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Ausgangsperren in vielen Ländern, quasi brachliegende Wirtschaft: Die ganze Welt rätselt, wie wir aus der momentanen Situation rauskommen wollen. Die Entdeckung eines Medikaments, das als Prophylaxe oder zur Behandlung von Covid-19 dienen könnte, wäre ein wichtiges Element, um den Prozess hin zur Normalität zu beschleunigen. Ein Medikament, das in diesem Kontext viel mediale Aufmerksamkeit bekommen hat, ist Chloroquin. Was ist dran am Hype um das Malariamedikament? Wir machen den Faktencheck.
Was ist Chloroquin?
Das erstmals 1934 synthetisierte Chloroquin und das verwandte Hydroxychloroquin sind Arzneimittel, die sich über viele Jahre als effizient in Prophylaxe und Therapie von Malaria erwiesen haben. Damit waren sie eine wichtige Waffe im Kampf gegen die immer noch häufigste Infektionskrankheit der Welt. Nachdem die Erreger der Malaria aber immer häufiger Resistenzen gegen Chloroquin ausgebildet haben, wird der Wirkstoff heute kaum noch vertrieben. Übrigens: der Erreger der Malaria ist kein Virus oder Bakterium, sondern ein einzelliger Parasit der Gattung Plasmodium.
Wie ist Chloroquin auf die Liste potenzieller Medikamente gegen Covid-19 gekommen?
Anfang Februar 2020 veröffentlichten chinesische Wissenschaftler einen Artikel in Nature Cell Research. Darin berichteten sie, das Chloroquin das neuartige Coronavirus (SARS-CoV-2) in Zellkulturen wirksam hemmt. Die Forscher hatten sich bei ihrer Suche nach einem Wirkstoff auf bereits gegen andere Krankheiten zugelassene Medikamente konzentriert.
Wie wirkt Chloroquin gegen Viren?
Chloroquin senkt unter anderem den pH-Wert in den von Viren befallenen Zellen. Dadurch hemmt es die Vermehrung der Viren. Bereits 2003 und 2006 veröffentlichte eine belgisch-italienische Forschergruppe im Journal The Lancet ihre in vitro Untersuchungen (also Untersuchungen im Labor z.B. in Zellkulturen) zur Wirksamkeit von Chloroquin gegen den mit dem Coronavirus verwandten SARS-Erreger (SARS-CoV) sowie gegen das HIV-1-Virus. Im Jahr 2012 untersuchten chinesische Wissenschaftler die Wirkung des Malaria-Mittels auf das Vogelgrippevirus H5N1 im Tiermodell. Anfang 2020 haben chinesische Wissenschaftler in BST – BioScience Trends von erfolgreichen klinischen Versuchen mit Chloroquin berichtet.
Was spricht derzeit gegen einen Einsatz von Chloroquin?
Gegen einen Einsatz von Chloroquin zur Behandlung von Covid-19 sprechen einerseits schwerwiegende Nebenwirkungen, vor denen Psychiater warnen – von Angstzuständen, Schlaflosigkeit bis hin zum Tod. Andererseits sind hohe Dosen notwendig, damit das Medikament wirken kann. Wissenschaftler halten es für gefährlich, das Medikament öffentlich als Wundermittel anzupreisen. So erlag ein Mann im US-Bundesstaat Arizona im März 2020 nach der Selbstmedikation mit einem in der Aquaristik verwendeten Chloroquin-Präparat seiner Vergiftung.
Eine aktuell im Fachblatt Antiviral Research veröffentlichte Übersichtsarbeit empfiehlt der wissenschaftlichen Gemeinschaft, die aktuelle Diskussion auch im Licht der früheren Experimente mit Chloroquin zu betrachten. Dabei weisen die Autoren darauf hin, dass Chloroquin in Zellkulturen zwar schon oft eine Wirksamkeit gegen verschiedene Viren zeigen konnte, diese in Tiermodellen aber bisher keinen Nutzen zeigten. Außerdem kritisieren sie, dass die Daten der in China und Italien laufenden klinischen Versuche mit Freiwilligen nicht zugänglich sind. Einer im französischen Marseille durchgeführten klinischen Studie mit positivem Ergebnis werden Fehler in der Methodik vorgeworfen.
Gibt es aktuell klinische Studien zur Wirksamkeit von Chloroquin?
Klinische Studien mit Chloroquin laufen aktuell in China, Frankreich und Italien mit freiwilligen Teilnehmern. Im Mai beginnt die University of Oxford in den USA eine rund 10.000 Teilnehmer umfassende Doppelblind-Studie. In Deutschland starten das Institut für Tropenmedizin in Tübingen und das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin eine placebokontrollierte Studie. Die Ende März 2020 gestartete multinationale Medikamentenstudie „SOLIDARITY“ der Weltgesundheitsorganisation WHO, die verschiedene Medikamente an tausenden Patienten evaluieren soll, sah die Untersuchung von Chloroquin ursprünglich nicht vor. Durch die große Medienpräsenz und das gesteigerte öffentliche Interesse an dem Wirkstoff entschlossen sich die Verantwortlichen aber kurzfristig, das Medikament ebenfalls in die Studie aufzunehmen. Also: Ja, es wird zurzeit geprüft, ob Chloroquin wirksam ist gegen Covid-19.
Bis wann könnte mit ersten Resultaten gerechnet werden?
Eine verlässliche Aussage, wann Ergebnisse aus den klinischen Studien vorliegen, lässt sich derzeit (Ende März 2020) nicht treffen. Sicher ist aber: Weltweit forschen Wissenschaftler mit Hochdruck an der Entwicklung von Wirk- und Impfstoffen gegen das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2. So sagte der Generaldirektor im französischen Gesundheitsministerium, Jérôme Salomon, im März im Zusammenhang mit den nun anlaufenden Studien, die Medikamente würden „unter strikter Aufsicht“ getestet. Es sei „sehr wichtig, es schnell und unter diesen Bedingungen zu tun“, da die Corona-Pandemie weltweit massive Folgen habe.
science.lu wird in Kürze über die besonderen Bedingungen von Medikamenten- und Impfstoffentwicklung während der Corona-Krise informieren.
Welches Fazit ziehen Wissenschaftler aktuell?
In China, Südkorea und Italien wird Chloroquin von den Gesundheitsbehörden als experimentelles Medikament zur Behandlung von Covid-19 empfohlen. Viele der aktuell veröffentlichten Studien und Fachartikel halten es aber für unerlässlich, dass die bisherigen Ergebnisse durch unabhängige Experten überprüft werden. Um einen Nutzen bei der Behandlung von Patienten einschätzen zu können, seien außerdem schnelle, systematische und möglichst einfache klinische Studien wie etwa die Solidarity-Studie der WHO unerlässlich. Die Wissenschaftler weltweit sind sich also der Dringlichkeit der Situation bewusst und arbeiten mit Hochdruck daran, so schnell wie möglich Resultate zu erzielen.
Schlussfazit
Es kann sein, dass Chloroquin wirksam ist gegen Covid-19, es kann aber auch sein, dass dies nicht oder nur in geringem Ausmaß der Fall ist. Wir brauchen also noch Geduld, um hierüber Klarheit zu gewinnen, auch wenn dies in der momentanen Situation schwierig ist. Es ist auf jeden Fall davon abzuraten sich selber mit Chloroquin zu behandeln, weil es hier die Gefahr von Vergiftungen und schweren Nebenwirkungen gibt.
Autor: Kai Dürfeld für scienceRELATIONS - Wissenschaftskommunikation
Editor: Michèle Weber (FNR), Jean-Paul Bertemes (FNR)