Wachstumsdebatte in Luxemburg: Wie sollte Luxemburg wachsen? Warum ist Wirtschaftswachstum überhaupt nötig? Ging es in Europa nicht auch lange ohne... Wirtschaftsprofessor Andreas Irmen hat science.lu einige Fragen beantwortet.
Weshalb ist Wachstum wichtig für die moderne Wirtschaft?
Wirtschaftswachstum bedeutet, dass eine Volkswirtschaft mehr und bessere Güter und Dienstleistungen produziert als in der Vergangenheit. Wirtschaftswachstum ist vor allem dann wichtig, wenn diese Güter und Dienstleistungen zu einem Anstieg des Lebensstandards breiter Bevölkerungsteile führt. Mit anderen Worten, alle sollten von Wirtschaftswachstum profitieren. Die Geschichte zeigt, dass Wirtschaftswachstum in der Tat viele Menschen von Armut, Krankheit, oder Arbeitslosigkeit hat befreien können. Darüber hinaus hilft Wirtschaftswachstum natürlich auch bei der Finanzierung des Wohlfahrtsstaates, insbesondere der Rentenversicherung in alternden Gesellschaften, vorausgesetzt natürlich, dass die wachsenden Einnahmen des Staates auch sinnvoll eingesetzt werden.
Ist Wachstum nötig? Es ging in der Vergangenheit ja lange ohne ...
Nach heutigem Kenntnisstand hat es in Europa lange Zeit kein Wirtschaftswachstum gegeben. Der durchschnittliche Lebensstandard im 14. Jahrhundert entsprach ungefähr dem der alten Römer. Es ging also auch lange ohne Wachstum. Die Phase langanhaltenden Wirtschaftswachstums, an das wir uns alle gewöhnt haben, ist ein sehr junges Phänomen, vielleicht erst 150 Jahre alt. In diesem Zeitfenster hat sich der Lebensstandard der Bevölkerung allerdings deutlich verbessert. Wenn also Wirtschaftswachstum richtig gestaltet wird, ist das gut für die Lebensqualität. Wirtschaftswachstum darf aber kein Selbstzweck sein, es sollte den Menschen dienen.
Kann es immer weiter gehen mit Wirtschaftswachstum, oder kommt irgendwann die europäische/globale Stagnation? (Ist in manchen Ländern ja bereits eingetreten, zumindest gefühlt...)
Prinzipiell kann auf einem Planeten endlicher Größe nichts unendlich groß werden, auch die Wirtschaft nicht. Für die Einwohner eines geographisch kleinen Landes wird dies wahrscheinlich wie eine Selbstverständlichkeit klingen. Die weitaus schwierigere Frage ist aber, wann das Ende des Wachstums erreicht sein wird.
Tendenzen für ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum sind im Moment bereits in vielen Ländern sichtbar; insbesondere da, wo der Anteil der Gesamtbevölkerung, der in Lohn und Brot steht, fällt. Steigende Arbeitslosigkeit, wie wir es in einigen Südeuropäischen Ländern erleben, bedeutet deshalb auch häufig weniger Wachstum. Die gleiche Wirkung hat die Bevölkerungsalterung, die in vielen industrialisierten Ländern zu beobachten ist. Wenn der Anteil der arbeitenden Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung fällt, weil es mehr Rentnerinnen und Rentner gibt, dann geht auch die gesamte Wirtschaftsleistung zurück.
Stichwort 1,1 Millionen Einwohnerstaat: Ist das für Luxemburg ein realistisches Wachstumsmodell? Ein nötiges?
Ein starker Anstieg der Einwohnerzahl oder zumindest der Beschäftigten Luxemburgs wird zurzeit vorhergesagt. Natürlich ist eine solche Prognose immer mit Unsicherheiten verbunden. Sie basiert aber auf allen heute zugänglichen Informationen und sollte deshalb ernst genommen werden. In diesem Sinn handelt es sich um ein realistisches Modell für das Luxemburger Bevölkerungswachstum.
Für die Luxemburger Gesellschaft mit heute 540.000 Einwohnern bedeutet der 1,1 Millionen Einwohnerstaat sicherlich eine große Herausforderung, die weit über das rein ökonomische hinausgeht. Schließlich will eine gewachsene Bevölkerung nicht nur arbeiten. Neben neuen Arbeitsstätten werden z.B. neuer Wohnraum, Straßen, Schulen, Spielplätze, oder Krankenhäuser entstehen müssen.
Wenn sie der Politik einen Rat geben könnten: Was wäre für sie ein gutes Wachstumsmodell für Luxemburg?
In den modernen Gesellschaften der heute industrialisierten Welt sollte das Wachstumsmodell die Lebensqualität aller Bevölkerungsteile im Auge behalten. Soziale Ungleichheiten haben sich in vielen Ländern trotz Wachstums in den vergangenen Jahren deutlich verstärkt. Weite Teile der Bevölkerung fühlen sich vom gesellschaftlichen Fortschritt abgekoppelt. Das kann so nicht weitergehen. Weiterhin sollte auch die Lebensqualität zukünftiger Generationen ernst genommen werden - Stichwort Nachhaltigkeit. Beide Kriterien werden bei der Definition eines Luxemburger Wachstumsmodells eine zentrale Rolle spielen müssen.
Was sind die Thesen von Jeremy Rifkin, und wie stehen Sie dazu?
Jeremy Rifkin und sein Team haben umfangreiche Vorschläge erarbeitet, die man im Detail erst einmal studieren muss. Klar ist aber jetzt schon, dass sich Luxemburg der sogenannten Dritten Industriellen Revolution stellen muss. Klar ist auch, dass der Ansatz Rifkins sehr viele wirtschafts- und gesellschaftspolitisch relevante Aspekte mitberücksichtigt.
Was halten Sie davon, dass gerade eine Wachstumsdebatte in Luxemburg stattfindet?
Die sogenannte Wachstumsdebatte ist ja im Kern eine Debatte um die Zukunftsgestaltung. Das Themenspektrum beschränkt sich ja nicht nur auf die Ökonomie. Das ist auch richtig so. Historisch gesehen haben die letzten 200 Jahre große Veränderungen mit sich gebracht, die häufig unter dem Begriff „Wachstum“ zusammengefasst werden. Diese Veränderungen mussten aber gestaltet werden, damit sie von allen Mitgliedern der Gesellschaft auch akzeptiert werden konnten. Dieser Herausforderung werden sich auch in der Zukunft die politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsträger stellen müssen.
Die Art und Weise, wie die Wachstumsdebatte in Luxemburg stattfindet, hat mir imponiert. Man bekommt den Eindruck, dass sich weite Teile der Gesellschaft der Herausforderung bewusst sind und an Lösungsvorschlägen mitarbeiten wollen.
Zur Person
Professor Dr. Andreas IRMEN ist einer der führenden deutschsprachigen Wirtschaftswissenschaftler auf dem Gebiet der vergleichenden Erforschung wirtschaftlicher Entwicklungen und des Wirtschaftswachstums. Seit 2010 lehrt er Volkswirtschaftslehre an der Universität Luxemburg. Zuvor hatte er Lehrstühle für Volkswirtschaftslehre an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg (2006-2010) und an der Freien Universität Bozen (2005-2006) inne.
Professor Irmen promovierte an der Universität Lausanne und habilitierte an der Universität Mannheim. Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an die Hebräische Universität Jerusalem (2000), die Harvard Universität (2001-2002), das Massachusetts Institute of Technology (MIT - 2008) und die Universität Aix-Marseille (2014). Professor Irmen publiziert regelmäßig in führenden internationalen Fachzeitschriften wie dem Journal of Economic Theory, dem Journal of Economic Dynamics and Control, dem European Economic Review oder dem International Economic Review.
Autor: Andreas Irmen;
Die Fragen stellte: Jean-Paul Bertemes (FNR)
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Professor Irmen promovierte an der Universität Lausanne und habilitierte an der Universität Mannheim. Forschungsaufenthalte führten ihn unter anderem an die Hebräische Universität Jerusalem (2000), die Harvard Universität (2001-2002), das Massachusetts Institute of Technology (MIT - 2008) und die Universität Aix-Marseille (2014). Professor Irmen publiziert regelmäßig in führenden internationalen Fachzeitschriften wie dem Journal of Economic Theory, dem Journal of Economic Dynamics and Control, dem European Economic Review oder dem International Economic Review.