Lexit?

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Ein Austritt aus der EU wäre für Luxemburg weder einfach noch erstrebenswert

Über allem steht zunächst die grundsätzliche Frage nach dem Warum. Warum sollte Luxemburg sich dazu entscheiden, aus der EU auszutreten? Ganz so einfach wie die Brexit-Befürworter in Großbritannien hätten es „Lexit“-Berfürworter im Großherzogtum ganz sicher nicht. Und das nicht nur, weil Luxemburg im Herzen Europas liegt und Sitz wichtiger Europäischer Einrichtungen ist.

 „Zum einen müsste man sich überlegen, was Luxemburg konkret durch einen Lexit erreichen könnte“, sagt Politikwissenschaftlerin Anna-Lena Högenauer. „Zum anderen müsste man sich über viele mögliche Nachteile Gedanken machen und darauf Antworten finden“, fügt sie hinzu. Denn folgenlos bliebe eine solche Entscheidung ganz sicher nicht.

Politischer Einfluss ginge zurück

„Die außenpolitischen Folgen eines EU Austritts wären für das Großherzogtum besonders gravierend“, so Högenauer. „Als kleines Land hätte Luxemburg trotz seines Wohlstands wenig Gewicht in internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen.“ 

Bei internationalen Verhandlungen über die Klimapolitik, Handelspolitik oder auch Sicherheitspolitik habe die EU als Kollektiv nun mal ein größeres Gewicht als einzelne kleinere Staaten, erklärt die Forscherin der Uni Luxemburg. „Der Einfluss Luxemburgs kann besonders dann überdurchschnittlich groß sein, wenn es eine Führungsposition in der EU besetzt, zum Beispiel also den Kommissionspräsidenten oder Eurogruppenchef stellt“, fügt sie hinzu.

Auch Wirtschaftspolitisch stände das Land schlechter da. „Luxemburg ist zwar wohlhabend, aber nur ein kleiner Markt“, erklärt Högenauer. Besonders bei Verhandlungen mit den Nachbarstaaten säßen die EU-Mitglieder am längeren Hebel und könnten so ihre Produktstandards und Regeln zur Arbeitnehmerfreizügigkeit durchdrücken.

Auswirkungen auf Arbeitsmarkt und Pendler

Luxemburg sei besonders abhängig von der Arbeitnehmerfreizügigkeit und den offenen Grenzen in der EU, sagt die Politikwissenschaftlerin und verweist auf die hohe Nachfrage an qualifizierten Arbeitskräften aus dem Ausland.  „Ein Austritt Luxemburgs aus der EU würde auf Dauer zu unterschiedlichen Rechtslagen zwischen Luxemburg und den Nachbarstaaten führen und somit das tägliche Pendeln erschweren“, meint auch Birte Nienaber, die an der Uni politische Geografie lehrt. 

Als Mitglied im Schengen-Raum bestünden im Gegensatz zum Vereinigten Königreich gewisse Freiheiten auch weiterhin, erklärt Nienaber. Es sei denn, Luxemburg träte auch aus dem Schengen-Abkommen aus. „Dann würden Grenzübertritte nur in einer eingeschränkten Zahl pro Jahr ohne Visa möglich sein“, sagt die Geografie-Professorin. „Das würde die Wiedereinführung von Grenzkontrollen mit sich bringen, und dieses würde dann das Arbeiten in Luxemburg sehr unattraktiv machen, da es jeden Tag mit stundenlangen Staus verbunden wäre.“ 

Folgen für Luxemburger, die auf der anderen Grenzseite wohnen

Dauerhaft sähen sich die Menschen also nach Arbeitsplätzen außerhalb Luxemburgs um, was zu einem Zusammenbruch der luxemburgischen Wirtschaft führen würde, da diese in außerordentlich hohem Maße von Grenzgängern abhängig sei, führt Nienaber das Szenario fort. Und auch Steuerabkommen zwischen Luxemburg und den Nachbarstaaten könnten davon betroffen sein und das Arbeiten in Luxemburg unattraktiv werden lassen.

Für die Luxemburger in den Nachbarländern würde ein Austritt aus der EU bedeuten, dass sie nicht mehr an EU- und Kommunalwahlen in diesen Ländern teilnehmen dürften, erklärt Nienaber. Und würde Luxemburg auch aus dem Schengen-Raum austreten (oder austreten müssen), hätte das zur Folge, dass luxemburgische Staatsangehörige als sogenannte Drittstaatler eine Aufenthaltsgenehmigung benötigten und diese regelmäßig neu beantragen müssten. „Es wäre also nicht gesichert, dass sie in den Nachbarstaaten weiterhin wohnen bleiben dürften“, sagt sie.

Nicht automatisch die gleichen Rechte wie die Schweiz

Vieles hinge also von der Frage nach der Mitgliedschaft im Schengen-Raum ab. Zu letzterem gehört auch die Schweiz. „Allerdings ist zu erwarten, dass bei einem bewussten Austritt – wie man es jetzt auch an dem Vereinigten Königreich sieht – ein Entgegenkommen der anderen EU-Staaten sehr gering wäre“, so Nienaber. Luxemburg bekäme wahrscheinlich nicht die gleichen Rechte wie die Schweiz, die da diese ja nie Mitglied gewesen sei und sich deshalb auch nie gegen den Willen der EU zu einem Austritt entschieden habe.

Was die rechtlichen Konsequenzen betrifft, so wären diese enorm, wie Herwig Hofmann von der Uni-Fakultät der Rechtswissenschaften betont. Weil sie buchstäblich jeden Lebensbereich beträfen: von der Flugsicherung über die Zulassung von Impfstoffen oder die Währung bis hin zur Frage von Gerichten und Universitäten. „Ungefähr 50 Prozent des inländischen Rechts stammt aus dem EU-Recht“, erklärt Hofmann. Und das sei den wenigsten bewusst.

Mit Blick auf den Forschungsstandort Luxemburg unverantwortlich

Für Marc Schiltz, Generalsekretär des nationalen Forschungsfonds FNR, wäre ein Lexit ohnehin unvorstellbar. „Wenn es noch ein Land in Europa gibt, in dem man sehr pro-europäisch eingestellt ist, dann ist das mit Sicherheit Luxemburg“, sagt Schiltz. Als weltoffenes, aber kleines Land sei Luxemburg auf die internationale Vernetzung angewiesen.

 „Gerade bei uns ist die Forschungslandschaft sehr international aufgestellt: Drei Viertel der Forscher hier sind Nicht-Luxemburger, die überwiegende Mehrheit davon kommt es EU-Ländern“, erklärt er. Es wäre zwar möglich, aber weitaus schwieriger, Forscher aus anderen EU-Ländern nach Luxemburg zu bekommen. „Wir sind hier in Luxemburg sehr auf Talente und die Personenfreizügigkeit angewiesen“, so der FNR-Generalsekretär. „Ein Austritt aus der EU wäre für die Forschung Luxemburgs Kamikaze.“

Autor: Uwe Hentschel

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