(C) Uwe Hentschel

„Die Flüchtlinge halten unserer Gesellschaft den Spiegel vor“, sagt er. „Wie wir mit der Situation umgehen, sagt viel über unsere europäische Gesellschaft aus.“

Die Flüchtlingskrise ist nicht nur eine politische und vor allem humanitäre Herausforderung, sondern auch eine wissenschaftliche.

Spätestens seit vergangenem Spätsommer sprechen wir in Mittel- und Nordeuropa von einer Flüchtlingskrise. Auch Olaf Kleist tut das, stellt gleichzeitig aber auch die Frage, ob es sich dabei überhaupt um eine Krise handelt. Laut Definition im Oxford-Wörterbuch sei Krise als „eine Zeit der intensiven Schwierigkeit oder Gefahr“ zu sehen, sagt er. „Für uns mag das vielleicht zutreffen“, erklärt er. „Aber global gesehen haben wir das Phänomen der Flüchtlinge bereits seit Jahrzehnten.“

Olaf Kleist ist Politikwissenschaftler an der Universität Osnabrück und zudem Referent der Veranstaltungsreihe „Migration & Flüchtlingsfrage“, die die Uni Luxemburg gemeinsam mit Hochschulen aus Deutschland, Frankreich und Belgien veranstaltet. Im Rahmen dieser interdisziplinären Reihe sollen unterschiedliche Aspekte der Flüchtlingsforschung beleuchtet werden.

Flüchtlingsforschung in Nordamerika und Großbritannien längst etabliert

Die Aufgabe von Kleist besteht bei der Auftaktveranstaltung in Luxemburg darin, die besonderen Herausforderungen der Flüchtlingsforschung aufzuzeigen. Und dass diese Herausforderungen unterschiedlich wahrgenommen werden, zeigt sich im internationalen Vergleich. Denn während sich an Universitäten in Nordamerika oder aber Großbritannien die Flüchtlingsforschung bereits ab den 1980er Jahren etabliert habe, stehe diese Entwicklung im deutschsprachigen Raum erst am Anfang, so Kleist.

„Wir können die Flüchtlingskrise nur verstehen, wenn wir die Zusammenhänge kennen“, sagt der Politikwissenschaftler. Man müsse also die unterschiedlichen Kategorien, Perspektiven, Fragestellungen und Methoden der verschiedenen Forschungsrichtungen berücksichtigen. Und das seien nicht die einzigen Unterschiede, mit denen die Forschungsakteure konfrontiert würden.

Für die einen sind es Flüchtlinge, für die anderen Migranten

Denn obwohl Gesetze und insbesondere die Genfer Konvention über die Rechtsstellung von Flüchtlingen klare Definitionen vorgäben, komme es durch internationale Abkommen und nationale Asylgesetze oftmals zu Überschneidungen, so Kleist. Hinzu käme, dass sich die Sozialwissenschaft über juristische Flüchtlingsdefinitionen hinwegsetze, fügt er hinzu. Darüber hinaus sei die Unterscheidung zwischen Flüchtling und Migrant ohnehin nicht nur eine akademische, sondern auch eine politische Diskussion, wie der Forscher erklärt.

Vereinfacht könnte man sagen: Menschen, die zur Flucht gezwungen sind, werden als Flüchtlinge bezeichnet, Menschen, die aus eigenem Antrieb ihr Land verlassen, gelten als Migranten. Doch ganz so einfach ist es dann doch nicht, wie der Umgang mit dem Thema in den Medien zeigt. „Während BBC versucht, die Bezeichnung Flüchtlinge zu vermeiden und deshalb immer von einer Migrationskrise spricht, ist es für Al Jazeera ganz klar eine Flüchtlingskrise“, sagt Kleist.

Flüchtlingsforschung als Korrektiv zu Politik

Doch auch wenn man sich damit schwer tut, für die Krise und die davon betroffenen Menschen eine einheitliche Definition zu finden, so ist Migrations- oder Flüchtlingsforschung dennoch immer eng mit der Praxis und politischen Entwicklungen verbunden, wie Kleist erklärt. Als Beispiel nennt er die forschungsbasierten Vorschläge zur Reform des europäischen Asylsystems oder aber Lösungsansätze zur syrischen Flüchtlingskrise. Die Flüchtlingsforschung müsse als wichtiges Korrektiv zu Politik und staatlichen Institutionen gesehen werden.

Im Zentrum der Forschung sollten dabei immer die Fragen von Recht und Schutz der Flüchtlinge stehen, betont der Wissenschaftler der Uni Osnabrück. „Die Flüchtlinge halten unserer Gesellschaft den Spiegel vor“, sagt er. „Wie wir mit der Situation umgehen, sagt viel über unsere europäische Gesellschaft aus.“

Am 24. Mai 2016 gibt Prof. Denis Scuto in der Vortragsreihe "Migration & Flüchtlingsfrage" eine Vorlesung mit dem Titel "Migrations et droit d'asile à la lumière de l'histoire" um 16.30 Uhr in der Maison du Savoir in Esch-Belval. Es besteht die Möglichkeit an der Vorlesung über Internet teilzunehmen. Mehr Infos und das komplette Programm auf der Internetseite der Universität der Grossregion

Autor: Uwe Hentschel
Foto: Uwe Hentschel

Infobox

Vortragsreihe "Migration & Flüchtlingsfrage"

Die Universität der Großregion möchte gleichzeitig von der kulturellen Vielfalt der Grenzregion profitieren, um die verschiedenen Sichtweisen dieses aktuellen Themas in den betroffenen Ländern zu beleuchten und eine Reihe von interdisziplinären Analysen zu der Thematik von Forschenden des Universitätsnetzwerks anbieten. Die Vorträge richten sich an ein breites Publikum und können vor Ort oder über Videoübertragung verfolgt werden. Es besteht die Möglichkeit, an den Vorträgen mit einem Hyperlink über das Internet teilzunehmen. Dafür ist eine Anmeldung erforderlich. Mehr Infos auf der Internetseite der Universität der Grossregion.

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