shotshop.com
Heute wird im Parlament eine mögliche Impfpflicht diskutiert. Bei diesem Thema geht es zu einem großen Teil darum, wie wir als Gesellschaft den Ausgang aus der Pandemie finden wollen. Was sind die relevanten Aspekte aus Sicht der Medizin/Wissenschaft, um aus der Pandemie herauszukommen? Was sind Missverständnisse oder Nebenschauplätze, die manchmal in der Debatte aufkommen? Wir wollen, im Sinne einer auf Fakten basierten öffentlichen Debatte, hier auf die Elemente eingehen, auf die es in dieser Debatte ankommt.
Wichtig ist: Es geht hier um das Thema „Pandemie beenden“, nicht um das Thema Impfpflicht. Das Thema Impfpflicht umfasst mehr Aspekte als nur das Ende der Pandemie. Es umfasst auch politische Elemente sowie die kurz-, mittel- und langfristige Perspektive. In diesem Artikel geht es aber um das große Ziel: Wie kommen wir so schnell wie möglich hier raus? Dabei spielen natürlich auch Impfungen eine wichtige Rolle.
Kurz und knapp die wichtigsten Punkte zum Thema „Ende der Pandemie“:
- Mit Blick auf die Impfung reden wir viel über den Schutz vor Infektionen. Beim Thema „Ende der Pandemie“ geht es jedoch vor allem um den Schutz vor schweren Verläufen und um den Aufbau von Immunität.
- Die Immunität können wir entweder durch Impfungen oder durch Infektionen aufbauen (oder durch beides).
- Impfungen als Lösungsansatz mit Tests oder Kontaktreduktionen zu vergleichen, ist wie Äpfel mit Birnen zu vergleichen: Der „Exit“ aus der Pandemie geht nur über ausreichend Immunität innerhalb der Bevölkerung. Impfungen tragen dazu bei. Tests, Kontaktreduktionen etc. nicht. Man kann diese also nicht als Alternative zum Impfen betrachten. Kontaktreduktionen, Tests, das Tragen von Masken usw. erfüllen einen wichtigen Zweck – nämlich die Pandemie in einer akuten Phase zu kontrollieren und die Pandemiedynamik, wenn nötig, zu drosseln. Sie bringen uns aber nicht näher ans Ziel, einer ausreichenden Immunität in der Bevölkerung, sodass die Pandemie endet.
- Auch wenn das Konzept der Herdenimmunität nicht so klappt, wie erhofft, auch wenn wir nicht wissen, wie viel Immunität genau nötig ist (auch gegen zukünftige Varianten) ändert das nichts daran, dass das Ende der Pandemie nur über eine ausreichende Immunität der Bevölkerung gegen die aktuellen und etwaige zukünftige Virusvarianten zu erreichen ist.
- Beim Erreichen des Ziels von ausreichend Immunität bringt uns das Impfen schneller und auch sicherer (weniger Tote, weniger schwere Verläufe) ans Ziel, als die natürliche Durchseuchung. Diese muss durch „flatten the curve“-Maßnahmen (Kontaktreduktionen, Maskentragen, …) begleitet werden – wodurch sich die Pandemie in die Länge zieht.
- Das Präventionsparadox (die Präventionsmaßnahmen sorgen dafür, dass die Pandemie unter Kontrolle ist, und somit denken wir „ach, ist doch alles total harmlos“) könnte dazu führen, dass wir zu früh denken, dass wir bereits am Ziel sind.
- Omikron verändert gerade die Situation (ansteckender, jedoch weniger gefährlich als zum Beispiel Delta). Noch ist es schwierig abzuschätzen, was genau der Impakt von Omikron sein wird.
- Die Pandemie ist ein kollektives Massenphänomen, das auch nur kollektiv und nicht individuell gelöst werden kann.
- Ob eine Impfpflicht nun ein geeignetes Mittel ist oder nicht, dazu hat ein Gremium von fünf luxemburgischen Wissenschaftlern Stellung bezogen und darüber werden die Parlamentarier heute debattieren. Es handelt sich hier um ein politisches Instrument. Wir positionieren uns dazu nicht. Wir wollen lediglich dazu beitragen, dass in der öffentlichen Debatte die richtigen Argumente benutzt werden und weniger Missverständnisse aufkommen.
Allgemein gilt: Bei dieser Debatte gibt es wissenschaftliche Argumente. Aber es geht ja auch um uns Menschen, um unsere Gesellschaft, um Politik. Es ist wichtig dass jeder Zugang zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen hat. Wie wir uns als Gesellschaft jedoch entscheiden, welche Wege wir gehen wollen oder bereit sind zu gehen, das geht über die Wissenschaft hinaus.
So, nun aber alles etwas ausführlicher.
Wann wird die Pandemie zu Ende sein?
Ein Datum kann niemand nennen. Vor allem, weil wir etwas nicht in der Hand haben: Dass neue, vielleicht noch gefährlichere Varianten entstehen. Aber eines ist sicher: Die Pandemie wird dann vorbei sein, wenn das Virus kaum noch zu schweren Verläufen führt. Wenn also das Virus seine Fähigkeit verloren hat, zu viele Menschen gleichzeitig so krank zu machen, dass sie die Intensivstationskapazitäten übermäßig auslasten und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems bedrohen.
Der relevanteste Wert beim Thema „Ausgang aus der Pandemie“ ist also die Anzahl der schweren Verläufe. Nicht so sehr die Zahl der Infektionen. Genauer gesagt, ist der relevante Wert die Anzahl an schweren Verläufen im Verhältnis zu den Krankenhaus-/Intensivstationskapazitäten eines Landes. Diese Kapazitäten sind derzeit die Achillesferse der freien Gesellschaft.
Die natürliche Durchseuchung - ohne jegliche Schutzmaßnahmen – ist offensichtlich keine Option, da dadurch zu viele Menschen gleichzeitig schwer krank werden. Man muss also in der Pandemie die Zahl der Erkrankten zunächst möglichst niedrig halten und nach dem „flatten the curve“-Modell handeln. Es besagt, dass wir die Anzahl an Infektionen soweit drosseln, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig schwer krank werden. Vorteil: Die Gesundheitssysteme können weiterhin funktionieren. Nachteil: Die Pandemie dauert länger.
Infobox
Aus der Pandemie herauszukommen, bedeutet, einen Übergang von einem pandemischen Virus zu einem endemischen Virus zu erreichen.
Das pandemische Virus zeichnet sich dadurch aus, dass die Immunität innerhalb der Bevölkerung noch schwach ausgeprägt ist: Das Virus schafft es immer wieder (oftmals in Wellen), so viele Menschen gleichzeitig schwer krank zu machen, dass unser Gesundheitssystem überlastet ist und wir mit Sicherheitsmaßnahmen (Kontaktreduzierungen, Masken, Tests, usw.) gegensteuern müssen.
Das endemische Virus zeichnet sich dadurch aus, dass es zwar immer noch zu Infektionen und auch zu lokalen Ausbrüchen kommt – dass bei diesen Ausbrüchen allerdings nicht mehr übermäßig viele Menschen gleichzeitig schwer krank werden und deshalb keine oder kaum noch Sicherheitsmaßnahmen gebraucht werden. Der Grund liegt in einer ausreichenden Immunität in der Bevölkerung. Sie ist nicht perfekt (verhindert nicht alle Infektionen oder schwere Verläufe), aber doch so stark, dass sie schwere Verläufe in ausreichendem Maß verhindert: Auf Ebene der öffentlichen Gesundheit treten keine schwerwiegenden Problemen mehr auf.
- Wir löschen das Virus aus. Dies war ganz zu Beginn der Pandemie eine Möglichkeit. Als das Virus sich jedoch auf allen Kontinenten ausgebreitet hatte, war dies nicht mehr möglich (es sei denn, man hätte die gesamte Welt für 15 Wochen in einen absoluten Lockdown versetzt – was aber natürlich unmöglich ist).
- Das Virus könnte sich durch Mutationen selbst derart abschwächen, dass die Pandemie vorbei ist.
- Wir gehen den Weg der Immunisierung: Wenn genügend Menschen eine ausreichende Immunität besitzen, kommt es kaum noch zu schweren Fällen. Die pandemische Wucht ist vorbei, die Pandemie ist beendet, das Virus wird endemisch, also heimisch.
Die erste Möglichkeit ist nicht umsetzbar.
Die zweite Möglichkeit kann uns zu Hilfe kommen. Es handelt sich um eine abwartende Haltung, in der man auf Glück hoffen muss.
Die vernünftige und nachhaltige Option ist somit die dritte Möglichkeit. Sie sorgt – irgendwann - für ausreichende Immunität in der Bevölkerung.
Wann Mutationen auftreten und ob die neuen Virusvarianten gefährlicher oder weniger gefährlich sind – das sind zufällige Prozesse, die wir kaum beeinflussen können. Daher ist es auch unmöglich, ein genaues Enddatum der Pandemie zu benennen: Es kann immer eine noch gefährlichere Variante entstehen.
Wenn wir Glück haben, ist Omikron die letzte besorgniserregende Variante – oder es kommt danach eine, die noch weniger virulent ist. Wenn wir Pech haben, kommt eine, die wieder virulenter ist. Denn leider ist es kein Selektionsvorteil von Sars-CoV-2 weniger tödlich zu sein. Es ist aus Sicht des Virus nicht nötig, dass Infizierte möglichst lange überleben. Sars-CoV-2-Infizierte sind sehr früh ansteckend und dienen in dieser Phase der Verbreitung des Virus. Ob der Patient danach schwer krank wird und vielleicht sogar stirbt, ist dem Virus egal.
Insofern müssen wir leider von Welle zu Welle denken. Jetzt ist Omikron das Problem. Wir lernen gerade erst, was die Eigenschaften von Omikron sind und wie wir dieses quasi neue Virus am besten bekämpfen können. Was danach kommt, müssen wir herausfinden, wenn es so weit ist.
Fazit: Weil es unmöglich ist zu wissen, welche Varianten noch auf uns warten, ist es unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, die Pandemie sei nach Omikron überstanden. Es kann sein, muss aber nicht.
Fazit
Wir befinden uns in einem Rennen, einem Marathon, bei dem wir nicht wissen, wo das Ziel ist und wie viele Berge noch vor uns liegen. (Ist Omikron die letzte Welle, oder folgen noch weitere?) Doch wir können mit beeinflussen, wie schnell wir das Rennen bestreiten – ob wir langsam gehen (natürliche Durchseuchung à la „flatten the curve“) oder schnell laufen (impfen). Und auch, wie heil wir ankommen werden – oder mit wie vielen Verletzungen.
Infobox
In einer Pandemie sind die Infektionszahlen wichtig, weil sie uns als Indikator dafür dienen, um grob abzuschätzen, mit wie vielen Patienten wir ungefähr in ein bis drei Wochen auf den Intensivstationen rechnen müssen (natürlich unter der Voraussetzung, dass man ungefähr abschätzen kann, wie viele Infektionen im Schnitt zu schweren Verläufen führen.). In einer Endemie – wenn das Virus bei den Meisten nur noch einen Schnupfen oder eine „leichte Grippe“ auslöst – sind die Infektionszahlen nicht mehr so relevant: Die Intensivstationen werden nicht mehr akut durch schwer Erkrankte überlastet.
Welcher Weg ist geeignet, um uns wirklich aus der Pandemie herauszuführen?
Damit das Virus nicht mehr zu vielen schweren Verläufen führt, gibt es nur eine wirksame Lösung: ausreichend Immunität innerhalb der Bevölkerung. Dies geht über natürliche Durchseuchung und/oder über Impfen.
- Auch wenn das Konzept der Herdenimmunität (in dem Sinn, dass Immunisierte automatisch die Nicht-Immunisierten mit schützen) nicht so funktioniert, wie anfangs erhofft (mehr Infos in der Infobox).
- Auch wenn wir nicht genau wissen, wann ausreichend Immunität erlangt wurde – da theoretisch neue Varianten auftauchen können, die den Immunschutz zum Teil umgehen – und wir uns eventuell mehrmals impfen oder infizieren müssen, bis dieser Zustand erreicht ist.
- Und auch wenn Medikamente und Therapien dazu beitragen werden, schwere Verläufe zu verhindern und positiv zur Pandemiebewältigung beitragen werden.
- Es bleibt dabei: Die einzige nachhaltige Lösung, um aus der Pandemie rauszukommen, lautet: ausreichende Immunität innerhalb der Bevölkerung. Dabei helfen nur Impfungen oder natürliche Durchseuchung. Tests, Kontaktbeschränkungen etc. sind keine äquivalenten Maßnahmen beim „Exit“ aus der Pandemie (auch wenn sie einen wichtigen Nutzen haben). Das darf nicht miteinander vermischt werden.
Infobox
Viel wurde über die Herdenimmunität diskutiert. Sie sei erreicht, wenn 2/3 der Bevölkerung immunisiert seien. Dieses Konzept besagt, dass nach Erreichen der Herdenimmunität, die Immunisierten die Nicht-Immunisierten automatisch mit schützen. Es gibt einfach nicht mehr genug Nicht-Immunisierte in der Bevölkerung, als das das Virus mühelos von Mensch zu Mensch überspringen kann. Das Virus läuft sich im wahrsten Sinne des Wortes tot.
Der Hoffnung, dass die Herdenimmunität erreicht sei, wenn 2/3 der Bevölkerung immunisiert ist, lagen zwei Annahmen zugrunde: Erstens sorgt das Corona-Virus für sterile Immunität. Wer die Krankheit einmal durchgemacht hat, kann sich kein weiteres Mal infizieren. Leider hat sich gezeigt, dass sowohl nach natürlicher Infektion wie auch nach der Impfung sich Menschen ein weiteres Mal infizieren und auch andere Menschen anstecken können. Ab dieser Erkenntnis war das Konzept der Herdenimmunität (im engeren Sinne) quasi gestorben. Die zweite Annahme war, dass der R-Wert von Sars-CoV-2 bei 3 liegt (also im Durchschnitt ein Infizierter 3 weitere Personen – ohne Sicherheitsmaßnahmen – ansteckt). Dieser Wert wurde berechnet für die Ursprungsvariante. Doch dann kam, Alpha, dann Delta, nun Omikron, die immer ansteckender wurden. Mit jeder neuen, ansteckenderen Variante stieg der für die Herdenimmunität notwenige Anteil immunisierter Menschen in der Bevölkerung: von anfangs 66%auf mittlerweile 90-95% - bei steriler Immunität!
Die Immunisierung über die Impfung ist schneller und sicherer als Immunisierung durch Durchseuchung!
Der Weg über die natürliche Durchseuchung dauert länger und er ist beschwerlicher als der über die Impfung. Vor allem deswegen, weil insgesamt mehr Menschen schwere Fälle entwickeln. Diese Menschen müssen in Krankenhäusern oder Intensivstationen behandelt werden. Damit das Gesundheitssystem nicht zusammenbricht, muss die Pandemie derart „gestreckt werden“, dass sich nicht zu viele Menschen gleichzeitig infizieren – damit auch nicht zu viele gleichzeitig auf der Intensivstation landen.
Mit Impfungen geht es schneller und mit weniger Begleitschäden. Einerseits, weil man mehr Menschen pro Tag impfen kann, als dass man natürliche Infektionen zulassen könnte – ohne die Intensivstationen zu überlasten. Und auch, weil die Impfungen sehr gut vor schweren Verläufen schützen. Deshalb reduziert sich die Anzahl an Menschen, die bei einer Corona-Infektion auf Intensivstationen oder Krankenhäuser angewiesen sind. Die Pandemie wird effektiv verkürzt.
Wie hoch der Schutz der Impfungen vor schweren Verläufen ist, zeigt die Graphik der fünf Experten Prof. Paul Wilmes, Dr. Gérard Schockmel, Dr. Vic Arendt, Prof. Claude Muller und Dr. Thérèse Staub in ihrem Dokument, das sie der Regierung vorgelegt haben: Auch alte Menschen sind durch die Impfungen gut vor schweren und tödlichen Krankheitsverläufen nach einer Corona-Infektion geschützt (basierend auf den Daten des Gesundheitsministeriums):
Copyright: Prof. Paul Wilmes, Dr. Gérard Schockmel, Dr. Vic Arendt, Prof. Claude Muller und Dr. Thérèse Staub
Der ganze Bericht der Wissenschaftler
Eine Pandemie ist ein kollektives Phänomen, das kollektive Lösungen braucht
Oftmals hört man das Argument „Weshalb sollte ich mich vor einem Virus schützen, das mir zu 99% nichts anhaben kann?“ Das mag nicht so falsch sein, auf individueller Ebene. Aber auf Ebene der öffentlichen Gesundheit ist dieses Argument kurzsichtig. Es verkennt, was eine Pandemie bedeutet. Weltweit infizieren sich viele Menschen. Und wenn sich viele Menschen infizieren, dann ist 1% eine riesige Zahl – zu groß für die Intensivstationskapazitäten eines Landes.
Ein geringes individuelles Risiko kann also auf Ebene der öffentlichen Gesundheit zu einem großen Problem führen – allein aufgrund von statistischen Massenphänomenen.
Bei einer Pandemie geht es um Wahrscheinlichkeiten auf Ebene der öffentlichen Gesundheit. Weil so viele Menschen gleichzeitig betroffen sind, sind bereits geringe Wahrscheinlichkeiten auf individueller Ebene ein ernstzunehmendes Problem auf Ebene der öffentlichen Gesundheit. In einer Pandemie kann also nicht lösungsorientiert auf individueller Ebene argumentiert werden. Für Lösungsansätze braucht es kollektive Ansätze, die die statistischen Auswirkungen des Virus auf Menschenmassen berücksichtigen.
Ein paar Beispiele, an denen man merkt, dass in der öffentlichen Debatte immer wieder vergessen wird, dass wir uns in einer Pandemie befinden.
- „Covid ist nicht schlimmer als die Grippe!“ Bei dieser Debatte wurde oftmals verglichen, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Covid-Patient verstirbt und mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Grippe-Patient verstirbt (ja, trotzdem, Covid ist schlimmer als eine gewöhnliche Grippe). Das ist eine Argumentation auf individueller Ebene. Das wahre Problem ist jedoch die Pandemie: Covid hat eine Pandemie ausgelöst, die die Gesundheitssysteme der ganzen Welt in die Knie zwingt. Weil die gesamte Weltbevölkerung keinen Immunschutz hatte, kamen die Gesundheitssysteme weltweit an ihre Grenzen. Es musste massiv gegengesteuert werden. Die Grippe hat dies seit langem nicht mehr bewirkt – sie zirkuliert ganz regelmäßig und die Weltbevölkerung hat einen gewissen Immunschutz. Es sterben jedes Jahr Menschen, in manchen Wintern hat dies gar einen Einfluss auf die Übersterblichkeit. Aber schon lange nicht mehr hat Influenza eine derartige Pandemie ausgelöst wie Sars-CoV-2. Zuletzt ist es der Spanischen Grippe gelungen, weltweit in pandemischem Ausmaß zu grassieren. Wie jetzt bei Corona waren das Problem vor allem die pandemische Wucht, die vielen Fälle weltweit, die immunologische Schutzlosigkeit der Bevölkerung und die vielen Todesopfer. Das Problem war also der pandemische Charakter der Infektion. Genau dies unterscheidet Covid zurzeit (noch) von der Grippe.
- „Masken/Tests/Kontaktbeschränkungen/Impfungen… bringen nichts, denn ich kann mich ja doch noch anstecken“. Auch das ist eine Argumentation auf individueller Ebene. Masken, Tests, und Kontaktbeschränkungen bieten für das Individuum keinen hundertprozentigen Schutz, das ist korrekt. Auf Ebene der öffentlichen Gesundheit helfen sie jedoch, Wahrscheinlichkeiten für Ansteckungen zu reduzieren und somit die Pandemie besser zu kontrollieren.
- „Debatte ob Ungeimpfte ein Problem für die Intensivstationskapazitäten sind…?“ Hier wird manchmal darauf verwiesen, dass ja auch Raucher oder Alkoholiker ein Problem für die Intensivstationen sein können. Der Vergleich mit COVID-19-Erkrankten ist schwierig: Sars-CoV-2 kam im Januar 2020 plötzlich, mit einer pandemischen Wucht, die auf einmal unsere Intensivstationskapazitäten ans Limit brachte. Alkoholiker und Raucher belegen jedoch Jahr für Jahr mit einer statistisch relativen Vorhersehbarkeit Intensivbetten – unser Gesundheitssystem hat sich im Laufe der Zeit daran angepasst.
Die unterschiedlichen Zwecke der Maßnahmen
Es gibt Unterschiede
- zwischen Maßnahmen, die uns helfen die Pandemiedynamik zu drosseln. Damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig schwer krank werden (Tests, Masken, Kontaktbeschränkungen, Impfungen, …)
- und Maßnahmen, die dazu beitragen, die Pandemie zu beenden. Die also helfen, Immunität aufzubauen (Impfungen und natürliche Durchseuchung)
Tests, Masken und Kontaktbeschränkungen sind wichtige Werkzeuge beim Pandemiemanagement. Sie helfen uns in einer akuten Phase dabei zu vermeiden, dass zu viele Menschen auf einmal auf die Intensivstationen müssen. Sie drosseln die Pandemiedynamik, helfen, den Pandemieverlauf zu kontrollieren und Zeit zu gewinnen. Sie tragen jedoch nicht dazu bei, Immunität aufzubauen. Dem Ziel, schneller aus der Pandemie herauszukommen dienen sie also nicht. Im Gegenteil, es sind Maßnahmen, die den Pandemieverlauf verlängern, indem sie die Infektionskurve abflachen.
An das Ende der Pandemie gelangen wir nur über Aufbau von Immunität – über natürliche Durchseuchung oder über Impfung.
Impfungen drosseln also einerseits die Infektionsdynamik, andererseits sind sie auch ein Instrument, um die Pandemie zu beenden. Impfungen tragen dazu bei, die Wahrscheinlichkeiten für Infektionen auf Ebene der öffentlichen Gesundheit zu senken (Infektionsdynamik), weil sie vor schweren oder tödlichen Verläufen bei jeder Corona-Infektion schützen – egal, ob Alpha, Delta oder jetzt Omikron. Und sie helfen dabei, Immunität in der Bevölkerung aufzubauen – also das Ende der Pandemie greifbar werden zu lassen.
Um zu illustrieren, welchen Effekt auf Schädlichkeit und Länge der Pandemie die drei Optionen „natürliche Durchseuchung ohne Sicherheitsmaßnahmen“, „natürliche Durchseuchung mit flatten the curve“ und „100% Impfquote“ auf eine Pandemie haben, hier ein fiktives Beispiel. Es handelt sich um ein vereinfachtes Beispiel zum Moment 0 einer Pandemie. Die angenommenen Werte passen nicht 1 zu 1 auf Covid! Mehr dazu in der Infobox:
Infobox
Was ändert Omikron?
Omikron ist ansteckender als Delta und Alpha und führt zu weniger schweren Verläufen. Dadurch dass Omikron ansteckender ist, kommt es zu mehr „natürlichen Infektionen“. Dies stellt die Infrastruktur des Landes in der aktuellen Situation vor Probleme, wenn zu viele Menschen gleichzeitig krank, in Quarantäne oder Isolation sind. Natürlich sind aber alle, die danach genesen sind und kein Long Covid haben, besser immunisiert als vorher. Vorausgesetzt, es kommt keine neue Variante, die diesen natürlichen Immunschutz unterläuft.
Deshalb ist zu früh, alle Sicherheitsmaßnahmen aufzuheben und das Virus einfach durchziehen zu lassen. Denn wenn ein Virus weniger gefährlich ist, dafür aber ansteckender, kann es zu vielen schweren Verläufen gleichzeitig führen. Außerdem bieten viele Infizierte dem Virus neue Möglichkeiten für Mutationen.
Wenn wir Glück haben, ist Omikron die letzte Variante, und danach haben wir ausreichend Immunität innerhalb der Bevölkerung, dass die Pandemie in eine Endemie übergeht. Vielleicht aber auch nicht.
Präventionsparadox
Wichtig beim Ausweg aus der Pandemie ist, dass wir uns bewusst sind, dass es das Präventionsparadox gibt. Wenn eine Präventionsmaßnahme gut wirkt, scheint die Krankheit nicht mehr schlimm – weil eben die Präventionsmaßnahme wirkt. Durch diesen Effekt riskieren wir immer kurz vor dem Ende, bereits etwas zu früh zu denken, alles sei überstanden. (Manche Länder machen das jeden Sommer. Sie schließen beispielsweise im Juli, wenn die Welt in Ordnung scheint, ihre Test- und Impfzentren. Um sie dann im Herbst hektisch wieder aufzubauen. Schlau ist es also, in der Pandemie längerfristig zu planen – um nachhaltig aus ihr herauszukommen.
Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Editoren: Hannes Schlender (Science Relations), Michèle Weber (FNR), Joseph Rodesch (FNR), Linda Wampach (FNR)
Grafiken: 101 Studios