Europa hat wieder eine eigene Trägerrakete: Am kommenden Dienstag soll die neue Ariane 6 von Kourou in Französisch-Guayana zu ihrem Jungfernflug starten – vier Jahre später als ursprünglich geplant. Damit hat die europäische Raumfahrt wieder einen eigenständigen Zugang zum Weltraum. Ariane 6 soll für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber Satelliten ins All befördern.
Um 15.00 Uhr Ortszeit (20.00 Uhr MESZ) soll die Rakete abheben. Die Europäische Weltraumorganisation Esa ist zuversichtlich, dass der Start reibungslos verläuft. Bei einem Probelauf im Juni konnten letzte Probleme behoben werden. "Es lief sehr gut, wie ein Schweizer Uhrwerk", sagt Toni Tolker-Nielsen, Esa-Direktor für Raumtransport. "Es gibt keinen kritischen Punkt, der das Startdatum in Frage stellt."
Das Vorgängermodell der Rakete, Ariane 5, war im Juni 2023 zum letzten Mal nach 27 Jahren im Einsatz gestartet. Seither konnten die Europäer nicht mehr eigenständig Satelliten in die Umlaufbahn bringen: Seit Moskaus Invasion in der Ukraine haben sie keinen Zugang mehr zur russischen Trägerrakete Sojus, die zehn Jahre lang von Französisch-Guayana aus gestartet war. Und die Vega C-Rakete ist nach einem Unfall seit Ende 2022 am Boden. Die Verzögerung des eigentlich für 2020 geplanten Jungfernflugs der Ariane 6 verschärfte die Krise.
"Alles, was schiefgehen konnte, ist schiefgegangen", beklagt Esa-Chef Joseph Aschbacher. "Deshalb ist die Ariane 6 entscheidend für Europa, das unbedingt einen unabhängigen Zugang zum Weltraum haben muss." Das Projekt Ariane 6 war 2014 beschlossen worden und kostete 4,5 Milliarden Euro.
Bei ihrem ersten Start wird die neue Trägerrakete 18 "Passagiere" an Bord haben: Mikrosatelliten von Universitäten und wissenschaftliche Experimente. "Dieser erste Flug ist ein wichtiger Moment für uns alle. Es ist nicht einfach nur der Abschluss der Entwicklungsanstrengungen, sondern auch der Beginn der Betriebsphase", sagt Franck Huiban, Leiter der zivilen Programme beim Konzern Arianegroup, der die Rakete gebaut hat.
Ariane 6 wird Satelliten in einige hundert Kilometer Höhe bringen, aber auch in eine geostationäre Umlaufbahn in 36.000 Kilometern Höhe. In dieser Höhe entspricht die Geschwindigkeit des Satelliten der Rotationsgeschwindigkeit der Erde, so dass Beobachter am Boden den Eindruck haben, er würde sich nicht bewegen. Das Vinci-Triebwerk der Rakete kann wiederholt gezündet werden, um mehrere Satelliten an verschiedenen Punkten im All absetzen zu können.
Der erste kommerzielle Flug von Ariane 6 soll Ende des Jahres stattfinden, 14 weitere sind in den folgenden zwei Jahren geplant. "Ariane 5 wurde für bis zu sieben Starts pro Jahr konzipiert, während Ariane 6 für zwölf Starts jährlich ausgelegt ist“, sagt Huiban. In der ersten Phase sind neun Flüge pro Jahr geplant. Damit ist Ariane weit entfernt vom US-Unternehmen SpaceX, das den Wettbewerb dominiert und allein im Mai 14 Starts der Rakete Falcon 9 absolvierte.
Das Weltraumgeschäft boomt derzeit. Bis 2032 werden laut dem Beratungsunternehmen Novaspace 822 Milliarden Dollar (767 Milliarden Euro) für Trägerraketen, Satelliten und andere Teile der Raumfahrtindustrie ausgegeben werden. Vergangenes Jahr waren es noch 508 Milliarden Dollar.
Doch auch die wachsende Nachfrage reicht nicht, um Ariane 6 rentabel zu machen. Die 22 Esa-Mitgliedstaaten erklärten sich bereit, bis zu 340 Millionen Euro jährlich zuzuschießen, um den 16. bis 42. Flug der Ariane 6 zu sichern – im Gegenzug für elf Prozent Preisnachlass seitens der Industrie. Die ersten 15 Flüge sind bereits finanziert.
30 Aufträge hat Ariane 6 schon, allein 18 von Amazon für den Transport der Kuiper-Internet-Satelliten ins All. "Das ist absolut beispiellos für eine Rakete, die noch nicht geflogen ist", sagt Stéphane Israël, der Chef des Unternehmens Arianespace, das für die Vermarktung und den Betrieb der Rakete zuständig ist.
Wenige Tage vor dem Jungfernflug sagte der Betreiber der europäischen Wettersatelliten, Eumetsat, jedoch einen geplanten Start mit der Ariane 6 zugunsten von SpaceX ab – wegen "außergewöhnlicher Umstände".