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Das mehrsprachige Gehirn rechnet je nach angewendeter Sprache anders. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Uni Luxemburg.
Menschen können kleine Zahlen bis vier intuitiv erkennen, beim Rechnen sind sie aber auf das Hilfsmittel der Sprache angewiesen. In diesem Zusammenhang stellt sich die spannende Forschungsfrage, wie mehrsprachige Menschen Rechenaufgaben lösen, die ihnen in den verschiedenen Sprachen gestellt werden, die sie sehr gut beherrschen. Diese Situation stellt den Regelfall dar für Schüler mit Luxemburger Muttersprache, die in der Schule zuerst auf Deutsch alphabetisiert und dann in weiterführenden Schulen auf Französisch unterrichtet werden.
Diese Frage untersuchte eine Forschergruppe um Dr. Amandine Van Rinsveld und Professor Dr. Christine Schiltz vom Cognitive Science and Assessment Institute (COSA) der Universität Luxemburg. Für die Studie rekrutierten die Wissenschaftler Versuchspersonen mit Luxemburger Muttersprache, die ihre Schulzeit im Großherzogtum Luxemburg absolviert und anschließend an frankophonen Universitäten in Belgien studiert hatten.
Mehr Fehler bei Lösung der französischsprachigen Aufgaben
Die Studienteilnehmer beherrschten daher sowohl die deutsche als auch die französische Sprache perfekt. Als Luxemburger Schüler hatten sie den Mathematikunterricht in der Primarschule in deutscher und anschließend auf dem Gymnasium in französischer Sprache erhalten.
Die Teilnehmer mussten in zwei getrennten Testsituationen sehr einfache und etwas komplexere Additionsaufgaben sowohl in deutscher als auch in französischer Sprache lösen. Bei den Tests stellte sich heraus, dass die Probanden einfache Additionen in beiden Sprachen gleich gut lösen konnten. Für komplexe Additionen auf Französisch benötigten sie aber mehr Zeit als bei einer identischen Aufgabenstellung in deutscher Sprache. Außerdem machten sie bei der Lösung der französischsprachigen Aufgaben mehr Fehler.
Je nach Sprache werden unterschiedliche Hirnregionen aktiviert
Während der Tests wurde mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) die Hirnaktivität der Probanden gemessen. Es zeigte sich, dass abhängig von der verwendeten Sprache unterschiedliche Hirnregionen aktiviert waren. Bei der Addition auf Deutsch zeigte sich eine kleine Sprachregion des linken Temporallappens aktiviert. Bei der Lösung komplexer Rechenaufgaben in französischer Sprache waren bei den Versuchspersonen zusätzlich Teile des Gehirns beteiligt, die für das räumlich-visuelle Denken verantwortlich sind. Während des komplexeren Rechnens in französischer Sprache griffen die Probanden ergänzend auf bildliches Denken zurück.
Die Untersuchungen geben keinen Grund zu der Annahme, dass die Probanden die gestellten Aufgaben vom Französischen ins Deutsche übersetzten, um die Lösung zu berechnen. Während die Testpersonen deutschsprachige Aufgaben auf Basis der klassisch bekannten numerisch-verbalen Hirnareale lösen konnten, erwies sich dieses System für die zweite Unterrichtssprache, in diesem Fall Französisch, allein als nicht tragfähig genug. Um die Rechenaufgaben auf Französisch zu lösen, mussten die Testpersonen systematisch auf andere Denkprozesse zurückgreifen, die als solche bei monolingualen Personen noch nicht beobachtet wurden.
Gewisse Brisanz für das luxemburgische Schulsystem
Die Untersuchung dokumentiert erstmalig mit Hilfe von Hirnaktivitätsmessungen und bildgebenden Verfahren den nachweisbaren kognitiven „Mehraufwand“ bei der Lösung von mathematischen Aufgaben in der sekundären Unterrichtssprache. Die Forschungsergebnisse zeigen eindeutig, dass mathematische Prozesse direkt von der Sprache beeinflusst werden.
Für das Luxemburger Schulsystem enthalten diese Erkenntnisse eine gewisse Brisanz, da beim Übergang von der Grundschule auf das Gymnasium bekanntlich die Unterrichtssprache im Fach Mathematik von der primären Unterrichtssprache Deutsch zur sekundären Unterrichtssprache Französisch wechselt. Erschwerend kommt hinzu, dass heutige Schülerpopulationen im Großherzogtum in weit geringerem Maße als frühere Generationen über einen germanophonen Hintergrund verfügen, und anzunehmen ist, dass sie schon im deutschsprachigen Mathematikunterricht in der Grundschule visuelle Übersetzungsleistungen durchführen müssen.
Autor: Universität Luxemburg
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