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„Ziel mir keng!" kommt nach dem „Wëssensmagazin Pisa", das am Sonntagabend auf RTL Tëlee ausgestrahlt wird. Sie können die Folgen auch auf RTL Play und auf dem YouTube-Kanal science.lu ansehen.

Wasserstoff ist ganz schön gefährlich! Und für die Produktion von Wasserstoff wird ziemlich viel Energie benötigt. Und dennoch soll Wasserstoff bei der „Energiewende” und im Rahmen der Dekarbonisierung so wichtig sein.

Wieso ist (grüner) Wasserstoff überhaupt interessant?

Wir möchten in der EU bis 2050 klimaneutral sein. Das bedeutet, dass wir bis dahin nahezu keine fossilen Brennstoffe wie Erdgas, Erdöl und Kohle mehr verbrennen können – und demnach Alternativen brauchen. 

Wasserstoff ist eine Alternative! Er kann nämlich vielfältig eingesetzt werden:  

  • als Rohstoff in der Industrie  
  • aber auch als Brennstoff und/oder als Energiespeicher 

Und, sehr wichtig: Er kann klimafreundlich produziert werden. Vielleicht erinnert ihr euch noch an die Reaktion aus dem Schulunterricht:  Mittels Elektrolyse wird Wasser anhand von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten.

Und wenn man hier erneuerbaren Strom einsetzt, entsteht bei der Produktion kaum CO2! Hier spricht man dann von grünem Wasserstoff!   

Wenn wir die aus dem Wasserstoff gewonnene Energie nachher nutzen wollen, können wir ihn entweder verbrennen oder mithilfe von Brennstoffzellen Strom daraus machen – also sozusagen die umgedrehte Reaktion wie bei der Elektrolyse. Und dabei entsteht als Abfallprodukt jeweils: Wasser! D. h. auch bei der Verbrennung bzw. Nutzung ist der grüne Wasserstoff sauber: kein CO2, nur Wasser.  

Klingt doch alles super! Werden wir dann in Zukunft mit Wasserstoffautos umherfahren? Mit Wasserstoffflugzeugen fliegen? Mit Wasserstoff heizen, Strom speichern? ...  

Für diesen Artikel wurden wir u. a. beraten von Nicolas Boscher, Forscher im Bereich Hydrogen, und Thomas Gibon, Forscher im Bereich Life Cycle Assessment, beide am LIST (Luxembourg Institute of Science and Technology) tätig.

Nicolas Boscher leitet eine Forschungsgruppe am LIST, wo er seit 2008 tätig ist. Zuvor arbeitete er am University College London (2004-2007) und am Massachusetts Institute of Technology (2014-2015). Seine Forschungsschwerpunkte, die durch eine EFR-Finanzhilfe und ein FNR-PRIDE-Projekt gefördert werden, liegen in der Materialtechnik für die (photo)elektrokatalytische Umwandlung einfacher niederenergetischer Moleküle (H2O, CO2) in Kraftstoffe und Chemikalien.

Thomas Gibon ist seit 2016 Forscher am Luxembourg Institute of Science and Technology (LIST). Er ist Ingenieur der École Centrale Paris (2008) und besitzt ebenfalls einen Doktortitel der Norwegian University of Science and Technology (2017). Seine Forschungsaktivitäten befassen sich hauptsächlich mit der Bewertung von Umweltauswirkungen, besonders in Bezug auf Energiesysteme, Mobilität, Gebäude und Finanzprodukte. Neben seinen Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften hat er insbesondere zum fünften Sachstandsbericht des IPCC (2014) sowie zu anderen Berichten unter der Leitung der Vereinten Nationen beigetragen, darunter z. B. „Green Energy Choices“ (UNEP, 2015), „Green Technology Choices“ (UNEP, 2016) oder die neueste vergleichende Lebenszyklusanalyse der Stromerzeugung (UNECE, 2021). Thomas ist auch an Wissensvermittlung zu den Themen CO2-Fußabdruck und Dekarbonisierung für die breite Öffentlichkeit und Studenten beteiligt.

Wasserstoff hat leider auch Nachteile. 

Wasserstoff ist keine Energiequelle wie Erdgas, Öl oder Wind, die wir einfach so anzapfen können – sondern nur ein Energiespeicher, leider sogar ein ziemlich ineffizienter: Er muss mit viel Energieaufwand erst einmal produziert werden. (Ja, es gibt aktuell Versuche, unterirdische Wasserstoffquellen anzuzapfen, es ist aber noch ungewiss, ob dies klappen wird.) Anschließend muss der Wasserstoff in Tanks auf ca. 700 bar komprimiert und/oder stark herabgekühlt werden. Und um wieder an die Energie heranzukommen, muss er erneut umgewandelt werden. Dabei entstehen jedes Mal Energieverluste. 

Es ist immer effizienter, erneuerbaren Strom direkt einzusetzen! Ein Beispiel hierfür ist die Wärmepumpe, die Strom auf direktem Weg zum Heizen nutzt. Bei der Verwendung von Wasserstoff als Brennstoff werden im Vergleich ganze 80 % des ursprünglichen Stroms verschwendet.  

Zwischenfazit 1:  Grüner Wasserstoff mag zwar ein klimafreundlicher Energiespeicher sein, es ist dennoch effizienter, erneuerbaren Strom direkt einzusetzen. 

Wasserstoff als Energiespeicher: in Konkurrenz zur Batterie

Nicht immer kann man Strom direkt einsetzen. Wir brauchen also Energiespeicher. Und hier steht der Wasserstoff in Konkurrenz zur Batterie.  Sollen wir also zum Beispiel zuhause den überschüssigen Strom aus der Fotovoltaik in Form von Wasserstoff speichern? Nein! Die Batterie ist nämlich viel effizienter.  

Auch wenn wir das Elektroauto mit dem Wasserstoffauto vergleichen, sehen wir, dass das Wasserstoffauto 2-3 Mal mehr Strom verbraucht als das Elektroauto.    

Vergleich Elektroauto vs Wasserstoffauto

Im Falle des Elektroautos gelangt der Strom über das Ladegerät in die Batterie und von dort aus wird der Motor angetrieben. Bei all diesen Schritten geht nur relativ wenig Energie verloren.  

In Zahlen: Um 1 MJ Energie auf die Reifen zu bringen, benötigt man am Anfang 1,53 MJ. Es geht demnach ca. ein Drittel der Energie verloren.  

Beim Wasserstoffauto gibt es zwei Varianten. Entweder wird der Wasserstoff im Auto verbrannt. Dann ähnelt die Funktionsweise der eines klassischen Verbrennungsmotors.  

Oder der Wasserstoff wird mit Brennstoffzellen in Strom umgewandelt. Dann funktioniert das Wasserstoffauto ähnlich wie ein Elektroauto. Und ist dabei effizienter. Vergleichen wir also diesen Typ mit dem Elektroauto. 

Hier sind weitaus mehr Schritte erforderlich. Als Erstes kommt der erneuerbare Strom zunächst einmal in einen Elektrolyseur, wo der Wasserstoff produziert wird. Hierbei gehen bereits 25-30 % der initialen Energie verloren. Dann muss der Wasserstoff bis zur Tankstelle transportiert, getankt und im Auto gespeichert werden – auch damit sind jeweils gewisse Energieverluste verbunden. Und dann wird der Wasserstoff mithilfe der Brennstoffzelle wieder in Strom verwandelt. Mit einem Energieverlust von beinah 50 %. Ab hier ist dann das Prinzip das gleiche wie beim Elektroauto.  

Durch den Umweg über den Wasserstoff hat man allerdings 4,5 MJ verbraucht, um 1 MJ auf die Straße zu bringen. Hier gehen demnach fast 80 % der ursprünglichen Energie verloren. Das Elektroauto ist also bei Weitem effizienter! 

Außerdem verbessert sich die Infrastruktur für Elektroautos zunehmend, die Batterien werden effizienter und billiger und es entwickelt sich ein Recycling-Markt ...  

Die meisten Experten sind sich daher einig: Das Wasserstoffauto hat derzeit keine Priorität.   

Ist Wasserstoff denn überhaupt in irgendeiner Weise nützlich? 

Ja! Auch Batterien haben nämlich Nachteile: Sie können Energie nicht so lange speichern wie Wasserstoff. Wasserstoff hat demnach Potenzial als saisonaler Energiespeicher für größere Energiemengen.  

Batterien haben außerdem eine geringere Energiedichte als Wasserstoff: Sie brauchen viel mehr Platz. Für größere Fahrzeuge und lange Distanzen würde man demnach riesige und schwere Batterien benötigen. Aus diesem Grund hat Wasserstoff Potenzial, z. B. bei großen Frachtschiffen, möglicherweise auch bei LKWs oder Bussen. 

Hier kommen potenziell auch e-Fuels ins Spiel, dazu später mehr ... 

Zwischenfazit 2: Im Vergleich zur Batterie ist Wasserstoff bei vielen Anwendungen weniger effizient. Es gibt aber Fälle, in denen er Vorteile bietet.  

In Zukunft Wasserstoffflugzeuge?

Und wie steht es mit den Flugzeugen? Hier wird der Einsatz von Wasserstoff als riskant angesehen.  Eine Alternative wären e-Fuels. Hier mischt man dem Wasserstoff noch CO2 bei und formt daraus größere Moleküle. Mit dieser Flüssigkeit können anschließend Flugzeuge betankt werden. Aber, und jetzt haltet euch fest: Wenn wir die aktuelle europäische Flugzeugflotte klimaneutral machen wollten, bräuchten wir in Zukunft jedes Jahr ca. 1,3 Mal den gesamten Strom, der 2020 in der EU produziert wurde – allein für den Luftverkehr.  

Ja, eine Herkules-Aufgabe! Wir haben gar nicht genügend alternative Energien, um diesen ganzen Wasserstoff zu produzieren! Daher sind sich die Experten einig:  

Zwischenfazit 3: Wir müssen Prioritäten setzen!  

Womit fangen wir an?

Wo macht Wasserstoff aktuell am meisten Sinn? 

Auch hier sind sich die Experten größtenteils einig: Priorität hat der Wirtschaftszweig, der bereits heute am meisten Wasserstoff verbraucht: die Industrie! 

Weltweit werden aktuell pro Jahr 100 Millionen Tonnen Wasserstoff eingesetzt, z. B.  

  • in der Stahlindustrie 
  • als Rohstoff zur Herstellung von Dünger  
  • oder als Brennstoff, um hohe Temperaturen zu erreichen

Das Problem: Aktuell wird fast kein grüner Wasserstoff eingesetzt, sondern zu satten 99 % Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen, hauptsächlich aus Erdgas. Das ist der sogenannte graue Wasserstoff. Allein in Europa ist dieser graue Wasserstoff aus der Industrie verantwortlich für 70 bis 100 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr. In Luxemburg für mehr als 5 000 Tonnen CO2 pro Jahr.  

Dieser graue Industrie-Wasserstoff soll also schnellstmöglich durch grünen Wasserstoff ersetzt werden. So könnten wir schon enorm viel CO2 einsparen.  

Dennoch, eine riesige Herausforderung! Grüner Wasserstoff ist derzeit ca. 3 Mal teurer als grauer. Es mangelt noch an der nötigen Infrastruktur. Und wir brauchen viel mehr erneuerbaren Strom. Nämlich das Äquivalent der gesamten jährlichen Stromproduktion in Frankreich.  

Außerdem sollen industrielle Prozesse, sofern möglich, so umgewandelt werden, dass man fossile Chemikalien durch Wasserstoff ersetzen kann. Dies würde zusätzliches CO2 einsparen. 

Möglich ist das z. B. in der Stahlproduktion, wo man anstelle von Koks auch Wasserstoff als Reduktionsmittel einsetzen kann.  

Schlussfazit 

Wenn wir auf Öl, Gas und Kohle verzichten möchten, brauchen wir Wasserstoff! So richtig in die Gänge gekommen ist das aber bislang noch nicht, weil damit riesige Herausforderungen verbunden sind.  

Bevor grüner Wasserstoff in riesigen Mengen eingesetzt werden kann, gilt es zunächst, eine Wasserstoffinfrastruktur aufzubauen und viel mehr erneuerbaren Strom zu produzieren. Dazu sind riesige Investitionen nötig – und Zeit. Eine große Herausforderung! In der Zwischenzeit müssen wir Prioritäten setzen!   

Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Co-Autorin: Michèle Weber (FNR)
Beratung: Nicolas Boscher, Thomas Gibon (LIST)
Video: SKIN
Übersetzung : Nadia Taouil (t9n.lu)

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