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FNR

Die Luxemburger sind besorgt, ob sie in den Urlaub können. Angesichts der momentanen Situation ist diese Sorge berechtigt. Einige Länder haben uns bereits als Risikogebiet eingestuft. Weitere könnten folgen. Nach so vielen Wochen Entbehrungen, haben sich viele über einen Kulissenwechsel gefreut. Doch nun das. Die Anzahl an offiziellen Infektionen steigt rasant, die Anzahl an positiven Fällen pro 100.000 Einwohnern ist derzeit so hoch wie in keinem anderen europäischen Land. Nun die große, zurzeit heftig diskutierte Frage: Liegt das nur daran, dass wir so viel testen? Sollten wir nicht aufhören so viel zu testen, dann gehen die offiziellen Zahlen runter und dann können wir in den Urlaub?

Im Folgenden gehen wir diesen Fragen auf den Grund und gehen auch auf Argumente ein, die zurzeit auf Social Media kursieren.

Mehr Tests bedeuten nicht mehr Neuinfektionen

Mehr Tests bedeuten bloß mehr offizielle Fälle und eine weniger hohe Dunkelziffer. Diesen Unterschied zwischen offiziellen Infektionen und tatsächlichen Infektionen nicht zu machen ist irreführend. Es verleitet zu der falschen Annahme, dass die Neuinfektionen quasi nicht da wären, wenn wir sie nicht aufdecken… oder zu der skurrilen Idee, dass man tatsächlich die Zahl an Neuinfektionen verringern kann, indem man weniger testet.

Auch wenn es vielleicht gerade noch nicht so wirkt, weil die Fallzahlen in den Krankenhäusern noch gering sind: Das eigentliche Problem ist nicht die Statistik bzw die Anzahl an offiziellen Fällen, sondern das Risiko einer Virusausbreitung, die außer Kontrolle gerät und unser Gesundheitssystem überlastet. Alle unsere Bemühungen sollten darauf abzielen, dieses Szenario zu vermeiden – und nicht darauf zu versuchen, die Statistik zu verschönern. Stil: Ich gehe nun lieber nicht zum Test, dann sinkt die Statistik und die Luxemburger können nach Frankreich in den Urlaub. Das Gegenteil ist der Fall, denn…

Weniger Tests führen zu mehr Neuinfektionen

Wenn wir weniger testen würden, würden wir zwar kurzfristig die offizielle Zahl an Neuinfektionen runterdrücken. Aber mittelfristig würde dies bedeuten, dass weniger Menschen, die ansteckend sind, identifiziert und anschließend in Quarantäne gesetzt werden, damit sie nicht noch weitere Menschen anstecken. Auch die anschließende Kontaktverfolgung der positiven Fälle würde nicht stattfinden, welche in der Regel zur Identifikation weiterer positiver Fälle führt. Weniger testen bedeutet also bloß weniger Infektionsketten durchbrechen. Also mehr Infektionsketten zulassen, bzw einfach mehr Menschen herumlaufen lassen, die andere anstecken. Weniger Tests führen also mittelfristig zu mehr Neuinfektionen.  

Ist nicht doch das Large-Scale Testing daran schuld, dass wir nun in einigen Ländern als Risikogebiet eingestuft wurden?

Nur dadurch dass wir so viel testen und das anschließende Contact Tracing bisher gut funktioniert, ist das Pandemiegeschehen noch unter Kontrolle. Wir müssen uns nur mal vor Augen führen, wie viele Menschen gerade jeden Tag identifiziert werden, im Vergleich zu den Zeiten, als wir in den Lockdown gingen. Wir sind in den Lockdown gegangen mit niedrigeren Infektionszahlen pro Tag als dies momentan der Fall ist. Dies ist dadurch bedingt, dass wir momentan besser aufgestellt sind und fähig sind mehr positive Fälle pro Tag zu kontrollieren – d.h. zu identifizieren (durch Tests), in Quarantäne zu setzen und Kontakte zurückzuverfolgen mit anschließenden Isolationsmaßnahmen. Ohne Large-Scale Testing (Tests für hauptsächlich asymptomatische Personen), ohne systematische Tests für symptomatische Personen, ohne gut funktionierendes Contact Tracing, wäre die Situation bereits außer Kontrolle. Es wäre jetzt falsch den Maßnahmen die Schuld an der Situation zu geben, die uns ermöglichen die Situation unter Kontrolle zu halten. Und sollte die Situation außer Kontrolle geraten, würden uns die Nachbarländer sicherlich nicht besser einstufen…

Wie wir von unseren Nachbarländern eingestuft werden und wie wir als Land außenpolitisch darauf reagieren, ist eine Sache der (Außen)Politik. Unsere Priorität sollte sein, alles daran zu setzen, dass wir ohne Lockdown durch diese momentan angespannte Situation kommen.

 

Infobox

Die verschiedenen Phasen der Epidemiebekämpfung

In der Epidemiebekämpfung gibt es zwei Phasen: 
 

  • Phase 1 (Containment): Die Anzahl an Infizierten ist so gering, dass die Behörden genug Kapazitäten haben, positiv getestete Personen zu isolieren, und durch Contact Tracing deren Kontakte zurückzuverfolgen und auch gegebenenfalls isolieren zu können. In dieser Situation war Luxemburg zu Beginn der Pandemie, bis kurz vor dem Lockdown, und nun wieder seit der Verkündung des Exits aus dem Lockdown. 
     
  • Phase 2 (Mitigation): Die Anzahl an Infizierten übersteigt die Kapazitäten der Behörden. Nicht mehr einzelne Personen, sondern die gesamte Bevölkerung muss isoliert werden (Lockdown). In dieser Situation war Luxemburg von ca Mitte März bis ca Anfang Mai. 
     

Aus epidemiologischer Sicht tritt der Übergang von Phase 1 zu Phase 2 ein, sobald das Contact Tracing nicht mehr hinterherkommt. Ein regionaler, partieller oder nationaler Lockdown muss her. 

Es ist aber natürlich wahr: Durch viele Tests reduzieren wir die Dunkelziffer an Virusträgern, also an Menschen die ansteckend sind – was ja genau der Sinn der Sache ist. Daher tauchen bei uns in der Statistik auch mehr offizielle Fälle auf pro 100.000 Einwohner. Aber es wäre falsch zu denken, dass die Zahlen nur hoch sind, weil wir viel testen. Auch wenn wir weniger testen würden (z.B: nur symptomatische Personen), wären die Zahlen hoch. Und es ist auch klar so, dass die Zahlen steigen, unabhängig von mehr Tests.

Was sind die Beweise dafür, dass sich das Virus unabhängig von mehr Tests zurzeit in der Bevölkerung ausbreitet?

Hierfür gibt es mindestens 3 ganz klare Anzeichen:

  • die Anzahl an positiven Tests geteilt durch die Tests insgesamt steigt – d.h. unabhängig von mehr Tests gibt es mehr positive Fälle
  • Analysen des luxemburgischen Klärwassers zeigen deutlich, dass das Virus wieder stärker präsent ist in Luxemburg.
  • die Anzahl an Menschen mit Symptomen nimmt wieder stark zu

Wie viele positiven Tests werden denn nun durch das Large-Scale Testing ermittelt?

In der Woche vom 7. bis 12. Juli kamen 38% der positiven Fälle aus dem Large Scale Testing und 62% durch Testen von symptomatischen Personen. 41% der positiven Fälle waren bereits in Quarantäne - was zeigt, wie wertvoll Testen gekoppelt an Contact Tracing ist: Diese 41% waren bereits in Quarantäne, konnten also bereits niemanden anstecken, als das positive Testergebnis kam. 

Wie man sieht: Tests sind also nicht gleich Tests. Während das Testen von symptomatischen Personen und von Menschen, die durch Contact Tracing in Quarantäne geschickt werden mit im Vergleich relativ hoher Wahrscheinlichkeit zu einem positiven Resultat führt, gleicht das Large-Scale Testing, also das Testen von asymptomatischen Personen, eher der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Wahrscheinlichkeit eines positiven Resultats ist weitaus geringer. Hat man hingegen durch das Large-Scale Testing eine positive Person identifiziert, ist die Wahrscheinlichkeit anschliessend beim Testen der durch Contact Tracing ermittelten Kontaktpersonen wieder positive Testergebnisse vorzufinden, wieder hoch. 

Tests sind also nicht gleich Tests. Es gibt einen Unterschied in der Wahrscheinlichkeit einen positiven Fall zu detektieren je nachdem ob der Test im Rahmen vom Large-Scale Testing durchgeführt wird, im Rahmen von Contact Tracing von positiven Fällen oder im Rahmen von Tests an symptomatischen Personen.

Wären wir ohne Large-Scale Testing denn unter dem Wert, um von Deutschland als Risikogebiet eingestuft zu werden?

Die Frage ist falsch gestellt. Hätten wir kein Large-Scale Testing, hätten wir eine viel höhere Anzahl an Menschen die herumlaufen und andere anstecken würden, ohne es zu wissen. Wir hätten in der Zwischenzeit also ein viel stärkeres Pandemiegeschehen und die Situation womöglich gar nicht mehr unter Kontrolle.

Aber trotzdem, um die Frage direkt zu beantworten: Wenn wir den Schnitt von grob 40%/60% anlegen, also die ca 40% der offiziellen Fälle, die durch das Large-Scale Testing ermittelt werden, wegnehmen würden, dann hätten wir den Wert von 50 positiven Fällen auf 100.000 Einwohner in der genannten Woche nicht überschritten. Zurzeit kratzen wir aber stark an der Grenze...

Fazit

Die ganze Diskussion ob wir nun weniger testen sollten, geht am eigentlichen Problem vorbei. Wir müssen alles daran setzen, dass wir die Situation unter Kontrolle halten. Die Anzahl an Neuinfektionen ist ein Indikator. Wichtig ist aber vor allem, ob wir mit dem Contact Tracing hinterherkommen oder nicht. Das Contact Tracing ist das Rückgrat unserer freien Gesellschaft. Geraten wir in eine Situation wo dies nicht mehr der Fall ist, müssen wohl oder übel weitreichendere Einschränkungen wiedereingeführt werden.

Außerdem ist auch die Anzahl an Neuinfektionen nicht der eigentlich kritische Wert. Sondern die Anzahl an Personen, die auf intensivmedizinische Pflege angewiesen sind. Diese gilt es unter einem bestimmten Bereich zu behalten, damit unser Gesundheitssystem nicht überlastet wird.

Natürlich ist es zurzeit sehr ärgerlich, dass für viele der Urlaub ausfällt. Für die Tourismusbranche ist dieses Szenario eine Katastrophe. Das wollen wir gar nicht beschönigen oder kleinreden. Doch wir wollen mit dieser Analyse darauf aufmerksam machen, dass es zurzeit der falsche Moment ist, die Maßnahmen zu beschuldigen, die uns vor Schlimmerem bewahren.

Es ist eine Chance, so viel testen zu können. Auch wenn die Tests dazu führen, dass wir die Statistik nicht verschönern können.

Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)

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