Xavier Dervillez (LIH) & shotshop.com
Forschende am Luxembourg Institute of Health (LIH) haben spinnenartige Moleküle namens CoMiX entwickelt, die zur Bekämpfung von Brustkrebs in den Blutkreislauf injiziert werden können. CoMiX-Moleküle können einen Teil unseres Immunsystems dazu anregen, genau dort zu wirken, wo jenes benötigt wird: im Tumor. Die körpereigenen Abwehrmechanismen sind bei Tumoren oft unzureichend. CoMiX könnte das ändern.
Obwohl sich diese Innovation noch in einem frühen Entwicklungsstadium befindet, wurden die vielversprechenden Wirkungen jetzt nicht nur auf Brustkrebszellen im Labor, sondern auch in einem vorklinischen Krebsmodell in einem lebenden Organismus bestätigt. Da die toxischen Nebenwirkungen von CoMiX sehr begrenzt sind und Tumore nicht gegen die Behandlung resistent werden können, bietet diese Technologie Frauen mit Brustkrebs möglicherweise neue Hoffnung.
Und was diese Technologie noch aufregender macht, ist, dass sie zur Behandlung anderer scheinbar nicht verwandter Erkrankungen eingesetzt werden kann, z. B. Infektionen mit antibiotikaresistenten Bakterien oder potenzielle Infektionen mit Viren (Ja, möglicherweise auch Infektionen mit SARS-CoV-2, das COVID-19 verursacht). Wie Xavier Dervillez es selbst ausdrückte: „Diese Technologie ebnet den Weg für neue Strategien für zukünftige Therapien.“
Dieses Projekt war 2020 auf der Shortlist für einen Award for Outstanding Research-Driven Innovation vom Fonds National de la Recherche (FNR).
Was ist CoMiX genau?
Der Name CoMiX ist eine Abkürzung für Complement-Activating Multimeric Immunotherapeutic CompleXes. Das bedeutet, dass CoMiX therapeutische Moleküle sind, die aus mehreren Untereinheiten bestehen, die den Teil des Immunsystems aktivieren können, der als Komplementsystem bezeichnet wird. Mit anderen Worten, CoMiX wurde sehr geschickt entwickelt, um den natürlichen Abwehrmechanismus unseres Körpers zu stärken und auf Orte auszurichten, an denen diese Abwehr unzureichend ist, beispielsweise bei Tumoren.
Obwohl Tumore von Patienten schon erfolgreich in der Klinik mit z.B. gezielten therapeutischen Antikörpern behandelt werden, besteht noch Verbesserungsbedarf, da nicht alle Patienten auf diese Therapien reagieren. Die CoMiX-Technologie befasst sich mit einem der Gründe, warum Antikörpertherapien bei einigen Patienten möglicherweise nicht funktionieren, und bietet eine innovative Lösung, die das Leben mancher Patienten wirklich verändern könnte.
Wie funktionieren CoMiX-Moleküle?
Was genau ist dieses faszinierende und leistungsstarke Komplementsystem, das CoMiX aktivieren kann?
Das Immunsystem lebender Organismen entwickelt sich im Laufe der Evolution, um den Organismus vor Schäden zu schützen, die durch Viren, Bakterien oder Pilze verursacht werden können. Das Komplementsystem ist eines der ältesten Elemente des Immunsystems, da es sehr früh in der Evolution aufgetreten ist. Sogar Pfeilschwanzkrebse, die sogenannten „lebenden Fossilien“, weisen einige Elemente des Komplementsystems auf.
Komplementproteine für die Abwehr gegen fremde Mikroorganismen
Das Komplementsystem ist eine Gruppe von rund 30 verschiedenen Proteinen, die hauptsächlich in der Leber hergestellt werden und in unserem Blut zirkulieren. Diese Proteine sind entscheidend für die erste Verteidigungslinie gegen fremde Mikroorganismen. Das Protein, das eine zentrale Rolle in den Funktionen des Komplementsystems spielt, heißt C3b.
Es haftet an der Oberfläche fremder Mikroorganismen und fungiert als „rote Fahne“, und markiert diese so zur Zerstörung. Je mehr rote Fahnen auf der Oberfläche vorhanden sind, desto schneller und effizienter wird das markierte Ziel getötet. Mit diesem Ansatz eliminiert das Komplementsystem über 80% der eindringenden fremden Mikroorganismen wie Bakterien, Hefen oder Pilze.
Das Komplementsystem in Schach halten
Da das Komplementsystem zu leistungsstark an der Zerstörung markierte Ziele beteiligt ist, wird es sehr streng kontrolliert, so dass es unsere eigenen Zellen und Gewebe nicht beschädigt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, das Komplementsystem in Schach zu halten, wobei ein Inhibitor namens Faktor H am stärksten ist.
Diese hemmende Taktik wird auch von Tumoren angewendet, die für das Komplementsystem unsichtbar sind und dessen Abtötungsmechanismen vermeiden. Die CoMiX-Moleküle können den Faktor H-abhängigen Verstecktrick der Krebszellen außer Kraft setzen. So helfen sie, dass Krebszellen weiterhin vom Komplementsystem markiert und anschlieβend getötet werden können. Wie ist das möglich?
CoMiX markiert Krebszellen
CoMiX-Moleküle enthalten mehrere verschiedene Elemente, die an einem Gerüst befestigt sind, das sie zusammenhält. Man kann sich dieses Gerüst wie eine Spinne vorstellen, die verschiedene Teile in ihren Armen oder Beinen hält. Einige dieser Teile werden benötigt, um die Spinne in der Zelle zu verankern, die getötet werden muss. Diese kleinen Anker sind tatsächlich Fragmente von therapeutischen Antikörpern, mit denen Brustkrebspatientinnen bereits in der Klinik behandelt werden.
Einige andere Teile, die die Spinne hält, sind Moleküle, die Faktor H hemmen und den Verstecktrick des Tumors außer Kraft setzen. Je mehr „CoMiX-Spinnen“ an den Krebszellen haften, desto mehr rote Fahnen des Komplementsystems können an ihrer Oberfläche haften bleiben und der Tumor wird so zur Zerstörung markiert.
Wie geht es mit CoMiX weiter?
Die erste klinische Anwendung der CoMiX-Moleküle wäre höchstwahrscheinlich für Frauen mit Brustkrebs, die nicht gut auf die aktuellen therapeutischen Antikörper ansprechen. Das Potenzial für eine Kommerzialisierung wird ebenfalls untersucht. Daneben sind weitere präklinische Studien an Tieren und klinische Studien an Patienten erforderlich, um die Sicherheit und Wirksamkeit von CoMiX als neuartige Therapie nachzuweisen.
Xavier Dervillez und Carole Devaux erforschen auch noch in anderen Forschungsprojekten, wie man die CoMiX-Technologie für andere potenzielle Anwendungen optimieren kann, die über die Bekämpfung von Krebszellen hinausgehen. Sie haben bereits begonnen mit akademischen Forschungsgruppen und Pharmaunternehmen zusammen zu arbeiten, um das Spektrum möglicher therapeutischer Anwendungen dieses neuartigen Behandlungsansatzes zu erweitern.
Links: Xavier Dervillez, rechts: Carole Devaux
Autorin: Anna Keller
Editorin: Michèle Weber (FNR)
Illustration: Xavier Dervillez (LIH) & shotshop.com
Fotos: Xavier Dervillez und LIH
Infobox
Jedes Jahr zeichnet der Fonds National de la Recherche (FNR) mit seinen FNR Awards Wissenschaftler für ihre überragende Arbeit aus, honoriert aber auch Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren für ihre überragende Förderung und Vermittlung der Wissenschaft in der Gesellschaft. Die Gewinner erhalten nicht nur eine einzigarte Trophäe sowie ein Zertifikat, sondern auch ein Preisgeld in Höhe von 5.000€.
Jedes Jahr können Bewerbungen in folgenden Kategorien eingereicht werden:
- Überragende wissenschaftliche Publikation
- Überragende Doktorarbeit
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Bei den diesjährigen FNR Awards wurden 7 Projekte in 4 Kategorien ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand zum ersten Mal 100% digital statt. Hier der Livestream im Replay.
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