(C) Uwe Hentschel
Bereits bei der Alphabetisierung werden luxemburgische Schüler mit Deutsch konfrontiert. Erstsprache ist es deshalb aber nicht. Oder vielleicht doch?
Um zu wissen, wo das Problem liegt, muss man nur die Lehrer fragen. Mélanie Wagner vom Institut für Linguistik und luxemburgische Literatur der Uni Luxemburg hat das getan. Im Rahmen einer gemeinsamen Studie mit Kolleginnen aus Großbritannien und Deutschland hat Wagner 50 Lehrer an luxemburgischen Gymnasien befragt. Die Sprachwissenschaftlerin wollte wissen, wie die deutsche Sprache an den Gymnasien unterrichtet wird. Und die Antworten zeigen, dass die Lehrer in dieser Angelegenheit keineswegs einer Meinung sind.
34 Prozent und damit rund ein Drittel der befragten Lehrer glauben, dass Deutsch als Erstsprache unterrichtet wird. Für 22 Prozent der Pädagogen hingegen ist Deutsch lediglich eine Zweitsprache, für weitere 22 Prozent sogar eine Fremdsprache. Und die übrigen 22 Prozent vertreten die Auffassung, dass Deutsch weder das eine noch das andere ist. Nur was ist es dann?
In Printmedien dominiert das Deutsche, in neuen Medien das Luxemburgische
„Das ist eine knifflige Situation“, sagt Wagner. „Deutsch wird zwar an den Luxemburger Schulen so unterrichtet, als sei es die Erstsprache“, erklärt sie, „doch geht man bei einer Erstsprache davon aus, dass diese auch von allen beherrscht wird.“ Und genau das sei in Luxemburg mit dem Deutschen eben nicht der Fall.
Laut dem Sprachengesetz aus dem Jahr 1984 gehört Deutsch genau wie Luxemburgisch und Französisch zu den administrativen Sprachen. Französisch ist darüber hinaus die Sprache der Gesetzgebung und Luxemburgisch die Nationalsprache. Wirft man einen Blick auf die Verteilung im Alltag, so ist Deutsch die Alphabetisierungssprache und auch die Sprache vieler Printmedien.
Die Erstsprache der (einheimischen) Luxemburger sei allerdings das Luxemburgische, erklärt Wagner. Für diese Menschen sei die Landessprache nun mal die Sprache der mündlichen Kommunikation. Und auch in den neuen Medien und sozialen Netzwerken dominiere das Luxemburgische.
Lehrer sind sich bei grammatischen Konstruktionen uneinig
Erstsprache ist Deutsch demnach nicht. Zweitsprache nach Auffassung von Wagner aber auch nicht. Denn eine Zweitsprache sei per Definition eine Sprache, die benötigt werde, um im Alltag zurechtzukommen, erklärt sie. Und das treffe (abgesehen vom Schullalltag) auf das Deutsche nicht zu. Als Fremdsprache sei Deutsch aufgrund der Sprachverwandtschaft zum Luxemburgischen aber auch nicht zu sehen.
Die Situation ist also in der Tat kniffelig. Und das vor allem für die Lehrer. Die nämlich müssen ihren eigenen Weg finden, um damit zurechtzukommen. Und die Schüler müssen es unter Umständen ausbaden. Denn die unklare Einordnung des Deutschen hat zur Folge, dass die Lehrer beispielsweise bei bestimmten grammatischen Konstruktionen unterschiedliche Auffassungen haben, was richtig und was falsch ist. Anders als in Österreich oder der Schweiz, wo Deutsch die Standardsprache ist, gibt es im Großherzogtum keine eigene, also luxemburgische Norm des Deutschen.
Sprachlich-heterogene Klassen erschweren Suche nach Patentlösung
Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigt eine ebenfalls durchgeführte Befragung von jeweils 50 Lehrern aus Deutschland, Luxemburg und der Schweiz zu bestimmten Satzkonstruktionen. Die Lehrer mussten angeben, ob die ihnen genannten Beispiele völlig akzeptabel, nur in bestimmten Situationen akzeptabel oder aber grundsätzlich verbesserungswürdig seien und damit auch die Note negativ beeinflussen würden. Das Beispiel „Wir rufen meiner Schwester an “ war für alle befragten 50 Lehrer deutscher Schulen absolut inakzeptabel, wohingegen in Luxemburg nur 76 Prozent dieser Auffassung waren.
„Die Studie hat gezeigt, dass es bei den analysierten Konstruktionen keinen Konsens zwischen den Lehrern gibt“, erklärt Wagner. Eine Patentlösung, um das zu ändern, sehe sie aber nicht. Zumal die Klassen aufgrund der unterschiedlichen Muttersprachen sehr heterogen seien. „In Luxemburg wird derzeit das Ziel verfolgt, die an den Schulen unterrichteten Sprachen auf Erstsprachenniveau zu vermitteln“, sagt die Sprachwissenschaftlerin. Und das sei nun mal eine extrem hohe Erwartungshaltung.
Autor: Uwe Hentschel
Foto: Uwe Hentschel