(C) Michel Brumat / University of Luxembourg
Ein Forscherteam am LCSB erstellt eine Sammlung von Computermodellen, die den Stoffwechsel von Bakterien im menschlichen Darm simulieren.
Hunderte verschiedene Bakterienarten leben im menschlichen Verdauungstrakt. Sie helfen uns dabei, unsere Nahrung zu verdauen, produzieren Vitamine und helfen Medikamente abzubauen. Die Stoffwechselprozesse dieser Bakterien spielen eine große Rolle für unsere Gesundheit – aber auch bei der Entstehung etlicher Krankheiten.
Die Verhältnisse sind dabei ausgesprochen komplex, da sich die Bakterien einerseits dauernd gegenseitig beeinflussen und zugleich in Kontakt mit den menschlichen Darmzellen stehen. So können sie ebenfalls den Wirtsorganismus beeinflussen.
773 Computermodelle simulieren Stoffwechsel von Darmbakterien
Trotz zahlreicher wissenschaftlicher Erkenntnisse ist unser Wissen über diese Mikroorganismen noch gering. Um dies zu ändern und Entdeckungen in diesem Bereich möglich zu machen, hat ein Forschungsteam am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Uni Luxemburg jetzt eine umfassende Sammlung von Computermodellen für 773 verschiedene Bakterienstämme des menschlichen Darms aufgebaut. Die Modelle stellen den jeweiligen Stoffwechsel der Organismen dar.
Die Sammlung dieser Modelle mit der Bezeichnung AGORA kann jetzt von Forschern weltweit genutzt werden, um Stoffwechselprozesse zu simulieren, die in den Bakterien ablaufen, und um zu untersuchen, wie dieser Stoffwechsel andere Bakterien und ihren Wirtsorganismus (den Menschen) beeinflusst.
Wie beeinflussen Bakterien den menschlichen Stoffwechsel – und umgekehrt?
Prof. Dr. Ines Thiele, Leiterin der Gruppe „Molecular Systems Physiology“ am LCSB und ATTRACT Fellow des Fonds National de la Recherche (FNR) war federführend bei dem Projekt. Sie erklärt den Nutzen der Sammlung für ihre eigene Forschung: „Mit AGORA können wir unter Zuhilfenahme weiterer Datensätze die metabolischen Wechselwirkungen innerhalb des Mikrobioms im Darm studieren und untersuchen, wie sie durch äußere Faktoren – etwa die Zusammensetzung der Nahrung oder den Stoffwechsel des Wirtsorganismus – beeinflusst werden.“
Sie fügt hinzu: „Wir wollen umgekehrt ebenfalls verstehen, wie die Mikroorganismen den menschlichen Stoffwechsel beeinflussen, wenn wir die Diät ändern. Das kann Hinweise darauf geben, wie wir Krankheiten vorbeugen oder diese behandeln können. Das kann z.B. geschehen indem wir Nahrungsmittelzusätze identifizieren, die die Wechselwirkungen in einem erkrankten Darm-Mikrobiom beeinflussen – dergestalt, dass die metablischen Funktionen eines gesunden Mikrobioms imitiert werden.
Konkrete Ursachen herausarbeiten, die Krankheiten auslösen
In ihrer Analyse stellten die Forscher bereits fest, dass beides – die bakteriellen Stoffwechseleigenschaften und die Nahrung – eine wichtige Rolle dabei spielen, wie die Mikroorganismen interagieren. „Wir können nun personalisierte Modelle des Mikrobioms erstellen, indem wir die bakteriellen Computermodelle mit metagenomischen Daten verbinden – also Daten zum gesamten Genom des Mikrobioms im Darm. Diese erhalten wir, indem wir das Erbmaterial der Mikroorganismen in Stuhlproben gesunder und kranker Menschen sequenzieren“, so Stefania Magnusdottir, Doktorandin im Thiele Labor und Erstautorin der Studie.
„Mit unseren Modellen können wir gezielt nach Stoffwechselwegen suchen, die grundlegende Bedeutung für das Mikrobiom des Darms haben“, sagt Co-Autor Dr. Ronan Fleming, der die Gruppe „Systems Biochemistry“ am LCSB leitet: „So lassen sich die konkreten Ursachen herausarbeiten, die Krankheiten auslösen, wenn im Stoffwechsel irgendetwas schief läuft. Die AGORA-Modelle erlauben es uns, den Einfluss der Wechselwirkungen zwischen Mikrobiom und Wirtsorganismus bei spezifischen Krankheiten zu untersuchen oder sie im immer wichtiger werdenden Feld der personalisierten Medizin einzusetzen.“
Autor: Uni Luxemburg; Editor: Michèle Weber (FNR)
Photo © Michel Brumat / University of Luxembourg
Infobox
Unter Mikrobiom versteht man die gesamte Bakteriengesellschaft im menschlichen Darm.
Um die Sammlung von Computermodellen zu erstellen trugen die Forscher sämtliche bekannte Daten zum Stoffwechsel der 773 Bakterienstämme aus bereits bestehender Fachliteratur zusammen – mehr als jemals zuvor in solchen Studien untersucht wurden.
„Wir haben dazu die bekannten experimentellen und genomischen Daten zusammengetragen“, sagt Stefania Magnusdottir, Doktorandin in der Gruppe von Ines Thiele und Erstautorin der Studie.
Das Team des LCSB veröffentlicht seine Ergebnisse im wissenschaftlichen Fachjournal Nature Biotechnology (DOI: 10.1038/nbt.3703). Die Sammlung prädiktiver metabolischer Modelle ist für Wissenschaftler verfügbar unter http://vmh.uni.lu.
Das AGORA Projekt wurde vom luxemburgischen Fonds National de la Recherche (FNR) im Rahmen der Programme ATTRACT, CORE, Proof-of-Concept und AFR sowie vom Advanced Computing program des US Department of Energy, Offices of Advanced Scientific Computing Research and the Biological and Environmental Research gefördert.
Ass. Prof. Ines Thiele, ines.thiele@uni.lu, T. +352 46 66 44 6647