Claude Ewert

Claude Ewert ist Doktorand an der Universität Cambridge im Vereinigten Königreich.

Jetzt, da der Krieg in der Ukraine tobt, ist das Thema, über das der Doktorand Claude Ewert in den letzten drei Jahren geforscht hat, vielleicht aktueller denn je: die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Sowjetunion.

Der Historiker sammelt wertvolle Informationen über die frühe Außenpolitik der EG und die Hindernisse, die es zu überwinden galt, damit die Gemeinschaft mit einer Stimme sprechen konnte.

Als ich mein BA-Studium in Geschichte begann, war der Ukraine-Konflikt gerade ausgebrochen und wurde im Unterricht besprochen. Ich fragte mich, wie die Beziehungen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Sowjetunion wohl ausgesehen haben müssen. Aber zu meiner Überraschung gab es so gut wie keine Literatur zu diesem Thema. Die unglücklichen Ereignisse der letzten Monate haben das Thema mehr denn je in den Vordergrund gerückt.

Claude Ewert, Historiker

Nur wenige Zeitschriftenartikel wurden zum Thema der Beziehungen zwischen der EG und der UdSSR veröffentlicht – sie zeigen, dass die Situation in Westeuropa nicht der Meistererzählung des Kalten Krieges von Ost gegen West entsprach.

Was Claude bereits erforscht hat

„Historiker auf diesem Gebiet hatten gezeigt, dass es Kommunikationskanäle für den Handel zwischen der EG und der UdSSR gegeben hatte, obwohl letztere die ersteren nicht offiziell anerkannt hatte. Dies sollte erst in der Ära Gorbatschow geschehen. Wenn Verhandlungen nicht offiziell abgewickelt werden konnten, geschah dies über Hintertürchen; Beamte der EG und der UdSSR trafen sich zum Mittagessen in Brüsseler Restaurants, wo mögliche neue Im- und Exporte besprochen wurden“, erklärt Claude.

Claudes mehrsprachiger Hintergrund ist eine große Hilfe bei seinen Recherchen, denn die 100.000 Seiten, die er studiert – verteilt auf 300 Dokumente – sind nur mit guten Englisch-, Deutsch- und Französischkenntnissen zu verstehen.

Die genaue Lektüre des Archivmaterials hat viele Aspekte und Details zutage gefördert, die ein konkretes Bild der Beziehungen zwischen der EG und der UdSSR zeichnen und das angestrebte transnationale Bild der EG auf die Probe stellen, erläutert Claude:

„Wir können sehen, wie die Souveränität der EG-Mitgliedstaaten die Entscheidungsfindung in Bezug auf die Sowjetunion beeinflusste. Das Argument, Frankreich sei die einzige treibende Kraft bei den Verhandlungen zwischen der EG und der UdSSR in den 1960er-Jahren gewesen, wurde bereits widerlegt.

Die subventionierten Butterverkäufe an die UdSSR (die die ‚Butterberge‘ in Westeuropa verringern sollten) erwiesen sich als Lackmustest für den Zusammenhalt innerhalb der EG. Die sowjetische Invasion in Afghanistan und die Verhängung des Kriegsrechts in Polen brachten die EG plötzlich auf die Bühne der Weltpolitik, wenn auch mit wenig Vorerfahrung und daher mit sehr zögerlichen ersten Reaktionen.“

Die fertige Dissertation wird wertvolle Informationen über die frühe Außenpolitik der EG und die Hindernisse, die es zu überwinden galt, damit die Gemeinschaft mit einer Stimme sprechen konnte, liefern. Claudes Forschung zeigt auch, wie mühsam dieser Fortschritt war, denn selbst als die EG nur aus sechs Mitgliedern bestand, gab es sehr unterschiedliche Ansichten darüber, wie man mit der UdSSR umgehen sollte.

Über seine Forschung angesichts der aktuellen Situation

Wie ist es für Sie als Historiker, über ein Thema zu forschen, das jetzt eine „sich schnell entwickelnde Geschichte“ ist?

„Es ist verwirrend, aber das ist vielleicht nur meine Reaktion als menschliches Wesen. Als Historiker kann es nicht beeinflussen, was ich tue. Zu viele Geschichten werden teleologisch geschrieben, mit einem Ende in Sicht, und das ist etwas, das ich um jeden Preis vermeiden möchte. Dieser Tage werden mir viele Fragen gestellt, aber ich kann mich nicht darauf verlassen, dass das, was vor dreißig oder mehr Jahren passiert ist, eine Erklärung dafür liefert.“

Hat die Reaktion der EU auf die Invasion die Art und Weise verändert, wie Sie Ihre Forschung angehen, oder konzentriert sich Ihre Doktorarbeit mehr auf einen bestimmten Zeitraum?

„Nein, das hat meine Forschung überhaupt nicht verändert. Wenn ich in meine Archive eintauche, befinde ich mich in den 1980er-Jahren (derzeit) und neige dazu, zu vergessen, was um mich herum vor sich geht. Was ich allerdings außerhalb meiner Doktorarbeit tue, ist, die Reaktionen des Westens von heute mit denen von vor 40 Jahren zu vergleichen, und dabei stelle ich große Unterschiede fest. Die Geschwindigkeit, mit der die EU Sanktionen verhängt hat, sowie deren Reichweite waren beispiellos. Ausgehend von früheren EG/EU-Sanktionen, die wegen des sowjetischen/russischen Militarismus verhängt wurden, hätte man dies nie kommen sehen. Dies ist eine deutliche Erinnerung daran, dass wir die Vergangenheit nicht als Erklärung für die Gegenwart heranziehen sollten.“

Hat das, was derzeit geschieht, einen direkten Einfluss auf Ihre Forschung?

„Nein. Glücklicherweise kann ich mit Online-Dokumenten arbeiten, und die Archive der EU wachsen digital weiter. Ich habe allerdings von Forscher*innen aus Cambridge gehört, die in der Ukraine festsitzen, was sehr beunruhigend sein muss. Die einzige direkte Auswirkung, die es auf mich hatte, war, dass ich mich für eine Konferenz in St. Petersburg bewerben wollte, aber nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine habe ich es mir natürlich anders überlegt.“

Mehr über Claude Ewert

Über sich selbst als Wissenschaftler/Forscher

„Auf meinen Profilen in den sozialen Medien nenne ich mich gerne ‚PhDude‘. Ich sehe mich nicht wirklich als Wissenschaftler oder Forscher. Ich lese viel am Laptop, mache mir Notizen und fasse das erworbene Wissen schließlich in einem Kapitel von etwa 30 Seiten zusammen. Das ist nichts Außergewöhnliches, auch wenn es in Cambridge stattfindet, das ich wegen seiner akademischen Exzellenz gewählt habe, nicht wegen der Harry-Potter-Vibes.“

Über seine Forschung, in einem Satz

„Lesen von bürokratischem Englisch, das von einem französischen Muttersprachler geschrieben wurde, und umgekehrt.“

Darüber, was er an Forschung mag

„Ich finde es toll, etwas tun zu dürfen, das mir Spaß macht. Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass ich Forschung ‚liebe‘, denn ich möchte ein gesundes Verhältnis zu meiner Arbeit haben (abends und am Wochenende ist der Forschungsmodus aus). Dennoch ist es ein großes Privileg, etwas tun zu können, das man mag. Was ich an meiner Promotion liebe, sind die Lehrmöglichkeiten.“

Darüber, wo er sich in fünf Jahren sieht

„Ich hoffe, dass ich irgendwo an einer Universität unterrichten werde. Meine künftige Karriere wird wahrscheinlich mehr auf Lehre als auf Forschung ausgerichtet sein. Bei der Promotion ging es mir immer darum, an einer Hochschule lehren zu können. Die Forschung ist also eher Mittel zum Zweck. Dass ich einen mehr oder weniger vollständigen Überblick über den Umgang der EG mit der UdSSR geben kann, ist ein angenehmer Nebeneffekt.“

Über Mentor mit Einfluss

„Meine früheren BA- und MA-Betreuer Thierry Grosbois bzw. Spero Paravantis. Aber auch meine Dozentinnen Andrea Binsfeld und Sonja Kmec von der Universität Luxemburg. Mein Betreuer in Cambridge, Mark B. Smith, ist fabelhaft, und die allgemeine Unterstützung, die man hier von Akademiker*innen von Weltrang erhält, ist inspirierend.“

Über bisher erreichte Meilensteine

„Ich habe meine Arbeit auf mehreren Konferenzen vorgestellt, unter anderem an der Yale University, wo ich später mit dem Preis für das beste Papier des Panels ausgezeichnet wurde. In diesem Jahr werde ich auf der gleichen Konferenz ein eigenes Panel leiten. Das dritte Kapitel meiner Dissertation steht kurz vor der Fertigstellung. Die Verleihung des AFR-Stipendiums war ebenfalls ein Meilenstein.“

Autor: Emily Iversen (FNR)
Übersetzung: Nadia Taouil (t9n)

 

Dieser Artikel ist Teil der "Spotlight on young researchers"-Serie vom Fonds National de la Recherche (FNR).
https://www.fnr.lu/spotlight-on-young-researchers/

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