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Sind im Labor entwickelte Proteinriegel auf Insektenbasis eine alternative Nahrungsquelle der Zukunft?

Proteine oder Eiweiße sind für uns Menschen überlebenswichtig. Sie erfüllen unterschiedliche Funktionen in jeder Zelle unseres Körpers und einige Organe wie Herz oder Hirn bestehen sogar überwiegend aus Proteinen. Daher sind sie ein essenzieller Bestandteil unserer Nahrung. Sie stecken zwar auch in pflanzlicher Kost, doch zu den bedeutendsten Proteinquellen zählen zurzeit tierische Produkte wie Eier, Milch, Fisch und Fleisch. Tierwohl, ökologischer Fußabdruck, gesundheitliche Bedenken und auch der wachsende Bedarf forcieren die Suche nach Alternativen. Die können auf Pflanzen basieren, wie zum Beispiel Erbsenprotein. Sie können von Mikroorganismen im Fermenter erzeugt werden. Sie können von Insekten stammen. Oder aus tierischen Zellen in der Petrischale gezüchtet werden. Manche dieser Alternativen haben mittlerweile einen festen Platz in den Supermarktregalen. Bei anderen sind noch Forschung und Entwicklung nötig. Im zweiten Teil unserer Serie wollen wir uns die Proteinquellen der Zukunft genauer anschauen.

In a nutshell: Proteinversorgung der Zukunft

  • Proteine, auch Eiweiße genannt, sind für den Menschen lebenswichtig.
  • Sie stecken sowohl in Pflanzen als auch in Tieren.
  • Der weltweite Konsum von Fleisch und Fisch steigt ständig und stellt uns vor große Herausforderungen.
  • Neben veganer und vegetarischer Ernährung können auch alternative Proteine zur Lösung beitragen.
  • Mit pflanzlichen Eiweißen können tierische Produkte imitiert werden.
  • Durch Fermentation können Mikroorganismen aus verschiedenen Stoffen hochwertige Eiweiße erzeugen.
  • Auch Insekten bieten sich als Proteinquellen an.
  • Und es gibt Bestrebungen, Fleisch ohne den Umweg über das Tier im Labor zu züchten.

Warum eigentlich der ganze Wirbel um die Proteine?

Würden wir den Zellen unseres Körpers das Wasser ablassen, bliebe eine Masse übrig, die zu mehr als 50 Prozent aus Proteinen besteht (Campbell, 1996). Die Stoffe, die wir im Alltag einfach Eiweiße nennen, sind für den Körper also wichtig. Mehr noch: Ohne Proteine könnten wir nicht leben. Sie geben unseren Zellen Struktur. Sie bewegen unsere Muskeln. Sie sind Transporter im Blut, Regulatoren in den Nerven und Katalysatoren im Stoffwechsel. Unser Körper baut sie selbst zusammen. Die Blaupausen dafür sind in unserer DNA gespeichert. Die Baustoffe dafür nennt man Aminosäuren.

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21 Aminosäuren braucht unser Körper

Die Wissenschaft kennt heute über 400 Aminosäuren (Nuhn, 1990). Doch unser Körper kann mit lediglich 21 davon etwas anfangen. Die nennt man proteinogen, da sie die Baustoffe für unsere Proteine sind. Acht dieser Aminosäuren kann der Körper selbst herstellen. Das sind Alanin, Asparagin, Asparaginsäure, Glutamin, Glutaminsäure, Glycin, Prolin und Serin. Zwei weitere (Cystein und Tyrosin) nur, wenn wir keine Kinder sind oder gerade welche in uns tragen. Zwei Aminosäuren (Arginin und Histidin) können wir nur unter bestimmten Bedingungen in ausreichender Menge synthetisieren. Die nennt man semiessenziell. Und acht Aminosäuren müssen wir zwangsläufig mit der Nahrung aufnehmen. Die sind für uns essenziell und heißen, Isoleucin, Leucin, Lysin, Methionin, Phenylalanin, Threonin, Tryptophan und Valin.

Dass unser Körper nicht mehr als diese 20 Aminosäuren braucht, um daraus Proteine zusammenzusetzen, war lange Zeit der Stand der Wissenschaft. Doch dann fanden Forscher Selenocystein und standen vor einem Rätsel. Denn die 21. Aminosäure ist für uns Menschen unentbehrlich. Für viele andere Lebewesen übrigens auch. Doch der Bauplan dafür ist nicht in der DNA verankert. Stattdessen programmiert der Körper dafür seinen eigenen Erbgutlesemechanismus um. Forscher wissen mittlerweile, dass sich die 21. Aminosäure beinahe bis zum Ursprung des Lebens zurückverfolgen lässt. Warum ihre Herstellung aber so schwierig ist, bleibt nach wie vor unklar.

Ein Erwachsener sollte 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht am Tag zu sich nehmen. Das empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung. Wer 85 Kilo wiegt, sollte also 68 Gramm davon verspeisen. Diese Menge wäre beispielsweise in knapp zehn Hühnereier der Größe M enthalten. Dabei ist Protein aber nicht gleich Protein. Denn während unser Körper das eine gut für seine Zwecke nutzen kann, sind andere eher suboptimal. Wie effizient das Eiweiß aus einer bestimmten Nahrungsquelle in körpereigenes Eiweiß umgebaut werden kann, nennen Ernährungswissenschaftler die biologische Wertigkeit. Hühnerei gilt mit 100 als die Referenz. Später wurde dann entdeckt, dass Molkenprotein mit 104 sogar noch über dem Referenzwert liegen. Tierische Lebensmittel liefern im Schnitt effizienter die Proteine, die wir benötigen. Denn sie haben einerseits eine hohe Wertigkeit und andererseits einen hohen Proteingehalt. Eine der höchsten biologischen Wertigkeiten lässt sich allerdings durch die Kombination von pflanzlichen und tierischen Proteinen erreichen. So haben zum Beispiel Kartoffeln mit Hühnerei zusammen eine biologische Wertigkeit von 137. Aber auch Pflanzen alleine liefern hochwertige Proteine. Allen voran die Sojabohne mit einer biologischen Wertigkeit von 96 (Synder and Kwon. 1987).

Eine ausgewogene Ernährung wäre im Prinzip das Beste, was wir unserem Körper antun könnten. Doch die Realität sieht anders aus. Der Hunger der Welt auf Fleisch wächst stetig. Seit Anfang der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts hat sich der globale Fleischkonsum verdoppelt. Allerdings regional ganz unterschiedlich. In den Jahren von 1961 bis 2019 legte beispielsweise der Fleischkonsum in Deutschland von 64,3 Kilogramm pro Kopf und Jahr auf 79,8 Kilogramm zu. Eine Steigerung von etwa 24 Prozent. Südkorea lag 2019 mit 80,9 Kilogramm pro Kopf und Jahr in etwa gleich auf. In den Sechzigern lag das Land aber noch bei 4 Kilogramm. Das entspricht einer Steigerung von rund 2.000 Prozent. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei vielen Ländern ab, die in den vergangenen Jahrzehnten den Wohlstand ihrer Bevölkerung maßgeblich erhöhen konnten. In Luxemburg lag der Fleischkonsum im Jahr 2021 übrigens bei knapp 85 Kilogramm pro Kopf. Es gibt aber auch kulturelle Unterschiede. So ist der Fleischkonsum in Ländern mit großen hinduistischen oder buddhistischen Gemeinschaften traditionell niedrig, da in beiden Religionen die vegetarische Ernährung ein hohes Ansehen genießt. Andererseits ist in traditionell nomadisch geprägten Kulturen wie jener der Mongolei ein höherer Fleischkonsum üblich als in den allermeisten Ländern der Welt.

Abbildung: Durchschnittliches Gesamtfleischangebot pro Person, gemessen in Kilogramm pro Jahr. Die Zahlen sind nicht um Abfälle auf Haushalts-/Konsumebene bereinigt und spiegeln daher möglicherweise nicht direkt die Menge an Lebensmitteln wider, die von einer bestimmten Person letztendlich verbraucht wird. Quelle: Our World in Data (CC-BY).

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Kurze Kulturgeschichte des Fleisches

Rund 100 Kilogramm Fleisch standen im beginnenden 16. Jahrhundert auf den mitteleuropäischen Speiseplänen. Einige Jahrzehnte später wendete sich das Blatt, Preissteigerungen bei Lebensmitteln, stagnierende Einkommen, und nicht zuletzt solch verheerende Ereignisse wie der Dreißigjährige Krieg hinterließen tiefe Spuren auf dem Speiseplan. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts landeten deshalb nur noch rund 16 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr auf den Tellern in Mitteleuropa. Durch die Industrialisierung stieg das dann binnen eines Jahrhunderts wieder auf 50 Kilogramm, um sich nach erneuten Einbrüchen als Folge der beiden Weltkriege bei etwa 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr zu stabilisieren. Heute liegt der europäische Durchschnitt je nach Quelle bei knapp 66-70 Kilogramm.

Kombiniert man nun das für die kommenden Jahre vorhergesagte Bevölkerungswachstum mit dem wachsenden Wohlstand, dann wird auch der Bedarf an tierischen Lebensmitteln weiterwachsen. Und das bringt einige Probleme mit sich. Denn Tiere brauchen Futter. In der Rinder-Intensivmast erhalten die Tiere beispielsweise Getreide, Mais oder Soja. Ähnlich gestaltet sich das auch für Schweine. Und auch für Hühner. Die Futtermittel könnten aber auch direkt zur menschlichen Ernährung dienen. Dadurch entsteht eine Konkurrenz um Anbauflächen. Natürlich können Rinder auch auf Weiden gehalten werden. In manchen Ökosystemen ist das der einzige Weg, da die Flächen nicht als Ackerland geeignet sind. Das Gras, das wir nicht essen können, würde also erst mal „durch die Kuh gehen“, sodass es für uns nutzbar wird. Doch auch das hat seine Tücken. Denn je höher der Viehbestand, umso mehr leiden die Böden darunter.

Fleisch ohne Fleisch

Die Lösung für das Proteindilemma klingt banal – man muss eben nur weniger Fleisch verzehren. Doch die Praxis zeigt, dass das gar nicht so einfach umzusetzen ist. Denn die Wahl der Ernährung ist eine persönliche Freiheit. Und Fleisch ist ein Kulturgut. Die Entscheidung ob und wie viel wir davon verzehren, muss letztendlich jeder für sich selbst treffen. Die Zahl derer, die sich für vegane oder vegetarische Ernährung entscheiden, steigt seit einigen Jahren. Darauf ist auch die Lebensmittelindustrie aufmerksam geworden. Und bietet veganen Fleischersatz. Als Zielgruppe werden dabei jene anvisiert, die aus geschmacklicher Sicht auf Fleisch nicht verzichten wollen, aber offen für eine Alternative sind. Die Produkte tragen dann Namen wie «veganer Bacon» oder «Sojaschnitzel». In Aussehen, Biss und Geschmack sollen sie möglichst nah ans tierische Original heranreichen, basiert aber auf Feldfrüchten wie Weizen, Soja, Quinoa, Ackerbohnen oder Erbsen. Die daraus gewonnenen Proteine werden mit Ölen, Fetten, Gewürzen und Verdickungsmittel gemischt.

Betrachtet man den ökologischen Fußabdruck, schneiden die Fleischersatzprodukte erwartungsgemäß besser ab als Fleisch. Denn die Pflanzen werden direkt verwendet und nehmen nicht den Umweg über Rind, Schwein und Co. Aus ernährungsphysiologischer Sicht spricht auch einiges für diese Lebensmittel. So enthalten sie in der Regel weniger gesättigte Fette und fast kein Cholesterol. Beide Stoffe werden als nachteilig für die Gesundheit betrachtet. Es gibt aber auch Stimmen, die zur Vorsicht bei veganen Ersatzprodukten mahnen. So handele es sich bis diesen um hoch verarbeitete Lebensmittel mit teilweise sehr langen Zutatenlisten. Gerade wenn der Zucker- oder Salzanteil hoch sei, würden hier die gleichen Risiken für die Gesundheit bestehen, wie bei anderen hoch verarbeiteten Lebensmitteln.

Eiweißproduzenten en miniature

Weißkohl machen sie zu Sauerkraut; Roggenmehl zu Sauerteigbrot; Gerste zu Bier und Traubensaft zu Wein. Wenn wir die richtigen Mikroorganismen für uns einspannen, dann können sie unseren Speiseplan dank dem Prozess der Fermentation wahrlich bereichern. Fermentation oder Gärung wurde die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte vor allem angewandt, um Lebensmittel länger haltbar, bekömmlicher oder überhaupt erst nutzbar zu machen. So gelingt ein Brot aus reinem Roggenmehl nur, wenn es durch Milchsäuregärung zu einem Sauerteig wird. Joghurt und Käse wiederum halten sich länger als frische Milch. Ebenso wie sauer eingelegtes Gemüse. Die Herstellung all dieser Lebensmittel wird heute als klassische Fermentation bezeichnet. Dazu zählen übrigens auch das im asiatischen Raum verbreitete Tempeh, das ein Schimmelpilz aus gekochten Sojabohnen macht.

Abbildung: Tempeh, in Scheiben geschnitten. Quelle: FotoosVanRobin via Wikimedia Commons (CC-BY-SA 2.0)

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Die Evolution der Fermentation

Auf die Fermentation sind die Menschen bereits in grauer Vorzeit gestoßen. So ließ sich das, was sie im Magen von so mancher Jagdbeute fanden, erstaunlich gut essen. Denn Wiederkäuer wie Rinder, Ziegen oder Schafe haben ein besonderes Verdauungssystem. Ihr Magen besteht aus mehreren Teilen. In einigen davon wimmelt es von Mikroorganismen, für die das Gras der Weiden ein gefundenes Fressen ist. Sie brechen die langen Moleküle auf, aus denen die Fasern bestehen. Fermentation nennt man den Prozess, an dessen Ende verwertbare Kohlenhydrate stehen. Fleißig sind die winzigen Helfer übrigens auch außerhalb vom Rindermagen. Das haben unsere Vorfahren im Laufe der Zeit ebenfalls herausgefunden und die Winzlinge für ihre Zwecke eingespannt. Dem verdanken wir heute solch schmackhafte Dinge wie Brot und Käse oder Wein und Bier. Doch bis man überhaupt wusste, wer oder was da im Verborgenen sein Werk verrichtete, vergingen fast 9.000 Jahre. Erst Mitte des 17. Jahrhunderts gelang Forschern ein Blick auf die Kleinstlebewesen und noch mal 200 Jahre, später wurden sie als Ursache der Fermentation erkannt.

Nach dem Prinzip des Tempeh werden heute Nebenströme aus der Pflanzenverarbeitung in ganz großem Stil in Proteine umgewandelt. Nebenströme nennt die Lebensmittelbranche all jene Reststoffe, die bei der Verarbeitung entstehen und nicht direkt verzehrt werden können. Rübenschnitzel aus der Zuckergewinnung zum Beispiel. Oder Traubentrester aus der Weinkelterei. Oder Apfeltrester aus der Saftherstellung. Biomassefermentation heißt das und als Protagonisten treten dabei Pilze auf den Plan. In stählernen Bioreaktoren durchdringt das Pilznetzwerk die Biomasse. Ihr Gewicht verdoppeln sie dabei in wenigen Stunden und bauen die Reststoffe dabei in wertvolle Eiweiße um. Die werden dann aufbereitet und weiterverarbeitet. Prominentestes Beispiel hierfür dürfte ein Fleischersatzprodukt namens Quorn sein.

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Pilze - Ein Reich voller Köstlichkeiten

Sie sind keine Pflanzen. Sie sind keine Tiere. Doch Bakterien sind sie genauso wenig. In der Ordnung des Lebens – der Taxonomie, wie Biologen dazu sagen – besitzen sie ein eigenes Reich. Die Pilze. Wem dabei jetzt die charakteristischen Hüte einfallen, die sich im Herbst durch den Waldboden bohren, kennt nur die Spitze des Eisbergs. Denn der eigentliche Pilz lebt unter der Erde. Dort spinnt er ein Netz aus weißen Fäden, den Hyphen. Dieses Netzwerk, das Myzel, ist der eigentliche Pilz und der kann ganz riesig werden. Der größte bekannte Pilz und damit auch der größte bekannte lebende Organismus wächst im US-amerikanischen Bundesstaat Oregon auf ungefähr neun Quadratkilometern und hatte schon 3.000 Jahre auf den Hyphen, als im alten Ägypten die ersten Pharaonen ihren Thron bestiegen. Forscher vermuten, dass er gut 8.500 Jahre alt sein könnte. Genauso erstaunlich ist die Erkenntnis, dass nicht nur Hut und Kappe, sondern auch das Myzel einiger Speisepilze essbar ist.

Die Grenzen der Biomassefermentation liegen in der Biologie. Denn die Mikroorganismen stellen nur das her, was ihr Bauplan ihnen erlaubt. Doch den kann man ändern. Mit biotechnologischen Verfahren lässt sich das Erbgut der Mikroorganismen umprogrammieren, dass sie bestimmte Stoffe nach Maß produzieren. Präzisionsfermentation nennt sich das. Mit dieser wird zum Beispiel Lab erzeugt – ein Gemisch aus Enzymen, das wir zur Käseherstellung nutzen. Dieser Stoff entsteht normalerweise im Labmagen von Kälbchen und sorgt dafür, dass die Proteine der Milch ausfallen. Nun kann man das Lab aufwendig aus Kälbermägen extrahieren. Was Tausende von Jahren auch so passierte. Neben der Verwendung von mit Schimmelpilzen hergestellten Labaustauschstoffen gibt es auch die Möglichkeit einem harmlosen Bakterium ein Gen vom Rind zu verpassen und macht es so zur unermüdlichen Fabrik von Enzymen zu machen, die identisch zu den tierischen Originalen sind. Heute setzen Forscher und Lebensmitteltechnologen auf modernste gentechnischen Verfahren wie die Gen-Schere CRISPR/Cas und Algorithmen aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. So ist es mittlerweile möglich, Proteine der Kuhmilch oder des Hühnereis durch Bakterien in einer Nährlösung herstellen zu lassen. In alternativen Lebensmitteln lässt sich das verwenden, um Geschmack und Textur noch näher an das tierische Original heranzubringen. Wie das kalifornische Unternehmen Impossible Foods. Das nutzt einen genetisch umprogrammierten Hefepilz, um aus Pflanzen ein Protein namens Häm zu schaffen. Dieses verleiht Blut die Fähigkeit, Sauerstoff zu binden, und soll laut Forschern des Unternehmens dem Fleisch seinen Geschmack geben. Zu kaufen gibt es die rein pflanzlichen Burger Pattys mit dem tierischen Häm nur außerhalb der EU. Denn in der Gemeinschaft stehen dem noch die Gentechnik-Gesetze im Wege.

Auf die Spitze getrieben wird der Prozess mittlerweile durch einige Start-ups wie das österreichische Arkeon oder das finnische Solar Foods. Sie setzen auf Archaeen, sogenannte Urbakterien (NewMeat, 2023). Die brauchen keine Biomasse, um Proteine herzustellen. Ihnen reicht die Luft um uns herum. Dazu noch ein paar Spurenelemente und schon beginnen sie, Aminosäuren zusammenzusetzen. Endprodukt dieser Gas-Fermentation ist ein Proteinpulver, dass sich weiterverarbeiten lässt. Die Idee hinter diesem Ansatz: Wenn man keine Pflanzenreste mehr für diese Art der Fermentation benötigt, kann man mehr Menschen mit Eiweiß versorgen, ohne dass die Ackerfläche wächst. Und man könnte Nahrung produzieren, wo es sonst nicht möglich wäre. Bei bemannten Weltraummissionen zum Beispiel.

Insekten als Proteinlieferanten

Wenn von tierischen Proteinen die Rede ist, denken wir meist zuerst an Rind, Schwein, Huhn oder Fisch. Eine Klasse von Lebewesen haben wir dabei selten auf dem Schirm: die Insekten. Dass sich unter diesen viele Proteinlieferanten per excellence tummeln, wussten unsere Vorfahren schon seit den Kindertagen der Menschheit. So standen Käfer, Ameisen, Heuschrecken und Co in etlichen Kulturen rund um den Globus ganz selbstverständlich auf dem Speiseplan. Und tun es vielerorts noch heute. Mehr als 2.100 verschiedene Arten wurden bisher als genießbar für den Menschen identifiziert. Während für den Rest der Welt das große Krabbeln auf dem Speiseteller fast selbstverständlich dazugehört, war die westliche Welt von diesem Thema schon seit jeher eher angewidert. Mit einigen Ausnahmen: Kiewerlekszopp, die Maikäfersuppe, war in Deutschland und Frankreich bis ins letzte Jahrhundert verbreitet. Und Casu Marzu, in dem sich krabbelnde Fliegenlarven tummeln, ist es auf der Mittelmeerinsel Sardinien heute noch. Legt man die kulturelle Abneigung kurz beiseite, könnte man Insekten aber tatsächlich auch bei uns als durchaus lohnende alternative Proteinquelle sehen. Denn manche Arten bestehen nicht nur zu mehr als der Hälfte aus Eiweißen, sie enthalten auch alle essenziellen Aminosäuren. Der erste Schritt, sie bei uns zu nutzen, ist durch die Novel-Food-Verordnung der Europäischen Union bereits getan. Mehlwürmer, Wanderheuschrecken, Hausgrillen und ein Getreideschimmelkäfer sind darin als Lebensmittel zugelassen. Nun ist es an der Food-Branche, den Konsumenten Hausgrillenmehl oder Mehlwurmburger-Pattys schmackhaft zu machen.

Abbildung: Gefriergetrocknete Mehlwürmer (link) und Wanderheuschrecken (rechts) als Lebensmittel (Speiseinsekten) bzw. Lebensmittelzutat. Mehlwürmer sind die Larven des Mehlkäfers (Tenebrio molitor) und werden für den menschlichen Verzehr unter kontrollierten Bedingungen gezüchtet. Die Wanderheuschrecken werden ebenso unter kontrollierten Bedingungen für den Verzehr gezüchtet, unter anderem in Deutschland. Quelle: insektenwirtschaft.de via Wikimedia Commons (CC-BY-SA 4.0).

Während das bei uns Menschen durchaus noch zu einer Herausforderung werden könnte, braucht es bei anderen Lebewesen da weniger Überzeugungskraft. Denn bei Schweinen oder Hühnern stehen Insekten von Natur aus auf dem Speiseplan. Deshalb liegt es nahe, die Krabbeltiere auch als Tierfutter in Mastbetrieben einzusetzen. Möglich ist das mittlerweile auch bei uns wieder. Nachdem im Zuge der BSE-Ausbrüche in den 90ern jegliche tierische Bestandteile im Futter verboten wurden, dürfen Insekten seit 2021 in der EU wieder verfüttert werden. Und dieser Schritt macht durchaus Sinn. Denn bisher liefert vor allem importiertes Soja die nötigen Proteine für unsere Nutztiere.

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Soja-Dilemma

Bei kaum einer Pflanze liegen Licht und Schatten so nah beieinander wie bei Glycine max, der Sojabohne. Seit über fünftausend Jahren wird die Hülsenfrucht angebaut. Lange Zeit vor allem in Japan, Korea und China. Ihr Protein ist hochwertig (Snyder and Kwon, 1987). Mit einer biologischen Wertigkeit von 96 liegt es knapp hinter der Referenz von Ei (100) und noch vor Thunfisch (92) und Rindfleisch (80). Sie liefert Öl, das sich auch für Biodiesel eignet. Die Reste aus dem Pressvorgang liefern Nahrung für uns Menschen. Vor allem aber Futter für unsere Tiere. Und das wird mittlerweile zum Problem. Denn die Welt produziert immer mehr Soja. Die Anbaumenge stieg von 17 Millionen Tonnen im Jahr 1960 auf knapp 350 Millionen Tonnen im Jahr 2022. Um die nötigen Flächen zu schaffen, müssen häufig artenreiche Ökosysteme weichen. In Brasilien zum Beispiel, dass mehr als ein Drittel allen Sojas anbaut, betrifft das etwa den Regenwald am Amazonas.

Fleisch ohne Tier

Ging es bisher darum, Fleisch durch pflanzliche Kost zu ersetzen oder zu imitieren, gehen machen Forscher und Unternehmer mittlerweile einen anderen Weg. Sie wollen Fleisch ohne Umweg über das Tier erzeugen. Das klingt nach Science-Fiction. Trotzdem versuchen sich mittlerweile 174 Start-ups auf der Welt daran. Dabei werden tierische Zellen in einer Nährlösung vermehrt, geerntet und aufbereitet. Die Vorteile: Ohne Tier fallen die meisten Argumente gegen Fleisch weg. Der Flächenverbrauch eines Bioreaktors ist gering. Es sterben keine Tiere. Es gibt keine Medikamentenrückstände wie Antibiotika mehr im Produkt. Und der Ressourceneinsatz ist geringer als bei der konventionellen Tierzucht. Genau da setzen aber auch die Gegenargumente an: Für die Zucht von Laborfleisch, so Kritiker, sei immer noch mehr Energieaufwand nötig als für den Anbau von Nutzpflanzen.

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Yabba Dabba Doo!

Wer die Samstagmorgen-Cartoons der Familie Feuerstein kennt, wird sich sicher noch an den Brontosaurus-Burger erinnern. Eine witzige Idee. Die so langsam von der Realität eingeholt werden könnte. Denn in Australien haben sich Forscher und Entrepreneurs zusammengetan, um ein recht ungewöhnliches Experiment zu wagen. Im Erbgut längst ausgestorbener Mammuts suchten sie nach der Sequenz, die für Myoglobin zuständig ist. Dieses Molekül gibt dem Blut seine rote Farbe, transportiert den Sauerstoff und wohl auch den Geschmack, den wir mit Fleisch verbinden. Die Bauanleitung für das Myoglobin brachten sie in eine Muskelzelle ein. Die vermehrten sie und erhielten letzten Endes: den Mammut-Fleischklops. Warum sie das taten, begründen sie so:

„Das Mammut ist ein monumentales Symbol dafür, welche Auswirkungen ein drastischer Klimawandel haben kann. Da das Tier nicht in der Lage war, sich an seine ständig verändernde Umwelt anzupassen, haben wir uns gefragt, ob dieser Riese ein Leuchtfeuer der Hoffnung für die Zukunft der Ernährung werden könnte.“ (https://www.mammothmeatball.com/faq)

Was ist mit Fisch statt Fleisch?

Neben Fleisch und alternativen Proteinquellen liefern natürlich auch Fische und andere Meerestiere Eiweiße. Schon heute stammen viele unserer Lebensmittel aus dem Wasser. Und es könnten noch mehr werden. Im vierten Teil unserer Serie werfen wir einen Blick darauf, wie – neben Flüssen, Seen und Ozeanen – auch künstliche aquatische Lebensräume zu Puzzlesteinen für das Ernährungssystem der Zukunft werden könnten.

Ein kleines Fazit

Vor allem bei Vergleichen wie dem Letztgenannten ist immer auch ein wenig Vorsicht angemahnt. Das Totschlagargument ist allzu oft: Am besten für die Umwelt ist es, sich rein pflanzlich zu ernähren. Falsch ist diese Aussage nicht. Doch auch nicht wirklich zielführend. Denn mit Appellen die Ernährungsgewohnheiten vieler Millionen Menschen umzukrempeln, scheint recht illusorisch. Dabei die eine oder andere Option von vornherein zu verwerfen, ist da wahrscheinlich nicht so klug. Am Ende findet die Proteinwende sowieso an den Esstischen dieser Welt statt.

 

Autor: Kai Dürfeld (für scienceRELATIONS - Wissenschaftskommunikation)
Redaktion: Michèle Weber, Gideon Giesselmann (FNR)

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Quellen

Neil A. Campbell: Biologie. Hrsg.: Jürgen Markl. 1., korrigierter Nachdruck Auflage. Spektrum, Heidelberg/Berlin/Oxford 1998, ISBN 3-8274-0032-5 , S. 80 (englisch: Biology. 1996.).

Peter Nuhn: Naturstoffchemie. S. Hirzel Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1990, ISBN 3-7776-0473-9 , S. 70.

https://www.deisterapotheke.de/gesundheitsbibliothek/index/aminosaeuren/

https://www.nature.com/articles/s41564-018-0354-9

https://www.scinexx.de/news/biowissen/das-raetsel-der-21-aminosaeure/

https://www.dge.de/wissenschaft/referenzwerte/protein/

https://www.menshealth.de/fitness-ernaehrung/diese-lebensmittel-enthalten-mehr-protein-als-ein-ei/

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https://www.ieg-ego.eu/de/threads/hintergruende/essen-und-trinken

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/768884/umfrage/entwicklung-des-jaehrlichen-fleischkonsums-pro-kopf-in-europa/

https://www.wwf.de/themen-projekte/landwirtschaft/produkte-aus-der-landwirtschaft/soja/soja-als-futtermittel

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https://www.nature.com/articles/s43016-023-00795-w

https://www.researchgate.net/publication/340429903

https://files.albert-schweitzer-stiftung.de/1/fleischalternativenstudie.pdf

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https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33766258/

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Bukkens, S. G. F. (1997). The nutritional value of edible insects. Ecology of Food and Nutrition, 36(2–4), 287–319. https://doi.org/10.1080/03670244.1997.9991521

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