Adobe Stock (edited)
Autor: Kai Dürfeld (für scienceRELATIONS - Wissenschaftskommunikation)
Editoren: Jean-Paul Bertemes (FNR), Michèle Weber (FNR)
Lange waren Impfungen die wichtigste Waffe, um die Pandemie einzudämmen. Dann kamen erste Medikamente, die uns einen Vorteil im Kampf gegen das Virus verschaffen sollten. Mit Paxlovid und Molnupiravir gibt es nun zwei, in die besonders große Hoffnungen gesetzt werden, da Risikopatienten sie im frühen Krankheitsstadium als Pille einnehmen können. Doch wie wirken sie eigentlich? Was sind ihre Vorteile gegenüber anderen Medikamenten und könnten sie vielleicht sogar der Game Changer bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie sein? Mit diesen und noch viel mehr Fragen haben wir uns an Dr. Anna Chioti gewendet. Die Medizinerin leitet die Medikamentenabteilung im Gesundheitsministerium und stand uns Rede und Antwort.
Mit Paxlovid und Molnupiravir stehen zwei Medikamente in den Startlöchern, auf die viele Menschen große Hoffnung setzen. Frau Dr. Chioti: Was unterscheidet denn eigentlich ein Medikament von einem Impfstoff?
Vereinfacht lässt sich sagen, dass Impfstoffe vorbeugen und Medikamente heilen sollen. Natürlich gibt es Ausnahmen wie therapeutische Impfungen oder präventive Medikamente. Aber in der Regel werden gesunde Personen geimpft, um bei ihnen den Ausbruch einer Krankheit möglichst zu verhindern. Und erkrankte Personen bekommen Medikamente, um die Symptome zu lindern und die Krankheit selbst zu bekämpfen.
Welche Vorteile haben Medikamente gegenüber Impfungen?
Impfungen und Medikamente lassen sich bezüglich ihrer Vor- und Nachteile nicht gegenüberstellen. Hier geht es nicht um entweder oder. Sie ergänzen sich.
Als Medikamente zur Behandlung einer Covid-19 Infektion bei Risikopatienten waren bisher ja vor allem monoklonale Antikörper im Gespräch. Nun stehen mit Paxlovid und Molnupiravir zwei Vertreter aus anderen Wirkstoffgruppen zur Verfügung. Wie funktionieren sie?
Paxlovid und Molnupiravir gehören zur Gruppe der Virostatika. Sie sollen die Vermehrung des Virus im Körper bremsen und im besten Fall ganz unterbinden. Bei Paxlovid wird im Körper ein Enzym blockiert, das für die Virusvermehrung essenziell ist. Molnupiravir greift in den Kopiervorgang des Virus bei seiner Vermehrung ein und baut dort zufällige Fehler ein. Diese Mutationen sollen dazu führen, dass die neuen Kopien des Virus nicht mehr funktionieren.
Infobox
Paxlovid ist dabei genaugenommen eine Kombination aus zwei verschiedenen Substanzen. Der aktive Bestandteil ist ein antiviral wirkendes Molekül mit dem schwierigen Namen Nirmatrelvir. Davon muss man pro Dosis zwei Pillen mit je 150 Milligramm einnehmen. Allerdings kann diese Substanz in unserem Körper schnell abgebaut werden und ist damit weniger effektiv. Um das zu verhindern, muss es zusammen mit einer anderen Pille eingenommen werden, die 150 Milligramm Ritonavir enthält. Diese Substanz ist unter anderem aus der HIV-Therapie bekannt und wirkt als Bestandteil der Paxlovid-Therapie wie ein Booster für Nirmatrelvir. Zusammen blockieren sie im Körper ein Enzym, das für die Virusvermehrung essenziell ist.
Etwas anders sieht es bei Molnupiravir aus. Die Substanz wird ebenfalls als Pille geschluckt, aber erst durch unseren Stoffwechsel aktiviert. Dann greift sie in den Kopiervorgang ein, mit dem die infizierten Zellen die Erbinformationen vervielfältigen und das Virus dadurch replizieren. In genau diesen Kopiervorgang fügt Molnupiravir nun zufällige Fehler ein. Diese Mutationen sollen dann dafür sorgen, dass die neuen Kopien des Virus nicht mehr funktionieren.
Wirken die beiden Medikament auch gegen Virusvarianten?
Als die für den Zulassungsprozess notwendigen Studien gemacht wurden, war Delta noch die vorherrschende Variante. Deshalb beziehen sich die ersten Ergebnisse eher auf diese. Trotzdem scheinen Paxlovid und Molnupiravir ebenfalls gegen die Omikron-Variante zu wirken – wenn auch etwas weniger gut.
Es heißt, dass Zeit bei der Therapie mit einem der beiden Mittel eine entscheidende Rolle spiele. Wann muss spätestens mit der Medikamenteneinnahme begonnen werden?
Paxlovid sollte innerhalb der ersten fünf Tage nach Beginn der Symptome oder nach einem positiven PCR-Test eingenommen werden. Es besteht wie gesagt aus drei Tabletten, die alle zwölf Stunden zusammen eingenommen werden müssen. Auch die Molnupiravir-Therapie sollte nicht später als fünf Tage nach Symptombeginn starten. Insgesamt müssen zweimal am Tag jeweils vier Tabletten geschluckt werden und das fünf Tage lang.
Infobox
Viren können sich selbst nicht vermehren. Dazu brauchen sie die Zellen ihres Wirtes. Dort dringen sie ein und zwingen sie, das Virus wieder und wieder zu kopieren. Unschädlich machen, funktioniert bis heute nur außerhalb des Körpers, und zwar mit heftigen Desinfektionsmitteln zum Beispiel auf Alkohol- oder Chlorbasis oder mit UV-Licht. Im Körper selbst können sie lediglich in ihrer Vermehrung gebremst werden. Das machen Medikamente aus der Gruppe der Virostatika wie Paxlovid und Molnupiravir, aber auch die monoklonalen Antikörper. Die besten Chancen haben sie dabei, wenn das Virus noch dabei ist, sich im Körper breit zu machen. Das ist in der Regel zwischen 24 Stunden und 5 Tagen nach Symptombeginn oder positivem PCR-Test.
Denn nach einigen Tagen geht das Immunsystem zu einem großangelegten Gegenangriff über. Um Immunzellen zur Arbeit zu rufen, schüttet der Körper unter anderem Zytokine aus. Meint er es damit zu gut, ist ein Zytokinsturm im Anmarsch. Dann führt allein die hohe Konzentration an Abwehrzellen dazu, dass das Gewebe Schaden nimmt. In dieser Phase der Erkrankung ist es deshalb wichtiger, das Immunsystem wieder in geregelte Bahnen zu bringen, die Entzündungsreaktionen in den Griff zu bekommen, Thrombosen zu verhindern und dafür zu sorgen, dass geschädigtes Lungengewebe möglichst ohne Narben verheilt.
Sowohl Paxlovid als auch Molnupiravir gibt es in Tablettenform. Was ist der Vorteil dieser Darreichungsform?
Der Vorteil liegt ganz klar darin, dass die beiden Medikamente zu Hause eingenommen werden können. Dazu muss man eines wissen: Um einem schweren Verlauf vorzubeugen, werden Risikopatienten bisher mit monoklonalen Antikörpern behandelt. Diese werden über eine Infusion in die Vene verabreicht. Und dazu muss sich der Patient ins Hospital begeben – entweder zur ambulanten Therapie oder eben stationär. Mit einer Einnahme zu Hause entlastet das natürlich die Kliniken und das medizinische Personal.
Infobox
Eine wichtige Waffe des Immunsystems im Kampf gegen Krankheitserreger und Gifte sind die Antikörper. Diese Proteine binden an spezielle Stellen des Eindringlings, die Epitope. Damit markieren sie den Erreger. Nun wird er von Fresszellen, den Makrophagen, erkannt, verschlungen und in seine Einzelteile zerlegt. Machen wir eine Erkrankung durch, bildet unser Immunsystem automatisch eine Vielzahl solcher Antikörper, die an verschiedenste Stellen des Erregers binden. Die nennt man polyklonale Antikörper. Monoklonale Antikörper werden hingegen im Labor hergestellt. Und ihr Name verrät ihre Abstammung. Mono steht für eins und klonal kommt vom Klonen. Sie sind also alles Klone einer einzelnen Zelle. Damit sind sie hochspezialisiert und binden alle an genau ein Epitop des Krankheitserregers. Das wurde von den Forschern zuvor so ausgewählt, dass der Antikörper ein optimale Wirkung erzielen kann. Die Gabe monoklonaler Antikörper ist wie eine passive Impfung. Denn das eigene Immunsystem wird nicht angeregt, selbst Antikörper zu bilden. Trotzdem kann diese Therapie bei manchen Krankheiten den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen. Bei Tollwut zum Beispiel oder bei Wundstarrkrampf. Hier rettet sie schon seit vielen Jahren Menschen mit nicht ausreichendem Immunschutz das Leben.
Das heißt also: Sobald ich einen positiven PCR-Test erhalten habe, gehe ich in die Apotheke, hole mir die Tabletten, schlucke sie und alles wird gut?
Nein, ganz bestimmt nicht. Molnupiravir gibt es vorerst nur in Hospitalapotheken und bei Paxlovid wird das auch so sein. Beide Medikamente haben von der EMA ja aktuell eine bedingte Zulassung erhalten. Das heißt, die Ärztinnen und Ärzte sind angehalten, mögliche Nebenwirkungen oder auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu erkennen und diese dann an uns weiterzugeben. Damit sie genau wissen, worauf sie achten müssen, haben wir Webinare vorbereitet. Außerdem muss ein Arzt immer Nutzen und Risiken abwiegen, bevor er seinem Patienten ein Medikament verschreibt. Aus aktuellen Studien wissen wir zum Beispiel, dass Paxlovid nur bei der Hälfte der Fälle hilft. Bei Molnupiravir sind es sogar nur 30 Prozent. Demgegenüber stehen nicht zu unterschätzende Nebenwirkungen. Ein Arzt wird ein solches Mittel deshalb nur verschreiben, wenn er bei seinem Patienten tatsächlich auch das Risiko eines schweren Verlaufs sieht. Denn wenn er diesen verhindern kann, dann überwiegt der Nutzen einem möglichen Risiko
Details zu den klinischen Studien von Paxlovid und Molnupiravir gibt es in diesem Artikel.
Kann ich mir die Medikamente dann aber wenigstens verschreiben lassen, wenn ich mich vor einer Covid-Erkrankung fürchte?
Das ist eine sehr gute und auch sehr wichtige Frage. Paxlovid und Molnupiravir sind nur für Menschen gedacht, die auch tatsächlich krank sind. Dass sie von Gesunden eingenommen werden, ist bei den derzeitigen antiviralen Medikamenten noch nicht vorgesehen. Denn ob sie vorbeugend wirken, ist zurzeit noch nicht ausreichend untersucht. Man hätte aber natürlich das Risiko der Nebenwirkungen. Deshalb ist eines der wichtigsten Kriterien, um sie verschrieben zu bekommen, ein positiver PCR-Test.
Sie sprechen von nicht zu unterschätzenden Nebenwirkungen. Welche können das sein?
Bei Studien an Tiermodellen wurde beobachtet, dass Molnupiravir das ungeborene Leben schädigen kann. Ob das auch beim Menschen der Fall ist, wissen wir noch nicht genau. Deshalb darf es aktuell keinen schwangeren Frauen verschrieben werden. Außerdem sollen sowohl Frauen als auch Männer während der Behandlung und auch noch einige Zeit danach unbedingt auf eine effektive Empfängnisverhütung achten, um in dieser Zeit kein Kind zu zeugen. Das sind Vorsichtsmaßnahmen, die zu kennen sehr wichtig ist. Für Paxlovid gibt es einige ähnliche Vorkehrung. Und außerdem ist zu beachten, dass Paxlovid die Wirksamkeit empfängnisverhütender Hormonpräparate beeinflussen kann. Bei HIV-Infizierten, die noch nicht medikamentös behandelt werden, kann Paxlovid eine Arzneimittelresistenz hervorrufen. Außerdem gehören neben Durchfall, Muskelschmerzen und Bluthochdruck auch Leberschäden ins Spektrum möglicher Nebenwirkungen.
Infobox
Wer schonmal aufmerksam den kunstvoll gefalteten Beipackzettel eines Medikaments gelesen hat, weiß: Man erkauft sich die gewünschte Wirkung mit einer ganzen Reihe möglicher Nebenwirkungen. Manche sind harmlos wie ein trockener Mund oder leichte Müdigkeit. Andere sind eher lästig wie Herzrasen, Durchfall oder Übelkeit. Und wieder andere klingen fast schon schlimmer als die Krankheit, gegen die sie eigentlich helfen sollen. Allerdings muss dabei immer auch darauf geachtet werden, wie häufig solche Nebenwirkungen im Durchschnitt auftreten. Und genau das tut eine Arzneimittelbehöre – wie die EMA in Europa oder die FDA in den USA – auch immer dann, wenn sie ein neues Arzneimittel zulassen. Sie vergleichen, wie gut das Mittel gegen eine ganz bestimmte Krankheit wirkt; wie stark es Symptome lindert; wie sehr es den Krankheitsverlauf verkürzt und in wie vielen Fällen es Leben rettet. Das ist der Nutzen. Auf der anderen Seite nehmen sie auch alle unerwünschten Wirkungen des Arzneimittels unter die Lupe, die während der Studien beobachtet wurden. Hier spielen neben der Art vor allem die Schwere und die Häufigkeit eine wichtige Rolle. Daraus ergibt sich das Risiko. Anschließend stellen die Zulassungsbehörden den Nutzen und das Risiko gegenüber. Fällt erstgenannter höher aus, dann wird in der Regel eine Zulassung des Medikaments zur Behandlung einer bestimmten Krankheit empfohlen. Übrigens: Auch nach der Zulassung stehen Arzneimittel ständig unter Beobachtung. Zum Beispiel in den Phase-IV-Studien. Denn wenn Millionen Menschen mit einem Mittel behandelt werden, zeigen sich in der Regel auch die seltensten Nebenwirkungen. Dann wägen die Behörden Nutzen und Risiko erneut ab. Meist führt das dazu, dass der Beipackzettel einen neuen Eintrag erhält. In manchen Fällen wird dem Arzneimittel aber auch die Zulassung wieder entzogen.
Werden Paxlovid und Molnupiravir zu Game Changern beim Ausgang aus der Pandemie?
Das ist eine schwierige Frage. Aber ich denke nicht, dass die beiden Medikamente den Ausgang aus der Pandemie alleine herbeiführen können. Denn dieser hängt von verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählt natürlich, wie viele Menschen geimpft sind. Aber auch, wie viele Menschen eine natürliche Immunität nach überstandener Erkrankung ausgebildet haben. Und, ob genügend effektive Behandlungsmöglichkeiten für besonders gefährdete Menschen verfügbar sind. In den letzten zwei Jahren hat sich sehr viel getan. Zu Pandemiebeginn hatten wir kaum Optionen. Dann kamen die Impfstoffe und heute haben wir mit antiviralen Medikamenten, monoklonalen Antikörpern und Immundämpfern wirkungsvolle Therapien, die an verschiedenen Stellen und zu verschiedene Zeitpunkten des Krankheitsverlaufs ansetzen. Außerdem kennen wir das Virus besser. Wir können es sequenzieren. Wir wissen, welche Variante im Einzelfall vorliegt. Und wir können die Behandlung an die Variante anpassen. All diese Möglichkeiten arbeiten aber Hand in Hand. Und deshalb können Medikamente wie Paxlovid und Molnupiravir sicher zum Ende der Pandemie beitragen. Sie sind aber nicht das Allheilmittel.
Infobox
Die Suche nach dem Game Changer, dem einen Mittel, dass alles ändert, nährt die Hoffnung bei jedem großen Krankheitsausbruch. Als sich das Vogelgrippe-Virus H5N1 Anfang der 2000er Jahre auf der Welt ausbreitete, schien ein Medikament namens Tamiflu eben jener Game Changer zu sein. Viele Staaten legten sich eine nationale Reserve des Medikaments an. Die Vogelgrippe ging wesentlich glimpflicher vorüber, als damals befürchtet wurde. Und Tamiflu geriet in die Kritik. Die Studien zur Wirksamkeit, die der Pharmakonzern Roche bei der Zulassung vorgelegt hatte, seine zu optimistisch gewesen. Das Mittel sei weniger wirksam und weniger sicher als behauptet, sagen Forscher später.
Als wenige Jahre später der Schweinegrippe-Erreger H2N1 vor der Tür stand, sollte es Tamiflu wieder richten. Denn Untersuchungen hatten gezeigt, dass diese Variante des Grippevirus wohl empfindlich auf das Medikament reagiert. Dass es tatsächlich die Spielregeln der Schweinegrippe-Pandemie geändert und für weniger Tote gesorgt hätte, sagte eine Studie im Jahr 2014. Das Problem dabei: Die Untersuchungen waren vom Medikamentenhersteller Roche finanziert wurden und stand nicht zuletzt deswegen in der Kritik. So wurden den Wissenschaftlern von ihren Kollegen unter anderem auch Fehler bei der Datenanalyse vorgeworfen.