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Das Bild zeigt die Ansicht der auf maschinellem Lernen basierenden Analyse von Mitochondrien-Interaktionsnetzwerken

Die Parkinson-Krankheit ist die zweithäufigste neurodegenerative Erkrankung, für die ein Verlust an dopaminergen Nervenzellen in bestimmten Bereichen des Gehirns charakteristisch ist. In den nächsten 20 Jahren wird sich die Patientenzahl weltweit voraussichtlich verdoppeln. Die detaillierten molekularen und zellulären Mechanismen, die seiner Pathogenese zugrunde liegen, sind weiterhin unklar, obwohl neuere Erkenntnisse auf eine Rolle der sogenannten mitochondrialen Fehlfunktion beim Ausbruch der Krankheit hinweisen. Mitochondrien - kleine zelluläre „Untereinheiten“, die am Zellstoffwechsel und an der zellulären Energiegewinnung beteiligt sind - interagieren ständig und dynamisch miteinander. Auf diese Weise bilden sich ständig verändernde Netzwerke, sogenannte Mitochondrien-Interaktionsnetzwerke (MIN).

Spezieller Ansatz der künstlichen Intelligenz

In einer neuen Studie, die von der Forschergruppe Immunsystembiologie der Abteilung für Infektion und Immunität am Luxembourg Institute of Health (LIH) geleitet wurde, verwendeten die Forscher einen speziellen Ansatz der künstlichen Intelligenz, das maschinelle Lernen (engl. „machine learning“), um herauszufinden, wie sich die Wechselwirkungen von Mitochondrien in Nervenzellen von Parkinson-Patienten von denen in Nervenzellen gesunder Probanden unterscheiden. Die Forscher versuchten dabei, den Bezug zwischen den bei Parkinson beobachteten mitochondrialen Beeinträchtigungen und den spezifischen netzwerktopologischen Veränderungen der MIN besser zu verstehen, um die frühzeitige Diagnose und Klassifizierung von Parkinson-Patienten voranzutreiben.

„Da die konventionelle morphologische Analyse mit Schwerpunkt auf einzelnen Mitochondrien bisher keine zufriedenstellenden Einblicke in die Entwicklung der Parkinson-Krankheit geliefert hat, haben wir in unserer Pionierarbeit erstmals die Interaktionsnetzwerke zwischen diesen Organellen untersucht“, erklärt Dr. Feng He, Gruppenleiter der Immune Systems Biology Group am LIH-Department für Infektion und Immunität und hauptverantwortlicher Autor der Veröffentlichung.

700 Gigabyte großen Datensatz dreidimensionaler mikroskopischer Abbildungen von Mitochondrien analysiert

Die Wissenschaftler nutzten ihre umfassende Expertise in Netzwerkanalyse und maschinellem Lernen und analysierten einen 700 Gigabyte großen Datensatz dreidimensionaler mikroskopischer Abbildungen von Mitochondrien aus Dickdarmneuronen, die von Parkinson-Patienten und gesunden Kontrollpersonen mittels Darmbiopsien gesammelt wurden. Zusätzlich wurden die mitochondrialen Interaktionen von dopaminergen Neuronen untersucht, die aus Stammzellen von entweder Patienten oder gesunden Personen gezüchtet wurden.

Die Forscher fanden heraus, dass bestimmte Netzwerkstrukturmerkmale innerhalb von MIN bei Parkinson-Patienten im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen verändert waren. Beispielsweise bildeten Mitochondrien bei Patienten verbundene Subnetze, die im Allgemeinen größer waren als bei gesunden Personen. In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis war die Effizienz der Energie- und Informationsübertragung und die Verteilung zwischen den verschiedenen Mitochondrien bei MIN von Erkrankten signifikant niedriger als bei Kontrollpersonen. Dies deutet darauf hin, dass verzögerte und somit verlängerte mitochondriale Übertragungsprozesse mit dem größeren Durchmesser der MIN in den Nervenzellen von Parkinson-Patienten zusammenhängen.

Kombination ermöglicht genaue Unterscheidung zwischen Parkinson-Patienten und gesunden Kontrollpersonen

„Diese unterschiedlichen topologischen Muster in MIN können dazu führen, dass Energie und Informationen in den neuronalen Mitochondrien von Parkinson-Patienten im Vergleich zu gesunden Personen möglicherweise weniger kompetent produziert, geteilt und verteilt werden, was darauf hindeutet, dass sie mit mitochondrialen Schäden, Defiziten und Fragmentierungen verbunden sind, die für neurodegenerative Erkrankungen typisch sind“, so Dr. He.

Darüber hinaus stellte das Forscherteam fest, dass diese verschiedenen Netzwerk-Muster in hohem Maße mit den häufig verwendeten klinischen Klassifizierungen für Parkinson-Patienten korrelieren, zum Beispiel dem „Unified Parkinson Disease Rating Scale“ (UPDRS). Durch die Anwendung künstlicher Intelligenz in Form des maschinellen Lernens zur Analyse dieser MIN-Merkmale stellten die Forscher fest, dass die Verwendung einer Kombination dieser Netzwerkmuster alleine die genaue Unterscheidung zwischen Parkinson-Patienten und gesunden Kontrollpersonen ermöglichte.

Neue Perspektiven für das Verständnis verschiedener anderer neurodegenerativer Erkrankungen

„Unsere Ergebnisse zeigen das Potenzial auf, bestimmte mitochondriale Netzwerkmerkmale als neuartige morphologische Biomarker für die Früherkennung und Klassifizierung von Parkinson-Patienten zu verwenden, um somit zur Entwicklung eines neuen Gesundheitsindexes beitragen zu können“, erklärt Prof. Rejko Krüger, Direktor für Transversale und Translationale Medizin am LIH und mitwirkender Autor der Studie. „Als nächsten Schritt werden wir untersuchen, wie unsere Ergebnisse neue Perspektiven für das Verständnis verschiedener anderer neurodegenerativer Erkrankungen bieten können, die durch mitochondriale Dysregulation gekennzeichnet sind, wie etwa die Huntington-Krankheit und Alzheimer, was unsere Arbeit zu einem echten Beispiel für translationale und transversale Forschung macht“, fügt er hinzu.

„Diese Veröffentlichung ist auch ein wichtiger Schritt nach vorne bei der Anwendung fortschrittlicher Techniken des Computer-basierten maschinellen Lernens, um über das tiefe topologische Verständnis der komplexen Netzwerkinteraktionen zellulärer Organellen zu einer präziseren Einordnung von Patienten und ihren Krankheiten zu gelangen. Großangelegte Datenanalyse und innovative digitale Technologien sind in der Tat ein vorrangiger Bereich für unsere immunologisch ausgerichtete Forschungsabteilung und für das gesamte LIH “, schlussfolgert Prof. Markus Ollert, Direktor der Abteilung für Infektion und Immunität und mitwirkender Autor an der wissenschaftlichen Arbeit.

Die interdisziplinäre Studie stützte sich auf die enge Zusammenarbeit zwischen Klinikern, Neurowissenschaftlern, Netzwerkbiologen, Immunologen, Experten für Big Data und maschinelles Lernen des Luxembourg Institute of Health (LIH), des Luxembourg Centre for Systems Biology (LCSB) und des Centre Hospitalier de Luxembourg (CHL), insbesondere über den klinischen Neurologen Dr. Nico Diederich, sowie über die Zusammenarbeit mit anderen internationalen Partnern wie dem Instituto de Física Interdisciplinar y Sistemas Complejos IFISC in Palma de Mallorca (Spanien). Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift „Nature Partner Journals Systems Biology and Application“ veröffentlicht.

Autor: LIH

Editor: Uwe Hentschel

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