FNR
Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Seit ein paar Wochen bereits kann man in Luxemburg Covid-19 Antigen-Schnelltests in der Apotheke kaufen. Gestern wurden nun auch die ersten Schnelltests an luxemburgische Schulen geliefert und sollen dort nach den Osterferien systematisch eingesetzt werden. Schnelltests eignen sich potentiell aber auch um das Infektionsrisiko vor Veranstaltungen zu senken – oder als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme kurz bevor man die Eltern oder Großeltern besuchen geht oder Verwandte in einem Pflegeheim besucht.
Das Prinzip: Ist das Resultat positiv, bleibt man zuhause/geht man nach Hause. Somit können mögliche Ansteckungen vermieden werden.
Schnelltests können zu einem Gamechanger in der Bewältigung der Pandemie werden. Unter der Voraussetzung, dass wir kreative Lösungen finden, diese konstruktiv einsetzen und lernen, ihre Stärken zu nutzen – und, vielleicht noch viel wichtiger: lernen mit den Schwächen umzugehen.
Eine Schwäche ist, dass die Resultate nicht 100% korrekt sind und nicht so präzise wie beispielsweise ein PCR-Test.
Mit dem Wissen das sie aus diesem Artikel gewinnen, werden sie bestimmt in nächster Zeit so manche übermässig vereinfachte und falsche Rechnung aufdecken, sei es in Artikeln oder Gesprächen, wo pauschal über Falsch-Positive und Falsch-Negative berichtet wird. Und wo sie dann wissen, dass die Rechnung in Wirklichkeit etwas komplexer ist.
In diesem Artikel:
- Wie kann ich mein Resultat einordnen?
- Mangelnde Sensitivität ausgleichen durch häufiges Testen
- Falsch-Positive: Wie mit dieser Unannehmlichkeit umgehen?
- Fazit
Wie kann ich nun also mein Antigen-Schnelltest-Resultat einordnen?
- Wenn mein Resultat negativ ist: Wie wahrscheinlich bin ich tatsächlich negativ und also nicht ansteckend? Oder wie wahrscheinlich bin ich Falsch-Negativ, also in Wirklichkeit ansteckend, obwohl mein Test das Gegenteil anzeigt?
- Wenn mein Resultat positiv ist: Wie wahrscheinlich bin ich tatsächlich positiv? Oder wie wahrscheinlich bin ich falsch-positiv, also in Wirklichkeit gesund, trotz positivem Resultat?
Die Antwort: Pauschale Rechnungen sind schwierig. Denn die Wahrscheinlichkeit, ob das Testergebnis korrekt oder falsch ist, hängt von der Prävalenz (der Positivrate) innerhalb der Gruppe der Getesteten ab – also davon, wie viele in der Gruppe tatsächlich infiziert sind. Das wirkt vorerst mal komisch… ist aber an sich logisch: je mehr Negative, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass ein Negativer falsch ermittelt wird – also desto höher die Wahrscheinlichkeit für einen Falsch-Positiven. Und umgekehrt. Um das zu veranschaulichen hier eine Graphik:
Erklärungen:
- Prävalenz: wie viele Menschen innerhalb einer Gruppe tatsächlich SARS-CoV-2-positiv sind.
- Sensitivität (besagt vereinfacht): Wie sicher werden von den tatsächlich Positiven wirklich alle als positiv detektiert?
- Spezifizität (besagt vereinfacht): Wie sicher werden von den tatsächlich Negativen wirklich alle als negativ detektiert?
Wie man sieht: die Wahrscheinlichkeit für Falsch-Positive ist höher, je niedriger die Prävalenz ist. Und die Wahrscheinlichkeit für Falsch-Negative ist höher, je höher die Prävalenz in der Gruppe ist.
Oder positiver formuliert: Je höher die Prävalenz, desto korrekter sind die positiven Resultate. Je niedriger die Prävalenz, desto korrekter sind die negativen Resultate. Negative Resultate sind aber öfters korrekt als positive Resultate, wenn die Sensitivität höher ist als die Spezifizität (was bei den meisten Tests der Fall ist).
Konkret bedeutet dies im Fall der beiden in der Graphik genannten Beispielen (Achtung: das gilt nur für diese Beispiele, die sich auf bestimmte Annahmen stützen. Bei einem anderen Test mit anderer Spezifizität und Sensitivität sowie bei einer anderen Prävalenz fallen die Wahrscheinlichkeiten anders aus!)
- Wenn mein Testergebnis negativ ist, bin ich in den oben genannten Szenarien mit einer Wahrscheinlichkeit von über 99% tatsächlich negativ!
- Wenn mein Testergebnis positiv ist, bin ich in den oben genannten Szenarien mit einer Wahrscheinlichkeit zwischen, ganz grob, 40 und 90% tatsächlich positiv.
Weshalb diese Annahmen bzw diese Werte – und nicht andere?
Infobox
Wir gehen von einem hypothetischen Test aus, der eine Sensitivität von 90% hat und eine Spezifizität von 99%. Dies entspricht Werten von zurzeit erwerblichen Tests. Es gibt aber Tests auf dem Markt, die eine höhere Sensitivität haben (ein Produkt, das in Luxemburg erworben werden kann, weist z.B. eine Sensitivität von 98% anstatt von 90% auf). Diese Werte kommen jedoch unter optimalen Laborbedingungen zustande. In der Praxis/realen Welt, vor allem wenn Laien die Tests verwenden, ist das Risiko von Falsch-Negativen Resultaten jedoch etwas höher – und also die tatsächliche Sensitivität geringer. Es gibt aber auch Tests auf dem Markt, mit niedrigerer Sensitivität als 90%. Ähnliches gilt für die Spezifizität: Hier gibt es Tests, die schlechter oder besser abschneiden. Am besten sie kucken sich immer genau die Spezifizität und Sensitivität auf ihrem Test an.
Hier die Einschätzung von Markus Ollert, Immunologe am LIH, der uns bei der Erstellung der Graphik beraten hat: „Antigen-Schnelltests für SARS-CoV-2 sind weniger empfindlich als die allseits bekannten PCR-Tests. Die führenden Antigenschnelltestprodukte weisen eine Sensitivität von ca. 90% bei asymptomatischen oder sehr mild an COVID-19 erkrankten ambulanten Fällen auf. Andererseits haben sie eine sehr hohe Spezifität. Daher sind die in der Graphik gewählten Zahlenbeispiele durchaus realistisch.“
Wir haben eine Prävalenz innerhalb der Gruppe links von 1% angenommen – also 1 % der Gruppe ist infiziert. Im Vergleich haben wir in der zweiten Gruppe rechts eine Prävalenz von 6% angenommen. Wir haben bewusst den Unterschied zwischen beiden relativ hoch angesetzt, damit man besser versteht, inwiefern die Ergebnisse abhängig von der Prävalenz sind. Die Annahmen entsprechen jedoch auch Werten, die man innerhalb von Testgruppen realistischerweise vorfinden kann. Als Beispiel kann man hier z.B. die Gruppe der täglich in Luxemburg Getesteten anführen (hier schwankte die Prävalenz innerhalb dieser Gruppe in der Zeitspanne von September 2020 bis März 2021 zwischen ca. 1 und 8%). Solche Prävalenzen sind z.B. auch im erwartbaren Bereich, wenn man Cluster ganz durchtestet, in denen es nachweislich bereits zu Infektionen kam (z.B. in einem Pflegeheim oder in einer Schule). Die Werte sind allerdings relativ hoch, wenn man die gesamte Bevölkerung betrachtet. Zwischen dem 27. Oktober und dem 25. Dezember war die Prävalenz in Luxemburg höher als 1%. Aktuell liegt sie bei ca 0,5%. (Quelle: https://researchluxembourg.lu/publications/)
Mangelnde Sensitivität ausgleichen durch häufigeres Testen
Wenn das Resultat negativ ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man tatsächlich nicht ansteckend ist, hoch (unter der Voraussetzung, dass der Test korrekt durchgeführt wurde). Es kommt aber immer mal vor, dass eine ansteckende Person dem Test durch die Lappen geht. (Schnelltests befreien deshalb nicht von den gängigen Schutzmaßnahmen).
Wie kann man dieses Defizit umgehen? Bzw wie kann ich selber sicherer sein, dass ich tatsächlich negativ bin? Die Antwort lautet: Häufiger testen! Es kann mal vorkommen, dass ein Testergebnis falsch ist. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass zwei oder mehr Testergebnisse hintereinander falsch sind.
Es kann außerdem auch vorkommen, dass ein Test negativ ist, weil die Viruslast der Person noch zu gering ist. Dies kann z.B. am Anfang einer Infektion der Fall sein. Der Antigen-Test zeigt noch nichts an. Doch am Tag danach, oder zwei, drei Tage danach, wenn die Viruslast gestiegen ist und die Person ansteckend ist, zeigt der Test dann wohl ein positives Resultat. Durch häufiges Testen kann man also auch das Problem der „Momentaufnahme“ umgehen.
Hier ein Diagramm, in Anlehnung an eine Publikation im New England Journal of Medecine (https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMp2025631), die dieses Prinzip verdeutlicht:
Erklärungen: Der PCR-Test kann zwar bereits früher eine Infektion detektieren, als der Antigen-Schnelltest. Dafür kann man PCR-Tests aber nicht so häufig durchführen und es dauert länger ein Resultat zu erhalten. Auf Symptome warten ist noch langsamer. Menschen mit SARS-CoV-2 sind jedoch bereits vor Symptombeginn ansteckend. Es gilt den Vorteil der Schnelltests zu nutzen (schnell, unkompliziert, günstig): Häufiger testen, um somit über die Zeit ein sicheres Resultat zu erhalten.
Hier ein Artikel der erklärt, wann welcher Test am effizientesten ist:
Laut Markus Ollert vom LIH beschäftigt sich die Wissenschaft zurzeit damit, wie man an den Kontext angepasste Strategien für Schnelltests entwickeln kann, angepasst an das Ziel, den Verwendungszweck und die vorhandene Prävalenz: „In der wissenschaftlichen Literatur zu Antigenschnelltests oder Screening Tests ist die Testhäufigkeit oder Testwiederholung von zentraler Bedeutung. Durch eine höhere Frequenz an Testungen, das heißt durch regelmäßige Testwiederholungen, kann man eine eventuell niedrigere Sensitivität eines Tests und die Tatsache, dass ein einzelner Test immer nur eine Momentaufnahme ist, sehr gut kompensieren und bei Gruppen von Menschen (z.B. Angestellte eines Großbetriebs) oder Teilen der Bevölkerung (z.B. Schulen, Universitäten) ein effizientes Screening auf die Präsenz des SARS-CoV-2 Virus durchführen.“
Ein weiterer Vorteil der Schnelltests: „Antigen-Schnelltests haben noch einen weiteren Vorzug, da ein positiver Test in der Regel auf eine Person hinweist, die das Virus aktiv produziert und somit auch übertragen kann“, meint Markus Ollert. Während man bei PCR-Tests auch oftmals noch positiv ist, wenn die Krankheit bereits überstanden und die Viruslast sehr gering ist, zeigt ein Schnelltest in der Regel in so einem Fall kein positives Resultat mehr an. Antigen-Schnelltests sind also durchaus interessant, um den Unterschied zwischen ansteckenden und nicht ansteckenden Personen zu machen.
Antigen Schnelltests sind aber wie gesagt weniger präzise. „Während die Werte von Antigen-Schnelltests so etwa im Bereich 90% Sensitivität und 99% Spezifizität liegen, liegen diese Werte für PCR-Tests – zumindest bei denen, die in Luxemburg verwendet werden – jeweils zwischen 99% und 100%“, sagt Markus Ollert.
Der Nachteil: Falsch-Positive. Und wie wir damit umgehen werden?
Neben der Möglichkeit von Falsch-Negativen, die tatsächlich problematisch sind, weil sie andere anstecken können, wird es aber auch zu falsch-positiven Resultaten kommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Test, der positiv ist, in Wirklichkeit falsch ist, ist relativ hoch. Bedeutend höher als bei einem PCR-Test. Und deutlich höher bei einer niedrigen Prävalenz.
Ganz praktisch bedeutet dies, dass Menschen oder Schüler „unnötigerweise“ vor Veranstaltungen oder der Schule nach Hause geschickt werden. Oder Menschen „unnötigerweise“ nicht zu ihren Großeltern oder Eltern gehen. Nur wenn wir bereit sind, mit diesen Konsequenzen zu leben, werden wir Schnelltests konstruktiv einsetzen können. Es bleibt abzuwarten, ob die Gesellschaft dies akzeptiert.
Ein Beispiel: Schnelltests vor einer Veranstaltung.
Antigen Schnelltests können potentiell dazu beitragen, dass wieder mehr Veranstaltungen stattfinden. Wie reagieren Menschen, die positiv getestet werden und nach Hause geschickt werden? Welche Haltung wird überwiegen?
Was ist deine Meinung?
Haltung 1 |
Haltung 2 |
Gut zu wissen, es kann also gut sein, dass ich positiv bin, also will ich lieber niemanden anstecken. Falls ich falsch-positiv bin: Nicht schlimm, u.a. wegen der Schnelltests finden ja überhaupt wieder mehr Veranstaltungen statt. Ich freue mich für die anderen. Dumm gelaufen für mich. |
Das ist nicht fair. Vielleicht bin ich gar nicht positiv und aufgrund eines potentiell falsch-positiven Resultates wird mir der Zugang verweigert. Menschen dürfen nicht so viel getestet werden. Das ist ein Eingriff in die Privatsphäre, der nicht zu tolerieren ist. |
Ob Schnelltests wirklich zum erhofften Erfolg führen, wird auch viel von unserer Haltung gegenüber diesen Tests abhängen und ob wir bereit sind, die Unannehmlichkeiten der Falsch-Positiven zu akzeptieren mit Hinblick auf die Vorteile (verhinderte Infektionsketten, mehr Kontrolle über das Virus und mehr Möglichkeiten, sich mit mehr Sicherheit wieder versammeln zu können/Veranstaltungen zu organisieren).
Was tun, wenn ich ein positives Ergebnis im Schnelltest habe?
Sofort nach Hause gehen und Kontakte vermeiden. Dann anfragen, um einen PCR-Test machen zu lassen. Nur wenn der PCR-Test das positive Ergebnis bestätigt, gelten offizielle Isolationsmassnahmen.
Um die Wahrscheinlichkeit von Falsch-Positiven im Einsatz einzuordnen, hier die Werte der letzten Woche in Luxemburg: Von 97 Personen, die in Luxemburg positiv mit Antigen-Schnelltest getestet wurden, war bei 41 Personen auch der PCR-Test positiv. Unter der Voraussetzung dass die PCR-Tests korrekt waren, waren also 42% der positiven Schnelltests korrekt positiv. 48% der positiven Schnelltests waren also falsch positiv.
Ähnliche Werte hatten wir ja auch in unserem fiktiven Beispiel links auf der Graphik. Je höher die Prävalenz, desto weniger Falsch-Positive.
Fazit
Keine aktuelle Schutzmaßnahme wirkt mit 100-prozentiger Sicherheit. Dies ist auch hier der Fall. Es gilt das Prinzip des Schweizer-Käse-Modells: Keine einzige Schutzmaßnahme ist perfekt. Aber jede trägt dazu bei, die Wahrscheinlichkeit für Transmissionen auf Ebene der öffentlichen Gesundheit, zu verringern.
Quelle: https://wilhelm-gym.de/2020/10/27/corona-kaesemodell/
Beim Umgang mit Schutzmaßnahmen hilft es, den Blick von der individuellen Perspektive auf die öffentliche Gesundheit zu lenken. Viele Maßnahmen wirken auf persönlicher Ebene zum Teil unlogisch. Man fragt sich nach dem Sinn der Maßnahme, wenn man sich doch nicht hundertprozentig sicher sein kann. Stil: „Wenn ich mich testen lasse und das Resultat für mich persönlich falsch sein könnte, dann bringt das Ganze ja nichts…“
Es ist korrekt dass es die hundertprozentige Sicherheit nicht gibt. Aber mit Blick auf die öffentliche Gesundheit machen verschiedene Maßnahmen trotzdem Sinn: Es geht um eine Reduktion der Wahrscheinlichkeiten, dass das Virus sich überträgt. Und wenn es auch im Einzelfall immer wieder zu falschen Ergebnissen kommen kann, so werden doch auf Ebene der öffentlichen Gesundheit Infektionen verhindert. Darauf kommt es an, so lange die Pandemie unser öffentliches Leben noch lähmt. Und die Schnelltests sind eben gerade ein Element in der Pandemiebekämpfung, das uns potentiell wieder mehr Freiheiten geben kann.
Markus Ollert zieht folgendes Fazit:
Antigenschnelltests werden eine wichtige Rolle in den kommenden Monaten übernehmen, weil sie uns, bei einem sinnvollen Einsatz, eine Normalisierung von Teilen des öffentlichen Lebens gestatten können. Sie müssen aber richtig eingesetzt werden, was im Wesentlichen ein wiederholtes und nicht nur einmaliges Testen von Menschen bedeutet. Den möglichen Risiken einer falschen Anwendung oder Interpretation der Antigenschnelltests kann man am besten durch gezielte Aufklärung und Information der Bürger entgegenwirken.
Markus Ollert
Eine Einschätzung von Claude Muller zu den Schnelltests findest Du übrigens hier:
Über Prof. Markus Ollert:
Markus Ollert ist Immunologe am Luxembourg Institute of Health und leitet dort seit September 2014 das „Department of Infection and Immunity“. Ollert verfügt über langjährige Expertise auf dem Gebiet der Allergologie, klinischen Immunologie und Dermatologie und wurde im Januar 2015 zudem zum ordentlichen Professor und Fakultätsmitglied am Universitätskrankenhaus Odense der Universität von Süddänemark ernannt.
Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Editoren: Michèle Weber (FNR), Melanie Reuter (FNR), Joseph Rodesch (FNR)
Grafik Editoren: Markus Ollert (LIH), Tom Goedert (Lycée Ermesinde)