Ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr gilt als wichtigstes Mittel, um in Luxemburgs Ballungsräumen die Abhängigkeit vom Auto zu reduzieren und so den Verkehrsinfarkt zu verhindern. Mit einer Online-Umfrage hat ein Team aus belgischen und Luxemburger Wissenschaftlern ermittelt, auf was Fahrgäste im Großherzogtum am meisten Wert legen. Die Studie erschien im September 2023 im „Journal of Public Transportation“. Co-Autorin Veronique Van Acker, Research Scientist am „Luxembourg Institute of Socio-Economic Research“ (LISER) und dort verantwortlich für das Forschungscluster "Living with urban dynamics" der Abteilung Stadtentwicklung und Mobilität, stellt uns die Resultate vor. 

Mehr zu Veronique Van Acker: https://liser.elsevierpure.com/en/persons/veronique-van-acker

Was schätzen Nutzer von Bussen und Bahnen in Luxemburg Ihrer Umfrage zufolge am meisten? 

Wir haben die Umfrage Anfang 2020 vor Start des kostenlosen öffentlichen Transports durchgeführt, um Vergleichsdaten zu sammeln. Mit dem Preis waren Einwohner wie Grenzgänger schon damals am zufriedensten. Unsere ausländischen Forscherkollegen hat das überrascht, aber uns in Luxemburg nicht: Gruppen wie Studierende oder Rentner fuhren bereits kostenlos, und das Ticket war im Ländervergleich sehr günstig. 

Sauberkeit und Komfort der Busse und Züge sowie die Höflichkeit der Zugbegleiter wurden ebenfalls sehr positiv bewertet. Dass dies so eine große Rolle spielt, hat uns erstaunt. Die Sicherheit im Zug wurde ebenfalls sehr geschätzt, durch Grenzgänger noch mehr als durch Einwohner. Bei Busfahrten zeigten sich Einwohner zudem besonders zufrieden mit der Distanz vom Haus bis zur nahesten Haltestelle. Weitere Kriterien waren Takt, Wartezeit, Fahrtzeit, Pünktlichkeit – alles, was den Fahrbetrieb selbst betrifft. Hier sahen die Befragten auch das größte Verbesserungspotential.  

Wer zufrieden mit dem Nahverkehrsangebot ist, lässt also das Auto stehen – oder was sind die Beweggründe, regelmäßig Bus und Bahn zu nutzen?

Hauptgrund für häufige Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist, kein Auto zu besitzen – zum Beispiel aus finanziellen Gründen. Der zweitwichtigste Grund scheint das Umweltbewusstsein zu sein, und ein dritter ist, dass die Befragten öffentliche Verkehrsmittel für einfach zu benutzen und weniger stressig halten. Ganz anders die Grenzgänger: Hier erklärten die meisten, das Parken ihres Autos sei zu teuer. Außerdem könnten sie die Zeit im Zug sinnvoll nutzen, zum Arbeiten oder Lesen. Diese Motive zu kennen ist für die Politik wertvoll.  

Und was ärgerte Fahrgäste am meisten? 

Am unzufriedensten machen Verspätungen, annullierte Züge, lange Wartezeiten und unzureichender Takt. Von den Einwohnern des Landes wurden auch fehlende Fahrtinformationen bemängelt. Grenzgänger beschwerten sich mehr über die überfüllten Waggons zu den Stoßzeiten auf bestimmten Strecken. „Wir fühlen uns wie Sardinen in der Dose“, schrieben manche. Wenn durch den nun kostenlosen öffentlichen Transport die Nutzerzahlen steigen, Takt und Zahl der Züge aber gleichbleiben, kann das zu Überfüllung und Frustrationen führen, aber das ist nur eine Hypothese.  

Seit fast vier Jahren ist der öffentliche Nahverkehr in Luxemburg nun schon kostenlos. Sind die Nutzerzahlen denn seitdem gestiegen?

Die Zahl der Fahrgäste ist im Jahr 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie stark zurückgegangen und hat nun fast wieder das Niveau von vor der Pandemie erreicht. Auch ist die Zahl der Fahrgäste seit der Eröffnung der Straßenbahnlinie systematisch gestiegen und steigt aufgrund des kontinuierlichen Ausbaus weiter an. Dies ist jedoch nicht unbedingt auf den kostenlosen Transport zurückzuführen. Gleichzeitig wurde das Busnetz in den Gebieten um die Straßenbahnlinie überarbeitet und einige Buslinien wurden eingestellt. Daher sind die Nutzer dieser Buslinien wahrscheinlich vom Bus auf die Straßenbahn umgestiegen.

Wir haben kürzlich eine neue Online-Umfrage lanciert, um herauszufinden, ob mehr Menschen Bus und Bahn nutzen, seit sie kostenlos sind, und ob ÖPNV das private Auto wirklich ersetzt oder eher ergänzend genutzt wird. Wer mitmachen möchte, findet den Fragebogen hier. 

Und was sind die Hürden für die, die den ÖPNV bis heute nicht nutzen? 

Auch das ist Thema der neuen Umfrage, in der wir bewusst auch Nichtnutzer ansprechen. Vermutlich sind das eigene Auto und dessen Flexibilität die Hauptgründe – besonders, wenn man viele verschiedene Aktivitäten wie Arbeit, Kinder zur Schule bringen, Einkaufen, Sport koordinieren muss. Wenn man das Fahrverhalten der Bürger ändern und sie zur ÖPNV-Nutzung motivieren will, muss man zunächst diese Aktivitätsmuster verstehen. Dann stellt sich die Frage, wie man Transportpolitik und Landesplanung verbindet. 

Weite Teile Luxemburgs sind ländlich geprägt, dort ist man besonders häufig aufs Auto angewiesen. Wird es in diesen Regionen jemals möglich sein, mehr Menschen vom öffentlichen Transport zu überzeugen? 

Der traditionelle öffentliche Transport mit festen Linien und Zeiten funktioniert am besten in Stadtgebieten, denn auf dem Land ist die Nachfrage zu gering, Busse fahren oft nur einmal pro Stunde. Hier braucht man flexiblere „On-demand“-Lösungen, die verschiedene Transportmodi miteinander vernetzen. Diese Vernetzung sehen wir in Luxemburg jedoch noch wenig.  

Gibt es gute Beispiele aus anderen Ländern? 

In vielen niederländischen Städten wird die Kombination von Transportmitteln - etwa das Rad mit in den Zug zu nehmen und an jedem Bahnhof ein Rad leihen zu können – aktiv gefördert. So werden verschiedene Transportmodi verbunden und helfen dem Nutzer, die „last mile“ vom Bahnhof zum Endziel schneller zu bewältigen. Es gibt erste Initiativen in Luxemburg, aber sicher noch Potential. Das Konzept dahinter lautet „Mobilität als Dienstleistung“. Während man in der Stadt weiter in traditionellen, gut funktionierenden ÖPNV mit festen Takten investiert, bietet man auf dem Land, wo ein hoher Takt teuer und nicht effizient wäre, Alternativen auf Abruf an und kombiniert verschiedene Transportmittel. In Frankreich zum Beispiel wurden Szenarien wie der Einsatz autonomer Autos und Shuttle-Rufbusse außerhalb der Städte diskutiert. Diese würden die Menschen dann zu Umsteigehubs bringen, wo sie auf traditionelle Linien in die Stadt umsteigen.

Was rät die Studie Verkehrsbetrieben und Politik  – welche Strategien versprechen am ehesten Erfolg? 

Damit Menschen zu loyalen, regelmäßigen Nutzern von Bus und Bahn werden, spielen die Zufriedenheit mit dem Transport selbst, die Sicherheit an Bord und die Gehzeit bei Ankunft bis zum Zielort eine wichtige Rolle. Das Transportangebot muss von Frequenz und Pünktlichkeit her ausreichend und verlässlich sein und es lohnt sich, auf Sauberkeit und Service zu achten. Dass die Abschaffung von Fahrpreisen einen großen Einfluss auf die Loyalität hat, ist dagegen eher unwahrscheinlich. Besonders auf dem Land bedarf es zudem neuer, flexibler Lösungen wie Rufbusse. Die Verkehrsforschung zeigt aber auch, dass guter öffentlicher Transport allein den Straßenverkehr nicht automatisch reduziert. Die Nutzung des Privatautos muss gleichzeitig aktiv beschränkt werden, etwa über eine Citymaut. In Luxemburg wird viel in Alternativen zum Auto investiert, aber Beschränkungen fürs Auto sind hier noch kein Thema.  

Die Reaktionen wären vermutlich heftig. Wie nimmt man die Bürger auf diesem Weg mit?  

Das braucht tatsächlich viel Zeit. Ich selbst stamme aus Gent in Belgien. Die Stadt führte vor Jahrzehnten erst Fußgängerzonen, dann 30-km-Zonen ein, reduzierte dann die Autonutzung in der gesamten Zone innerhalb der inneren Ringstraße immer weiter, und das mit einer bestimmten Vision: Weniger Verkehr bedeutet weniger Luftverschmutzung. Die Debatte um nachhaltige Mobilität wird oft verknüpft mit der persönlichen Gesundheit der Bürger. Das kann bei Änderungen helfen, die Unterstützung der Menschen zu gewinnen. 

>> Assessing public transport loyalty in a car-dominated society: The case of Luxembourg : https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1077291X2300022X?via%3Dihub  

Autorin: Britta Schlüter
Editor: Jean-Paul Bertemes (FNR)

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