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Sollte die Sommerzeit abgeschafft werden? Diese Frage taucht immer wieder auf und beschäftigt Wissenschaftler, die Medien und die Politik. Es gibt viele Argumente für und gegen die Umstellung der Sommerzeit und es wird heftig darüber diskutiert.

In Europa sprachen sich 2008 bei einer öffentlichen Konsultation, bei der 4,6 Millionen Antworten eingingen, 84% der Befragten für eine Abschaffung der Zeitumstellung aus. In der Schweiz war eine Volksinitiative zur Abschaffung der Sommerzeit im Jahr 2020 gescheitert, nachdem sie bereits 1984 gescheitert war. Jedes EU-Land kann selbst entscheiden, welche Zeitzone es nutzen möchte, aber Brüssel betont, wie wichtig es ist, sich zu koordinieren, insbesondere zwischen Nachbarstaaten.

Gesetzliche, soziale, biologische und Sonnenzeiten

In der Diskussion um die Zeitumstellung geht es um verschiedene Konzepte:

  • Die gesetzliche Zeit, die durch die Zeitzone definiert wird,
  • Die soziale Zeit, die den üblichen Uhrzeiten entspricht (wie Arbeits- oder Ladenöffnungszeiten),
  • Die biologische Zeit, die von unserer inneren oder zirkadianen Uhr bestimmt wird,
  • Sonnenzeit, die sich auf den Lauf der Sonne am Himmel bezieht.

Unser Biorhythmus ist stark an das Umgebungslicht und den Lauf der Sonne gebunden. Die physiologischen Prozesse in unserem Körper, wie z. B. Wachheit oder Hunger, beginnen ihren Tag in der Regel mit dem Sonnenaufgang. Aus diesem Grund plädieren Schlafforscher und Chronobiologen dafür, die gesetzliche Uhrzeit so nah wie möglich an unseren natürlichen zirkadianen Zyklus und damit an die Sonnenzeit anzupassen. Ideal wäre es, wenn die Sonne ihren Höchststand zwischen 11:30 und 12:30 Uhr erreicht. Unser Schlaf würde von kürzeren Abenden im Sommer und einem früheren Morgengrauen im Winter profitieren.

Es ist jedoch zu beachten, dass die Zuordnung von Mittag zum Zenit eine Konvention bleibt, die auf der Vorstellung beruht, dass die Tageszeit um die Mittagszeit in zwei gleiche Teile geteilt werden sollte. In der Praxis entspricht sie nur schlecht dem gesellschaftlichen Rhythmus, der sich in Richtung Abend verschiebt. So wird eher von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 18 Uhr gearbeitet als von 7 bis 11 Uhr und von 13 bis 17 Uhr.

In Europa gibt es jedoch besonders starke Verschiebungen zwischen den gesetzlichen und sozialen Zeiten auf der einen Seite und den Sonnen- und biologischen Zeiten auf der anderen Seite. Der Grund dafür ist historisch bedingt: Während des Zweiten Weltkriegs wurde in allen besetzten Ländern die Berliner Zeit eingeführt und es gab nur eine Zeitzone von Spanien bis Polen.

Konkrete Fälle

Betrachten wir zunächst den Fall Luxemburg. Mit der Zeitumstellung haben wir folgende Situation:

 

Sonnenaufgang

Zenith

Sonnenuntergang

21. Juni

5h28

13h37

21h46

21. Dezember 

8h30

12h33

16h38

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Zeitumstellung aufzugeben. Mit der Winterzeit das ganze Jahr über :

 

Sonnenaufgang

Zenit

Sonnenuntergang

21. Juni

4h28

12h37

20h46

21. Dezember 

8h30

12h33

16h38

In diesem Fall würde die Sonne im Sommer sehr früh, vor fünf Uhr, aufgehen und die Abende wären kürzer (die Sonne würde am 31. August bereits um 19.20 Uhr untergehen!). Sind wir bereit, auf unsere langen Sommerabende zu verzichten (und so früh aufzustehen)?

Mit der Sommerzeit das ganze Jahr über :

 

Sonnenaufgang

Zenit

Sonnenuntergang

21. Juni

5h28

13h37

21h46

21. Dezember

9h30

13h33

17h38

In diesem Fall würde die Sonne im Winter sehr spät, um mehr als neun Uhr, aufgehen, was den Menschen Schwierigkeiten bereiten könnte, in den Tag zu starten. Würden wir diese Situation der derzeit geltenden Zeitumstellung vorziehen?

Wenn man berücksichtigt, dass die Zeitzonen zwischen den europäischen Ländern koordiniert werden müssen, wird die Situation komplizierter. Tatsächlich unterscheiden sich die Zeiten für Sonnenaufgang und Sonnenuntergang je nach Geografie erheblich. In östlich gelegenen Städten geht die Sonne früher auf und unter als in westlich gelegenen Städten. (Unterschiede gibt es auch zwischen Nord und Süd.) Beispielsweise findet der Sonnenaufgang in Warschau (Polen) etwa zwei Stunden früher statt als in Brest (Frankreich).

Aktuelle Situation im Sommer mit der Sommerzeit:

 

Sonnenaufgang 

Sonnenuntergang

Warschau, 21. Juni 

4h14

21h01

Brest, 21. Juni

6h16

22h23

Situation mit einer Winterzeit über das ganze Jahr:

 

Sonnenaufgangl

Sonnenuntergang

Warschau, 21. Juni 

3h14

20h01

Brest, 21. Juni

5h16

21h23

Die Beibehaltung der Winterzeit im Sommer hätte demnach in Warschau - mit einem Sonnenaufgang bereits um 3:14 Uhr und einem Sonnenuntergang um 20:01 Uhr am 21. Juni und um 18:24 Uhr am 31. August - weitaus größere Auswirkungen als in Brest.

Fun Fact: Trotz seiner Größe hat China nur eine einzige Zeitzone. So geht die Sonne in Dandong, das an der Grenze zu Nordkorea liegt, drei Stunden früher auf als in Kashgar, das an Tadschikistan und Afghanistan angrenzt. Um von China aus nach Kaschgar zu gelangen, muss die Uhr um dreieinhalb Stunden zurückgestellt werden - das ist der Rekord zwischen Ländern mit einer gemeinsamen Landgrenze. Der größte Zeitzonenunterschied zwischen zwei Inseln findet sich in der Beringstraße: Zwischen der zu Russland gehörenden Großen Diomede und der zu den USA gehörenden Kleinen Diomede, die nur drei Kilometer voneinander entfernt liegen, beträgt der Zeitunterschied 21 Stunden.

Warum haben die Staaten die Zeitumstellung eingeführt?

Die Zeitumstellung ermöglicht es, das gesellschaftliche Leben an den Sonnenaufgang und -untergang anzupassen. Sie vermeidet die Nachteile, die die Winterzeit im Sommer mit sich bringen würde, wenn man im Sommer extrem früh aufstehen muss (vor 5 Uhr) und dadurch Tageszeit verschwendet, oder die Nachteile der Sommerzeit im Winter, wenn man extrem spät aufstehen muss (nach 9 Uhr) und dadurch das Licht länger brennen lassen muss.

Die Einführung der Zeitumstellung im 19. Jahrhundert sollte Energie sparen, die Sicherheit auf den Straßen und Wegen erhöhen, Aktivitäten im Freien fördern und den Tourismus begünstigen. Andererseits könnte sich die Zeitumstellung negativ auf die Gesundheit auswirken. Was sagt die Wissenschaft dazu?

Kann man durch die Zeitumstellung Energie sparen?

Der erste Punkt ist einer der wichtigsten: Historisch gesehen sollte mit der Einführung der Sommerzeit Energie eingespart werden, insbesondere für Licht und Heizung. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zu diesem Thema gehen auseinander. Einige berichten von einer geringen Energieeinsparung von bis zu einem Prozent des Jahresverbrauchs, andere von keinem Effekt und wieder andere berichten von einem gegenteiligen Effekt mit einem erhöhten Verbrauch. Systematische Übersichtsarbeiten, die alle veröffentlichten Artikel zusammenfassen, kommen zu dem Schluss, dass eine positive Wirkung nicht nachgewiesen werden kann, oder schätzen die Wirkung auf den jährlichen Stromverbrauch auf eine bescheidene durchschnittliche Senkung von 0,2 % (0,34 % während der Sommerzeit).

Also: Ja, die Zeitumstellung führt höchstwahrscheinlich zu Energieeinsparungen, aber nur in sehr geringem Umfang.

Fördert die Zeitumstellung die Verkehrssicherheit?

Es wird häufig argumentiert, dass die Sommerzeit die Verkehrssicherheit fördert. Die Verringerung der abendlichen Dunkelfahrten und die damit verbundene Verringerung der Unfallzahlen soll die Zunahme der morgendlichen Dunkelfahrten mehr als ausgleichen. Systematische Übersichtsarbeiten unterstützen die Plausibilität eines positiven Gesamteffekts, konnten diesen jedoch bislang nicht eindeutig belegen.

Gibt es weitere Vorteile?

Die Zeitumstellung könnte auch dazu beitragen, die Zahl der Verbrechen zu senken, die von der Dunkelheit profitieren. Ein Studie aus den USA geht von einem Rückgang um 7 % aus.

Hat die Zeitumstellung negative Auswirkungen auf die Gesundheit?

Die Zeitumstellung hat unmittelbare Auswirkungen auf den Schlafzyklus. Dies kann vor allem bei der Zeitumstellung im Frühjahr unangenehm sein. Manche Menschen brauchen daher mehrere Wochen, um sich anzupassen. Es wird vermutet, dass sich die Zeitumstellung negativ auf das Herz auswirkt. In einer Metastudie wurde festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit, einen Herzinfarkt zu erleiden, bei der Zeitumstellung im März relativ gering (5 %) anstieg, während im Oktober keine signifikante Veränderung festgestellt wurde. Studien  berichten über negative Auswirkungen auf den Wachzustand oder Risiken für die psychische Gesundheit, ohne jedoch einen Konsens herstellen zu können.

Wie sieht die Bilanz aus?

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der aktuelle Wissensstand keine Hinweise darauf liefert, dass eine Änderung der Sommerzeit erhebliche positive oder negative Auswirkungen auf Energie, Wirtschaft oder Gesundheit mit sich bringt. Dies geht aus einem Bericht des Büros für Technikfolgen-Abschätzung Büros beim Deutschen Bundestag aus dem Jahr 2016 hervor.

Es sind also politische und soziale Erwägungen, die den Ausschlag geben könnten.

Welche Alternativen gibt es?

Die Abschaffung der Zeitumstellung erfordert, dass man das ganze Jahr über eine einzige Zeit beibehält, was nicht ohne Nachteile ist.

Die Barcelona Declaration schlägt vor, in Europa wieder ganzjährig konstante Zeitzonen festzulegen, die sich jedoch stärker an der Sonnenzeit orientieren, indem eine Zeitzone zwischen Spanien und Polen hinzugefügt wird. Konkret würden die Staaten ihre derzeitige Winterzeit das ganze Jahr über beibehalten, mit Ausnahme der Niederlande, Belgiens, Frankreichs, Luxemburgs, Spaniens und Griechenlands. Spanien, Frankreich und die Benelux-Länder würden sie um eine Stunde zurückstellen (also eine Veränderung von zwei Stunden im Sommer im Vergleich zu heute). Damit würde Europa von drei auf vier Zeitzonen umgestellt.Für Luxemburg würde das bedeuten, dass wir jedes Mal die Zeit umstellen müssten, wenn Luxemburger Einwohner in Trier einkaufen gehen. 

Dieses System würde zu einem Unterschied von einer Stunde zwischen Mitteleuropa (von Italien über Dänemark, die Schweiz und Deutschland bis hin zu Dänemark) und Westeuropa (von Spanien über Frankreich und Luxemburg bis hin zu den Niederlanden) führen. Er würde in einigen Ländern eine starke Verschiebung zwischen der gesetzlichen und der sozialen Zeit erzeugen, vor allem am Morgen. In Luxemburg würde die Sonne am 15. Juni um 3.30 Uhr morgens aufgehen. Wir müssten dann entweder etwa vier Stunden warten, bevor wir arbeiten oder mit der Schule beginnen, oder die Zeiten für unsere sozialen Aktivitäten an die Jahreszeiten anpassen und beispielsweise die Geschäfte im Sommer bereits um 7 Uhr öffnen. Das wäre in gewisser Weise die Wiedereinführung der Zeitumstellung!
Also: Zeitumstellung abschaffen? Oder doch lieber so belassen wie es gerade ist?

Autoren: Daniel Saraga, Jean-Paul Bertemes
Editor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Dieser Text wurde aus einem Artikel in Europastar übernommen (https://www.europastar.com/current/ES-GL_377_2024_001-006_0001/index.html#p=50)

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