painting of SARS-CoV-2 and face

Christine Berthel

Künstlerische Darstellung von SARS-CoV-2

Weit davon entfernt sich in Luft aufzulösen grassiert Long Covid im Schatten der Pandemie. Die weltweite Impfkampagne hat der Krankheit bisher kein Ende bereitet. Dementsprechend hart arbeitet die wissenschaftliche Gemeinschaft daran, ihre Ursachen und Auswirkungen besser zu verstehen. Der folgende Artikel erweitert unsere erste Bestandsaufnahme der wissenschaftlichen Evidenz „Was wissen wir über Long Covid?“, die Ende 2021 auf science.lu erschien.

„Post-acute COVID-19 syndrome“ (PACS), „Long Covid“ oder „Post-COVID-Syndrom“: Es mangelt nicht an Namen um die erschöpfenden und anhaltenden Symptome zu beschreiben, die manche Patienten nach einer SARS-CoV-2 Infektion plagen. Dieses heimtückische Phänomen führt zwar selten zu einem Krankenhausaufenthalt, trifft aber zahlreiche Menschen in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen, ob geimpft oder nicht.

Die gesundheitlichen und sozioökonomischen Folgen sind mittlerweile groß genug, um daraus ein gesellschaftlich relevantes Thema zu machen. So befassen sich derzeit breit angelegte prospektive Studien1 (Analysen des Werdegangs von Patienten, im Jetzt und in der Zukunft) und Metaanalysen2 (systematische Vergleiche mehrerer unabhängiger Studien) umfangreich damit. Großbritannien hat über 60 spezialisierte Zentren zur Behandlung von Long Covid erschaffen3, nachdem der Versuch, eine Herdenimmunität ohne Impfung herzustellen zu besonders hohen Infektionszahlen geführt hatte. In Luxemburg wurde kürzlich ein Gesetzentwurf vom Staatsrat genehmigt, wodurch eine Kur für Patienten mit Long Covid in den Leistungskatalog der Kassenärzte aufnehmen lässt.

Long Covid, was ist das genau?

Laut WHO ist es „ein Zustand, der bei Personen mit einer Vorgeschichte einer wahrscheinlichen oder bestätigten SARS-CoV-2-Infektion auftritt, üblicherweise 3 Monate nach Beginn der COVID-19 Symptome, mindestens 2 Monate anhält und nicht durch eine andere Diagnose erklärt werden kann“4.

Long Covid Symptome sind isoliert oder vielfältig; sie betreffen jedes Organsystem. Diese breite Palette macht aus der Erkrankung ein schwer greifbares Chamäleon.

Die häufigsten sind Müdigkeit, Atembeschwerden, anhaltender Husten und kognitive Beeinträchtigungen (wie z.B. der sogenannte „Brain Fog“); letztere werden als besonders lästig empfunden. Dazu kommen metabolische Störungen (unter anderem Diabetes mellitus); Verdauungs- und Herzkreislauf-Probleme (Rhythmusstörungen, Bluthochdruck); Geruchs- und Geschmacksverlust; Schlafstörungen; depressive Verstimmungen; Gelenk- und Muskelschmerzen; Kribbeln in den Extremitäten…5,6,7 Insgesamt werden über 150 Symptome beschrieben. 

Diese diversen Symptome sind in keiner Weise als psychosomatisch zu werten. Immer mehr Studien untersuchen und beweisen ihre sehr reale Pathophysiologie. Ein erbauliches Beispiel ist jene von Dr. Puntmann geleitete Studie8 aus dem Universitätsklinikum Frankfurt: Seine Arbeit hat es ermöglicht, Läsionen im Bereich der Herzmuskeln von 346 Long Covid Patienten  mittels MRT darzustellen. Obwohl die initiale COVID-19-Erkrankung seiner Probanden milde verlief, beklagten sie sich unter anderem über Herzstolpern und anhaltende Schmerzen in der Brust.

Die WHO erläutert hierzu: „Es scheint keinen Zusammenhang zwischen dem anfänglichen Schweregrad der COVID-19-Infektion zu geben und der Wahrscheinlichkeit, Long Covid zu entwickeln“. Solch ein Zusammenhang ist in der Praxis schwer zu untersuchen: die spezifischen Symptome der Erkrankung müssen von den Nebenwirkungen der angewandten Therapien (Intubation, Beatmung, Medikamente) – also von den sogenannten iatrogenen Komplikationen – unterschieden werden.

Obgleich das Thema genauer untersucht gehört, kann man dennoch festhalten, dass eine leichte Form der COVID-19-Erkrankung keine Garantie bietet, vor seiner langen Form geschützt zu sein. Dasselbe gilt für die Impfung. Diese verhindert zwar schwere COVID-19 Verläufe und Todesfälle, jedoch weder die Infektion noch das Auftreten von Long Covid. Zu dieser Erkenntnis kam eine groß angelegte US-amerikanische Studie9, die in Nature Magazine publiziert wurde.

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Details zur Studie

Diese Studie wurde von der Saint Louis University in Washington und dem United States Department of Veterans Affairs durchgeführt. Trotz der sehr großen Patientenkohorte (13 Millionen Veteranen) hat sie wesentliche Einschränkungen und relativiert in keiner Weise die Notwendigkeit einer Impfung. Die Kohorte besteht hauptsächlich aus älteren Männern und ist keine repräsentative Stichprobe der Allgemeinbevölkerung, zumal Long Covid viele junge und gesunde Menschen trifft.

Die Studie zeigt ferner eine 34%ige Verringerung des Sterberisikos durch SARS-CoV-2 bei geimpften Personen dieser Kohorte, sowie eine 15%ige Verringerung des Risikos an PACS zu erkranken im Vergleich zur infizierten ungeimpften Population. Der Hauptautor, Dr. Ziyad Al-Aly, betont daher die äußerste Relevanz des Impfstoffs als Waffe gegen die Pandemie.

Dieselbe Studie findet trotz allem eine 15%ige Risikominderung für Geimpfte an Long Covid zu erkranken10, im Vergleich zur infizierten ungeimpften Gruppe. Eine israelische Studie11 kam ebenfalls zu ermutigenden Ergebnissen: Je nach Symptom könnte die Risikominderung für Geimpfte zwischen 50 und 66 % liegen.

Wie viele Menschen sind von Long Covid betroffen?

Hinsichtlich der Prävalenz hat sich die in unserem ersten Artikel12 angegebene Bandbreite von 10 bis 30% verfeinert. Unter Prävalenz verstehen wir den Anteil der Long-Covid-Fälle bei Menschen, die zuvor an COVID-19 erkrankten, ohne zwischen ambulanten und stationären Verläufen zu unterscheiden.

Eine neue, in The Lancet veröffentlichte Studie13 hat erstmals die korrigierte Prävalenz berechnet. Einer von acht Genesenden (12,7%) erkrankt demnach an Long Covid14. Analysiert wurde die Prävalenz und der Schweregrad jener Symptome, die sich ausschließlich auf Long Covid zurückführen ließen. Ausgeschlossen wurden diejenigen, die bereits schon vor nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion vorhanden waren. Die Dynamik der Symptome wurde zum Vergleich ebenfalls in einer großen, nicht infizierten Kontrollgruppe untersucht. Die so erhaltene Prävalenz ist damit von mehreren Verzerrungen befreit. Sämtliche Daten stammen aus Lifelines15, einer großen niederländischen Kohortenstudie mit 76.422 erwachsenen Teilnehmern.

Betrachtet man die weltweite COVID-19 Inzidenz (Anzahl neuer Fälle einer Krankheit in einem bestimmten Zeitraum), so zeichnen sich dieses Jahr mehrere Millionen Fälle von Long Covid ab; eine Zahl, die angesichts der Dunkelziffer an nicht gemeldeten Infektionen möglicherweise nach oben korrigiert werden muss. Ohne adäquate Behandlung führt dies zu einer gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderung eines ganz neuen Ausmaßes16.

Unterscheidet sich das Risiko, an Long Covid zu erkranken, je nach Virusvariante (Delta, Omikron, Deltakron)?

Diese Frage ist noch ungeklärt.

Eine Beobachtungsstudie17, die im Juni dieses Jahres in The Lancet veröffentlicht wurde, vergleicht die Wahrscheinlichkeit an Long Covid zu erkranken entweder nach einer initialen Infektion mit Delta oder mit Omikron. Das relative Risiko scheint für Omikron geringer zu sein. Wie die Autoren betonen, ist diese Studie jedoch durch den Stand der Infektionswellen zum Zeitpunkt der Datenerhebung begrenzt: Tatsächlich hatte die „Omikron“-Welle ihren Höhepunkt noch nicht erreicht; im späteren Verlauf war daher eine viel höhere Zahl an Long-Covid-Fällen zu erwarten.

Zudem misst sich die Auswirkung einer Krankheit auf ein Gesundheitssystem vor allem an ihrer absoluten Fallzahl. Eine hoch ansteckende Variante wie Omikron birgt das Risiko, eine ganze Welle an Long-Covid-Fällen nach sich zu ziehen. Betrachtet man die Zahlen des ONS (Office for National Statistics) im Vereinigten Königreich, so litten unter der Dominanz der Omikron-Variante weit mehr Menschen an Long Covid als es der Fall für Delta war; in der Tat waren die absoluten Infektionszahlen bei Omikron viel höher.

Und schlussendlich wird die Frage durch die unterschiedlichen Impfraten zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch komplexer (niedrigere Rate während der "Delta"-Welle). Um die Risiken der verschiedenen Variantenr angemessen vergleichen zu können, muss der Impfstatus (keine, einfache, doppelte, geboosterte Impfung) in die Analyse einbezogen werden, was in dieser Studie gut gelungen ist.

Was wissen wir aktuell über die Ursachen von Long Covid?

Derzeit werden mehrere Hypothesen zu ihrer genauen Pathophysiologie geprüft. Was sie vereint, ist die Hartnäckigkeit der Wissenschaftler und das Ausmaß ihrer Aufgabe. Jede neue Piste wird Jahre an zusätzlicher Forschung benötigen. Das verlangt Mut, Vision und Ausdauer sowohl von der wissenschaftlichen als auch von der politischen Seite, in der Hoffnung, möglichst bald effiziente Therapiekonzepte zu erarbeiten.

Im Folgenden ein Überblick.

Ein Team der Universität Stellenbosch18 aus Südafrika stellte eine erhöhte Neigung zu Blutgerinnseln in den feinen Blutgefäßen (Mikrokapillaren) von Patienten mit Long Covid fest – dies wird als Mikroangiopathie bezeichnet. Sollten sie sämtliche Organe des Körpers befallen, so könnten diese Blutgerinnsel die vielfältige Ubiquität der Symptome erklären.

Dr. Buonsenso vom Universitätsklinikum Gemelli in Rom gehört zu den Forschern, die dieser Hypothese nachgehen. Dank der Hybridtechnik SPECT/CT19 (siehe Infobox) hat sein Team die Auswirkungen dieser Gerinnsel auf die Lunge einer jungen Patientin visualisieren können. Das Mädchen erkrankte an PACS nach einer milden Form von COVID-19. Laut den Autoren könnte solch eine Mikroangiopathie in allen anderen Organen des Körpers aufzufinden sein, ähnlich wie in den schweren Formen der COVID-19-Erkrankung, nur mit weniger verheerenden Folgen.

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Die SPECT/CT-Technik

SPECT/CT ist ein hybrides Bildgebungsverfahren, das zwei radiologische Untersuchungen kombiniert: SPECT oder "Single Photon Emission Computed Tomography", bei der ein radioaktiver Markierungsstoff injiziert wird, dessen Gammastrahlen eingefangen und dann in Form eines 3D-Bildes transkribiert werden; und die durch Röntgenstrahlen erzeugte CT, oder "Computertomographie".

Im Falle der Lunge ist das Ventilations/Perfusions-SPECT eine Erstlinienuntersuchung bei Verdacht auf Blutgerinnsel. In der oben genannten Studie wurde das Verfahren durch ein niedrig-dosiertes Thorax-CT ergänzt, um ein noch präziseres Fusionsbild zu erhalten. So konnte die Durchblutungsstörung in der Lunge der jungen Patientin besser visualisiert werden.

 

Laufende Studien werden es uns ermöglichen, die genauen Ursachen dieser Blutgerinnsel und ihren Zusammenhang mit dem Virus besser zu verstehen. Handelt es sich um einen entzündlichen Prozess der Gefäßwand, womöglich autoimmun bedingt? Sind Leberschäden verantwortlich, da die Leber eine Schlüsselrolle in der Blutgerinnung spielt? Oder sind es die Läsionen, die das Virus in den Gefäßen hinterlässt?

Denkbar ist jedenfalls, dass der Einsatz von Antikoagulanzien ein fester Bestandteil der Behandlung wird, wie dies (unter bestimmten Voraussetzungen) bereits bei einer akuten SARS-CoV-2-Infektion der Fall ist.

Bringt uns die Ursachenforschung (Ätiologie) neue Therapien?

Die Antwort ist natürlich so komplex wie die Krankheit an sich. Es sollte nicht vergessen werden, dass ein Phänomen wie das Long Covid – sprich, das Auftreten anhaltender Symptome nach einer Infektion – alles andere als neu ist20. Unzählige Erreger verursachen ähnliche Folgeerscheinungen, die unter dem Begriff „postinfektiöses Syndrom“ oder „Post-Acute Infection Syndrome (PAIS)“ zusammengefasst werden. Dieses wenig verstandene Syndrom ist seit längerem ein Dorn im Auge der Medizin, da es keine befriedigenden Therapiekonzepte dafür gibt. Bemerkenswert am PAIS ist die große Vielfalt an ursächlichen Erregern, sowie der fehlende Zusammenhang mit dem Schweregrad der initialen Infektion. Es wurde unter anderem bei Ebola, Poliomyelitis, Mononukleose, Dengue-Fieber, die H1N1-Grippe von 2009, Q-Fieber, Lyme-Borreliose, SARS-CoV-1, MERS-CoV und nun auch SARS-CoV-2 beobachtet21.

Hierzu gibt es verschiedene Hypothesen.

So könnte das Virus lang nach der akuten Infektionsphase im Körper verharren22,23, beispielsweise in geschützten anatomischen Bereichen. Seine Präsenz würde das Immunsystem chronisch stimulieren und einen entzündlichen Teufelskreis erzeugen. Ein Therapieziel wäre dementsprechend seine vollständige Beseitigung.

Das Immunsystem könnte nach Virus-Kontakt ebenfalls in einen aberranten Zustand der Dauererregung verfallen24, der sich jedoch nicht gegen das Virus selbst richtet, sondern gegen unsere körpereigenen Antigene. Solch ein anhaltender Immunalarm ist zwar weniger schädlich als der Zytokinsturm, der über manche COVID-19-Patienten hinwegfegt (siehe Infobox), aber dennoch problematisch. Long Covid würde somit in die umfangreiche Kategorie der Autoimmunerkrankungen fallen, die mit einer eigenen Bandbreite an teils folgenschweren Therapien einhergeht.

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Der Zytokinsturm

Ein Zytokinsturm ist eine rasche, massive Freisetzung entzündungsfördernder Moleküle (Zytokine) als Reaktion auf einen Krankheitserreger. Dieses Entgleisen des Immunsystems ist extrem gefährlich für Betroffene. SARS-CoV-2 hat traurigerweise viel zu seiner Bekanntheit beigetragen: Zu Beginn der Pandemie sorgte die Heftigkeit der Immunantwort bei einigen Patienten  – insbesondere bei jungen, gesunden Erwachsenen – für unerwartet große Schwierigkeiten. In der Tat erfordert sie – oder verlängert entsprechend –  eine intensivmedizinische Behandlung.

Kinder sowie ältere Menschen sind weniger betroffen; Erstere, weil ihr Immunsystem noch nicht ausgereift ist und letztere, weil es an Wirksamkeit verloren hat.

Zu den bekanntesten Zytokinen gehören Interleukine, deren Blockierung durch monoklonale Antikörper (wie Tocilizumab) einen aktuell verfolgten Therapieansatz bei schweren COVID-19-Verläufen darstellt.

 

Eine andere Piste hingegen führt uns zum Mittelpunkt unseres Körpers: Der Darm, und die unzähligen Mikroorganismen, die ihn besiedeln. Diese Insassen formen die Intestinalflora, auch Darm-Mikrobiom25 genannt (siehe Infobox). Eine bedeutsame Störung dieses Mikrobioms – die Dysbiose – wurde bereits für die akute Infektion durch SARS-CoV-2 beschrieben26. Dies kristallisiert sich nun ebenfalls für Long Covid heraus. Eine kürzlich in der Fachzeitschrift Gut veröffentlichte, prospektive Studie27 zeigt eine stark ausgeprägte mikrobiotische Störung bei Patienten, die an Long Covid erkranken. Umgekehrt kommt es bei Genesenen, die kein PACS entwickeln, zur Rückkehr der normalen Darmflora. Könnte eine Unterstützung der Flora daher zur Konvaleszenz beitragen?

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Das Mikrobiom

Unser Körper beherbergt eine erstaunliche Vielzahl von Bakterien, Viren und Pilzen, so viele wie er  Zellen hat: die Mikrobiota. Diese meist harmlosen, oft nützlichen oder gar notwendigen Mikroorganismen sind ein guter Beweis für die allgegenwärtige Symbiose des Lebens auf Erden. Ihr Hauptsitz ist unser Darm, und ihre spezielle Rolle im Erhalt des inneren Gleichgewichts – sprich, unserer Gesundheit im Allgemeinen – ist von großem wissenschaftlichen Interesse. Das Darm-Mikrobiom steht im Zusammenhang mit neurologischen, autoimmunen sowie Stoffwechsel- Erkrankungen. Es beeinflusst das Herz-Kreislauf-System, das Gehirn und sogar die Immunantwort nach Impfung oder Infektion. Daher ist seine Erforschung im Kontext der Pandemie äußerst sinnvoll.

Zu guter Letzt lassen sich einige Symptome durch die anhaltenden Gewebeschäden erklären, die  SARS-CoV-2 im Körper hinterlässt.

Es ist wichtig zu vermerken, dass diese verschiedenen Hypothesen sich nicht gegenseitig ausschließen: Sie koexistieren und ergänzen sich, was die therapeutische Komplexität einer solchen Erkrankung erklärt.

Long Covid und chronisches Erschöpfungssyndrom: ein und dieselbe Krankheit?

Myalgische Enzephalomyelitis, auch chronisches Erschöpfungssyndrom oder ME/CFS28 genannt, ist ein kaum verstandener und stark beeinträchtigender Zustand, der vorwiegend nach einer leichten Virusinfektion bei jungen Menschen (30 bis 40 Jahre) auftritt. Seine Prävalenz liegt bei etwa 0,4 % und ist mit großer Wahrscheinlichkeit unterschätzt; es handelt sich also nicht um eine seltene Erkrankung29. Die Symptome können Monate, Jahre oder sogar lebenslang anhalten. Die Betroffenen leiden unter einer hartnäckigen Form chronischer Müdigkeit, die durch Ruhe und Schlaf nicht gelindert, durch körperliche oder geistige Anstrengung verschlimmert und von vielen weiteren (neurologischen, intestinalen, grippeähnlichen) Symptomen  begleitet wird.

Ist Long Covid eine Form der Myalgischen Enzephalomyelitis30? Diese Hypothese bringt momentan viel Tinte zum Fließen.

Eine Forschergruppe der Berliner Charité ist an der Frage dran. Im Fatigue-Zentrum – spezialisiert auf Diagnose und Therapie des chronischen Erschöpfungssyndroms – führte sie eine gut kontrollierte prospektive Kohortenstudie31 durch, deren Ergebnisse beweisen, dass SARS-CoV-2 ursächlich sowohl für PACS als auch für ME/CFS sein kann. Diskrepanzen in den Laborwerten beider Gruppen lassen jedoch unterschiedliche Entstehungsmechanismen vermuten, und machen weitere Studien erforderlich.

Angesichts einer fehlenden ursächlichen Therapie bei Myalgischer Enzephalopathie ist die Verbindung zwischen beiden Krankheitsbildern besonders relevant, um dieses bisher vernachlässigte Gebiet weiter zu durchleuchten. In der Hoffnung, dadurch gemeinsame Therapieansätze zu entdecken.

Und bei Kindern?

Obwohl die geringere Prävalenz von Long Covid in der pädiatrischen Bevölkerung mehrfach bestätigt werden konnte32 (siehe unseren ersten Artikel), zeichnen sich nun jedoch die Auswirkungen der Krankheit auf das Leben der kleinen Patienten ab. Angesichts der beträchtlichen Infektionszahlen bei Kindern gebührt ihnen ebenso viel Aufmerksamkeit wie der erwachsenen Bevölkerung.

Dr. Rao, vom Kinderkrankenhaus in Colorado, verglich 59.893 auf SARS-CoV-2 positiv getestete mit 599.393 nicht betroffenen Kindern33. Die Ergebnisse dieser retrospektiven Kohortenstudie sind insofern beruhigend, als die zusätzliche Belastung des pädiatrischen PACS für das Gesundheitssystem gering bleibt. Der anfängliche Schweregrad der Infektion, Komorbiditäten und junges Alter scheinen das Risiko für die Entwicklung von Long Covid bei Kindern zu erhöhen. In der untersuchten Population war die am häufigsten beobachtete Folge jedoch Myokarditis (Entzündung des Herzmuskels). Dies geht einher mit einer ganzen Reihe problematischer Symptome (Herzklopfen, Atemnot, Brustschmerzen u.a.), die alles andere als trivial sind und im weiteren Verlauf genau beobachtet werden müssen.

Die Nachsorge junger Patienten interessiert daher immer mehr Wissenschaftler. Bisher weisen alle Daten darauf hin, dass ihre Symptome jenen ähneln, die auch Erwachsene plagen – einschließlich psychischer Störungen und Fatigue. Die Wiederaufnahme körperlicher Aktivität, welche ein zentrales Element für ihre motorische, kognitive und soziale Entwicklung ist, kann dadurch erschwert werden. Laut einer Studie 34 fehlt diese bei jedem fünften Kind noch Monate nach stattgefundener SARS-CoV-2 Infektion, und fast jedes Dritte leidet unter erheblichen Schwierigkeiten wenn es sich wieder körperlich betätigt (Verschlimmerung der Beschwerden; Unfähigkeit, Aufgaben auszuführen oder Spaß daran zu haben).

Ist dies eine Folge der Social Distancing-Maßnahmen (wiederholte Lockdowns, Schließung von Kitas und Schulen) oder von Long Covid? Stehen die Symptome dieser Kinder im Zusammenhang mit einer Dysfunktion des Immunsystems, wie aus einer kürzlich durchgeführten pädiatrischen Studie hervorgeht35? All diese Fragen bedürfen weiterer Untersuchungen.

Welche Hilfe steht Patienten und Forschern uns zur Verfügung?

Zunehmend viele Initiativen verschaffen Patienten Gehör und Beistand, trotz des derzeitigen Mangels an evidenzbasierten Therapien. In den kommenden Jahren werden diese Plattformen erhebliche Mengen brauchbarer Daten generieren.

So hat die WHO beispielsweise Altea36 eingerichtet, eine Plattform zum Austausch von evidenzbasiertem Fachwissen über Long Covid. Die vermittelten Informationen stammen aus wissenschaftlichen Studien und internationalen Richtlinien, deren Qualität vom hochspezialisierten Gremium des Gründerteams kontrolliert wird. Altea richtet sich sowohl an Patienten als auch an Forscher und an sämtliche Akteure des Gesundheitswesens.

In den Vereinigten Staaten soll das ambitionierte Projekt RECOVER37 17.000 Freiwillige landesweit einbeziehen. Die erhobenen Daten fließen in drei Meta-Kohorten ein (Erwachsene, Pädiatrie, Pathologie), die einheitlichen Protokollen folgen und sich mit allen Aspekten von Long Covid befassen: Ursachen, Auswirkungen und Behandlung. Erste Ergebnisse sind bereits auf der Website publiziert worden.

Großbritannien hat seinerseits unter der Leitung des University College London und des NHS STIMULATE-ICP38 gestartet. Diese zweijährige und derzeit größte klinische Studie zu Long Covid soll helfen, die Symptome und ihre Dynamik besser zu verstehen, und somit zu behandeln.

Der 2020 gegründete Verein AprèsJ2039 (Association Covid Long France) arbeitet währenddessen nicht nur an der Ursachenforschung, sondern auch an der Ausbildung von Fachkräften und der Unterstützung von Patienten.

Und was die Kinder betrifft: engagierte Netzwerke wie Long Covid Kids40 werden den kleinen Patienten und ihren Angehörigen hoffentlich alle ersehnten Antworten bringen können.

Und schliesslich ist Long Covid ebenfalls ein Thema in einer wissenschaftlichen Studie in Luxemburg.

Es bleibt weiterhin spannend.

Autorin : Diane Bertel
Redaktion: Michèle Weber, Lucie Zeches, Jean-Paul Bertemes (FNR)
Illustration: Christine Berthel

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Quellen
  1. https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT05240742
  2. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.11.15.21266377v1.full.pdf+html
  3. https://www.england.nhs.uk/2020/12/long-covid-patients-to-get-help-at-more-than-60-clinics/
  4. https://www.who.int/fr/publications-detail/WHO-2019-nCoV-Post_COVID-19_condition-Clinical_case_definition-2021.1
  5. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01214-4/fulltext
  6. https://www.nature.com/articles/s41586-021-03553-9
  7. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC9374107/
  8. https://www.nature.com/articles/s41591-022-02000-0
  9. https://www.nature.com/articles/s41591-022-01840-0
  10. https://medicine.wustl.edu/news/long-covid-19-poses-risks-to-vaccinated-people-too/
  11.  https://www.nature.com/articles/s41541-022-00526-5#Abs1
  12. https://science.lu/fr/etat-des-lieux-scientifique/que-savons-nous-du-covid-long
  13. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01214-4/fulltext
  14. https://www.science.lu/de/studie-jeder-achte-corona-infizierte-leidet-nach-erkrankung-long-covid
  15. https://bmjopen.bmj.com/content/11/3/e044474
  16. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMp2109285
  17. https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)00941-2/fulltext
  18. https://cardiab.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12933-021-01359-7
  19. https://www.thelancet.com/journals/lanchi/article/PIIS2352-4642(21)00196-6/fulltext
  20. https://pmj.bmj.com/content/64/753/559
  21. https://www.nature.com/articles/s41591-022-01810-6.pdf
  22. https://www.researchsquare.com/article/rs-1139035/v1
  23. https://www.gastrojournal.org/article/S0016-5085(22)00450-4/fulltext?referrer=https%3A%2F%2Fpubmed.ncbi.nlm.nih.gov%2F
  24. https://www.nature.com/articles/s41590-021-01113-x.pdf
  25. https://www.inserm.fr/dossier/microbiote-intestinal-flore-intestinale/
  26. https://www.nature.com/articles/s41392-022-00986-0
  27. https://gut.bmj.com/content/71/3/544
  28. https://link.springer.com/article/10.1007/s00108-022-01369-x
  29. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/21641846.2021.1878716
  30. https://www.vidal.fr/actualites/29327-le-covid-long-dernier-ne-des-syndromes-postinfectieux.html
  31. https://www.nature.com/articles/s41467-022-32507-6
  32. https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2794484
  33. https://www.futuremedicine.com/doi/full/10.2217/fmb-2021-0285?rfr_dat=cr_pub++0pubmed&url_ver=Z39.88- 2003&rfr_id=ori%3Arid%3Acrossref.org
  34. https://jamanetwork.com/journals/jamapediatrics/fullarticle/2795569
  35. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2021.05.07.21256539v1
  36. https://www.who.int/news-room/feature-stories/detail/scicom-compilation-altea
  37. https://recovercovid.org/
  38. https://www.stimulate-icp.org/
  39. https://www.apresj20.fr/
  40. https://fr.longcovidkids.org/

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