© University of Luxembourg
Die wenigsten Krankheiten des Menschen haben einen einzigen Auslöser – beispielsweise ein einziges mutiertes Gen. In der Regel spielen zahlreiche innere und äußere Einflüsse eine Rolle. So ist es auch, wenn komplexe Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer oder Krebs entstehen. Zwar haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren sehr viele Details zu den Krankheitsabläufen erforscht. „Dieses Wissen war aber bisher sehr breit in unterschiedlichen Publikationen und Datenbanken verteilt“, sagt Professorin Ines Thiele vom Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB): „Selbst für Spezialisten war es unmöglich, hier den Überblick zu bewahren.“
Viele Zusammenhänge zwischen Forschungsergebnissen, die nicht zufällig zur selben Zeit oder im selben Journal veröffentlicht wurden, blieben deshalb oft im Verborgenen. Das ändert sich nun mit dem Projekt Virtual Metabolic Human Database(VMH).Die Datenbank fasst das Wissen zusammen, das Forscher aus aller Welt in den vergangenen 60 Jahren zum menschlichen Stoffwechsel gewonnen haben.
Online-Datenbank ist Projekt der Open Source-Bewegung
Thiele, Leiterin der LCSB-Gruppe Molecular Systems Physiology, ist verantwortlich für dieses Projekt. Gemeinsam mit ihrem Team und Projektpartnern aus Frankreich, den Niederlanden und Indien hat Thiele systematisch Daten über Stoffwechsel und Krankheiten des Menschen, über seine mikrobielle Darmflora und seine Ernährung zusammengetragen. Dieses geballte Wissen haben die Forscher zudem mit einem umfassenden Computermodell der menschlichen Stoffwechselprozesse verbunden.
Die online verfügbare Datenbank VMH ist ein Projekt der Open Source-Bewegung. Open Source macht Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung der Allgemeinheit zugänglich. „Damit ist jedes Detail der Stoffwechselforschung für jeden Forscher an jedem Ort nur noch einen Mausklick entfernt“, sagt Ines Thiele. Die Ergebnisse zu VMH kürzlich im Fachjournal „Nucleic Acids Research“ als besonders beachtenswerter „Breakthrough“-Artikel veröffentlicht.
Entwicklung eines Digitalen Diät-Designers
Mit der Veröffentlichung von VMH hat das Forschungskonsortium um Ines Thiele eine echte Herkulesarbeit zu einem vorläufigen Ende gebracht. Die Forscher haben fünf Jahre lang Daten aus Publikationen und Datenbanken zum Thema Stoffwechsel zusammengetragen. Die verfügbaren Daten mussten so aufbereitet werden, dass sie für die Nutzung in der VMH kompatibel wurden.
Für Daten aus der Ernährungsforschung hat das Forschungsteam zudem einen digitalen so genannten Diät-Designer entwickelt. Mit ihm ist eine Simulierung der Stoffwechselprozesse mit Fokus auf die Ernährung möglich. Thiele: „Das ist etwas völlig Neues und ziemlich cool.“ Dieser Aufwand war nur möglich, weil das Projekt im Rahmen des von Ines Thiele eingeworbenen ATTRACT-Fellowships des luxemburgischen Fonds National de la Recherche (FNR), ihres ERC-Grants und durch das ebenfalls vom FNR finanzierte NCER-PD-Projekt Mittel erhielt.
Schülerlabor Scienteens Lab der Uni Luxemburg hat bei Aufbereitung der Daten geholfen
Eine Besonderheit der VMH ist auch die Einbindung von Schülern und Studierenden in die Erstellung der Datenbank, wie Projektpartner Prof. Dr. Ronan Fleming von der niederländischen Universität Leiden und zuvor Leiter der LCSB-Gruppe „Systems Biochemistry“ erzählt: „Im vergangenen Jahr haben wir gemeinsam mit dem Schülerlabor Scienteens Lab der Universität Luxemburg einen Sommerkurs für Schüler und Studierende veranstaltet. Die jungen Leute haben im Kurs "MitoCarte" daran mitgearbeitet, VMH-Daten aufzubereiten und sie in einer menschlichen Stoffwechsel-Landkarten zu visualisieren.“ Obwohl die meisten noch keine oder nur geringe wissenschaftliche Erfahrungen hatten, sei das ein sehr wertvoller Beitrag zum Projekt gewesen, so Fleming: „Jeder, der daran mitgearbeitet hat, ist deshalb auch als Mitautor der Publikation genannt.“
Die VMH wird der biomedizinischen Arbeit einen deutlichen Schub verleihen, da ist sich Ines Thiele sicher: „Unsere Datenbank macht bisher unsichtbare Zusammenhänge im menschlichen Stoffwechselgeschehen sichtbar.“ Wichtig ist das unter anderem für die pharmazeutische Wirkstoffentwicklung.
So ist es in Zukunft möglich herauszufinden, ob ein Medikament, das gegen eine bestimmte Krankheit wirken soll, auch ernährungsphysiologisch wichtige Bakterien im Darm in Mitleidenschaft zieht. Thiele: „VMH verrät mir mit einem Klick, ob der menschliche Stoffwechselweg oder das Protein, auf welche die Substanz wirkt, auch in Bakterien zu finden ist.“ Durch geschickten Umbau des Wirkstoffs können so beispielsweise Nebenwirkungen vermieden werden.
VHM zukünftig auch als Simulations-Werkzeug einsetzen
Für die Forscher ist die Arbeit mit der Veröffentlichung der VMH nicht zu Ende, wie Thiele erläutert: „Wir müssen unsere Anstrengungen eher noch intensivieren, damit VMH immer auf der Höhe der Zeit und ein wirklich wirksames Arbeitsinstrument für die biomedizinische Forschung bleibt.“ So sei es nötig, Finanzmittel einzuwerben, um weitere Wissenschaftler und Programmierer einstellen zu können: „Jetzt, wo VMH online ist, werden wir Feedback und viele Hinweise auf weitere Daten von Forscherkollegen bekommen“, so Thiele: „Die gilt es in die VMH zu integrieren, was viel Arbeit bedeutet.“
Außerdem schwebt Thiele vor, dass VMH zukünftig nicht nur eine Datenbank, sondern auch ein Simulations-Werkzeug sein wird: „Dann lassen sich noch viel mehr Aspekte des menschlichen Stoffwechsels und seiner Umwelt visualisieren – und sogar personalisierte, also für einen individuellen Patienten gültige Vorhersagen machen, wenn die entsprechenden Daten vorliegen.“
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Autor: Universität Luxemburg
Editor: Uwe Hentschel