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Ein harter Brexit würde die Zusammenarbeit zwischen Forscher aus Großbritannien und der EU erschweren.

Es gibt Bereiche, in denen die internationale Zusammenarbeit auf europäischer Ebene durchaus kompliziert ist. Der Bereich der Wissenschaft gehört definitiv nicht dazu. „Forschung war schon globalisiert, bevor es das Wort Globalisierung überhaupt gab“, meint dazu Marc Schiltz, Generalsekretär des FNR. Der rege Austausch zwischen den europäischen Wissenschaftlern habe eine lange Tradition, sagt er. Und als eine der weltweit führenden Forschungsnationen gelte das insbesondere für Großbritannien. Durch den bevorstehenden Brexit jedoch sieht der Leiter des FNR diese Tradition gefährdet.

Marc Schiltz, Das Ergebnis des Brexit-Referendum hat viele überrascht. Sie auch?

Absolut. Ich hatte am Tag des Referendums noch in Brüssel ein Meeting von Science Europe, einem Verband europäischer Forschungs- und Forschungsförderorganisationen. Und unsere britischen Kollegen waren relativ optimistisch, dass es zwar knapp, aber doch gut ausgehen würde. Das war am nächsten Tag eine bittere Überraschung für jeden von uns.

War direkt von Anfang an absehbar, was das für die Forschung bedeuten wird?

Ich würde mal sagen, die Erkenntnis kam in zwei Etappen. Man war sich am Tag danach schon bewusst, dass der Austritt Großbritanniens Auswirkungen haben und die europäische Zusammenarbeit in der Forschung sicherlich erschweren würde. Aber man wusste damals nicht, wie dieser Brexit aussehen wird - und das weiß man ja immer noch nicht. Aber inzwischen gibt es zumindest mal Optionen. Eine davon ist der harte Brexit, was mit Sicherheit die schlimmste Option wäre. 

Warum wäre ein harter Brexit so schlimm?

Ein wesentlicher Punkt wäre das Ende der Förderung durch die Europäische Union. Die EU hat ein sehr starkes Förderprogramm, dessen Kern die transnationale Zusammenarbeit ist. Für fast alle dieser Förderungen ist Voraussetzung, dass der Antrag über ein Konsortium von Forschern aus verschiedenen Ländern gestellt wird. 

Die britische Forschung ist international sehr gut aufgestellt. Sie hat eine lange Tradition und wird von staatlicher Seite auch stark unterstützt. Und bei den europäischen Förderprogrammen ist das Vereinigte Königreich das Land, wo prozentual der größte Teil europäischer Forschungsgelder hinfließt. 

Der britischen Forschung würde also von heute auf morgen der Geldhahn zugedreht?

Wenn es Ende März zu einem harten Brexit kommen sollte, würde die EU-Förderung nach Großbritannien in der Tat sofort gestoppt. Es ist aber so, dass die britische Regierung einen Garantiefonds eingerichtet hat. Dieser Fonds regelt, dass in einem solchen Fall die Forschungsgelder aus nationaler Quelle kommen. Das aber ist allenfalls eine Übergangslösung. 

Es geht also ums Geld?

Es geht hauptsächlich um die internationale Zusammenarbeit. Die Forschungsgelder katalysieren diese Zusammenarbeit und die Entwicklung gemeinsamer Forschungsprojekte. Zu sagen, wir springen dann finanziell ein, damit ist es bei weitem nicht getan. Denn insgesamt haben die EU-Förderprogramme neben dem finanziellen Aspekt die intereuropäische Zusammenarbeit enorm gefördert. Und das könnte durch den Brexit wegfallen. Das ist ein enormer Verlust für das Vereinigte Königreich, aber auch für uns und die anderen Länder der Europäischen Union.

Wieso schadet das den anderen Ländern der EU?

Weil die britische Forschung so stark ist und wir dann, sollte es zu einem harten Brexit kommen, darauf verzichten müssten. Es würde uns zwar nicht daran hindern, weiter zusammenzuarbeiten, weil es ja auch nationale Förderinstrumente gibt wie beispielsweise bei uns in Luxemburg den FNR. Und wir haben auch ein Rahmenabkommen mit der britischen Förderagentur, das davon unberührt bliebe. Doch die Förderprogramme der EU sind schon sehr wichtig.

Existieren denn keine globalen Förderprogramme, um nach einem Brexit die gemeinsame Forschung von EU-Ländern und Großbritannien zu unterstützen?

Es gibt natürlich auch von einigen Institutionen globale Förderprogramme, doch sind diese dann meist sehr spezifisch. Und es gibt auch bilaterale Abkommen - wir haben beispielsweise eines mit den USA. Aber in dem Maße, wie wir Forschungsgeld von der Europäischen Union zur Verfügung gestellt bekommen, das gibt es sonst nirgends.

Beim Europäischen Rahmenprogram „Horizon 2020“ können sich EU-Länder zusammentun und für ein Projekt bewerben. Und die Kommission pocht sehr darauf, dass dabei auch ein Austausch stattfindet, man zum Beispiel auch eine Zeit lang an einem Institut in einem Partnerland forscht. Und das ist in dieser Form einmalig.

Welche Rolle spielt Großbritannien als Forschungspartner für Luxemburg?

Eine durchaus bedeutende. Wir haben über das Programm Horizon 2020 aktuell 285 Projekte mit luxemburgischer Beteiligung laufen. Und unter diesen 285 sind wiederum 164 Projekte, an denen auch Partner aus Großbritannien beteiligt sind, also mehr als die Hälfte. Das zeigt das Ausmaß. Gemessen an der Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen mit luxemburgischer Beteiligung ist Großbritannien nach Frankreich und Deutschland gemeinsam mit Belgien für uns der drittwichtigste Forschungspartner

Nun ist es ja im Finanzsektor so, dass andere europäische Städte vom Brexit profitieren, weil Banken aus Großbritannien abwandern wollen, unter anderem nach Luxemburg. Könnte das im Bereich der Forschung nicht ähnlich sein?

Im Finanzsektor ist die Situation insgesamt eine andere. Bei den Banken gibt es ein paar wenige Prime Locations in Europa und Luxemburg gehört dazu. Wohingegen es europaweit um die 800 Universitäten gibt. Und es wird wahrscheinlich nicht so sein, dass die Forscher dann auf drei oder vier bevorzugte Standorte ausweichen. Ein bisschen werden vielleicht viele dieser Standorte profitieren, aber keiner davon wirklich substanziell. 

Einige britische Universitäten spielen bereits mit dem Gedanken, in anderen EU-Ländern Zweigniederlassungen zu eröffnen, um so weiterhin vom Forschungsrahmenprogramm der EU zu profieren…

Man wird sehen, ob die Europäische Kommission so etwas dulden wird. Ob das ein Weg ist, da habe ich meine Zweifel. Ich denke auch nicht, dass das eine langfristige Lösung sein kann. 

Ein gutes Assoziationsabkommen wäre meines Erachtens eine sinnvollere Lösung – wie im Fall der Schweiz, die ja auch kein EU-Mitglied ist. Über diese Assoziation gibt es die Möglichkeit, am Forschungsrahmenprogramm teilzunehmen. Das würden wir uns natürlich alle für das Vereinigte Königreich wünschen. Aber das wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht diskutiert. Und bei einem harten Brexit könnte ich mir vorstellen, dass daraus nichts wird.

Es ist derzeit also noch vieles offen. Spürt man diese Ungewissheit auch unter den Forschern?

Ja, durchaus, insbesondere auf dem europäischen Parkett. Die Kollegen in Großbritannien sind in extrem pessimistischer Stimmung. Für sie wäre ein harter Brexit der Super-GAU. Wir bekommen auch Anfragen von Forschern, die wissen wollen, wie es denn mit der Kooperation aussieht. Unabhängig vom europäischen Rahmenprogramm haben wir vom FNR ja ein Abkommen mit der britischen Förderagentur, und das bleibt davon unberührt. Zumindest da können wir die Leute beruhigen. 

Wo man es vor allem spürt, ist bei den neuen Projekten, deren Anträge jetzt ausgearbeitet werden, um sie zur Förderung einzureichen. Da stellt sich angesichts der Ungewissheit immer wieder die Frage, inwieweit man jetzt noch britische Partner in ein Projekt mit aufnehmen kann.

Die Forschung wird also bereits jetzt europaweit gebremst?

Absolut. Deswegen ist es extrem wichtig, dass die Frage der Assoziierung möglichst schnell beantwortet wird. Aber dafür muss ja zunächst einmal die Frage des Brexits geklärt sein. Für die Forschung war das Ergebnis des Referendums auf jeden Fall eine Katastrophe. Es ist eine Lose-Lose-Situation, keiner gewinnt dabei.

Interview: Uwe Hentschel

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