber überhaupt nicht. Beide Banken haben aber einen hohen Anteil gemeinsamer, anderer Wertpapiere. Bei Verlusten in den Subprime-Krediten ist Bank B also zunächst nicht betroffen. Erreichen die Verluste aber einen gewissen Schwellenwert, so ist damit zu rechnen, dass Bank A gezwungen wird, ihre Bilanz zu kürzen. Und dies tut sie, indem sie andere Anteile am Markt verkauft“, erklärt Schaanning. Wenn dies in ausreichend großem Maße passiere, führe das dann auch zu einem Verlust bei Bank B. „Sind diese Verluste wiederum groß genug, kann das auch Bank B zu einer Handlung zwingen, und schon die Kettenreaktion ausgelöst“, sagt er.
Mit Hilfe des Modells Risiken quantifizieren
Das Risikomanagement der Banken wird also dadurch erschwert, dass die eine Bank nicht weiß, was die andere in ihrem Portfolio hält. Die ausreichende Liquidität der Banken ist laut Schaanning deshalb von zentraler Bedeutung. Weil dadurch Panikverkäufe und die damit verbundenen Folgeerscheinungen verhindert oder zumindest reduziert werden können.
Mit Hilfe des Modells hätten Banken die Möglichkeit, ihr eigenes Risiko besser zu quantifizieren, so der Forscher. Das Konzept an sich sei vielen Praktikern, Regulatoren und Akademikern schon längst bekannt, erklärt der Forscher. Ein wesentlicher Beitrag der Arbeit sei es nun gewesen, die Größe des Effektes mit einer Zahl zu quantifizieren.
Während seiner Doktorarbeit wurde Schaanning über ein AFR-Stipendium des Fonds National de la Recherche unterstützt. Seit Beginn dieses Jahres arbeitet er bei der norwegischen Zentralbank in Oslo, wo das von ihm erarbeitete Modell im nationalen Stresstest zum Einsatz kommt. Darüber hinaus präsentiert er seine Ergebnisse demnächst bei der Europäischen Zentralbank (EZB). Sein Ziel wäre eine Kooperation mit EZB und ESRB (European Systemic Risk Board = Europäische Ausschuss für Systemrisiken). „Die EZB arbeitet ebenfalls an der Einbeziehung solcher Effekte in ihren Stresstests“, erklärt er. „Und wir erhoffen uns nun, unsere Simulationen mit europaweiten Daten zur Anwendung zu bringen.“
Autor: Uwe Hentschel
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