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Welcher “Zeitgeist” spielte Donald Trump in die Karten? Und was hat „House of Cards“ mit Shakespeare zu tun?
Ein Gespräch mit dem Forscher Oliver Kohns.
Herr Kohns, Sie untersuchen „ästhetische Figurationen des Politischen“: Die Art und Weise, wie Politik sich öffentlich inszeniert und wie Politik in Literatur oder Film dargestellt wird. Wie haben Sie den Wahlkampf zwischen Clinton und Trump wahrgenommen?
Zuerst einmal habe ich wie viele nicht mit diesem Ergebnis gerechnet. Insgesamt kann man sagen, dass der Diskurs sehr aggressiv geführt wurde – sogar für amerikanische Verhältnisse.
Wie meinen Sie das?
Im amerikanischen Wahlkampf ist die Zuspitzung des politischen Diskurses auf zwei Persönlichkeiten immer extrem. Das ist eine richtige Show, die in den TV-Duellen gipfelt. Der Fokus liegt durch diese Inszenierung weniger auf Inhalten als auf den Persönlichkeiten. Und Trump hat in diesem Wahlkampf eine bisher nie dagewesene Aggressivität an den Tag gelegt. Seine Rhetorik ist dabei alles andere als ausgefeilt: Er spricht ohne Nebensätze, inhaltlich verkürzend, benutzt Vokabeln eines 8-jährigen Kindes. Doch er ist immer auf Konfrontation aus, er spielt mit rassistischen Vorurteilen etwa gegenüber Mexikanern und Muslimen ebenso wie mit persönlichen Angriffen auf politische Gegner. All das hat ihm offenbar geholfen.
Diese Taktik wäre ja fast nach hinten losgegangen, da auch er immer wieder scharf angegriffen wurde. Nach dem “frauenfeindlichen Video” dachten viele, das sei Trumps Aus.
Das stimmt, aber Trumps Kampagne profitierte von einem „Zeitgeist“: der Suche nach einer “starken Führerpersönlichkeit”. Und da haben ihm interessanterweise die Verfehlungen nicht geschadet, sondern vielleicht sogar in die Karten gespielt. Als sich alle über ihn empörten, hat er es fertiggebracht, wie eine starke Führerpersönlichkeit wahrgenommen zu werden – dem sogar solche Skandale scheinbar nichts anhaben können. Er hat für viele Menschen glaubhaft verkörpert: Ich nehme es mit allen auf, vor allem mit dem Establishment, der reichen Ostküsten-Elite in den Vereinigten Staaten.
Weshalb glauben Sie, ist das Zeitgeist?
Aus historischer Perspektive gab es immer wieder Phasen in der Geschichte der Demokratie, in denen der Parlamentarismus gestärkt wurde. Und auch Phasen der Präsidialisierung, in denen die Menschen eher auf der Suche nach starken Führerpersönlichkeiten waren. Momentan sind wir offenbar wieder in so einer Phase.
Können Sie das ausführen?
Die Französische Revolution markiert bekanntlich eine Zäsur in der politischen Geschichte Europas: An die Stelle der monarchischen Souveränität tritt das Prinzip der Volkssouveränität, alle Macht sollte nun vom Volk ausgehen. Dies bedeutete konkret die Ersetzung von Königen und Despoten durch eine Hinwendung zum Parlamentarismus. Nicht eine einzige Person soll die Macht haben, sondern ein Parlament, bestehend aus vielen Menschen, die den Willen des Volkes und seine Pluralität repräsentieren sollten. Das 19. Jahrhundert gilt vielfach als Blütezeit des Parlamentarismus: Nach dem Ende Napoleons galt die Vormacht des Parlaments in vielen Ländern Europas als politisches Ideal, und damit der Vorrang der Legislative gegenüber der Exekutive, ebenso wie die Vorstellung einer unpersönlichen Machtausübung. Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich das dann in vielen Ländern.
z.B. in Deutschland…
Genau. In der Weimarer Republik konnte der Reichspräsident im Ausnahmefall auch ohne das Parlament, durch Notverordnungen, regieren. Seit 1930, als Brüning zum Kanzler wurde, wurde dies zum alltäglichen Instrument des Regierens, so dass die Demokratie bereits ausgehebelt war, bevor Hitler an die Macht kam. Die Nationalsozialisten haben sich dann die größte Mühe gegeben, die Herrschaft eines Einzelnen als unmittelbare Erfüllung des Willen des Volkes erscheinen zu lassen: Als hätten sie, indem sie das Parlament entmachtet haben, eigentlich nur eine bessere Form von Demokratie verwirklicht. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es dann wieder eine Hinwendung zum Parlamentarismus, und die Europäische Union hat den Nationalstaaten immer mehr Macht und Souveränität genommen, was dann natürlich auch wieder als Demokratiedefizit wahrgenommen werden kann. Deutschland hat z.B. heute noch ein starkes Parlament, der Kanzler wird vom Parlament gewählt, Koalitionsregierungen sind die Regel. Doch die Entwicklung geht seit einiger Zeit in vielen Ländern in Richtung auf eine autoritäre Demokratie, wie man das in der Türkei, in Russland und vielen anderen Ländern beobachten kann.
Was sind die heutigen Gründe für diese erneute Hinwendung zu starken Führerpersönlichkeiten?
Eine wichtige Rolle spielen die Massenmedien. Diese bevorzugen es, über Politik in Form von Personalisierung zu berichten. Das interessiert die Menschen: Wer ist dieser Politiker? Wie ist der so drauf? Parlamente sind unpersönlich. Der öffentliche Diskurs über Politik findet nun einmal über Massenmedien statt: Bis vor kurzem war das das Fernsehen, heute auch Portale wie Facebook und Twitter. Dass es dort eine Fokussierung auf entscheidungsstarke Einzelfiguren und auf personale Konflikte gibt, kommt einem autoritären Verständnis von Demokratie entgegen. Eine Figur wie Trump, der ja als Moderator von „The Apprentice“ in den USA seit langem ein Medienstar ist, kennt natürlich alle Tricks.
Und wie sieht es in Europa aus ?
In Europa spielen Massenmedien eine ähnlich wichtige Rolle. Dazu kommt, dass die Parteien ein Repräsentationsproblem haben: Früher war z.B. eine SPD ganz klar die Partei für die Arbeiterklasse, die Union die Partei für die christlich-konservative Klasse. Diese Klassen sind heutzutage nicht mehr so eindeutig vorhanden. Das klare Zugehörigkeitsgefühl von Gruppen zu einer Partei wird schwächer. So rückt wieder die Persönlichkeit einzelner politischer Anführer weiter in den Vordergrund. Heute wird öfter über Merkel oder Gabriel gesprochen, als über inhaltliche Unterschiede zwischen der CDU und der SPD, auch wenn in Deutschland ja kein Bundeskanzler gewählt wird, sondern Parteien für den Bundestag.
Glauben Sie, dass Europa sich auch auf Wahlkämpfe wie den in den USA einstellen muss?
So extrem wie in Amerika zugespitzt auf den Konflikt zwischen zwei Politikern sind Wahlen bei Mehrparteiensystemen naturgemäß nicht. Aber die Populisten sind auch in Europa lautstark auf dem Vormarsch. Schon möglich, dass der Ton auch hier aggressiver und agonaler werden könnte.
Anderes Thema: Sie befassen sich u.a. mit der Darstellung von Politik im Film. Kennen Sie die Serie „House of Cards“?
Natürlich. Sie ist eine wichtige Repräsentation des Politischen in der Gegenwart. Dabei steht die Serie in einer langen Tradition der Inszenierung von Politik, sie übernimmt beispielsweise viel von Shakespeare.
Wie zum Beispiel?
Zahlreiche dramatische Darstellungsmittel in „House of Cards“ gehen auf Shakespeare zurück. Man könnte beinahe behaupten, „House of Cards“ ist ein Versuch, Shakespeares Tragödie „Richard III“ für das 21. Jahrhundert zu aktualisieren. Ebenso wie Richard III. ist Frank Underwood ein politischer Intrigant, einer der manipuliert, Fallen stellt, lügt, der alles seinem Willen zur Macht unterordnet. Außerdem richtet auch Frank Underwood sich in Monologen immer wieder an die Zuschauer, in denen er sein Handeln erklärt, wie Richard Gloucester in der Eröffnungsszene von „Richard III“. Politik erscheint hier wesentlich als ein Spiel der Manipulation und Täuschung.
Wird Trump zum Frank Underwood?
Sie meinen, indem er zu einem pathologischen Lügner mit maßlosem Machtwillen würde? Ich fürchte, das ist er bereits.
Herr Kohns, danke für das Gespräch.
Autor: Jean-Paul Bertemes (FNR)
Foto © Université du Luxembourg