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Patienten oder andere Interessierte informieren sich vor allem übers Internet über Long-COVID.

Die COVID-Pandemie ist aus dem Alltag der meisten Menschen verschwunden. Für manche ist sie aber nach wie vor brandaktuell. Denn sie leiden unter einer postinfektiösen, chronischen Fatigue-Erkrankung, besser bekannt als Long-COVID oder Post-COVID. Eine Forschungsgruppe um den Psychotherapeuten Charles Benoy vom Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique (CHNP) hat nun eine Webseite mit aktuellen und gut recherchierten Informationen aufgebaut, um den Betroffenen in Luxemburg zu helfen. Details zum Projekt und der Webseite, die voraussichtlich Mitte März online geht, gibt er hier im Interview.

Charles Benoy ist Leiter der Forschung am CHNP und Mitglied des luxemburgischen comité de pilotage Long Covid. (Foto: Charles Benoy).

Herr Benoy, an wen richtet sich Ihre Webseite?

Charles Benoy: Die Webseite richtet sich an alle Menschen, die sich mit dem Thema Long-COVID auseinandersetzen wollen. Wer glaubt, selbst betroffen zu sein, hat ja erst einmal einige brennende Fragen. Was sind die typischen Symptome? An wen muss ich mich in Luxemburg wenden, um meine Diagnose zu erhalten? Und so weiter. Aber auch, wer einfach nur von der Erkrankung gehört hat oder vielleicht in seinem Umfeld einen Betroffenen kennt, will sich vielleicht informieren. Für all diese Personen wollten wir einen Ort schaffen, an dem sie valide und verlässliche Information bekommen.

Welche Informationen finden Long-COVID Patienten auf der Webseite?

Charles Benoy: Wir haben eine Webseite entwickelt, auf der wir Experten in kurzen Videos oder Audios zu Wort kommen lassen. Dort stellen sie z. B. ihre Studienergebnisse oder andere Updates aus der Wissenschaft vor. Sie geben in einem Audioclip Einblicke, wie das Behandlungsprogramm in Luxemburg funktioniert. Oder sie geben wichtige Informationen zur Erkrankung und zu gesundheitsförderlichem und gesundheitsschädlichem Verhalten.

Es gibt Anleitungen, um die Lebensqualität zu verbessern. So erfährt man beispielsweise in einem Video, wie Pacing funktioniert. Das ist eine Art Energiemanagement und der Hauptbestandteil der Therapie bei Long-COVID. Weitere Beiträge bearbeiten etwa das Thema Schlafstörungen bei Long-COVID, den Unterschied zwischen Müdigkeit und Fatigue oder die Psychotherapie.

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Was ist Pacing?

Körperliche Aktivitäten, geistige Herausforderungen oder emotionale Ereignisse können chronisch Kranke nicht nur schnell an ihre Grenzen bringen. Sie können auch zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands führen. Post-exertionelle Malaise, kurz PEM nennt man dieses Krankheitsgefühl nach Anstrengung, das eines der Leitsymptome von Long-COVID ist. Dem soll Pacing entgegenwirken. Die Bezeichnung stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Kräfte einteilen. Anstatt die Betroffenen ruhig zu stellen oder abzuschotten, sollen sie die mit ihrer Erkrankung verbundenen Belastungsgrenzen erkennen und vermeiden lernen. Betroffene setzen die einmal erlernten Pacing-Techniken im Alltag selbstständig um. Unterstützung können sie von Physio-, Psycho- oder Ergotherapeuten erhalten.

Für eine bessere Orientierung gibt es Suchfilter für verschiedene Themenbereiche. Und wir waren darauf bedacht, die Informationen in möglichst vielen Sprachen zugänglich zu machen. All das findet man im öffentlichen Bereich unserer Webseite. Daneben gibt es noch einen geschützten Bereich. Der ist nur für Patienten zugänglich. Dort gibt es dann zum Beispiel auch Testimonials von anderen Patienten.

Warum habe Sie eine Webseite für eine chronische Erkrankung wie Long-COVID geschaffen?

Charles Benoy: Wir hatten hier in Luxemburg eine wahre Welle neuer Patienten, die an Long-COVID erkrankt sind. So etwas gab es bisher nur sehr selten. Das führt zu langen Wartezeiten für eine Behandlung, die zum Teil über einem halben Jahr liegen. Das ist eine sehr lange Zeit, besonders weil sich die Betroffenen natürlich schnell informieren möchten.

Unser Ziel ist es, die Patienten und ihr Umfeld so früh wie möglich mit den besten verfügbaren Informationen zur Erkrankung auszustatten. Damit wollen wir eine Verschlechterung oder Folgeschäden vermeiden.

Bei anderen chronischen Erkrankungen wie zum Beispiel Schizophrenie oder Diabetes gibt es dafür Fachgesellschaften und Patientenvereinigung. Die informieren sehr fundiert. Bei Long-COVID ist das anders. Da haben wir zwar eine sehr aktive Community mit starkem Informationsaustausch. Doch das ist alles völlig unreguliert. Und Patienten oder andere Interessierte informieren sich vor allem übers Internet. Bei Long-COVID stoßen sie da zum Teil auf sehr fragwürdige Informationen. Wir haben hier in der Klinik (Anm. der Red. Centre Hospitalier Neuro-Psychiatrique) immer wieder Betroffene, die irgendwelche Sachen aus dem Internet schlucken, weil sie davon in einem Forum gelesen haben. Es gab also bisher kaum eine zentrale Quelle mit fundierten Informationen darüber, was man bei Long-COVID machen sollte und was man lieber sein lassen sollte. Dem versuchen wir mit unserer Internetseite entgegenzuwirken.

Was erhoffen Sie sich von der Nutzung ihrer Webseite?

Charles Benoy: Das Problem bei chronischen Erkrankungen ist ja das Fehlen einer spezifischen Therapie. Das bedeutet, man kann den Patienten keine rasche Heilung ermöglichen. Deshalb spielt ein gesundheitsförderliches Verhalten eine ganz wesentliche Rolle. Bei vielen chronisch verlaufenden Erkrankungen spielt Verhalten – gesundheitsförderliches wie gesundheitsschädigendes - eine sehr wesentliche Rolle. Das Verhalten sollte möglichst gut an die Erkrankung angepasst werden, damit einerseits eine bestmögliche Lebensqualität erhalten bleiben kann und andererseits die Krankheitslast so gering wie möglich gehalten wird. Es geht also um Krankheitsmanagement. Zeit spielt dabei eine wesentliche Rolle. Die Verhaltensweisen sollten möglichst rasch an die Erkrankung angepasst werden, um Folgeprobleme wie soziale Isolation oder Verschlimmerung der Symptome zu verhindern. Wir haben eine Plattform entwickelt, auf der wir Experten in kurzen Videos oder Audios zu Wort kommen lassen. Dort stellen sie ihre Studienergebnisse vor, geben Einblicke in die Behandlung oder wichtige Informationen zur Erkrankung, zu gesundheitsförderlichem und gesundheitsschädlichem Verhalten.

Wie viele Long Covid-Patienten gibt es aktuell in Luxemburg?

Charles Benoy: Im nationalen pluri-institutionellen Behandlungsprogramm haben wir im Moment etwa 1.500. Wendet man die epidemiologischen Zahlen an, dann sollte es insgesamt zwischen vier- und fünftausend Menschen mit Long-COVID in Luxemburg geben.

Was wissen wir über Long Covid und was wissen wir noch nicht?
 

Wir wissen, dass Long-COVID zu den postinfektiösen Fatigue-Erkrankungen gehört. Es ist also ein Leiden, bei dem die Symptome der Grunderkrankung noch Monate oder gar Jahre nach der eigentlichen Infektion bestehen. Long-COVID wird auch noch Post-acute COVID-19 syndrome (PACS) oder Post-COVID-Syndrom bezeichnet.  

 

Mehr als 200 solcher Symptome wurden bereits für Long-COVID beschrieben. Eines der häufigsten ist eine als Fatigue bezeichnete, anhaltende Entkräftung. Kognitive Störungen, auch als Nebel im Gehirn oder englisch Brain Fog genannt, treten ebenfalls oft auf. Und auch Beschwerden der Atemwege wie etwa Kurzatmigkeit sind keine Seltenheit. Beobachtet wurde diese Art der Erkrankung auch bei anderen Viren – zum Beispiel nach der SARS-CoV-1 Pandemie 2003.

 

Wir wissen allerdings noch nicht, wie sich Long-COVID genau entwickelt. Dazu gibt es einige stichhaltige aber bisher noch nicht ausreichend belegte Hypothesen. Im Körper verbliebene Fragmente des ursprünglichen Virus werden als Verursacher ebenso diskutiert wie eine erhöhte Autoimmunantwort oder eine Beteiligung unseres körpereigenen Mikrobioms. Auch das autonome Nervensystem oder kleinste Entzündungen im Gehirn könnten an Long-COVID beteiligt sein. All diese Aspekte wurden bereits identifiziert. Wie sie aber zusammenspielen und warum manche bei einem Patienten eine Rolle spielen und beim anderen nicht, ist bis heute unbekannt. Es ist also noch einiges an Forschung nötig, bevor wir ein wirklich schlüssiges Bild haben.

Wie laufen Diagnose und Behandlung von Long-COVID in Luxemburg ab?

Charles Benoy: Der Allgemeinmediziner stellt die Verdachtsdiagnose und schickt die Leute ins Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL) in den Fachbereich der Infektionserkrankung. Dort wird die Diagnose bestätigt und dann wird ein Behandlungszweig aufgebaut. Wer zum Beispiel sehr starke Lungenprobleme hat, wird ins Rehazenter überwiesen. Wer ein Ausdauerproblem mit verminderter Belastbarkeit hat, wird eher ins Domaine Thermal nach Mondorf geschickt. Und die Patienten mit einem chronischen Fatigue-Syndrom oder mit psychiatrischen und neurologischen Problemen kommen dann zu uns. Man kann natürlich auch verschiedene Symptome gleichzeitig haben. Dann wird man auch an mehreren der Orte behandelt.

Das geht wahrscheinlich nicht von heute auf morgen?

Charles Benoy: Nein. Die erste Wartezeit entsteht wahrscheinlich schon beim Allgemeinmediziner. Der wird erstmal eine gewisse Zeit beobachten, bevor er die Diagnose stellt. Dann wartet man auf einen Termin am CHL. Und anschließend noch beim Behandlungscenter – wie zum Beispiel hier bei uns. Da kann insgesamt schon mal ein halbes bis dreiviertel Jahr vergehen, bis die Behandlung beginnt. Mit unserer Webseite möchten wir die Patienten deshalb schon viel früher aufklären und mit gesundheitsförderlichen Informationen ausstatten.

Ihre Webseite hat sehr gedeckte Farben, ist aufgeräumt und Sie arbeiten viel mit Videos oder Podcasts. Hat das einen speziellen Grund?

Charles Benoy: Ja, den hat es tatsächlich. Long-COVID Patienten haben oft mit neuropsychologischen Störungen zu kämpfen. Sie leiden zum Beispiel unter starke Lichtsensitivität, unter Konzentrations- oder unter Gedächtnisstörungen. Grelle Farben anschauen, durch verzweigte Inhaltsverzeichnisse klicken, seitenweise Texte lesen oder halbstündigen Videos folgen, fällt ihnen sehr schwer. Deshalb haben wir die Seite relativ einfach und „straight forward“ aufgebaut. Wir nutzen Farben, die möglichst sanft fürs Auge sind. Wir verzichten auf lange Texte. Und unsere Audio- und Videoclips sind kurz und knackig.

Wie aktuell sind die Informationen auf Ihrer Seite?

Charles Benoy: Unser Anspruch ist es, immer up to date zu sein. Deshalb werden wir wöchentliche Updates durchführen und dabei neue Inhalte hochladen. Zu meinen Aufgaben als klinischer Forschungsleiter gehört es, den Überblick über neuen und für unseren Klinikalltag relevante wissenschaftliche Publikationen zu behalten. Stoße ich dabei auf eine Studie, die ich für gut gemacht und relevant für unsere Patienten halte, nehme ich Kontakt zum Autor auf. Ich bitte ihn um ein drei- oder fünfminütiges Interview über Zoom. Das schneiden wir und publizieren es auf der Webseite. Natürlich befragen wir auch Kliniker, die sich mit Long-COVID befassen. Ich habe zum Beispiel einen französischen Kollegen interviewt, der tief im Thema drin steckt und auch die entsprechenden Programme in Frankreich aufgebaut hat. Solche Erfahrungen und Erkenntnisse werden wir ebenfalls auf der Webseite zur Verfügung stellen.

Die Webseite der Long-COVID Plattform lautet ecare.rehalinik.lu. Sie wird voraussichtlich Mitte März online sein. Das Projekt erhält finanzielle Unterstützung durch das PSP-Classic Förderprogramm des Luxembourg National Research Fund (FNR).

Autor: Kai Dürfeld (für scienceRELATIONS – Wissenschaftskommunikation)
Redakteur: Michèle Weber (FNR)

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Quellen

Haunhorst, S., Dudziak, D., Scheibenbogen, C. et al. Towards an understanding of physical activity-induced post-exertional malaise: Insights into microvascular alterations and immunometabolic interactions in post-COVID condition and myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome. Infection 53, 1–13 (2025). https://doi.org/10.1007/s15010-024-02386-8

Davis, H.E., McCorkell, L., Vogel, J.M. et al. Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nat Rev Microbiol 21, 133–146 (2023). https://doi.org/10.1038/s41579-022-00846-2

https://www.sciencemediacenter.de/angebote/welche-wichtigen-forschungsfragen-zu-covid-19-und-sars-cov-2-sind-nun-beantwortet--und-welche-nicht-24103

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