MOAST
Mit zerzauster Frisur, wirrem Blick und blutverschmiertem Hemd steht Frankenstein an seinem Seziertisch und entfernt eifrig mit der Knochensäge die störenden Reste des abgetrennten Oberschenkels. Dass um ihn herum eine geführte Gruppe steht und ihm ein wenig irritiert zuschaut, stört ihn nicht weiter. Stolz zeigt Frankenstein den Gästen ein großes Einmachglas, in dessen brauner Brühe zwei kleine Kugeln schwimmen. „Was wir hier haben“, widmet er sich mit einem verstörten Lachen wieder dem oberen Drittel des vor ihm liegenden Patchwork-Körpers, „ist ein paar wunderschöner blauer Augen - ganz allein für Dich…“
Ethische Diskussion am Seziertisch
Vor 20 Jahren wurde der Fonds National de la Recherche (FNR) gegründet. Seitdem hat der Fonds weit mehr als 3600 Projekte mit insgesamt 655 Millionen Euro unterstützt. Einige der Forscher, deren Arbeit dadurch finanziert wurde, sind nun bei Frankenstein gelandet. Gemeinsam mit den Mitarbeitern des FNR und weiteren Gästen aus der Öffentlichkeit, die sich ebenfalls im Vorfeld für dieses besondere Event im Luxemburger House 17 registriert haben, begeben sie sich auf die Spuren der beiden Schriftsteller Jules Verne und Mary Shelley und nicht zuletzt eben die von Shelleys Romanfigur Frankenstein.
Letzterer wird bei seiner Arbeit unterstützt von Igor. Dieser hört auch auf den Namen Sean Sapcariu, ist Mitarbeiter des FNR, und betrachtet das, was Frankenstein in der rustikalen Vorstufe menschlicher Genveränderung treibt, aus einem ethischen Blickwinkel. Mit dem irren Wissenschaftler darüber ergebnisoffen zu diskutieren, scheint jedoch recht aussichtslos, weshalb sich Igor an die kleine Besuchergruppe wendet. „Wie denkt Ihr über die Veränderung des menschlichen Genoms?“, fragt er in die Runde. „Haltet Ihr das für eine gute Idee? Sollten wir damit weitermachen?“
Jules Verne freut sich über die Reise zum Mond
Für (den von Schauspieler Paul Hoffmann gespielten) Frankenstein ist der Fall klar. Für die Zuschauer auf der anderen Seite des Seziertischs hingegen nicht. Sie diskutieren mit Igor alias Sapcariu darüber, wo die Veränderung der menschlichen DNA hilfreich und sinnvoll sein kann, wo die ethischen Grenzen der Genforschung zu sein haben und wer über letzteres entscheiden sollte. Die Meinungen sind bunt gemischt, die Runde auch. Eines haben alle gemeinsam: Sie sind Gäste einer eher ungewöhnlichen Geburtstagsfeier.
Jeder der drei berühmten Figuren ist jeweils ein Zimmer gewidmet, durch welche die Gäste in aufgeteilten Gruppen geführt werden. Jules Vernes ist übrigens in seinem Zimmer ganz tief im Schlaf versunken. Als er aufwacht, wird er nicht nur mit den Besuchern konfrontiert, sondern auch mit der Gegenwart. Der französische Schriftsteller, der als Mitbegründer der Science-Fiction-Literatur gilt, hat die vergangenen rund 150 Jahre schlichtweg verpennt. Er interpretiert es als Zeitreise. Dass die Reise zum Mittelpunkt der Erde selbst im 21. Jahrhundert noch immer eine Utopie ist, damit hat er nicht gerechnet. Dass stattdessen aber bereits Menschen auf dem Mond waren, fasziniert (den von Claude Faber gespielten) Jules Verne umso mehr.
Ein kleiner Würfel interessiert sich für menschliche Emotionen
Während Lunar-Geologin Abigail Calzada Díaz vom luxemburgischen Unternehmen iSpace dem Schriftsteller und den Gästen erklärt, welche Bedeutung das Vorkommen von Wasser auf dem Mond für zukünftige Weltraummissionen haben könnte, kommt ein Stockwerk tiefer, im Mary-Shelley-Raum, ein kleiner Würfel zu Wort. Es ist das Sprachmedium einer künstlichen Intelligenz, die Franky heißt und von den Gästen etwas mehr über menschliche Emotionen erfahren möchte. Erschaffen wurde Franky allerdings nicht von dem durchgeknallten Forscher mit der Knochensäge im oberen Stockwerk, sondern von Studenten der Luxembourg Tech School.
Frankenstein selbst wurde von Mary Shelley 1818 der Öffentlichkeit vorgestellt. Und wie Didier Goossens, Leiter der FNR-Unternehmenskommunikation, erklärt, ist die Geschichte auch 200 Jahre später genauso aktuell wie damals. Als der Roman seinerzeit veröffentlicht worden sei, habe sich England in Zeiten der industriellen Revolution rasant verändert. „Heute befinden wir uns inmitten der Informationsrevolution, deren Digitalisierung unser Leben grundlegend verändert“, erklärt Goossens. Frankenstein sei als eine Metapher für die heutigen Herausforderungen zu sehen. Und als eine Warnung vor einer Welt, in der die Technologie den Menschen kontrolliere - und nicht umgekehrt.
Keine Furcht vor neuen Technologien
Zum Leben erweckt, sei die Kreatur an sich weder gut noch schlecht gewesen, sagt Goossens. Und ähnlich verhalte es sich mit neuen Technologien wie etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz oder aber Genforschung. „Mit diesen Techniken können unglaubliche Dinge zum Wohle der Menschheit getan werden, und es gibt keinen Grund, sich vor ihnen zu fürchten“, so der Mitorganisator der Veranstaltung. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung ermögliche eine kritische Reflexion neuer Ideen, um sie unvoreingenommen zu bewerten.
Dass die Feier im House 17 diese Auseinandersetzung aufgreift und damit angeregte Diskussionen ins Laufen bringt, kommt bei den Gästen sehr gut an – wie das beim FNR eingegangene Feedback im Anschluss der Veranstaltung zeigt. „Das Konzept wurde sehr gut vorbereitet und durchgeführt“, meint einer der Teilnehmer. In verschiedenen Gruppen über wichtige wissenschaftliche Themen zu informieren statt einfach nur etwas zu trinken sei eine großartige Idee gewesen, fügt er hinzu. Und ähnlich begeistert zeigen sich auch andere Gäste. „Ich hatte einen tollen Abend mit Menschen mit unterschiedlichen beruflichen und kulturellen Hintergründen“, resümiert ein Teilnehmer. Und ein anderer stellt fest: „Als Wissenschaftler wurde ich daran erinnert, wie wichtig Wissenschaftskommunikation für die breite Öffentlichkeit ist.“
Mehr Bilder, Infos und Eindrücke von Gästen (auf Englisch) zum Event in einer Story vom FNR.
Autor: Uwe Hentschel
Editor: Michele Weber (FNR)
Video: MOAST
Fotos: Johannes Nollmeyer
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