AdobeStock

Gerade steigt wieder die Zahl der Corona-Fälle. Viele Menschen fragen sich, ob sie sich nochmals impfen lassen sollten. Und falls ja, mit welchem Impfstoff? Im Interview erzählt uns Prof. Claude Muller, wie wirksam die neuen Corona-Impfstoffe sind, wer sich eine vierte Impfung bzw. einen zweiten Booster holen sollte und was uns wohl im Winter bevorstehen mag. Prof. Dr. Claude Muller ist Virologe, arbeitet am Luxembourg Institute of Health und forscht seit vielen Jahren zur Immunisierung gegen verschiedenste Infektionskrankheiten auf der ganzen Welt.

Für ganz Eilige gibt es hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse aus unserem Gespräch mit Claude Muller:

  • Die Impfung gegen das Coronavirus bietet einen guten Schutz gegen schwere Krankheitsverläufe. Dieser Schutz lässt mit der Zeit nach. Eine Boosterimpfung stellt diesen Schutz wieder her.
  • Ein zweiter Booster ist vor allem für jene sinnvoll, die ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, etwa auf Grund von Vorerkrankungen oder Alter.
  • Die Erkrankung kann als eine Impfdosis gelten. Wer zu einer Risikogruppe gehört, sollte sich entsprechend der Empfehlungen trotzdem im Intervall impfen lassen.
  • Für alle die sich boostern lassen wollen: auf jeden Fall mit dem angepassten Impfstoff, sofern dieser verfügbar ist. (In Luxemburg ist das der Fall.)
  • Aus immunologischer Sicht kann man davon ausgehen, dass der Schutz nach jedem Booster oder Kontakt mit dem Virus immer länger anhält.
 
Portrait Claude Muller

Foto: Claude Muller

Herr Muller, wie gut funktionieren die an Omikron angepassten Impfstoffe im Vergleich zu den der ersten Generation gegen das ursprüngliche Virus?

Die klinischen Studien mit dem angepassten Biontech/Pfizer-Impfstoff Comirnaty Original/Omicron BA.1 haben gezeigt, dass dieser gegen BA.1 genauso wirksam ist, wie der ursprüngliche Impfstoff gegen die Wuhan Variante. Schauen wir nur auf die BA.1 Variante, dann ist der angepasste Impfstoff hier wirksamer ist als der  Impfstoff der ersten Generation gegen das ursprüngliche Virus.

Die Nebenwirkungen sind ähnlich denen des ursprünglichen Impfstoffes, soweit man dies bereits sagen kann. Auch der adaptierte COVID-19-Impfstoff Comirnaty Original/Omicron BA.4-5 ist nun seit dem 12. September 2022 EU-weit zugelassen. Auf Grundlage der bislang verfügbaren (nicht klinischen) Daten kann davon ausgegangen werden, dass Comirnaty Original/Omicron BA.4-5 wirksamer als das ursprüngliche Comirnaty gegen die Untervarianten BA.4 und BA.5 ist.

Infobox

Das sagen die Studien

BioNTech und Pfizer haben am 25. Juni 2022 die Ergebnisse ihrer Studie zu den an die Omikron-Variante angepassten Impfstoffen herausgegeben. Dabei wurden zwei Impfstoffe getestet. Der eine war ein monovalenter Impfstoff, also nur gegen Omikron BA.1 gerichtet. Der andere war ein bivalenter Impfstoff, der sowohl gegen Omikron BA.1 als auch gegen den ursprünglichen Wuhan-Type gerichtet ist. Für beide Impfstoffe wurden Dosen von 30 Mikrogramm und 60 Mikrogramm als zweite Boosterimpfung – also als insgesamt vierte Impfdosis – getestet.

Insgesamt nahmen 1.234 Probanden ab 56 Jahren an der Studie teil. Getestet wurden einerseits die Sicherheit und Verträglichkeit der beiden angepassten Impfstoffe und andererseits ihre Fähigkeit, den Körper zur Produktion neutralisierender Antikörper gegen die BA.1 Variante zu veranlassen. Kontrolliert wurde die mit der Gabe des herkömmlichen Impfstoffes von BioNTech / Pfizer als zweiten Booster.

Das Ergebnis: Beide Impfstoffe ließen die neutralisierenden Antikörper gegen die BA.1 Variante in die Höhe schnellen. Der monovalente lag um den Faktor 13,5 beziehungsweise 19,6 (für 30 beziehungsweise 60 Mikrogramm) über dem ursprünglichen Impfstoff; der bivalente um den Faktor 9,1 beziehungsweise 10,9 (wieder für eine Dosis von 30 beziehungsweise 60 Mikrogramm). Die Verträglichkeit war dabei gut. Auch gegen die Varianten BA.4 und BA.5 zeigten die beiden angepassten Präparate Wirkung, wenn auch um den Faktor 3 schwächer als gegen die BA.1 Variante.

Für den an BA.4 und BA.5 angepassten Imfpstoff von BioNTech/Pfizer, der von der Europäischen Kommission am 12. September 2022 für die Zulassung empfohlen wurde, gibt es noch keine abschliessenden Daten aus klinischen Studien oder Feldstudien. Laut EMA gibt es aber unterstützende Beweise aus nicht-klinischen Laborstudien, dass der angepasste Impfstoff eine angemessene Immunität gegen BA.4 und BA.4 auslöst.

Ebenfalls zugelassen ist der angepasste Impfstoff Spikevax bivalent Original/Omicron BA.1 von Moderna. Hier fand eine Studie mit mehr als 800 Probanden ab 18 Jahre statt. Auch hier war die Immunantwort auf den angepassten Impfstoff stärker als auf den ursprünglichen.

Sind die "Omikron-Impfstoffe" in Luxemburg bereits verfügbar?

Ja, die beiden bivalenten Impfstoffe „Comirnaty Original/Omicron BA.1“ von Pfizer und „Spikevax Bivalent Original/Omicron BA.1“ von Moderna sind in Luxemburg verfügbar und werden bereits für die Impfungen verwendet.

Was raten sie Leuten, die sich boostern lassen wollen: Sollen diese auf den Omikron-Impfstoff warten oder den normalen Booster wählen?

Auf jeden Fall sollte man sich mit dem angepassten bivalenten Impfstoff impfen lassen. Dieser enthält sowohl den ursprünglichen Impfstoff gegen die Wuhan Variante als auch gegen die Omikron BA. 1 Variante. Er boostet also gezielt den Schutz gegen beide Varianten und bietet eine Kreuzprotektion gegen ältere und auch gegen zukünftige Varianten.

Omikron unterscheidet sich ja nun an mehreren Stellen vom ursprünglichen Virus, mit dem die Impfstoffe hergestellt wurden. Weshalb bietet die Impfung nicht nur einen Schutz gegen Omikron, sondern auch gegen andere Varianten?

Diese Frage muss man zweigeteilt beantworten. Zuerst einmal handelt es sich bei dem angepassten Impfstoffen wie gesagt um bivalente Mischimpfstoffe. Bei diesen ist eine Komponente gegen das ursprüngliche Virus – also den Wuhan-Typ – gerichtet. Und eine zweite zielt auf die BA.1 Variante ab.

Dass der Impfstoff aber auch gegen zukünftige Varianten wirksam sein kann, hat mit der Kreuzprotektion zu tun. Dazu muss man wissen: Die verschiedenen Varianten unterscheiden sich in bestimmten Bereichen ihrer Erbgutstruktur. Aber nicht in allen. Omikron hat im Vergleich zu früheren Varianten zum Beispiel mehrere Dutzend Mutationen in der Aminosäuresequenz im immundominanten Spike-Protein, das heißt in den Bausteinen des Spike-Proteins. Damit unterscheidet sich Omikron in diesem Bereich deutlich von den anderen Varianten. Das bedeutet aber auch, dass die anderen Aminosäuren ähnlich oder gar identisch mit den anderen Varianten sind. Die Immunantwort unseres Körpers richtet sich aber gegen eine ganze Reihe von Erkennungsstrukturen des Virus. Einige davon sind bei den bisherigen Varianten identisch. Andere sind es nicht. Der Teil der Immunantwort, der sich gegen identische Strukturen richtet, schützt also sowohl gegen die eine wie auch gegen die andere Variante. Der Teil der Immunantwort, der sich gegen unterschiedliche Strukturen richtet, schützt nur gegen diese Variante.

Was bringt die vierte Impfung mir als Person?

Die Impfung gegen das Coronavirus bietet einen sehr guten Schutz gegen COVID-19, insbesondere gegen einen schweren Krankheitsverlauf. Mit der Zeit lässt dieser Schutz nach. Eine Boosterimpfung stellt diesen Schutz wieder her. So kann man sich sehr zuverlässig gegen einen schweren Krankheitsverlauf schützen.

Infobox

Wie reagiert der Körper auf Impfung und Booster?

Dringt ein Virus in den Körper ein, produzieren die B-Zellen des Immunsystems neutralisierende Antikörper. Diese binden an spezielle Merkmale auf der Oberfläche des Virus – im Fall von SARS-CoV-2 an das Spike-Protein – und verhindern damit, dass der Erreger in unsere Zellen eindringen kann. Ist der Erstkontakt mit dem Virus überstanden, sinkt die Zahl der Antikörper nach einer gewissen Zeit, die auch vom Impfstoff abhängt. Allerdings wandert ein Teil der antikörperproduzierenden B-Zellen in die Lymphknoten und mutiert dort rasend schnell. Bei dieser somatischen Hypermutation treten zufällige Änderungen rund eine Million Mal öfter auf als bei anderen Zellen in unserem Körper. Von den Mutanten bleibt allerdings nur eine winzig kleine Anzahl übrig, weil die meisten auf Grund der zufälligen Veränderungen gar nicht mehr an das Antigen binden; die übriggebliebenen sind nun aber in der Lage, optimierte Antikörper gegen das Virus zu erschaffen. Sie werden zu Gedächtniszellen und warten im Körper auf den nächsten Antigen-Kontakt. Die Booster-Impfung ist ein solcher Kontakt. Die Auffrischung lässt die Zahl der Antikörper erneut in die Höhe schnellen. Danach wiederholt sich der Prozess der somatischen Hypermutation; diesmal aber auf einem höheren Level.

Was bringt die vierte Impfung uns allen als Gesellschaft?

Die vierte Impfung stellt den Schutz gegen einen schweren Verlauf wieder her, wenn dieser mit der Zeit nachgelassen hat. Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit kommt es so zu weniger schweren Fällen. Weniger Fälle müssen hospitalisiert werden und landen auf der Intensivstation. Ein hoher Impfschutz der Bevölkerung schützt also die Kliniken. Die Betten stehen Patienten mit anderen oft dringend behandlungsbedürftigen Krankheiten zur Verfügung. Wer sich nicht ausreichend gegen einen schweren Verlauf schützt, nimmt also in Kauf, dass er anderen Patienten ein Bett auf der Intensivstation wegnimmt. Kommen nur noch wenige Corona Patienten auf die Intensivstation ist die Pandemie vorbei.

Wie wahrscheinlich ist eine neue, aggressivere Corona-Mutation im Herbst oder Winter?

Ich gehe nicht davon aus, dass es im kommenden Winter eine neue gefährliche Variante geben wird. Ich hielt es schon vor Monaten für das Wahrscheinlichste, dass sich die Omikron-Variante wegen ihrer günstigen intrinsischen Viruseigenschaften und dem kollektiven Impfschutz immer mehr zu einem relativ harmlosen Coronavirus entwickelt. Sie ähnelt dann anderen saisonal auftretenden harmlosen Coronaviren. Natürlich könnte ich mich täuschen. Aber ich habe dies bereits vor vier Monaten gesagt und es gibt bisher keine Anzeichen, dass es anders kommt. Deshalb bleibe ich bei dieser Einschätzung.

Wie wahrscheinlich ist es, dass wir uns wegen einer neuen Variante wieder stark einschränken müssen?

Sehr unwahrscheinlich. Die Einschränkungen waren punktuelle Maßnahmen, deren Wirkung mit Ende der Maßnahmen nachließ. Sie hatten keine Nachhaltigkeit. Der hohe kollektive Impfschutz ist nachhaltig und löst die verschiedenen Maßnahmen wie Maskentragen, Social Distancing, ad hoc testen und so weiter ab.

Für wen ist eine vierte Impfung sinnvoll?

Eigentlich für alle. Vor allem aber für die, die ein erhöhtes Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs haben, etwa auf Grund von Vorerkrankungen oder Alter.

Ich bin geimpft, geboostet und hatte schon Corona – soll ich mir trotzdem noch die vierte Impfung holen?

Die Erkrankung kann als eine Impfdosis gelten. Wenn Sie zur Risikogruppe gehören, würde ich mich entsprechend der Empfehlungen trotzdem im Intervall impfen lassen. 

Erst hieß es zwei Impfdosen reichen. Dann war der Booster essenziell. Nun ist es die vierte Impfung... Müssen wir uns bald im Halbjahrestakt impfen lassen?

Nein, auch eine zweifache Impfung gibt einen Basisschutz. Wie gut dieser schützt, hängt von vielem ab und ist im Einzelfall nicht vorhersehbar. Aus immunologischer Sicht kann man davon ausgehen, dass der Schutz nach jedem Booster oder Kontakt mit dem Virus immer länger anhält. Von Impfung im Halbjahrestakt zu sprechen, führt eher in die Irre und stellt die Impfung in ein schlechtes Licht. Es ist gewissermaßen eine polemische Formulierung, die so nicht zutrifft.

Autor: Kai Dürfeld (für scienceRELATIONS - Wissenschaftskommunikation)
Co-Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Redaktion: Michèle Weber (FNR) 

Infobox

Quellen

BioNTech; Pfizer (25.06.2022): Pfizer und BioNTech geben hohe Immunantwort von Omikron-angepassten COVID-19-Impfstoffkandidaten gegen Omikron bekannt. New York, Mainz. Online verfügbar unter https://investors.biontech.de/de/news-releases/news-release-details/pfizer-and-biontech-announce-omicron-adapted-covid-19-vaccine, zuletzt geprüft am 22.09.2022.

https://www.ema.europa.eu/en/news/adapted-vaccine-targeting-ba4-ba5-omicron-variants-original-sars-cov-2-recommended-approval

Michael McHeyzer-Williams: Fundamental immunology. Hrsg.: William E. Paul. Lippincott Williams & Wilkins, 2008, ISBN 978-0-7817-6519-0 , B Lymphocyte Biology, S. 289–312.

Callaway, Ewen (2021): COVID vaccine boosters: the most important questions. In: Nature 596 (7871), S. 178–180. DOI: 10.1038/d41586-021-02158-6.

Auch in dieser Rubrik

SCIENCE CHECK Ziel mir keng: Wie schlimm sind Antibiotikaresistenzen?

Es gibt weltweit immer mehr Bakterien, die resistent gegen Antibiotika sind. Wieso entstehen Resistenzen? Wie ist die Situation in Luxemburg? Und wird es bald neue Behandlungen für uns geben?

FNR
Science-Check Sind Antibiotikaresistenzen in Luxemburg unter Kontrolle?

Der übermäßige Gebrauch von Antibiotika hat zu einer besorgniserregenden Zunahme resistenter Bakterien geführt. Haben die Forderungen nach einem besseren Umgang mit diesen Medikamenten Gehör gefunden...

FNR
Kommunikationsgeschichte Vorsicht, Fake News!

„Fake News“ sind kein neues Phänomen, doch vor den US-Wahlen haben sie Hochkonjunktur. Was macht sie so gefährlich? Ein Rückblick auf die Geschichte der Falschmeldung - und ein kritischer Ausblick.