Regen in Luxemburg

Jean-Marc Bous

Laurent Pfister ist Hydrologe am Luxembourg Institute of Science and Technology. Im Interview haben wir ihn darum gebeten, uns die aktuellen Wetterereignisse einzuordnen. Das Interview führte Jean-Paul Bertemes (FNR).

Laurent Pfister, Luxemburg war in den letzten Jahren immer wieder mal von Starkregen-Ereignissen betroffen. Wie ordnest Du die aktuellen Wetterverhältnisse ein?

Die Starkregen 2016 und 2018 sowie vor einem knappen Monat, haben zu sogenannten Sturzfluten geführt. Hier fällt innerhalb sehr kurzer Zeit lokal sehr viel Regen. So viel, dass die Bodenoberflächen – die ersten paar Zentimeter – rasch mit Wasser gesättigt sind und dann der ganze Rest des Regens nicht mehr abfließen kann – was dann notgedrungen zu Überschwemmungen führt. Dies kann sogar passieren, nachdem es mehrere Wochen zu trocken war, die Böden also eigentlich noch Wasser aufnehmen könnten. Aber es fällt dann einfach zu viel Regen auf einmal, so dass das Wasser gar keine Zeit hat, in die tieferen Bodenschichten zu gelangen.  

In der aktuellen Situation verhält es sich anders. Es ist nicht nur ein lokales Phänomen, das einzelne Dörfer trifft, sondern es trifft eine große Region, über mehrere Länder hinweg. Das Wetter war über Wochen eher unbeständig und regnerisch, und nun hat es die letzten anderthalb Tage noch dazu in großen Mengen geregnet. Die Böden sind von Grund auf gesättigt. Alles was nun an Regen dazu kommt, kann kaum noch versickern oder vom Boden aufgenommen werden.

Man kann hier ein Beispiel aufführen: Wenn man schnell viel Wasser über einen mit Boden gefüllten Blumentopf gießt, dann fließt dieses Wasser schnell über die Oberfläche, obwohl eigentlich noch die Möglichkeit bestünde einen Teil des Wassers tiefer in den Boden zu leiten. Ähnlich verhält sich dieser Prozess bei den Sturzfluten.

Kippt man jedoch das Wasser langsamer zu, läuft der Blumentopf nicht sofort über, sondern das Wasser versickert in den Blumenboden. Erst wenn man lange genug Wasser hinzugibt und der gesamte Blumenboden nach und nach gesättigt wird, läuft dann das Wasser auch über den Rand des Blumentopfs hinüber. Das ist dann vergleichbar mit der jetzigen hydrologischen Situation.

Wie schwer sind solche Ereignisse vorherzusehen?

Flash Floods sind sehr schwer vorauszusehen. Vor allem weil sie lokal und äußerst kurzfristig auftreten. Hier gibt es auch noch den größten Forschungsbedarf.

Die aktuellen Wettereignisse waren jedoch relativ gut vorauszusehen. Normalerweise werden die großskaligen Überschwemmungen in unserer Region durch feuchte Luftmassen, die vom Nord-Atlantik in den Wintermonaten zu uns strömen verursacht. Dies war in den letzten Tagen nicht der Fall. In unserer Region sind warme und feuchte Luftmassen aus dem Mittelmeerraum gegen kühlere Luftmassen vom Atlantik gestossen. Dieser starke Kontrast hat dann letztendlich zu den sehr ergiebigen Niederschlägen und Überschwemmungen geführt.

Um die Prävention zu verbessern, hat z.B. das Wasserwirtschaftsamt einen Starkregenatlas erstellt.

Mehr Infos zu diesem Starkregenatlas, bzw. zur Frage wo all das Wasser herkommt und wo es hinfließt, in diesem Artikel: 

In der öffentlichen Debatte werden immer wieder verschiedene Gründe für solche Phänomene herangezogen, wie z.B. die Versiegelung/das Zubetonieren von Oberflächen, der Klimawandel, die Landwirtschaft… Gehen wir diese einzelnen Punkte mal durch. Welche Rolle spielt die Versieglung von Oberflächen bei Überschwemmungen?

Versiegelte Oberflächen spielen vor allem eine Rolle bei Sturzfluten. Wenn lokal innerhalb kürzester Zeit sehr viel Regen fällt, dann entstehen bei versiegelten Flächen sofort Überschwemmungen. Bei unversiegelten Flächen kann der Boden zumindest ein bisschen etwas auffangen. Sobald jedoch die Bodenoberflächen gesättigt sind, spielt der Umstand ob versiegelt oder nicht dann kaum mehr eine Rolle.

Bei den Ereignissen, wie sie zurzeit zu beobachten sind, spielt die Versieglung insgesamt weniger eine Rolle, da auch die Böden nun durch und durch gesättigt sind und das Wasser also quasi nirgends mehr einsickern kann.

Man kann das allerdings alles nicht so schwarz-weiß betrachten. Es handelt sich um komplexe Phänomene, wo viele Faktoren eine Rolle spielen. Wie viel Regen fällt, wie stark ist die Verdunstung, wie ist die Bodenbeschaffenheit bzw wie viel und wie schnell nimmt der Boden Wasser auf, handelt es sich um eine Hanglage, wie ist es mit der Erosion etc? All dies zusammen spielt eine Rolle.

Um aber nochmal die Ursprungsfrage kurz und knapp zu beantworten: Versiegelte Flächen begünstigen Hochwasserereignisse, sind aber nicht systematisch deren Ursprung.

Und welche Rolle spielt der Klimawandel?

Auch vor dem Klimawandel gab es bereits solche Wetterphänomene. Aber es ist klar: Je höher die Temperaturen global sind, desto mehr Wasser kann die Atmosphäre speichern und über weite Strecken transportieren. Und desto wahrscheinlicher werden Starkregenereignisse.

Und welche Rolle spielt die Landwirtschaft?

Für diesen Aspekt würde ich sie bitten unsere Expertin Nuria Martinez-Carreras zu fragen - sie kann das am Besten einschätzen.

Du meintest vorhin, dass vor allem Sturzfluten schwer vorherzusehen sind. Weshalb?

Das Wasserwirtschaftsamt hat Zugriff auf die Messdaten einer Vielfalt von Mess-Stationen, die quer durch das Land verteilt sind. Sie können also gut erkennen, wenn es großflächig anfängt viel zu regnen. Und wenn dazu noch die Wettervorhersagen relativ klar sind, können sie die Lage vorzeitig gut einschätzen und gegebenenfalls warnen.

Bei Sturzfluten ist die Lage komplizierter. Es handelt sich ja um kurzfristige, räumlich sehr begrenzte Phänomene. Es kann also sein, dass keiner der Sensoren in einer betroffenen Gegend steht. Notgedrungen ist dann auch die Vorhersage einer Flutwelle unmöglich. Und außerdem, wenn so etwas passiert, hängt viel davon ab, wie die lokalen Begebenheiten sind: Ist das Gebiet dicht besiedelt? Gibt es dort einen Hang, ein Bach? Wie ist die Bodenbeschaffenheit? Usw.

Gibt es Ansätze der Forschung, dies zu verbessern?

Ja. Wir haben rezent – mit Unterstützung des FNR – gemeinsam mit dem Wasserwirtschaftsamt und der Post an einem Projekt gearbeitet. 

Mehr Details zu diesem Projekt hier:

Es ist noch zu früh, um ein konkretes Fazit zu ziehen. Aber wir haben einige interessante Pisten in Aussicht. So könnte man z.B. in Zukunft – wenn sich ein Starkregenereignis in einer gewissen Region andeutet – verstärkt mobile Sensoren genau dorthin hinstellen, um die Situation besser überblicken zu können. Hierzu braucht es aber eine gewisse Logistik.

Dann gibt es auch Ansätze, Mobilfunkantennen zu nutzen, um Regen zu orten. Denn wenn es regnet, wird das Signal von Mobilfunkantennen leicht gestört. Man kriegt also eine Information wo es wie viel regnet. Dies könnte man mit in unsere Modelle und in unsere Frühwarnsysteme mit einbeziehen.

Allgemein nutzen wir Starkregenereignisse, um unsere Modelle immerzu zu verbessern. Wir lernen dann, ob unsere Parameter gut sind, bzw wo sie verbessert werden können. Wir lernen insgesamt jedes Mal dazu.

Gibt es jetzt schon besondere Erkenntnisse?

Dafür ist es noch zu früh. Wir werden in den nächsten Tagen immer bessere Daten haben, die wir dann analysieren können. Und in ein paar Wochen können wir dann rückblickend ein robustes Fazit ziehen. 

Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)

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