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Für die Karriere im akademischen Wissenschaftsbetrieb ist die Promotion unerlässlich. Doch auch in Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst sind Hochqualifizierte mit Doktortitel gefragt. Eine Studie mit Promovierten und Promotionsabbrechern in Luxemburg bestätigt: Promovierte in außeruniversitären Jobs sind nicht unzufriedener als jene in der akademischen Welt. Die Wissenschaftlerinnen Cornelia Lawson und Cindy Lopes-Bento erläutern, warum die abgeschlossene Promotion glücklicher macht als die abgebrochene und wie Erhebungen wie diese Doktoranden, Arbeitgebern und politischen Entscheidern nutzen.
Wieso ist es wichtig, die Jobzufriedenheit von Promovierten zu untersuchen – warum diese Studie?
Cornelia Lawson: Die beruflichen Perspektiven von Promovierten sind ein wichtiges Thema in der „Science of Science“. Viele Doktoranden finden nach der Promotion keine Stelle an Universitäten oder Forschungsinstituten, sondern außerhalb des akademischen Wissenschaftsbetriebs in der Privatwirtschaft oder bei Behörden. Deshalb kommt immer wieder die Frage auf, ob womöglich zu viele PhDs ausgebildet werden. Dazu brauchen die Forschungsfonds und Finanzierungsagenturen mehr Daten, sowohl in Luxemburg als auch im Ausland. Die bisherigen Studien dazu haben vor allem die Präferenzen der Promovierten untersucht, aber nicht deren Zufriedenheit im Beruf.
Cindy Lopes-Bento: Mehr als die Hälfte der von uns befragten Promovierten arbeitet in Positionen außerhalb der akademischen Welt. Die meisten gaben an, dass sie eine akademische Karriere bevorzugen würden. Es ist wichtig zu wissen, ob sie über ihre Präferenz hinaus mit ihrer Arbeit dennoch zufrieden sind oder nicht. Denn die Zufriedenheit am Arbeitsplatz hat einen großen Einfluss auf die Arbeitsleistung und den wirtschaftlichen Nutzen dieser Arbeitnehmer. Deshalb haben wir untersucht, ob eine Doktorandenausbildung für die Zufriedenheit im Beruf wichtig ist. Dazu haben wir Promovierte und Promotionsabbrecher mit ähnlichen Motivationen verglichen, die außerhalb des akademischen Wissenschaftsbetriebs arbeiten.
Wen genau haben Sie denn dazu befragt?
Cindy Lopes-Bento: Unsere Analyse basiert auf einer Befragung von Bewerbern für die individuelle Promotionsförderung des AFR-Stipendienprogramms für PhD vom FNR (Luxembourg National Research Fund). Dieses Programm deckt alle akademischen Disziplinen ab. Die Stichprobe basierte auf abgelehnten und erfolgreichen Bewerbern von 2008 bis 2019. An der Umfrage nahmen insgesamt rund 600 Personen teil. Das waren mehrheitlich Doktoranden der Universität Luxemburg, aber auch Luxemburger, die an Universitäten im Ausland promoviert haben.
Und was ist die wichtigste Schlussfolgerung Ihrer Studie?
Cindy Lopes-Bento: Wichtigste Schlussfolgerung ist, dass man mit Doktortitel auch jenseits des Wissenschaftsbetriebs ein sehr zufriedener Arbeitnehmer sein kann. Auch wenn sie die Wissenschaft bevorzugen, sind Promovierte nicht weniger glücklich mit ihrer Arbeit, wenn sie in Privatwirtschaft oder öffentlicher Verwaltung arbeiten. Die Promotion scheint bei der Zufriedenheit sogar von Vorteil zu sein. Denn in der Umfrage zeigten sich die Befragten mit abgeschlossener Promotion ganz klar zufriedener mit ihrem Job als die Promotionsabbrecher mit ähnlichen beruflichen Ambitionen. Das hat zum Großteil mit den Arbeitsaufgaben zu tun; Promovierte finden leichter forschungsnahe Anstellungen.
Was hat Sie bei den Antworten überrascht?
Cindy Lopes-Bento: Wir hatten nicht erwartet, dass die Zufriedenheit im nicht-akademischen öffentlichen Sektor, also in der öffentlichen Verwaltung und nicht etwa in Forschungsinstituten, so groß sein würde. Jobs im öffentlichen Dienst galten aus Forschersicht bisher oft nicht als die spannendsten. Doch unserer Umfrage zufolge sind Promovierte gerade dort tatsächlich am zufriedensten. Das war wirklich eine Überraschung.
Warum sind promovierte Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor am zufriedensten? Liegt das am Gehalt?
Cornelia Lawson: Die Hauptgründe, die die Befragten angaben, waren Gehalt, Sozialleistungen und die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Aber auch die Möglichkeit, einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, macht Menschen im öffentlichen Dienst zufriedener als Beschäftigte in der Privatwirtschaft. Das hat vermutlich mit den sich ändernden Aufgaben und Anforderungen in öffentlichen Verwaltungen zu tun. Viele Behörden sind mit großen Themen des gesellschaftlichen Wandels wie zum Beispiel der Energiewende oder der alternden Gesellschaft konfrontiert, die komplexe Lösungen und entsprechende berufliche Qualifikationen beim Personal erfordern. Die Industrie zahlt zwar auch gute Gehälter, kann aber nicht immer in diesem Maße Jobs mit Dienst an der Gesellschaft bieten.
In welchen öffentlichen Verwaltungen sind Bewerber mit Doktortitel besonders gefragt?
Cindy Lopes-Bento: Dazu haben wir keine Belege und bräuchten weitere Studien. Wir sehen aber, dass in Verwaltungen mehr PhDs aus den Human- und Geisteswissenschaften und in der Privatwirtschaft mehr PhDs mit ingenieurwissenschaftlichem Abschluss arbeiten.
Wenn die meisten PhDs eine Karriere in der Wissenschaft bevorzugen, dann ist der Job in Behörden oder Industrie für viele nur ein Plan B?
Cornelia Lawson: Es ist eine Kombination aus beidem. Der akademische Jobmarkt ist hart umkämpft, die Stellen rar. Aber etwa 20 Prozent der Befragten gaben der akademischen Laufbahn keinen Vorzug, für sie war es kein Plan B. Die meisten differenzieren aber gar nicht so sehr, denn akademische und nichtakademische Arbeitgeber können gleichermaßen attraktiv sein. Es kommt auch auf das Fachgebiet an. Absolventen der Ingenieurwissenschaften sind zum Beispiel viel offener für Jobs in der Industrie, solange die Stelle mit relevanten Forschungsaufgaben zu tun hat.
Und warum zeigten sich Wissenschaftler mit PhD glücklicher als Promotionsabbrecher – spielt der Abschluss so eine große Rolle?
Cornelia Lawson: Es macht in der Tat einen großen Unterschied, ob man seine Promotion abschließt oder nicht. Promovierte finden im Vergleich zu Berufstätigen mit anderen Abschlüssen leichter einen Job, der ihren Ambitionen und Fähigkeiten entspricht. Wie zufrieden man mit seiner Arbeit ist, hängt ja mit dem Inhalt und den Aufgaben zusammen. Ambition und Jobanforderungen sollten zusammenpassen. Der Doktortitel eröffnet Zugang zu forschungsbezogenen Arbeitsplätzen. Deshalb ist es wichtig, die Promotion wenn möglich abzuschließen. Abbrecher sind unzufriedener, weil sie es schwerer haben, einen forschungsbezogenen Job zu finden.
Cindy Lopes-Bento: Die Promotionsabbrecher haben Interesse an forschungsbezogener und wissenschaftlicher Arbeit. Aber sie konnten die Promotion aus dem einen oder anderen Grund nicht abschließen. Aus anderen Studien wissen wir, dass dies oft aus finanziellen oder persönlichen Gründen geschieht; nicht aus einem Mangel an Interesse. Hier wäre es nützlich zu wissen, wie man diese jungen Menschen in ihren Ambitionen unterstützen kann.
Decken sich Ihre Beobachtungen mit Trends im Ausland, oder ist die Lage in Luxemburg anders?
Cindy Lopes-Bento: Weltweit wollen Doktoranden am liebsten in der Wissenschaft arbeiten, das liegt in der Natur der Sache. Die tatsächliche Verbleibquote ist hier in Luxemburg höher als im Ausland. In den USA oder Großbritannien verbleiben weniger als 30 Prozent der Promovierten in der Wissenschaft, in Luxemburg und anderen Teilen der EU dagegen etwa 50 Prozent. Hier spielen viele Faktoren eine Rolle. Einer könnte die höhere internationale Mobilitätsbereitschaft europäischer Promovierter sein. In unserer Studie zeigen wir etwa, dass fast 30 Prozent der Promovierten einen Job in einem Drittland finden, also weder im Heimatland, noch im Land der Promotion. Das eröffnet mehr Chancen auf eine Karriere in der Wissenschaft. Zur Zufriedenheit der Doktoranden in nichtwissenschaftlichen Jobs wurde bisher wenig geforscht, oder Studien sind auf Privatwirtschaft und Zufriedenheit mit Gehalt und Aufstiegsmöglichkeiten beschränkt, so dass Vergleiche schwierig sind. Aber die zunehmende Zufriedenheit im öffentlichen Sektor, die wir aufzeigen, könnte Teil eines Trends sein. Denn auch in den USA sind jüngere Kohorten in öffentlichen Verwaltungen einer Studie zufolge zufriedener sind als ältere.
Im Ausland wird oft vor einer „PhD-Schwemme“ gewarnt. Wie schätzen Sie die Situation in Luxemburg ein?
Cornelia Lawson: Unsere Studie liefert zu dieser Frage keine Evidenz, aber eine „PhD-Schwemme“ können wir sicher ausschließen. Alle befragten Doktoranden haben einen zufriedenstellenden Job gefunden. Das deutet darauf hin, dass sie nicht überqualifiziert sind, sondern gebraucht werden. Die Universitäten bilden keine unzufriedenen Wissenschaftler aus. Zudem verlangt der moderne Arbeitsmarkt von Beschäftigten, immer wieder in kurzer Zeit neue Kompetenzen zu erlernen - und Promovierte sind potenziell sehr anpassungsfähig.
Welchen Rat können Sie Doktoranden geben – lohnt sich die Promotion, auch wenn die Aussicht auf eine wissenschaftliche Karriere unsicher ist?
Cindy Lopes-Bento: Wenn Sie motiviert und zielstrebig sind, lohnt es sich auf jeden Fall, Ihre Promotion abzuschließen, da Sie dadurch Zugang zu einem breiteren Spektrum an Stellen erhalten.
Und was können Universitäten und Hochschulpolitik aus der Studie ableiten?
Cindy Lopes-Bento: Jobs in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Sektor werden immer komplexer und erfordern immer öfter ein hohes Bildungsniveau mit wissenschaftlichem Hintergrund, der von Doktoranden außerhalb der akademischen Welt erfüllt werden muss. Wir sehen aber auch, dass die Doktoranden auf diese Arbeitswelt außerhalb des akademischen Bereichs vorbereitet werden müssen. Es war nicht Teil unserer Studie, doch wir wissen, dass Arbeitgeber auch auf Soft Skills wie Teamfähigkeit, Leadership, Kommunikation oder Projektmanagement großen Wert legen. Vor allem in den Naturwissenschaften, wo der Schwerpunkt eher auf fachlichen Kompetenzen liegt, sollte Doktoranden entsprechendes Training angeboten werden.
Cornelia Lawson: Anderen Untersuchungen zufolge ist vielen Arbeitgebern im nichtwissenschaftlichen Sektor oft nicht bewusst, welchen Mehrwert ein Doktortitel bietet und welche Vielfalt von Kompetenzen ein Promovierter mitbringt. Das gilt besonders für kleine Firmen oder Behörden, die keine Erfahrung mit Promovierten haben. Hier könnten die Universitäten mit Kommunikation helfen.
Wie würden Sie einem Arbeitgeber diesen Mehrwert erklären?
Cindy Lopes-Bento: Meiner Meinung nach ist der Mehrwert der analytische Verstand. Promovierte Wissenschaftler gehen Aufgaben aus einer wissenschaftlich-analytischen Perspektive an und ziehen auch ihre Schlussfolgerungen auf diese Weise. Zudem erwerben PhDs über ihrer Forschung zahlreiche weitere Fähigkeiten. Sie lernen zu präsentieren und öffentlich zu sprechen, sie schreiben Anträge und Skripte, betreuen Masterstudierende und halten Lehrveranstaltungen, müssen Zeit- und Budgetgrenzen einhalten und hohen Druck managen. PhD sind also nicht nur Experten in einer bestimmten Disziplin, sondern viel vielseitiger. Das bringt Arbeitgebern eine Menge Vorteile, die oft unterschätzt werden.
Cornelia Lawson: In der öffentlichen Verwaltung werden oft nur Staatsangehörige rekrutiert, dieser Sektor ist noch wenig offen für internationale Bewerber. Bedenkt man jedoch, wie international das Luxemburger Bildungssystem ist und insbesondere die Doktoranden, so entgehen dem öffentlichen Dienst als Arbeitgeber viele qualifizierte ausländische Bewerber, solange nur Kandidaten aus dem eigenen Land eingestellt werden. Der öffentliche Sektor sucht verzweifelt nach gutem Nachwuchs. In der Öffnung für Bewerber aus dem Ausland könnte eine Lösung liegen.
Autor: Britta Schlüter
Redaktion: Michèle Weber (FNR)
Fotos: Cindy Lopes-Bento (FNR) ; Cornelia Lawson (University of Manchester)