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Die Depression hat viele Gesichter. Je nach wissenschaftlicher Studie sind zwischen 10 und 20 Prozent der luxemburgischen Bevölkerung davon betroffen (siehe Infobox). Die Krankheit wird oft falsch verstanden. Häufig verleitet die tiefe Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit das Umfeld zu Fehlinterpretationen. Ganz klar abzugrenzen sind Depressionen gegen depressive Phasen, denen jeder Mensch im Laufe seines Lebens begegnen kann. Bei Depressionen handelt es sich um eine Erkrankung mit deutlich erkennbaren körperlichen Symptomen.
Depressionen und seelische Gesundheit
Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist
Die Definition psychischer Gesundheit konzentriert sich auf das seelische Wohlbefinden einschließlich der Gefühlswelt, der kognitiven Leistungsfähigkeit und des Verhaltens. „Die Trennung von Körper und Geist geht auf das 17. Jahrhundert zurück. Inzwischen rückt aber der ganzheitliche Ansatz immer mehr in den Mittelpunkt. Der Trend geht dahin, Körper und Seele als Einheit zu sehen.“, so Prof. Dr. Vögele, Professor für klinische Psychologie und Gesundheit. Prof. Dr. Vögele ist Psychologe und Psychotherapeut. Er leitet die Forschungsabteilung INSIDE und den Masterstudiengang Psychotherapie an der Universität Luxemburg.
Tiefe Traurigkeit
„Jeder Mensch erlebt Phasen im Leben, in denen er traurig ist. Wenn jemand seinen Arbeitsplatz verliert, eine Beziehung endet oder ein geliebter Mensch stirbt, ist die Trauer eine ganz normale Reaktion. Meist ist die Traurigkeit mit einer bestimmten Situation, einem bestimmten Menschen oder einem spezifischen Ereignis verknüpft“, erklärt Prof. Dr. Vögele.
Bei der sogenannten Major Depression hingegen handelt es sich um eine depressive Störung, die das Denken, Fühlen und Verhalten eines Menschen beeinträchtigt. Charakteristisch für die Krankheit ist, dass die Betroffenen eine tiefe Traurigkeit spüren und das Interesse an Dingen verlieren, die ihnen früher wichtig waren. Das kann sich emotional und körperlich auf unterschiedlichste Art und Weise auswirken. „Wer an Depressionen leidet, fühlt sich traurig und hat das Gefühl, es sei alles sinnlos – selbst, wenn es objektiv gesehen eigentlich gar keinen Grund dazu gibt. Die Betroffenen haben komplett die Fähigkeit verloren, Freude oder Lust zu empfinden“, erläutert Prof. Dr. Vögele.
Was passiert bei Depressionen im Körper?
Jeder Mensch durchlebt einmal Phasen der Trauer oder Angst. Im Normalfall bekommt der Organismus diese negativen Gefühle jedoch relativ schnell in den Griff – dank eines effektiven Kontrollsystems. Die Neuronen des präfrontalen Kortex sind z.B. unter anderem für die Selbstregulation negativer Gedanken verantwortlich.
Bei depressiven Menschen ist dieser Mechanismus ausgefallen. Die dafür verantwortlichen Neuronen sind nicht mehr voll funktionsfähig. Dazu kommen Störungen in der Stressregulation oder auch Anomalien im Hippocampus – ein weiterer Bereich des Gehirns, der mit der kognitiven Leistungsfähigkeit und den Emotionen zusammenhängt.
Die Ursachen der Depression. Welche Risikofaktoren gibt es?
Depressionen entstehen meist aus einer Kombination mehrerer Faktoren. Es gibt zahlreiche solcher Risikofaktoren, die als Auslöser infrage kommen. So können bestimmte körperliche Beschwerden Veränderungen im Gehirn auslösen und das Depressionsrisiko erhöhen. Zu dieser Gruppe gehört etwa der Schlaganfall. Zu weiteren Auslösern der Depression zählen hormonelle, psychiatrische und psychologische Störungen. Auch eine gewisse genetische Anfälligkeit kann eine Rolle spielen. Die aktuellen Forschungsergebnisse sprechen allerdings eher für ein Zusammenspiel von Genetik und Umwelteinflüssen. Mit anderen Worten: Man geht von einem Mix verschiedener Faktoren aus.
Forscher in Luxemburg haben den Beleg dafür geliefert, dass bestimmte sogenannte Umweltfaktoren die Anfälligkeit erhöhen. Sie haben unter anderem die physiologischen und psychologischen Reaktionen auf psychosozialen Stress bei Personen untersucht, die in der Kindheit traumatischen Ereignissen ausgesetzt waren. Die Forscher verglichen die Ergebnisse mit den Messungen in einer Kontrollgruppe aus Testpersonen, welche keine derartigen Traumata erlebt hatten. Das Ergebnis: Bei den Teilnehmern der Trauma-Gruppe war die Hormonreaktion bei Stressbelastung gestört. Außerdem zeigten sich in dieser Gruppe Störungen des Immunsystems, während mentale Probleme und chronischer Stress gehäuft auftraten. „Nicht jedes Kindheitstrauma führt zu solchen Störungen. Wer Bezugspersonen verliert oder im Waisenhaus aufwächst, hat lediglich ein erhöhtes Risiko“, führt Prof. Dr. Vögele aus.
Was sind typische Symptome für die Krankheit?
Die Diagnosestellung ist ausschließlich Experten vorbehalten. Für die Diagnose müssen außerdem über mindestens zwei Wochen hinweg fünf oder mehr der folgenden Symptome auftreten. Eine Depression liegt nur vor, wenn der Betreffende depressiv verstimmt, desinteressiert beziehungsweise lustlos ist, oder beide Symptome gleichzeitig aufweist.
1/ Überwiegende oder ständige depressive Verstimmung
2/ An den meisten Tagen deutliches Desinteresse oder mangelnde Lust an allen oder fast allen Tätigkeiten
3/ An den meisten Tagen deutlicher Gewichtsverlust bei ausbleibender Nahrungszufuhr oder Gewichtszunahme, oder erhöhter oder verminderter Appetit
4/ Für Außenstehende erkennbare Verlangsamung des Denkens und der Bewegungen
5/ An den meisten Tagen Müdigkeit oder Energiemangel
6/ An den meisten Tagen übersteigertes oder unangemessenes Gefühl der Nutzlosigkeit oder Schuld
7/ An den meisten Tagen vermindertes Denk- und Konzentrationsvermögen oder fehlende Entschlusskraft
8/ Wiederkehrende Gedanken an den Tod und Selbstmordfantasien ohne spezifischen Plan oder Selbstmordversuche.
Die Bedeutung einer adäquaten Behandlung
Es stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur psychotherapeutischen Behandlung zur Verfügung. Die kognitive Verhaltenstherapie (kurz CBT) hat sich als die effektivste Therapieform erwiesen. „Die CBT konzentriert sich auf die Gegenwart und die Lösung aktueller Probleme. Sie zeigt dem Menschen seine Denkfehler. In der Folge kann der Klient sein Verhalten und sein Denken ändern“, so Prof. Dr. Vögele.
Die interpersonelle Psychotherapie (IPT) hat sich ebenfalls bewährt. Sie rückt die Beziehungen des Menschen mit seinem Umfeld in den Mittelpunkt. „Nicht jede Depression wird durch ein bestimmtes Ereignis oder Beziehungsprobleme ausgelöst. Umgekehrt kann die Krankheit aber die zwischenmenschlichen Beziehungen erschweren. Das Ziel der IPT besteht darin, die Kommunikationsfähigkeit zu stärken und die Probleme aufzudecken, die den Nährboden der Depression bilden“, sagt Prof. Dr. Vögele.
Es gibt auch biologische und physiologische Behandlungsansätze. Zu den biologischen Maßnahmen zählen Medikamente, die an den Neurotransmittern ansetzen – den Botenstoffen des Gehirns. Die Elektrokrampftherapie besteht indes aus einer kurzen elektrischen Stimulation unter Anästhesie. Diese Therapieform ist eher als Behandlung für Patienten mit ausgeprägter Major Depression oder bipolaren Störungen verbreitet, und wird nur eingesetzt wenn anderen Ansätze nicht wirken.
Chronische Schmerzen und Depressionen
„Gesundheit wird immer häufiger als Fähigkeit eines Menschen oder einer Gemeinschaft definiert, sich anzupassen und das Leben zu bewältigen. Nach dieser Definition kann es sein, dass ein Mensch krank und gesund zugleich ist“, so Prof. Dr. Vögele.
Bei chronischen Schmerzen kann sich eine Depression bilden. In manchen Fällen lassen sich die Schmerzen leider nicht behandeln oder vollständig beseitigen. Der Patient kann dennoch mit der Zeit lernen, seine Schmerzen und den Alltag in den Griff zu bekommen.
In einer luxemburgischen Studie hat sich das Team um Prof. Dr. Vögele die psychischen Abläufe bei chronischen Schmerzen genauer angesehen. Hierfür haben die Forscher über längere Zeit 70 Menschen mit chronischen Schmerzen begleitet. In der ersten Phase sollten die Patienten in einem Tagebuch Intensität und Dauer der Schmerzen, die körperlichen Beeinträchtigungen, Depressionen und Angstgefühle festhalten. Anschließend haben sie in einem digitalen Tagebuch Tag für Tag Schmerzintensität, körperliche Beeinträchtigungen, kognitive Störungen sowie negative und positive Emotionen bewehrtet.
Die Forscher verwendeten dabei unterschiedliche Methoden, darunter das Multidimensional Pain Inventory. Am sogenannten Schmerzfragebogen lassen sich die Auswirkung der Schmerzen auf den Alltag des Menschen zuverlässig ablesen. Daneben kamen statistische Tools zum Einsatz. Das Ergebnis der Untersuchung: Wie gut der Mensch mit seinem Alltag zurechtkommt, hängt stark davon ab, wie er mit seinen Emotionen umgeht.Dazu Prof. Dr. Vögele: „Große Schwankungen zwischen positiven und negativen Emotionen im Tagesverlauf wirken sich negativ auf die Alltagsbewältigung und Lebensqualität aus. Wer emotional stabiler ist, kommt bei vergleichbarem Schmerzniveau besser durchs Leben.“
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Autor: Constance Lausecker
Infobox
Eine Studie des Luxembourg Institute of Health (LIH) versuchte das Vorkommen depressiver Symptome in Luxemburg einzuschätzen, sowie die damit verbundenen Risikofaktoren und geografische Unterschiede. Laut dieser Studie, die 2017 veröffentlicht wurde, sind rund 20% der Bevölkerung betroffen. Bei der Studie wurden 1499 Einwohner aus Luxemburg im Alter von 25-64 Jahren befragt. Die Wahrscheinlichkeit depressiver Symptome war bei Einwanderern der zweiten Generation signifikant höher als bei Nicht-Einwanderern, unabhängig von anderen sozioökonomischen und Verhaltensmerkmalen. Eine der höchsten Wahrscheinlichkeiten für die Meldung depressiver Symptome wurde in Dudelange im Südwesten des Landes beobachtet.
Eine weitere Studie des Robert Koch Institutes in Deutschland mit über 250.000 Teilnehmern aus Deutschland und 24 anderen EU-Ländern stellte fest, dass 10% der luxemburgischen Bevölkerung von depressiven Symptomen betroffen sind. Luxemburg liegt damit an erster Stelle im Vergleich mit den anderen EU-Ländern der Studie. Laut dieser Studie sind Jugendliche und junge Erwachsene (15-29 J.) am stärksten betroffen.
Maria-Ruiz, die die LIH-Studie durchgeführt hat, erklärt: "Die Unterschiede zwischen den Studien sind auf die Verwendung unterschiedlicher Definitionen depressiver Symptome zurückzuführen. Zum Beispiel definierten Forscher am Robert Koch-Institut Depression mit > = 10 depressiven Symptomen, während wir > = 5 depressive Symptome anwendeten (in der Tat, wenn wir die gleiche Definition wie bei der Untersuchung der Rober-Koch-Instituts benutzen, hätten wir eine Prävalenz von 6% gezeigt (dies ist in Tabelle 1 unseres Artikels 2017 erwähnt). Weitere wichtige Faktoren, die bei der Interpretation dieser Studienergebnisse berücksichtigt werden müssen, sind das Alter der Bevölkerung. Die EHIS-Studie (Ergebnisse veröffentlicht vom Robert Koch-Institut) umfasste Teilnehmer > = 15 Jahre, während wir für unsere Studie (EHES-LUX) Teilnehmer im Alter von 25 bis 64 Jahren umfassten. Dies ist wichtig, da die Antworten von zwei Risikogruppen in der EHES-LUX-Studie nicht gemessen wurden: diejenigen unter 25 und diejenigen über 64. Dies könnte erklären, w arum wir bei EHES-LUX im Vergleich zu EHIS eine geringere Prävalenz sahen. Die Art der verwendeten Fragebögen und die Art der Umfrage sind auch hier wichtig: Zum Beispiel haben wir persönliche Interviews geführt, während EHIS ein Selbsteinschätzungstool verwendet hat. Die Herausforderung von Gesundheitserhebungen und länderübergreifenden Vergleichen liegt nach wie vor in den verwendeten Definitionen, was den Vergleich sehr oft erschwert."
Prof. Claus Vögele, ebenfalls an der LIH Studie beteiligt, fügt hinzu: "Epidemiologische Umfragen stellen immer eine Schätzung dar. Die Ergebnisse hängen von der an der Umfrage teilnehmenden Bevölkerung ab, von den verwendeten Methoden (z.B. klinische Interviews vs. Selbsttestfragebogen) und der Anweisung (z.B. Beobachtungszeitraum von 2 Wochen oder 6 Monaten). Darüber hinaus verwechseln viele Menschen eine klinische Diagnose einer Depression (die nur von einem ausgebildeten Arzt gestellt werden kann), Selbsttesttools für depressive Stimmung und (normale) Gefühle von Traurigkeit."