Ann Kiefer

Ann beim Schreiben des Skripts

Leistungsschwache Jugendliche für Mathematik zu begeistern, ist kein Ding der Unmöglichkeit. Dazu braucht man eine Kamera und ein paar mathematische Rätsel.

Die Mathematikerin Ann Kiefer, von der Universität Luxemburg, hat im Rahmen ihres Workshops „Raconte-moi les maths!“ zwei spielerische und kreative Videos gedreht. Darin lösen die SchülerInnen Rätsel, indem sie elementare Rechenoperationen durchführen: Addition, Subtraktion, Division und Multiplikation. Die Kurzfilme erzählen eine kleine Geschichte mit mathematischem Schwerpunkt und stellen die SchülerInnen in den Mittelpunkt, um sowohl die SchauspielerInnen als auch die ZuschauerInnen für das Thema zu sensibilisieren.

Das Projekt wurde mit der Hilfe von Frau Pasquarelli, Lehrerin am Lycée Mathias Adam in Differdange, und der Teilnahme ihrer Klasse aus der berufsvorbereitenden Stufe ins Leben gerufen. Die Umsetzung erfolgte durch Nighthawks ASBL, die Betreuung und Unterstützung durch die Universität Luxemburg und das PSP-Classic-Programm des Luxembourg National Research Fund (FNR).

Infobox

Ann Kiefer

Ann Kiefer promovierte an der Vrije Universiteit Brussel in Belgien und arbeitete anschließend sechs Jahre lang als Postdoc in der reinen Mathematik. Sie ist an zahlreichen Projekten zur Förderung der Mathematik in der breiten Öffentlichkeit beteiligt, darunter zwei Projekte für die berufsvorbereitende Stufe. Sie engagiert sich sehr für die Wissenschaftsvermittlung, und genau diese Leidenschaft hat sie zu ihrer aktuellen Stelle geführt: Seit September 2020 arbeitet Ann als STEM-Expertin am Luxembourg Centre for Educational Testing (LUCET).

Als ausgezeichnete Kommunikationsexpertin hat Ann an vier Luxembourg ScienceSlams teilgenommen und davon gleich drei gewonnen! Im Jahr 2019 hat sie auch Stand-Up Comedy über ihre Forschung gemacht. Und 2021 entwarf sie zusammen mit anderen Mathematikern aus Brüssel ein Mathematikerkostüm für ... den Manneken Pis.

Ann ist als Postdoc-Forscherin im Rahmen des PITT-Projekts (Programme for Innovative Teaching and Training: Programm für innovative Lehre und Ausbildung) angestellt. In diesem Projekt werden Ressourcen für Lehrer der Sekundarstufe entwickelt, die innovative Impulse für die Gestaltung zeitgemäßer Unterrichtsstunden in luxemburgischen Sekundarschulen geben. Die Unterrichtsressourcen des PITT sollen Anreize bieten, neue Dinge auszuprobieren und den Unterricht anders zu denken.

Weitere Informationen auf ihrer Webseite: https://math.uni.lu/kiefer/outreach.html

„Raconte-moi les maths “: Worum geht es dabei? Wie ist das Projekt entstanden?

„Ein solches Projekt wurde von Nighthawks ASBL und mir bereits in Brüssel in Schulen mit positiver Diskriminierung, d. h. in Schulen aus benachteiligten Stadtvierteln, durchgeführt. Es war ein großer Erfolg sowohl bei den Jugendlichen als auch bei ihrem Publikum", erläutert Ann Kiefer. "In Luxemburg gibt es diese Art von Schulen nicht; stattdessen werden in der sogenannten „berufsvorbereitenden Stufe“ Schüler und Schülerinnen mit Schwächen in den Grundschulfächern wie Mathematik zusammengeführt. Ich hatte also die Idee, mit ihnen ein ähnliches Projekt zu starten“.

In „ Raconte-moi les maths!“ ist das Thema, mit dem sich die Schüler beschäftigen, das Kopfrechnen. Indem sie als Schauspieler oder Helfer am Set an der Produktion der beiden Kurzfilme mitwirkten, konnten sie ohne Druck den spielerischen Aspekt der Mathematik entdecken, Spaß an ihrer Anwendung haben und ein Gefühl für Zahlen entwickeln.

Die beiden Videos wurden bei einer Vorführung im Kulturzentrum von Differdange vor 100 Schülern sowie Mathematikern, Lehrern und Mitgliedern der Universität Luxemburg ausgestrahlt.

 

Was sind die Herausforderungen für die Schüler, die an „ Raconte-moi les maths!“ teilnehmen?

„Eine Intuition für Mathematik entwickeln!", antwortet Ann Kiefer. "Die beiden Rätsel, die in den Videos gezeigt werden, erfordern nur Kopfrechnen, um sie zu lösen, aber die Wissenschaft, die dahinter steckt, ist in Wirklichkeit ziemlich komplex (Anm. d. Ü.: siehe Infobox). Diese wurde mit den Schülern nicht thematisiert. Stattdessen mussten sie lernen, mit Zahlen umzugehen und sich dabei auf ihre Intuition zu verlassen“.

In „Le treizième chiffre“ ("Die dreizehnte Zahl") geht es darum, die Funktionsweise der Sicherheitsnummer von Barcodes zu verstehen und dann die fehlende Zahl zu berechnen. In den Workshops, die den Dreharbeiten vorausgingen, absolvierten die Schüler praktische Übungen: So wurden ihnen beispielsweise Chipstüten vorgelegt, doch eine Ziffer des Strichcodes war geschwärzt; die Schüler durften den Inhalt erst essen, nachdem sie die fehlende Ziffer gefunden hatten... Ein großer Anreiz!

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Die Wissenschaft hinter Strichcodes

Es gibt viele verschiedene Arten von Strichcodes: den QR-Code zum Beispiel, der ein sogenannter „zweidimensionaler“ Strichcode ist, der aus Symbolen (Rechtecken, Punkten, Sechsecken usw.) besteht; und den klassischen, eindimensionalen Strichcode, der sich auf der Rückseite der Waren befindet, die wir im Laden kaufen.

Dieser zweite Typ von Strichcode, um den es in dem Video „Die dreizehnte Zahl“ geht, ist eine Reihe von schwarzen und weißen Linien unterschiedlicher Dicke, die numerische oder alphanumerische Informationen (Zahlen oder Buchstaben) verschlüsseln. Jede Kombination aus Strichen und Leerzeichen steht für eine Zahl oder einen Buchstaben und kann von einer Maschine (z. B. dem in Supermärkten verwendeten Handscanner) gelesen werden. Die dekodierten Daten werden dann an ein Computersystem weitergeleitet, häufig, um sie einem Produkt in einer Datenbank (z. B. dem Katalog eines Geschäfts) zuzuordnen.

Diese Barcodes enthalten eine Prüfsumme, um sicherzustellen, dass sie korrekt gelesen wurden: die 13. Ziffer, um die es in dem Video geht. Die Berechnung der 13. Ziffer ist einfach. Dies erklärt der Schüler, der im Video die Rolle des Hackers spielt. Im Falle eines menschlichen Fehlers oder einer Beschädigung der Balken ermöglicht sie es, die fehlende Information zu finden.

In „Die Rechnung geht auf“ spielten die Schüler so begeistert mit den Zahlen, dass selbst die Schulklingel sie nicht davon abhalten konnte, das Ergebnis zu finden.

Im Rahmen des Projekts zeigten die Schüler große Entschlossenheit und eine unerwartete Intuition für Zahlen. Alessandra Pasquarelli meint: „Die Ergebnisse haben unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Dies zeigt den Wert einer pädagogischen Methode, die auf aktive Teilnahme, Spiel und Kreativität setzt.

Eine weitere wesentliche Herausforderung bestand darin, vor der Kamera zu stehen und die Resilienz aufzubringen, an allen Schritten des Videodrehs teilzunehmen.

 

Warum ein Projekt wie „Raconte-moi les maths!“ wählen?

Ann Kiefer nennt ihre Beweggründe: „Die berufsvorbereitende Stufe leidet unter dem mangelnden Interesse der Öffentlichkeit und des Bildungswesens. Infolgedessen fehlt es dort an Mitteln und einer langfristigen Vision. Mein Ziel war es daher, ein Bildungsprojekt zu entwickeln, das die Dinge voranbringt und eine Alternative zum Frontalunterricht bietet."

Eine der Regisseurinnen, Geraldine Jonckers, Leiterin der Brüsseler ASBL Nighthawks, erstellt regelmäßig Inhalte zu sensiblen gesellschaftlichen Themen wie Homosexualität, Gewalt, soziale Ungleichheit usw. Die Schüler können ihre Ideen im Rahmen der Dreharbeiten frei kommunizieren.

„Die Methodik eines Projekts wie "Raconte-moi les maths" ermöglicht es den Schülern und Schülerinnen, fächerübergreifende Kompetenzen zu entwickeln, wie z. B. Gemeinschaftsarbeit, kritisches Denken bei der Informationssuche, Zuhören, seine Meinung sagen, ohne sie aufzudrängen, und ein Projekt bis zum Ende durchführen zu können“, erklärt Geraldine Jonckers. „Unter Anleitung von Fachleuten aus den Bereichen Bild und Ton entscheiden die Schüler und Schülerinnen wie sie ihre Geschichte verfilmen, welche Einstellungswerte sie wählen, ob sie eine Stimme aus dem Off verwenden oder nicht, ob sie ein Sounddesign erstellen usw. Durch die Verbindung von Mathematik und Kreativität ist es möglich, bei den Schülern ein Fach zu entteufeln, das sehr schwierig erscheinen kann.“

Die Ergebnisse solcher Filmprojekte sind sehr gut, die Wortfreiheit der Schüler wird dadurch stark gefördert. Ann hat daher ein ähnliches Projekt in Luxemburg ins Leben gerufen, um Schülern mit Leistungsschwächen zu helfen und das Lernen von Mathematik zu erleichtern.  

"Ich glaube, dass ein solches Projekt für die Schüler sehr vorteilhaft ist“, sagt Ann. "Es sind Profis, die den Schnitt machen, und die Schüler sind extrem stolz. Während ihrer Schulzeit haben sie nicht oft die Gelegenheit, auf ihre Leistungen stolz zu sein; durch unser Projekt haben sie eine große Motivation für Mathematik entdeckt, ihr Selbstvertrauen wurde gestärkt und sie konnten ohne Druck in ihrem eigenen Tempo Fortschritte machen.“

 

Warum sollten sich Schüler für Mathematik interessieren?

Mathematik ist überall: in QR-Codes, Bankkarten, Kryptographie... Die Grundlagen der Mathematik helfen dabei, die Welt besser zu verstehen. Ann Kiefer betont jedoch einen anderen Aspekt, der viel intuitiver ist: Spaß.

„Mathematik ist nicht nur Addition und Subtraktion, sondern auch ein Spiel. Jeder kann Spaß an der Mathematik haben. Sie ist nicht unbedingt notwendig, um in der Gesellschaft zu überleben, aber man kann Spaß daran haben. Genauso wie man Spaß daran hat, einen guten Roman zu lesen ... Es geht nicht nur um die praktische Anwendung!“

Ann selbst ist seit ihrem 12. Lebensjahr leidenschaftliche Mathematikerin.

Wie Literatur, Philosophie und viele andere Fächer nährt auch die Mathematik unseren Geist, unsere Vorstellungskraft und unser Leben. Egal auf welchem Niveau, sie bereichert jeden, der sie betreibt. Grund genug, sich damit zu beschäftigen. 

 

In welchen Bereich der Mathematik sollte man derzeit investieren?

Hierzu sagt Ann: „In der mathematischen Forschung ist es schwierig, auf eine bestimmte Anwendung zu setzen, da die Ergebnisse nicht sofort nutzbar sind. Daher ist es unmöglich, vorherzusagen, welcher Bereich am vielversprechendsten ist. Ein gutes Beispiel ist die Kryptographie: Die Mathematik, die ihr zugrunde liegt, stammt aus dem Ende des 19. Jahrhunderts! Es gibt eine große Latenz zwischen Entdeckung und Anwendung...“.

Tatsächlich hat der britische Mathematiker Godfrey Harold Hardy einen bedeutenden Beitrag zur mathematischen Analyse und zur Zahlentheorie geleistet. Laut Ann liebte er sein Fachgebiet, weil er darin keine praktische Anwendung sah, also keine Möglichkeit, daraus eine Waffe zu machen... In Wirklichkeit seien die konkreten Anwendungen, die sich aus seinen Entdeckungen ergeben, bedeutend, u.a. in der modernen Kryptographie und in der Populationsgenetik. Aber sie ließen auf sich warten.

Ein Hardy zugeschriebener Satz veranschaulicht diesen zunächst rein ästhetischen Aspekt der Mathematik: „Schönheit ist die erste Empfehlung; es gibt keinen Platz für hässliche Mathematik“. Für Hardy wie auch für Ann ist Mathematik grundsätzlich eine Kunstform und kann daher auch als solche praktiziert werden.

„Ein weiteres Beispiel ist der große Satz von Fermat, der im 17. Jahrhundert formuliert wurde", sagt Ann. "Er besagt, dass es keine streng positiven ganzen Zahlen x, y und z gibt, so dass: x^n + y^n = z^n, sobald n eine ganze Zahl ist, die streng größer als 2 ist. 1994 hat der Mathematiker Andrew Wiles dieses Theorem endlich bewiesen. Nun nützt das Ergebnis nichts, aber das entwickelte Gebiet hingegen (die Modulformen) findet viele unerwartete Anwendungen, insbesondere in der Kryptographie.“

 

Welche Botschaft möchte Ann den Schülern und Schülerinnen von heute vermitteln?

„Findet eine Leidenschaft und verfolgt sie. Das ist der beste Weg, um weiterzukommen. Macht das, was euch Spaß macht. Die meisten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen haben einen nicht-linearen Werdegang: Man kann sehr gut zuerst ein Gebiet zu erforschen, das einen interessiert, und dann abzweigen, das Fachgebiet wechseln, sich umsehen... Nur an konkrete Anwendungen und ergebnisorientiert zu denken, hält einen gefangen und hemmt die Kreativität.“

 

Zum Schluss: Eine lustige Anekdote über den Dreh?

Ann erinnert sich: „Wenn die Schüler das erste Mal vor der Kamera stehen, sind sie sehr mutig und stellen sich vor, während des Drehs verrückte Dinge zu tun: Vor der Kamera zu tanzen, Witze zu reißen... Dann wird das Rampenlicht auf sie gerichtet und sie werden sehr schüchtern! Einer von ihnen sollte eine Szene drehen, in der er sich aufregte, traute sich jedoch nicht, wirklich ausdrucksstark zu sein. Er wurde aber schließlich wirklich wütend auf den Regisseur, als er die Szene zum fünften Mal wiederholen sollte... Seine Wut hielt leider nicht an!“.

 

Autorin : Diane Bertel
Editorin : Michele Weber (FNR)

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