Paloma Schwarz

Dr. Paloma Schwarz ist "Postdoctoral Researcher" am Lehrstuhl für Europäisches und Internationales Steuerrecht der Universität Luxemburg.

Jeder Beschäftigte zahlt gefühlt zu viel Steuern und Abgaben. Auch nach den Steuersenkungen der neuen Regierung diskutieren Gewerkschaften und Politik weiter über Wege und Reformen für mehr Gerechtigkeit auf dem Lohnzettel. Dr. Paloma Schwarz, Postdoctoral Researcher am ATOZ-Stiftungslehrstuhl für Europäisches und Internationales Steuerrecht der Universität Luxemburg, erläutert uns ihre Sicht.

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Zur Person: Dr. Paloma Schwarz

Dr. Paloma Schwarz, LL.M. ist Postdoctoral Researcher am Lehrstuhl für Europäisches und Internationales Steuerrecht der Universität Luxemburg. Zuvor war sie u.a. Assistenzprofessorin an der Universität Liechtenstein und Gastprofessorin an der Universität Turin. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt im luxemburgischen und europäischen Einkommensteuerrecht. Zurzeit arbeitet sie am ersten Kommentar zum luxemburgischen Einkommensteuergesetz.

Autorin: Britta Schlüter
Editor: Jean-Paul Bertemes (FNR)

Zahlen Beschäftigte in Luxemburg im Vergleich zu den Nachbarländern mehr oder weniger Steuern auf ihre Erwerbseinkommen?

Wenn wir nur einzelne Parameter wie etwa die Höchststeuersätze betrachten, so liegen Luxemburg mit 42 Prozent sowie Deutschland und Frankreich mit je 45 Prozent nah beieinander; nur Belgien verlangt stolze 50 Prozent. Allerdings unterscheiden sich die Länder bei der Frage, ab welcher Einkommenshöhe diese Spitzensteuersätze Anwendung finden. So zahlt man in Frankreich schon ab einem Verdienst von 177 106 Euro den Höchststeuersatz, in Luxemburg ab 200 004 Euro, in Deutschland erst ab 277 826 Euro und in Belgien bereits ab 46 440 Euro.

Was die Steuerfreibeträge betrifft – also die untere Einkommensgrenze, unter der keine Steuern fällig werden – so sind sie in Luxemburg und allen Nachbarländern mit etwa 10 000 bis 11 000 Euro sehr ähnlich.

Allerdings müsste man auch die Eigenheiten der einzelnen Steuersysteme berücksichtigen wie zum Beispiel Abzugsmöglichkeiten. Das alles macht den Vergleich letztlich sehr schwierig. Außerdem tragen ja auch andere Parameter wie in Luxemburg die sehr hohen Mieten zu Ungerechtigkeiten bei. Man könnte sich also fragen, ob der Steuerfreibetrag in Luxemburg angesichts der hohen Wohnkosten nicht höher angesetzt werden sollte als in anderen Ländern, und ob nicht auch der Mindestlohn komplett steuerbefreit werden sollte.

Warum wird Luxemburg in der internationalen Presse mitunter als „Steuerparadies“ bezeichnet?

Der Begriff „Steuerparadies“ bezieht sich nicht auf Lohnsteuersätze. Als Arbeitnehmer zahlen wir ähnlich hohe Steuern wie in anderen Ländern. Wenn unsere Abgaben geringer ausfallen, so liegt das eher an den niedrigeren Sozialabgaben in Luxemburg. Aber auch das macht Luxemburg nicht zum Paradies für Arbeitnehmer. Bei dem Begriff handelt es sich um ein überholtes Klischee aus Zeiten, als Unternehmen sehr geringe Körperschaftssteuern in Luxemburg aushandeln konnten und die Presse diese Absprachen aufdeckte – viele erinnern sich bestimmt noch an den „Luxleaks“-Finanzskandal im Jahr 2014.

Heute bemüht sich Luxemburg sehr, EU-Richtlinien zur Harmonisierung des Steuerrechts in den Mitgliedstaaten umzusetzen und den OECD-Standards gerecht zu werden. Die Körperschafts-Steuersätze in Luxemburg und Deutschland zum Beispiel bewegen sich heute auf ähnlicher Höhe, und „Deals“ für einzelne Unternehmen sind in Luxemburg nicht mehr möglich. Es gibt zwar noch einzelne Nichtregierungsorganisationen wie zum Beispiel Oxfam Frankreich, die dafür plädieren, Luxemburg weiterhin als Steuerparadies für Unternehmen einzustufen. Zieht man jedoch die EU-Standards zur Beurteilung heran, dann fällt Luxemburg nicht mehr in diese Kategorie.

Oft ist auch hierzulande vom ungerechten „Mittelstandsbuckel“ die Rede – was genau ist damit gemeint?

Dafür muss man zunächst verstehen, wie die Besteuerung natürlicher Personen funktioniert. Wie in vielen anderen Ländern auch werden Löhne in Luxemburg progressiv besteuert. Das heißt, dass sich der Steuersatz in Abhängigkeit des zu versteuernden Einkommens stufenweise erhöht. Das Einkommen wird also nicht als Ganzes zu einem bestimmten Steuersatz versteuert, sondern in Stufen aufgeteilt.

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Bei welchem Einkommen zahlt man wie viel Steuern in Luxemburg?

Um die unterschiedlichen Steuersätze je nach Einkommensstufe anzuzeigen, nutzen wir ein Dokument des OGBL, wo dies aufgeführt ist:

„Der geltende Basissteuersatz ab 2017 (Steuerklasse 1) stellt sich in Abhängigkeit von den unterschiedlichen Stufen des zu versteuernden Einkommens wie folgt dar:

0 % für die Einkommensstufe bis 11.265 Euro

8 % für die Einkommensstufe zwischen 11.265 Euro und 13.137 Euro

9 % für die Einkommensstufe zwischen 13.137 Euro und 15.009 Euro

10 % für die Einkommensstufe zwischen 15.009 Euro und 16.881 Euro

11 % für die Einkommensstufe zwischen 16.881 Euro und 18.753 Euro

12 % für die Einkommensstufe zwischen 18.753 Euro und 20.625 Euro

14 % für die Einkommensstufe zwischen 20.625 Euro und 22.569 Euro

16 % für die Einkommensstufe zwischen 22.569 Euro und 24.513 Euro

18 % für die Einkommensstufe zwischen 24.513 Euro und 26.457 Euro

20 % für die Einkommensstufe zwischen 26.457 Euro und 28.401 Euro

22 % für die Einkommensstufe zwischen 28.401 Euro und 30.345 Euro

24 % für die Einkommensstufe zwischen 30.345 Euro und 32.289 Euro

26 % für die Einkommensstufe zwischen 32.289 Euro und 34.233 Euro

28 % für die Einkommensstufe zwischen 34.233 Euro und 36.177 Euro

30 % für die Einkommensstufe zwischen 36.177 Euro und 38.121 Euro

32 % für die Einkommensstufe zwischen 38.121 Euro und 40.065 Euro

34 % für die Einkommensstufe zwischen 40.065 Euro und 42.009 Euro

36 % für die Einkommensstufe zwischen 42.009 Euro und 43.953 Euro

38 % für die Einkommensstufe zwischen 43.953 Euro und 45.897 Euro

39 % für die Einkommensstufe zwischen 45.897 Euro und 100.002 Euro

40 % für die Einkommensstufe zwischen 100.002 Euro und 150.000 Euro

41 % für die Einkommensstufe zwischen 150.000 Euro und 200.004 Euro

42 % für die Einkommensstufe über 200.004 Euro“

Link zu ganzem Bericht in dem diese Tabelle auch zu finden ist: https://www.ogbl.lu/wp-content/uploads/2023/03/Aktuell_0318_Dossier_DE.pdf):

Für jede Stufe oder Tranche des Einkommens wird ein Steuersatz berechnet, der von Stufe zu Stufe steigt. Wenn jemand 10 000 Euro im Monat und ein anderer 20 000 Euro verdient, würde Ersterer zum Beispiel 10 Prozent Steuern bezahlen. Der Zweite zahlt 10 Prozent auf den ersten 10 000 Euro, aber 20 Prozent auf den zweiten 10 000 Euro und damit einen Gesamtsteuersatz von 15 Prozent. Das sind erfundene Beispiele zum besseren Verständnis. Ein Höchststeuersatz von 42 Prozent bedeutet also nicht, dass 42 Prozent vom ganzen Lohn abgezogen werden.

In diesem Stufensystem werden mittlere Einkommen durch kleine Erhöhungen besonders stark belastet, so dass die Progression zu Ungerechtigkeiten führen kann. Wenn jemand zum Beispiel durch eine Gehaltserhöhung plötzlich in die nächste Stufe rutscht und dann deutlich mehr Steuern zahlt, belastet ihn das verhältnismäßig stärker als einen Spitzenverdiener. Diese Diskussion kam auch im Zuge der jüngsten Indexerhöhungen auf. Im Zuge des Inflationsausgleichs stiegen die Löhne und wir verdienten mehr, aber viele Arbeitnehmer rutschten dadurch in eine andere Steuerstufe und zahlten mehr Steuern. Dies wurde jetzt durch die neue Regierung über Steuersenkungen zum 1. Januar 2024 angepasst. 

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Der Mittelstandsbuckel verdeutlicht an einem Rechenbeispiel

Um den Mittelstandsbuckel zu verdeutlichen zitieren wir wieder ein Beispiel aus derselben Broschüre (original publiziert hier: https://www.ogbl.lu/wp-content/uploads/2023/03/Aktuell_0318_Dossier_DE.pdf).

"Beleuchten wir das Phänomen des „Mittelstandsbuckels“ anhand von vier Beispielen in der Steuerklasse 14 die zeigen, dass die Steuerbelastung für die mittleren Einkommen stark steigt, während dies bei den hohen Einkommen deutlich weniger der Fall ist.

Bei einem zu versteuernden Monatseinkommen von 2.500 Euro (30.000 Euro im Jahr) muss der Steuerpflichtige im Jahr 2018 eine Jahressteuer von 2.609 Euro zahlen (ohne Solidaritätssteuer).

Bei einem zu versteuernden Monatseinkommen von 5.000 Euro (60.000 Euro im Jahr) muss der Steuerpflichtige im Jahr 2018 eine Jahressteuer von 13.006 Euro zahlen. Im Vergleich zum vorherigen Steuerpflichtigen hat sich das Einkommen verdoppelt, während die Steuerlast das 5-Fache beträgt.

Bei einem zu versteuernden Monatseinkommen von 10.000 Euro (120.000 Euro im Jahr) muss der Steuerpflichtige im Jahr 2018 eine Jahressteuer von 36.606 Euro zahlen. Im Vergleich zum vorherigen Steuerpflichtigen hat sich das Einkommen verdoppelt, während die Steuerlast das 2,8-Fache beträgt.

Bei einem zu versteuernden Monatseinkommen von 20.000 Euro (240.000 Euro im Jahr) muss der Steuerpflichtige im Jahr 2018 eine Jahressteuer von 85.906 Euro zahlen. Im Vergleich zum vorherigen Steuerpflichtigen hat sich das Einkommen verdoppelt, während die Steuerlast das 2,3-Fache beträgt.

Bei einem identischen Anstieg des Einkommens (Verdoppelung) steigt die Steuerlast proportional stärker bei den mittleren Einkommen als bei den hohen Einkommen. Dies liegt an der Struktur der Steuertabelle, bei der die Progression der Besteuerung bei den Jahreseinkommen zwischen 11.000 Euro und 46.000 Euro hoch ist, sich anschließend stark verringert und schließlich verschwindet.“

Wo müsste man Ihrer Ansicht nach ansetzen, um Ungerechtigkeiten ausgleichen?

Die Anpassung der Steuertabelle an den Index war wichtig und gut, aber sie ändert nichts am Grundproblem, dass jeder davon profitiert. Sie führt meiner Ansicht nach innerhalb einer Gesellschaft nicht zu mehr Gerechtigkeit.

Wenn man weiter gehen wollte, müssten die Progressionsstufen der Steuertabelle reformiert, das heißt vergrößert oder verkleinert werden. So könnte man stärker differenzieren zwischen mittleren, höheren und sehr hohen Einkommen. Meiner Meinung nach ist es jedoch sehr schwer, solche Ungerechtigkeiten komplett auszugleichen. Die Frage ist auch, ob dafür eine Anpassung der Steuertabelle allein genügt. Warum zum Beispiel werden die steuerlichen Abzugsmöglichkeiten wie Werbungskostenpauschalen oder andere Abzüge nicht auch dem Index unterworfen und regelmäßig angepasst? Solche Maßnahmen sollten ebenfalls in der Diskussion um Steuerreformen berücksichtigt werden.

Für Diskussionen sorgt auch immer wieder die Frage, warum die arbeitende Bevölkerung der progressiven Besteuerung unterliegt und zur Kasse gebeten wird, aber Vermögen wenig oder gar nicht besteuert wird. Wer in Luxemburg zum Beispiel Einkommen aus der Veräußerung von Aktien erhält, muss darauf keine Steuern zahlen – andere Länder dagegen verlangen eine Abgeltungssteuer. Auch die Forderung nach einer Vermögensteuer ist in Luxemburg vom Tisch.

Sind Lohnsteuerentlastungen überhaupt das beste Mittel, um Kaufkraft zu stärken und der Wirtschaft Impulse zu geben - oder rät die Wissenschaft zu anderen Hebeln?

Es ist in der Tat eine große Diskussion, ob das Steuerrecht das effizienteste Instrument ist, um eine lenkende Wirkung zu erzielen. Regierungen versuchen ja, durch Steueranreize das Verhalten von Unternehmen und Arbeitnehmern zu beeinflussen, sie zum Beispiel zu Investitionen in erneuerbare Energien zu bewegen. Steuersenkungen bringen natürlich mehr Geld in der Tasche. Aber ob die Menschen das Geld dann tatsächlich ausgeben und auch noch für erwünschte Investitionen nutzen, ist nicht sicher. Dazu kommt die Streuwirkung: Von der Steuersenkung profitiert jeder Arbeitnehmer und nicht gezielt der, der es am nötigsten hat. Die Frage ist, ob direkte Subventionen nicht effizienter sind, um ein bestimmtes Verhalten zu fördern. Andererseits sind Steuererleichterungen leichter und schneller umzusetzen.

Ein anderes Instrument gegen Steuerungerechtigkeiten, das oft unter Experten diskutiert wird, sind Steuergutschriften. Werbungskosten und andere Ausgaben vom besteuerbaren Jahreseinkommen abziehen zu können nützt demjenigen, der wenig verdient, kaum etwas. Eine Steuergutschrift dagegen, die man unter bestimmten Bedingungen erhält und wie einen Bon einlösen kann, sobald Steuern fällig werden, könnte auch kleinen Steuerzahlern nützen und so zu einem gerechteren Steuermodell beitragen.

Wann ein Lohnsteuersystem gerecht ist, wird immer ein Streitpunkt bleiben. Letztlich hängt es von den Zielen einer Regierung ab: Will sie vor allem den Umweltschutz vorantreiben oder ist sie besonders wirtschaftsfreundlich? Dementsprechend wird sie ihre Steuerpolitik ausrichten. Unser Steuerrecht beruht auf dem Prinzip der Leistungsfähigkeit – jeder soll nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert werden. Die Alternative wäre eine „Flat rate“, also derselbe Steuersatz für alle, arm wie reich.

Steuergerechtigkeit ist ohnehin nicht nur eine Frage des Steuersatzes. Immer wieder wird gefordert, das ganze Steuersystem auch zu vereinfachen. Denn um seine Steuerbelastung zu minimieren, braucht man in dem komplizierten Regelwerk sehr gute Steuerberater, und die können sich vor allem Spitzenverdiener leisten.

Autorin: Britta Schlüter
Editor: Jean-Paul Bertemes (FNR)

 

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