Christophe Ley
Herr Ley, im Studium ist der Statistik-Kurs oft das notwendige, aber langweile „Übel“ durch das man durch muss. Was macht das Fach für Sie interessant?
Statistik wird überall gebraucht, in fast allen Wissenschaften, und ist alles andere als trockene Theorie. Sie adressiert ganz konkrete Probleme: Ich interessiere mich zum Beispiel für erneuerbare Energien und forsche an Windkraftanlagen. Mit statistischen Methoden kann ich herausfinden: Wie kann ich deren Effizienz optimieren, aus welcher Richtung weht der Wind am zuverlässigsten? Ich arbeite auch an Modellen, die prognostizieren, wie und wo Erdbeben mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auftreten. Statistik, wie Mathematik allgemein, ist eine universelle Sprache, die enorm vielen Fragestellungen zu Grunde liegt.
Also ist Statistik eine Art „Hilfswissenschaft“…?
Ganz sicher nicht allein! In vielen Wissenschaften reichen die statistischen Methoden kaum noch aus und in der statistischen Grundlagenforschung müssen neue Methoden entwickelt werden, insbesondere auch vor dem Hintergrund immer größer werdender Datenmengen. Im Zuge von „Big Data“ braucht es bessere Modelle, die in der statistischen Forschung entwickelt werden. Wie wichtig dies ist, sieht man etwa an der Finanzkrise im Jahr 2008. Die Banken hatten das Risiko seltener Störfaktoren – die eine Krise auslösen können – völlig unterschätzt, weil sie die falschen Modelle genutzt haben.
Die großen Datenmengen ermöglichen sicher sehr genaue Analysen…
Einerseits ja: Wenn man die Daten korrekt analysiert, bekommt man sehr viel bessere Resultate. Man kann aber auch dem Irrglauben erliegen, die Daten sprächen für sich. Aber das ist nicht so! Man braucht die richtigen Methoden und wir Statistiker müssen mit den Datenmengen Schritt halten. Dann kann man viel stärkere Schlussfolgerungen ziehen, als zuvor. Genau das ist auch Teil meiner Arbeit: Die Methoden auf die sehr viel komplexeren Datensätze auszuweiten, die wir heute haben.
Angesichts der großen Datenmengen wird die Interpretation der Statistiken sicher nicht einfacher?
In der Tat. Statistik kann schnell missbraucht werden. Ich kann zum Beispiel belegen, dass ein klarer Zusammenhang zwischen der Schuhgröße von Versuchspersonen und deren Verständnis von der Welt besteht. Diese scheinbare Kausalität führt aber in die Irre, wenn ich verschweige, dass meine Studienteilnehmer Kinder sind und die ausschlaggebende Variable natürlich das Alter ist. Deshalb ist es enorm wichtig, eine gute Kenntnis von logischem Denken und Statistik zu haben. George Wells…
der englische Schriftsteller und Autor von „Krieg der Welten“...
… sagte einmal: „Statistisches Denken wird eines Tages genauso notwendig für erfolgreiche Bürgerschaft sein, wie die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben“. Das stimmt noch immer. Und immer mehr.
Sie erwähnten bereits die Nutzung statistischer Modelle im Finanzsektor. Wenn dort Statistiker benötigt werden, warum arbeiten Sie nicht beispielsweise bei der Rating-Agentur „Moodys“? Dort könnten Sie wahrscheinlich viel Geld verdienen.
Für mich persönlich ist die Arbeit an der Uni perfekt. Hier kann ich spannende Grundlagenforschung betreiben, mit Forschern anderer Gebiete zusammenarbeiten und mein Wissen an andere Menschen weitergeben. Das macht mir sehr viel Spaß. Meine Passion ist in dieser Hinsicht viel größer als mein Wunsch nach Geld.
Autor: Tim Haarmann
Foto: Christophe Ley
Kurzlebenslauf
Christophe Ley ist Professor für Mathematische Statistik an der Universität Gent. Der gebürtige Luxemburger wurde 2010 an der Universität Brüssel promoviert und nutzt seine statistischen Kenntnisse unter anderem für sein privates Interesse, die Untersuchungen sportlicher Wettbewerbe. Seit 2015 ist er Vizepräsident der Luxemburger Statistischen Gesellschaft.