Diane Bertel (NightCafé)

Derzeit fliegen überall Gräserpollen durch die Luft, nachdem in den letzten Monaten ein Peak von Baumpollen zu verzeichnen war.

Saisonale Pollenallergien betreffen viele Luxemburger während eines großen Teils des Jahres, und zwar ab Januar. Die genaue Zahl der Betroffenen ist nicht bekannt, aber fast die Hälfte der Luxemburger sind Atopiker, wie eine aktuelle Studie des Luxembourg Institute of Health (LIH) ergab. Atopiker sind Menschen, die eine erhöhte allergische Reaktion auf normalerweise harmlose Reize aus der Umwelt haben, darunter Nahrungsmittel und Pollen.

Laut der Europäischen Akademie für Allergologie sind Pollenallergien mittlerweile die häufigste chronische Erkrankung in ganz Europa: Mehr als 150 Millionen Menschen sind betroffen; die Prävalenz steigt stetig.

Lange als eher unwichtig wahrgenommen, handelt es sich bei der Pollenallergie jedoch um ein echtes Krankheitsbild mit teils sehr einschränkenden Symptomen. Allergische Erkrankungen verursachen zudem erhebliche sozioökonomische Kosten, die sich u. a. in einer geringeren Lebensqualität, einer geringeren Produktivität sowie Kosten für die Gesundheitsversorgung äußern.

Auch wenn die Forschung an einem Impfstoff gegen Pollenallergien noch nicht abgeschlossen ist, kann eine frühzeitige Diagnose des Problems die Symptome des Heuschnupfens erheblich reduzieren. Leichte oder mittelschwere Allergien können mit medikamentösen Sprays oder Antihistaminika-Tabletten behandelt werden; bei schwereren Fällen kann eine allergie-spezifische Immuntherapie helfen, allerdings ohne Garantie.

Die luxemburgische App Pollen.lu hilft ebenfalls dabei, besser mit der Pollenallergie umzugehen. Um mehr darüber zu erfahren, haben wir Dr. Farah Hannachi, Chefärztin der Abteilung für Immunologie-Allergologie am Centre Hospitalier du Luxembourg (CHL), interviewt. Sie spricht ebenfalls über die steigende Prävalenz solcher Allergien in der Bevölkerung und mögliche Gründe für dieses Phänomen.

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Dr. Farah Hannachi

Dr. Farah Hannachi ist die Chefärztin der Abteilung für Immunologie-Allergologie am CHL.

Sie hat einen Abschluss in Allergologie und klinischer Immunologie sowie in Allergo-Anästhesie (Universität Montpellier), ist Juniorvertreterin der Sektion Grundversorgung im Vorstand der EAACI (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) und seit vielen Jahren Mitglied der nationalen und internationalen Gesellschaften für Allergologie und klinische Immunologie.

Dr. Hanachi praktiziert allgemeine Allergologie und behandelt folgende allergische Erkrankungen: Atemwegs-, Augen-, Nahrungsmittel-, Arzneimittel- und Hautallergien sowie Allergien gegen Wespen- und Bienengift.

Foto: CHL

Dr. Farah Hannachi

Was macht die App Pollen.lu?

Kurzgefasst: Pollenkonzentrationen in der Luft in Echtzeit verfolgen.

"Mithilfe von Sensoren, die auf den Dächern des CHL installiert sind, liefert die App nahezu in Echtzeit - alle drei Stunden - Daten über die Pollenkonzentration in Luxemburg. Diese Technologie analysiert die Umgebungsluft und liefert Informationen über das Vorhandensein von 11 der am stärksten allergieauslösenden Pollenarten. Die wichtigsten sind in chronologischer Reihenfolge: Hasel, Erle, Esche, Birke, Eiche, Gräser, Beifuß", erklärt uns Dr. Farah Hannachi.

Die Pollenkonzentrationen werden mehrmals täglich aktualisiert und in vier Kategorien eingeteilt: "nicht nachgewiesen", "gering", "mittel" und "hoch".

Die App ist kostenlos auf Deutsch und Französisch erhältlich. https://www.chl.lu/fr/app-pollen

 

Welche Vorteile gibt es für den User?

Die App bietet praktische Tipps zur Verringerung oder Vermeidung der Pollenexposition.

Hier sind die wichtigsten:

  •     Vollständige Vermeidung von Allergenen
  •     Tragen von Masken
  •     Tägliche Nasenspülungen
  •     Rechtzeitige Einnahme von Antihistaminika - Medikamente, die zur Verringerung der Symptome eingesetzt werden
  •     Schließen der Fenster zu Spitzenzeiten
  •     Duschen und Haarewaschen abends, da sich die Pollen in den Haaren ablagern
  •     Vermeidung anderer Reizstoffe: insbesondere Tabak! Denn diese Stoffe verstärken die Symptome.

Die App enthält außerdem ein Lexikon, das alle wichtigen Begriffe erklärt; eine Beschreibung der allergieauslösenden Pflanzen sowie einen Pollenkalender, der für den Nutzer besonders hilfreich ist.

Ein weiterer großer Vorteil liegt darin, dass der Patient die Pollenkonzentration in Beinahe-Echtzeit verfolgt (die Daten werden alle 3 Stunden aktualisiert). Somit wird z.B. erkenntlich, dass die Spitzenwerte in der Regel in der Mitte des Tages erreicht sind: Eine wichtige Information, um das Allergen zu meiden.

 

Welche Art von Technologie steckt hinter Pollen.lu?

In Luxemburg wird sowohl eine alte als auch eine neue Detektorstation verwendet; für die App wird die neue Station verwendet.

Die alte Detektorstation, die ihre Daten der Website www.pollen.lu liefert, ist bereits mehrere Jahre alt und ein Handdetektor vom Typ Burkard, was bedeutet, dass die Daten manuell abgelesen werden müssen: Alle zwei bis drei Tage steigt ein/e TechnikerIn auf das Dach des CHL und liest die Daten ab, um sie zu analysieren.

Dr. Hannachi erklärt: "Der Burkard Handdetektor saugt 24 bis 48 Stunden lang kontinuierlich Luft an. Eine Spule dreht sich und bindet Pollen und Schimmelpilze. Die Spule wird alle zwei Tage eingesammelt, fixiert und unter dem Mikroskop untersucht. Die Techniker zählen dann die Pollen unter dem Mikroskop, was sehr mühsam ist: 33 verschiedene Pollenarten und 7 Schimmelpilzarten werden untersucht; die meisten davon lösen Allergien aus".

Obwohl diese Methode sehr genau ist, müssen die Patienten bis zu zwei Tage warten, um neue Daten zu erhalten. Wenn es also zuerst regnet und dann die Sonne scheint, stimmen die Ergebnisse nicht mit der Pollenkonzentration in Echtzeit überein.

Dr. Hannachi fährt fort: "Vor drei Jahren haben wir eine automatische Maschine (vom Typ Hund BAA500: Bio-Aerosol-Analysis) angeschafft. Es ist eine Kombination aus Optik, Feinmechanik und Technik. Die Pollen werden aus der Luft extrahiert, auf Gel fixiert, direkt von der Maschine analysiert, gescannt und dann von einer KI ausgewertet. Die KI zählt den Pollenanteil durch Bilderkennung: Es gibt eine riesige Bilddatenbank über Pollen, die ständig erweitert wird. Die Pollen werden anhand bestimmter Merkmale wie Größe, Form usw. bewertet".

Bisher erkennt der neue Sensor nur 11 verschiedene Pollenarten und keine Schimmelpilze, da sich die KI derzeit noch in der Trainingsphase befindet. Es sind noch Korrekturen erforderlich, da es manchmal noch zu Fehlern bei der Erkennung von Pollen kommt.

Die beiden Tools, Pollen.lu und www.pollen.lu, ergänzen sich also. Es werden Vergleichsstudien zwischen den beiden Technologien durchgeführt, um sicherzustellen, dass der neue Sensor keine Unregelmäßigkeiten aufweist.

 

Gibt es heute (in Luxemburg) mehr Pollenallergien als früher, oder eher mehr Pollen?

Die Antwort von Dr. Hannachi: "Beides. Es gibt nicht nur mehr Pollen, sondern auch mehr Allergiker".

 

Welche Gründe gibt es für diese Zunahmen?

Umwelt- und genetische Faktoren spielen eine Rolle, ebenso wie der Lebensstil.

Dr. Hannachi erklärt dazu: "Umweltfaktoren spielen eine enorme Rolle. Die Fähigkeit von Pollen, Allergien auszulösen, nimmt bei Luftverschmutzung zu. Die Wissenschaftler beschäftigen sich aktuell vermehrt mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Pollenkonzentration in der Luft. Die Pollensaisonen beginnen immer früher und gewinnen an Intensität".

Die Umwelt spielt eine große Rolle, aber auch der Lebensstil: "Unser städtischer Lebensstil, unsere Ernährung und die Umweltverschmutzung tragen alle dazu bei, dass der Anteil der Atopiker steigt", sagt Dr. Hannachi. Sie hält es für besonders relevant, die Bevölkerung über die Auswirkungen des Lebensstils aufzuklären.

Dr. Hannachi identifiziert noch weitere Faktoren. Die Genetik von Allergien entwickelt sich exponentiell. "Das Risiko einer Allergie ist höher, wenn die eigenen Eltern oder Geschwister von Heuschnupfen oder einer anderen Allergie betroffen sind.

Dann gibt es noch Faktoren sozioökonomischer Natur: "In Entwicklungsländern ist zum Beispiel die Geschwindigkeit des sozialen (technologischen, ökologischen ...) Wandels von entscheidender Bedeutung. Ein sehr schneller Wandel führt zu einem starken Anstieg der Allergierate".

Laut Dr. Hannachi gibt es auch eine Problematik der Biodiversität - im weitesten Sinne des Wortes:" Die Biodiversität bereichert das Mikrobiom (Anm. d. Red. : die Gesamtheit der Mikroorganismen in einem Lebensraum, wie z. B. dem menschlichen Körper) und schützt das Immunsystem. Eine Veränderung dieses Mikrobioms, wie sie bei Eingriffen in die Biodiversität zu beobachten ist, oder ein erhöhter Hygienismus erhöhen daher die Rate von Autoimmunerkrankungen. Dies ist auf die immunologische Dysregulation zurückzuführen, die chronisch entzündliche Erkrankungen begünstigt. Das LIH arbeitet derzeit an zahlreichen Forschungsarbeiten im Bereich des Mikrobioms und des Exposoms".

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Das Exposom

Inzwischen spricht man vom "Exposom", um die Gesamtheit der Umweltfaktoren zu beschreiben, denen eine Person von der Zeugung bis zum Tod ausgesetzt ist. Es gibt externe Faktoren: Umweltverschmutzung (CO2, Mikroplastik, Diesel, Nahrungsmittel, endokrine Disruptoren..... Das sind alles Reizstoffe), sowie individuelle Faktoren, die auf unseren Lebensstil zurückzuführen sind. Rauchen (auch Passivrauchen) erhöht das Risiko, eine Pollenallergie sowie allergisches Asthma zu entwickeln.

Was ist eine Pollenallergie und wie entwickelt sie sich?

Eine Pollenallergie ist eine allergische Erkrankung, die durch Pflanzenpollen ausgelöst wird. Der Mechanismus von Allergien beruht auf einer komplexen Pathophysiologie. Das Immunsystem kämpft übermäßig gegen normalerweise harmlose Proteine aus der Umwelt, aus bestimmten Pflanzen oder Schimmelpilzen. Die Betroffenen leiden unter einem breiten Spektrum von Symptomen, deren Ausmaß von Person zu Person sehr unterschiedlich sein kann.

Der Verlauf der Pollenallergie ist saisonal: Die Symptome treten während der Blütezeit der jeweiligen Pflanzen auf.

Es ist zu beachten, dass eine beeinträchtigte Haut- oder Schleimhautbarriere das Eindringen der Allergene begünstigen kann.

Dr. Hannachi erklärt das biologische Phänomen: "Bei der Pollenallergie handelt es sich um eine allergische Reaktion vom Soforttyp. Die Symptome treten also kurz nach dem Kontakt mit dem Allergieauslöser auf. Besonders charakteristisch ist der "Heuschnupfen", bei dem es sich um eine allergische Rhinitis handelt. Diese ist durch Niesen, eine laufende Nase, eine juckende Nase und eine Schwellung der Nasenschleimhaut gekennzeichnet. Wenn auch die Augenlider geschwollen sind und die Augen tränen und jucken, spricht man von einer allergischen Rhinokonjunktivitis. Diese zeichnet sich zusätzlich durch eine Bindehautentzündung der Augen aus".

Eine allergische Rhinitis kann chronisch werden und sich nach einiger Zeit zu allergischem Asthma entwickeln, was die Krankheit potenziell gefährlich macht. Die Schleimhaut der Atemwege wird überempfindlich; in der Folge sind Verschlimmerungen durch Reizstoffe wie Zigarettenrauch und trockene Heizungsluft möglich. Diese Reizstoffe werden die Entzündung fördern, was die Symptome verstärkt.

Zu den weiteren Symptomen gehören:

  •     Müdigkeit,
  •     Husten
  •     Schwierigkeiten beim Atmen
  •     Schlafstörungen
  •     Kopfschmerzen sowie
  •     Ein allgemeines Gefühl des Unwohlseins.

Die Intensität dieser Symptome hängt in der Regel von der Pollenkonzentration in der Luft ab.

Gibt es eine Behandlung gegen Pollenallergie?

Die Methoden zur Diagnose und Behandlung von Allergien stellen für die Wissenschaft noch immer eine Herausforderung dar. Die Behandlung ist sowohl ganzheitlich als auch spezifisch, da sie nur bei einer nachgewiesenen Allergie angezeigt ist, aber alle Organe umfassen muss.

Die Therapie beruht auf drei Säulen:

  •     1. Vermeidung des Allergens und Änderungen des Lebensstils: weniger Pollen einatmen (durch Tragen einer Maske, Vermeiden des Ausgehens zu Spitzenzeiten und regelmäßiges Überprüfen der App Pollen.lu) und Vermeiden von Reizstoffen wie Tabak.
  •     2. Symptomatische Behandlung: Bei starkem Pollenflug frühzeitig Antihistaminika einnehmen und/oder lokale Sprays und/oder entzündungshemmende Mittel verwenden.
  •     3. Eine Desensibilisierungstherapie kann in ausgeprägten Fällen, in denen die Lebensqualität stark beeinträchtigt ist, ratsam sein.

Auf gesellschaftlicher Ebene erfordern die Strategien einige Investitionen. Dr. Hannachi nennt zwei wesentliche Strategien:

  •  "Umwelt: CO2-Abbau, da der CO2-Anstieg "Nahrung" für Pflanzen liefert, die das CO2 für die Photosynthese nutzen: Es entstehen dadurch mehr Pollen.
  •  Verlangsamung des Klimawandels, da dieser mildere und feuchtere Winter, durchtränkte Böden und damit eine höhere Pollenbelastung bewirkt."

Dr. Hannachi fügt hinzu: "Die Einführung nationaler Pläne zur Bekämpfung und Vermeidung von Allergien muss unterstützt werden. Das bedeutet viel Arbeit, vor allem auf internationaler Ebene. Auch die Aufklärung der breiten Öffentlichkeit, sei es durch Apotheker, Allgemeinmediziner oder die Medien, ist von entscheidender Bedeutung."

Ein weiterer hilfreicher Faktor wäre die Anerkennung des Fachgebiets Allergologie mit einer Aufwertung des Berufs, da es einen eklatanten Mangel an Spezialisten in diesem Bereich gibt.

Martine Deprez, Gesundheitsministerin von Luxemburg, bringt es auf den Punkt: "44% der luxemburgischen Bevölkerung sind Atopiker (d. h. überempfindlich gegenüber Umweltfaktoren) und damit anfällig für Allergien. Diese App kann daher für viele Allergiker eine große Hilfe sein, indem sie ihnen ermöglicht, ihre Behandlung vorausschauend zu planen und den Kontakt mit Pollen zu verringern oder zu vermeiden".

 

Autorin: Diane Bertel
Interview : Dr Farah Hannachi, médecin-chef du service d'immuno-allergologie du CHL
Redaktion
: Melanie Reuter (FNR), Michèle Weber (FNR)

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