Jean-Baptiste Burnet
Wenn ich den Wasserhahn in meiner Wohnung in Deutschland aufdrehe, fließt daraus sauberes und hygienisches Wasser. Wieso betreffen auch mich Verunreinigungen?
Sie befinden sich in einer privilegierten Situation – wie wir insgesamt in den meisten entwickelten Ländern, in denen wir keine Probleme mit Krankheitserregern im Wasser haben. Trotzdem besteht auch bei uns die Gefahr, dass die Trinkwasserversorgung vorübergehend durch ein schwerwiegendes Verschmutzungsereignis beeinträchtigt wird: zum Beispiel durch Abwassereinleitungen oder diffusen Abfluss aus landwirtschaftlichen Flächen nach starken Niederschlägen oder der Schneeschmelze. Wenn dann Fehler bei der Wasseraufbereitung hinzukommen, können Krankheitserreger auch Ihren Wasserhahn erreichen. In der Vergangenheit sind auf diese Weise größere Krankheitsausbrüche geschehen.
Wo zum Beispiel?
Im Jahr 1993 hatte sich in Milwaukee über den Winter hinweg tiefer Schnee angesammelt, der nach starken Regenfällen im Frühjahr das Wassereinzugsgebiet betraf. Kläranlagen waren überlastet, ungereinigtes Abwasser wurde direkt in den Lake Michigan eingeleitet und gelangte schließlich in die Trinkwasseraufbereitungsanlage der Stadt. Über 400.000 Menschen infizierten sich mit einem im Wasser übertragenen Krankheitserreger namens Cryptosporidium und einige starben sogar. Glücklicherweise hat in letzter Zeit kein solch großer Ausbruch stattgefunden, denn es wurden viele Anstrengungen unternommen, um Krankheitserreger zu reduzieren und effiziente Barrieren aufzubauen. Es bleibt jedoch noch viel zu tun, um die Trinkwasserversorgung durch effiziente Risikoüberwachung und Risikomanagement besser zu schützen.
Anfang März traf der tropische Wirbelsturm Idai auf die Küste von Mosambik und verursachte weitreichende Überschwemmungen. Wasserverschmutzung war dort sicherlich ein großes Problem…
Ja, in der Tat. In diesen Situationen geht es zunächst darum, Menschen und Infrastrukturen, einschließlich Wasseraufbereitungsanlagen, vor steigenden Gewässern zu schützen. Aber auch die Wasserqualität kann zu einem großen Problem werden. Aus diesem Grund wäre es sinnvoll, schnelle mikrobiologische Analysemethoden mit in den Katastrophenschutz aufzunehmen. Die lokalen Behörden könnten dann schnell erkennen, ob beispielsweise die Wasseraufbereitung effizient funktioniert. Dies ist eine der vielen möglichen Anwendungen der Techniken, an denen wir arbeiten......
Inwiefern?
Wir arbeiten an einer „Online-Mikrobenüberwachung“ und verwenden Techniken, die nahezu eine Echtzeitmessung von Fäkalindikatorbakterien wie E. coli ermöglichen. Wenn wir solch einen Indikator in weniger als einer Stunde messen können, erhalten wir sehr schnell einen Eindruck von der Wasserqualität. Im Gegensatz dazu benötigen Standardlaboruntersuchungen einen 18-24-Stunden-Kultivierungsschritt, was die Zeit bis zum Ergebnis erheblich verzögert. Derzeit arbeite ich - neben unserer Tätigkeit für die Trinkwasserversorgung und die Badegewässer in Kanada - mit Kollegen aus verschiedenen Teams weltweit daran herauszufinden, wie solche schnellen Analysemethoden dazu beitragen können, besser auf Katastrophen wie in Mosambik, hinsichtlich der Wasserqualität, reagieren zu können.
Wie funktioniert die „Online-Mikrobenüberwachung“?
Das Gerät führt eine automatisierte Probenahme und die Messung eines Enzyms durch, das spezifisch für E. coli ist und bereits in aktuellen Laboranalysen verwendet wird. Es kann ferngesteuert werden und die Messergebnisse können in Echtzeit auf einem sicheren Internetportal eingesehen werden. Die Messfrequenz kann je nach Bedarf angepasst werden - wir führen typischerweise eine Online-Überwachung mit 1-2 Stunden Auflösung durch.
Ihre Arbeit wird sicher für Länder mit Problemen hinsichtlich der Wasserqualität, wie Indien oder einige Orte in Südostasien, von großem Nutzen sein?
Ich hoffe dies, da jene Länder hier jede Unterstützung gebrauchen können. Dennoch gibt es in diesen Ländern noch immer finanzielle und logistische Barrieren die der Implementierung solcher Online-Technologien im Weg stehen. Aber auch in unseren westlichen Ländern können die Wasserressourcen stark von einer fäkalen Verschmutzung betroffen sein, während zugleich globale Veränderungen und die zunehmende Wasserknappheit unsere alternden Wasserinfrastrukturen noch weiter unter Druck setzen werden. Viel mehr Anstrengungen müssen dem Schutz des Quellwassers gewidmet werden, das am Anfang der Wasseraufbereitung steht. Meiner Meinung nach sind die schnellen Analysetechniken, an denen wir arbeiten, ein wertvolles Werkzeug, um die Einzugsgebiete besser zu verstehen und Risiken im Zusammenhang mit mikrobiellen Gefahren vor dem Wasseraufbereitungszug proaktiv zu identifizieren und zu charakterisieren. Meine Forschung bei Polytechnique Montreal konzentriert sich auf dieses spezielle Thema, und wir konnten das Zusammenspiel zwischen Hydrometeorologie, lokalen Verschmutzungsquellen und der zeitlichen Dynamik von Fäkalmikroorganismen innerhalb der Trinkwasserversorgung viel besser verstehen, einschließlich wasserübertragener Krankheitserreger, wie sie vor 25 Jahren den Ausbruch von Milwaukee verursacht haben. Unsere Messungen zeigen, wie die mikrobielle Wasserqualität auf verschiedenen zeitlichen Skalen, von stündlich bis saisonal, schwankt und wie episodische Spitzenbelastungen durch Routineüberwachungen leicht übersehen werden können. Viele Entwicklungsländer haben dringende Probleme sowohl in Bezug auf die sanitäre Versorgung als auch auf die Versorgung mit sauberem Trinkwasser, insbesondere im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Daher bin ich der Meinung, dass schnelle Überwachungsinstrumente erforderlich sind und im Rahmen eines globalen Aktionsplans für eine stabilere Wasserversorgung untersucht werden sollten.
Derzeit arbeiten Sie in Montreal, aber Sie planen, nach Luxemburg zurückzukehren. Ihre Forschung ist eine sehr angewandte. Wollen Sie in die Industrie oder Grundlagenforschung?
Ich arbeite bereits mit der Privatwirtschaft zusammenarbeite und möchte gerne eine solche angewandte Forschung in Luxemburg fortsetzen, in einem Forschungsumfeld mit starker Bindung an die Industrie. Meiner Meinung nach können die Online-Technologien, an denen ich arbeite, wertvolle Daten im Zeitalter der Smart Cities und der Digitalisierung des Wassersektors liefern.
Text: Tim Haarmann
Infobox
In Luxemburg deckt der Obersauer-Stausee (die einzige Oberflächenwasserversorgung) 50% des Wasserverbrauchs, während die anderen 50% durch Grundwasserleiter gedeckt werden. 2/3 des letztgenannten Grundwassers wird in der Luxemburger Sandsteinformation, insbesondere in der Umgebung der Stadt, gewonnen.