Viele psychische Krisen sind einem Forschungsbeitrag zufolge oft normale Reaktionen auf Lebensereignisse ohne Therapiebedarf. Das geht aus einem wissenschaftlichen Beitrag von Forschenden der Universität Duisburg-Essen hervor, wie die Hochschule am Montag mitteilte. Oft würden bei Psychotherapien demnach Störungen behandelt, die bei genauerer Betrachtung keine seien. Angesichts eines Mangels an Psychotherapieplätzen sehen die Autoren dringenden Handlungsbedarf.
Die Forschenden weisen dabei auf eine Diagnosekultur seitens der Therapeuten hin. Zudem gebe es eine zunehmende Sensibilisierung der Gesellschaft für psychische Symptome. Dies könne dazu führen, dass vorübergehende Krisen als psychische Störungen eingeordnet werden. Bei Psychologischen Psychotherapeuten sei die häufigste Diagnose etwa die sogenannte Anpassungsstörung, wobei es sich um eine starke Reaktion auf ein vergangenes oder aktuelles Ereignis im Leben handelt.
"Jeder zweite verheiratete Mensch wird den Verlust des Partners oder der Partnerin erleben müssen", erklärte Mitautor, Marcus Roth, Psychologe an der Universität Duisburg-Essen. Zudem würden fast alle Menschen mit dem Tod der Eltern konfrontiert werden. Trotz Trauer und Belastungen seien Ereignisse wie diese aber Teil des Lebens und meist nach etwa sechs Monaten überwunden oder deutlich verbessert.
"Wenn wir das Thema jetzt nicht diskutieren, wird es eine sehr harte Diskussion, wenn die Kassen aufgrund des demografischen Wandels leerer sind", erklärte Roth angesichts eines Mangels an Psychotherapieplätzen sowie langer Wartezeiten. Den Angaben zufolge warten Menschen in Deutschland im Schnitt 20 Wochen beziehungsweise fünf Monate auf eine Psychotherapie.
Dabei habe sich die Anzahl der Therapeuten von 2006 auf 2021 sogar mehr als verdoppelt, hieß es weiter. Trotz vermehrter Behandlungsangebote sinke der Anteil der Erwachsenen mit einer psychischen Störung aber nicht.
Die Autoren schlagen demnach vor, dass Erwachsene mit psychischen Problemen, die keine Therapie benötigen, niedrigschwellige Hilfen bekommen sollten. Dazu gehören etwa Coachings, Beratungen, Selbsthilfegruppen oder Onlineangebote. "Wir sollten mehr darauf vertrauen, dass Normalität verschiedene Facetten haben kann, wie wir es ohnehin derzeit unter dem Begriff der 'Diversität' diskutieren", erklärte Roth.