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Autoren: Jean-Paul Bertemes (FNR) ; Kai Dürfeld (Science Relations)
Lektorat: Michèle Weber, Linda Wampach (FNR)
Am 28. Januar werden im Parlament zwei Petitionen zum Thema LGBTIQ+ diskutiert. Die eine hat sich dafür ausgesprochen, die Aufklärung über LGBTIQ+ in Schulen zu verbieten. Die andere fordert als Gegenreaktion, dass eine Aufklärung darüber an Schulen stattfinden soll. Die Diskussionen um diese Themen werden oft sehr emotional und ideologisch geführt. Im Rahmen der Olympischen Spiele z.B. überschlugen sich die Diskussionen, als die intersexuelle Boxerin Imane Khelif in einem nur einige Dutzend Sekunden dauernden Kampf ihre Kontrahentin besiegte.
Wir liefern euch in diesem Artikel sachlich und neutral ein paar wissenschaftliche Hintergründe rund um das Thema: Was bedeutet LGBTQI+? Was ist der Unterschied zwischen Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung? Um wie viele Menschen geht es hier? Und wie viele Geschlechter gibt es denn nun?
Hier das Wichtigste für Eilige:
- Die Begriffe LGBTIQ+ bezeichnen verschiedene Dimensionen des Geschlechts: u.a. biologisches Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung.
- Man könnte meinen, dass zumindest beim biologischen Geschlecht die Sache klar sei: Mann ist Mann und Frau ist Frau!? Tatsächlich gibt es aber intersexuelle Menschen, bei denen die Geschlechtszuordnung nicht eindeutig ist.
- Intersexuelle Menschen können auf Ebene der Geschlechtsorgane, der Hormone oder der Chromosomen Variationen aufzeigen. So kann es Menschen mit XY Chromosomen geben (männlich), aber mit Scheide (weiblich). Oder Menschen mit XX Chromosomen (weiblich) aber sehr viel Testosteron (männlich). Oder gar Menschen mit XXY Chromosomen … und vieles mehr (wir erklären weitere Varianten und die Biologie dahinter weiter unten im Artikel).
- Ob man nun von 3 Geschlechtern (männlich, weiblich, intersexuell) oder von einem Spektrum spricht, oder aber von hauptsächlich 2 Geschlechtern – wohlwissend und anerkennend, dass es Abweichungen gibt – ist schlussendlich Definitionssache, oder gesellschaftlicher Konsens.
- Bzw. kontextabhängig: im Frauensport oder bei Medikamentenbehandlungen ist der Blick auf die Hormone wichtig, bei verschiedenen Krankheiten (Gebärmutterkrebs, Hodenkrebs, …) ist eine Einteilung nach Geschlechtsorganen sinnvoll, bei der Fortpflanzung ist die Fähigkeit Spermien oder Eizellen zu produzieren relevant, …
- Intersexuellen wird oftmals bei der Geburt ein Geschlecht zugeteilt. Das entspricht aber nicht unbedingt dem wie sie sich fühlen oder was sie tatsächlich sind (nämlich intersexuell)
- Auch Menschen, die zwar biologisch klar dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugeordnet werden können, können sich dem jeweils anderen Geschlecht zugehörig fühlen (Transsexuelle).
- Auch auf sexueller Ebene gibt es verschiedene Varianten: Personen, die sich vom anderen Geschlecht sexuell angezogen werden, vom selben, von beiden, von keinem, …
- Bei den verschiedenen Dimensionen des Geschlechts kann es also zu einer Reihe Varianten kommen. Wie häufig diese vorkommen ist nicht leicht zu sagen, weil es sich hierbei um ein Tabuthema handelt und Menschen sich unter Umständen nicht trauen sich zu outen oder z.B. Homosexualität in vielen Ländern strafbar ist. Homosexualität ist aber auf jeden Fall um einiges häufiger als z.B. Intersexualität, was ein relativ seltenes Phänomen ist.
Wir gehen in diesem Artikel nicht auf die Frage ein, ob LGBTIQ+-Themen an Schulen behandelt werden sollten oder nicht. Zu dieser Frage haben wir in einem weiteren Artikel einen Forscher befragt (Artikel folgt in Kürze).
Auch gehen wir in diesem Artikel nicht auf ideologische oder moralische Debatten ein, wie wir als Gesellschaft mit LGBTIQ+ umgehen sollten. In diesem Artikel behandeln wir lediglich die oben im Intro genannten Fragen und liefern wissenschaftliche Hintergründe. Dabei gehen wir etwas mehr im Detail auf die biologischen Ursprünge von Intersexualität ein.
Nicht vermischen: Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung
Menschen sind vielschichtig. Das betrifft unseren Körper, unsere Psyche und Gefühle, aber auch intime Dinge wie Partnerwahl, Romantik und sexuelle Vorlieben und lässt sich nicht mit einem Wort für ein Geschlecht beschreiben. Die moderne Forschung spricht daher von verschiedenen Dimensionen des Geschlechts, die im Alltag oft miteinander verwechselt werden. Das sind im Einzelnen u.a.:
- das biologische Geschlecht (Biological Sex), körperliche Merkmale mit denen man das Licht der Welt erblickt,
- die Geschlechtsidentität (Gender Identity), die wir tief in unserem Inneren fühlen,
- und die sexuelle Orientierung (Sexual Orientation), die uns zu bestimmten anderen Menschen sexuell hinzieht.
Während das biologische Geschlecht hauptsächlich Forschungsgegenstand der Naturwissenschaften ist, insbesondere der Biologie und der Medizin, sind die zwei anderen hier aufgeführten Dimensionen des Geschlechts Forschungsgegenstand u.a. der Psychologie, Soziologie oder Sexualwissenschaft.
Infobox
Man kann die Dimensionen des Geschlechts noch erweitern, z.B. um das soziale Geschlecht (also Erwartungen und Normen der Gesellschaft hinsichtlich der verschiedenen Geschlechter) oder den Ausdruck des Geschlechts (also wie man sich nach außen zeigt (Verhalten, Kleidung etc.)) … Wir haben uns in diesem Artikel aber auf die Dimensionen biologisches Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung beschränkt.
Was bedeuten die Buchstaben in LGBTIQ+?
Das Akronym LGBTIQ+ stammt aus dem Englischen und steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual, Intersex, Queer und + (weitere). Sie sind verschiedenen Dimensionen des Geschlechts zuzuordnen:
- Lesbian, Gay, Bisexual => sexuelle Orientierung
- Transsexualität => Geschlechtsidentität
- Intersex => biologisches Geschlecht
Der Begriff Queer ist schwerer zu definieren (siehe Infobox). Erweitert wird LGBTIQ durch ein + für alle, die sich in der bisherigen Aufzählung nicht wiedergefunden haben.
Infobox
Homosexuelle Personen fühlen sich körperlich, romantisch und/oder emotional zum gleichen Geschlecht hingezogen, im Gegensatz zu heterosexuellen Personen, die sich zum jeweils anderen Geschlecht hingezogen fühlen. Homosexuelle Frauen werden auch als lesbisch und homosexuelle Männer als schwul bezeichnet.
Transsexuell wird auch noch Transgender genannt. Das Gegenteil von Transgender ist Cisgender. Das beschreibt all jene Personen, die sich mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren.
In einigen dieser Fälle ist das bereits bei der Geburt sichtbar; in anderen tritt es erst mit der Pubertät oder sogar später zu Tage und manchmal sind gar keine körperlichen Veränderungen erkennbar.
Der Begriff Queer ist schwerer greifbar. Eine wirklich allgemeingültige Definition gibt es nicht. Die Vereinten Nationen versuchen sich beispielsweise mit dieser:
„Queere Frauen haben in der Regel das Gefühl, dass sie aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Geschlechtsidentität und ihres Geschlechtsausdrucks nicht den geschlechtlichen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Normen einer bestimmten Gesellschaft entsprechen.“
(https://www.unfe.org/en/know-the-facts/challenges-solutions/lesbian-gay-bi-trans-intersex-and-queer-lgbtiq-women )
Wie viele Menschen gibt es in den verschiedenen Kategorien?
Dies ist nicht leicht zu beantworten. Einerseits sind viele Definitionen vor allem im Bereich der Geschlechtsidentität nicht einheitlich. Andererseits hängt es auch von der Offenheit der jeweiligen Gesellschaft ab, wie offen Menschen einen Einblick in diesen sehr intimen Bereich ihres Lebens gewähren. So ist zum Beispiel in 22 Prozent aller Länder auf der Welt die einvernehmliche sexuelle Beziehung zwischen zwei Frauen nach wie vor strafbar.
Häufigkeiten sexuelle Orientierung
Laut Pride 2021 Global Survey, einer weltweiten Umfrage zur sexuellen Orientierung des Marktforschungsunternehmens Ipsos, bezeichneten sich:
- 80% als heterosexuell
- 3% als schwul, lesbisch oder homosexuell
- 4% als bisexuell
- 1% als pansexuell
- 1% als asexuell
- 1% als anders als die bisher genannten
Die restlichen 11 Prozent konnten oder wollten keine Aussage treffen.
Unterschiede gibt es einerseits zwischen verschiedenen Ländern. So konnte oder wollte in Malaysia, der Türkei oder Indien ein merklicher Teil der befragten Erwachsenen keine Aussage zur eigenen sexuellen Orientierung treffen. Auch zwischen den Generationen gibt es Unterschiede. Sich selbst als homosexuell oder bi bezeichnen rund doppelt so viele Mitglieder der Generation Y und Z (Geburtsjahre 1980-2009) als aus Generation X und den Baby Boomern (1950-1979).
Häufigkeit Intersexualität
Auch für die Häufigkeit von Intersex-Personen fehlen genaue Zahlen – vor allem, weil unter diesem Oberbegriff die verschiedensten Variationen beim biologischen Geschlecht zusammengefasst sind. Die Vereinten Nationen geben hier Expertenschätzungen weiter, die durchschnittlich im Bereich von 0,05 bis 1,7 Prozent der Bevölkerung liegen. Zur Einordnung: Würde man diese Zahlen auf die luxemburgischen Einwohner anwenden, käme man grob auf zwischen 330 und 11.400 intersexuelle Einwohner (Basis: Einwohnerzahl am 1.1.2024: 672.050) In einer Antwort auf eine parlamentarische Frage steht, dass das CHL pro Jahr im Schnitt 3 Geburten von intersexuellen Babys angibt.
Häufigkeit Transsexualität
Auch hier sind genaue Zahlen schwierig zu ermitteln. In den USA führte das Williams Institute 2011, 2016 und 2021 landesweite repräsentative Befragungen durch. Laut dieser definieren sich durchschnittlich ca. 0,6% der Menschen in den USA als transgender. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup, ebenfalls aus den USA, kam bei einer Befragung im Jahr 2023 auf 0,9%, im Jahr 2022 auf 0,72% und im Jahr 2021 auf 0,7%. Das kanadische Statistikamt gab für das Jahr 2021 0,33% an. Zu Luxemburg haben wir keine verlässlichen Zahlen gefunden.
Biologisches Geschlecht und Intersexualität: Wie viele Geschlechter gibt es?
Beim biologischen Geschlecht scheint die Sache klar: Mann ist Mann und Frau ist Frau. Oder? Tatsächlich ist es nicht so einfach. Das biologische Geschlecht kann auf verschiedenen Ebenen definiert werden. Und in den allermeisten Fällen verhält es sich so:
- Auf Ebene der Fortpflanzung, bzw. der Fortpflanzungszellen: Männer produzieren Spermien, Frauen Eizellen.
- Auf Ebene der inneren und äußeren Geschlechtsorgane und sonstiger äußerlicher körperlicher Merkmale: Männer haben einen Penis, Hoden und einen Hodensack und Frauen eine Vulva, Vagina, Gebärmutter und Eierstöcke. Frauen entwickeln in der Pubertät Brüste, Männer einen Gesichtsbart.
- Auf chromosomaler Ebene: Männer haben in der Regel XY Chromosomen; Frauen XX Chromosomen.
- Auf hormoneller Ebene: Männer produzieren mehr Testosteron, Frauen mehr Estrogen.
Auf der Ebene der menschlichen Fortpflanzung sind zumindest die Rollen tatsächlich klar verteilt: hier gibt es genau zwei verschiedene Gameten: Spermien und Eizellen. Doch würden wir wirklich einem Mann, der keine Spermien produzieren kann, bzw. einer Frau, die keine Eierstöcke hat, absprechen Mann bzw. Frau zu sein?
Was das biologische Geschlecht angeht, ist die Sache nur dann klar, wenn auf allen Ebenen die Merkmale in eine Richtung zeigen. Wenn also eine Person, die Spermien produziert auch einen Penis und Hoden hat, einen erhöhten Testosteron-Wert und XY Chromosomen hat. Oder umgekehrt eine Person mit XX Chromosomen auch eine Vulva, Gebärmutter, Brüste, niedrige Testosteron-Werte und Eizellen hat. Dies ist auch bei den allermeisten Menschen der Fall, dass sie entweder in die eine oder andere Kategorie fallen. Bei intersexuellen Menschen jedoch nicht. Bei ihnen kann auf einer Ebene z.B. alles biologisch auf männlich hindeuten, auf einer anderen Ebene hingegen auf weiblich. Von welchem Geschlecht sprechen wir dann?
Schauen wir uns doch mal an, wie sich das Geschlecht beim Menschen entwickelt.
Entwicklung des Geschlechts beim Menschen
Ein menschlicher Embryo ist bis zur sechsten Entwicklungswoche hinsichtlich der Geschlechtsmerkmale weder männlich noch weiblich. Die Keimdrüsen im Innern (Gonaden) sowie die äußeren Organe sind in einem sogenannten indifferenten Stadium. Die Entwicklung hin zu männlichem oder weiblichem Geschlecht erfolgt durch ein bestimmtes Gen namens SRY. Dieses Gen sitzt in der Regel auf dem Y-Chromosom (wir erinnern uns: XX = Frau; XY = Mann). Also ist dieses Gen in der Regel nur beim Mann zu finden.
Dieses SRY-Gen führt dazu, dass sich die Keimdrüsen zu Hoden entwickeln. Wenn kein SRY-Gen vorhanden ist, entwickeln sich die Keimdrüsen beim Embryo zu Eierstöcken.
Wenn sich nun Hoden entwickeln, dann produziert das Hodengewebe im Anschluss Testosteron. Und dieses Testosteron bewirkt dann die Entstehung von Hodensack und Penis. Ohne Testosteron entstehen eine Vulva mit Schamlippen und Klitoris.
Also in Zusammenfassung:
SRY Gen: Ja => Hodengewebe => Testosteron => Hodensack und Penis => Männlich
SRY Gen: Nein => Kein Hodengewebe => kein Testosteron => Vulva mit Schamlippen oder Klitoris => Weiblich
Dies sind die beiden Standardprozesse. Doch es kann in diesem Prozess zu Abweichungen kommen. So kann z.B. das SRY-Gen auf einem X-Chromosom vorhanden sein. Dann kann z.B. eine auf chromosomaler Ebene weibliche Person dennoch Hodengewebe entwickeln und einen verstärkten Testosteron-Ausstoß haben, was dann zu eher männlichen Geschlechtsorganen führt. Bei genetischen Männern kann es umgekehrt auch zu weiblichen Geschlechtsorganen kommen, wenn z.B. das SRY-Gen auf dem Y Chromosom fehlt. Oder es kann dazu führen, dass sich die äußeren oder auch die inneren Geschlechtsorgane uneindeutig entwickeln, oder dass sie sowohl männliche als auch weibliche Merkmale aufweisen (z.B. ein Hoden auf einer Seite und ein Eierstock auf der anderen).
Variationen im Hormonhaushalt
Hormone sind chemische Botenstoffe, die bestimmte Prozesse im Körper wie den Sexualtrieb, das Wachstum von Knochen, Muskeln oder Gesichtsbehaarung oder den Menstruationszyklus steuern. Wichtige Sexualhormone sind Estrogene und Testosteron. Diese haben wiederum einen Einfluss darauf, ob sich Hoden oder Brüste oder Barthaare bilden.
Auch wenn Estrogene als typische Frauenhormone und Testosteron als Männerhormon bekannt ist, produzieren doch beide in geringen Mengen auch das entsprechend andere Hormon. Estrogene zum Beispiel sind an der Entwicklung der weiblichen Brust beteiligt. Bei eigentlich als männlich klassifizierten Personen kann eine Anomalie des Hormonhaushalts einen Brustwachstum in Gang setzen. Bei als weiblich klassifizierten Personen kann hingegen eine stärkere Testosteronproduktion zu einem für Männer typischen Haarwachstum führen.
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Bei den Olympischen Spielen 2024 schlug der Fall der Boxerin Iman Khelif hohe Wellen. Was war passiert?
In einem Kampf mit einer italienischen Boxerin gab letztere nach ein paar Sekunden auf und sagte, sie sei noch nie so hart geschlagen worden und hätte um ihr Leben gefürchtet. Das sei nicht fair.
Schnell machten verschiedene Gerüchte die Runde. Iman Khelif sei intersexuel. Oder sie sei transsexuel. Oder sie sei in Wahrheit ein Mann. Schwierig war der Fall weil sehr viel medial berichtet wurde, doch die Faktenlage (noch immer) nicht klar ist.
Die algerische Boxerin wurde bei ihrer Geburt als Mädchen identifiziert und wuchs als Mädchen auf und wurde Profiboxerin. Doch einige Jahre vor den Olympischen Spielen wurde sie bei einer Weltmeisterschaft vom damaligen Boxverband disqualifiziert. Mit dem Verweis sie hätte einen Test nicht bestanden. Es ist nicht sicher geklärt ob es sich bei diesem Test um einen Hormontest gehandelt hat, oder um einen Chromosomen-Test oder um einen anderen Test? Bei den Olympischen Spielen wurde sie jedoch wiederum in der Frauenkategorie zugelassen.
Wir wollen uns hier nicht an den Gerüchten beteiligen. Doch der Fall zeigt einerseits wie emotional das Thema ist. Und andererseits auch wie schwierig es ist, im Sport eine klare Grenze zu ziehen zwischen Frau und Mann. Sind die Hormone ausschlaggebend, weil man weiss dass Testosteron leistungssteigernde Wirkungen hat? Oder liegt man die Chromosome zugrunde? Oder die äusseren und inneren Geschlechtsmerkmale? Wie geht man auf den verschiedenen Ebenen mit Anomalien um? Schon immer hatten im Sport Athleten Vorteile, die besonders günstige anatomische Anomalien aufzeigen (aussergewöhnliche Grösse, aussergewöhnlich starke Sehnen und Muskeln, besonders grosse Hände oder Füsse...). Wie weit akzeptiert man auf den verschiedenen Ebenen Anomalien, besonders auch im Hinblick auf Frauensport? Was ist ethisch vertretbar? Was ist wissenschaftlich am fundiertsten? Was wird sich auf Ebene des Sports - wo es mal so, mal so gehandhabt wird - durchsetzen?
Variationen in den Chromosomen
Die Chromosomen sind die Träger unseres Erbgutes bzw. unserer Gene. Für gewöhnlich trägt ein jeder von uns 23 Paare, also in Summe 46 Chromosomen in seinen Zellkernen mit sich herum. Darin ist unser kompletter Bauplan gespeichert. Von diesen befinden sich 44 in den Körperzellen. Die nennt man Autosomen. Und 2 befinden sich in den Keimzellen. Das sind die Zellen, die sich bei der Fortpflanzung vereinigen – also weibliche Eizellen und männliche Samenzellen, im Fachjargon Gameten genannt. Die beiden Chromosomen in den Keimzellen werden Gonosomen genannt. Sind das zwei X-Chromosomen (46,XX), ist das biologische Geschlecht in der Regel weiblich. Sind es ein X und ein Y-Chromosom (46,XY), dann ist es in der Regel männlich.
Vielfältige chromosomale Geschlechtsvarianten
Es gibt neben den XX und XY-Varianten auch Menschen mit nur einem X-Chromosom (45,X) in den Keimzellen, die ein weibliches Erscheinungsbild haben. Es gibt Menschen mit zwei X und einem Y-Chromosom (47,XXY), die ein männliches Erscheinungsbild haben. Es gibt Mosaike, das heißt, in einem Teil der Keimzellen befindet sich ein X-Chromosom und in dem anderen entweder zwei X-Chromosomen (mos45,X/46,XX) oder ein X- und ein Y-Chromosom (mos45,X/46XY). Und es gibt Chimären, bei denen sich sowohl zwei X als auch ein YX und ein Y-Chromosomen in den Keimzellen (chi46,XX/46,XY) finden.
Vielfältige Variationen durch Wechselwirkungen zwischen den Ebenen
Die drei beschriebenen Ebenen (Geschlechtsorgane, Gene, Hormone) haben also einen Einfluss aufeinander: Wenn z.B. der chromosomale Bauplan vom typisch weiblichen oder männlichen abweicht, dann wirkt sich das auch die Entwicklung der Keimdrüsen – also Hoden und Eierstöcke – aus. Diese können sich entweder gar nicht oder fehlgebildet entwickeln. Es können aber auch sowohl Hoden- als auch Eierstockgewebe in der gleichen Person gebildet werden.
Umgang mit intersexuellen Babys
In der Vergangenheit wurden intersexuellen Babys oftmals bei der Geburt einfach ein Geschlecht zugeordnet - häufig auch durch eine Operation. Dahinter stand der Gedanke, man müsse einen Menschen nur in Richtung eines Geschlechts erziehen, dann würde er es auch übernehmen. Heute ist aber bekannt, dass dies nicht so einfach funktioniert und intersexuelle Menschen sich oftmals unwohl in ihrem Körper und/oder nicht akzeptiert von der Gesellschaft fühlen. Das kann einerseits daran liegen, dass sie sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen als das, was Ärzte und/oder Eltern ihnen zugeteilt haben. Oder sich während der Pubertät offensichtlich in die andere Richtung äußerlich entwickeln. Es kann aber auch daran liegen, dass sie sich tatsächlich intersexuell fühlen: also weder eindeutig männlich noch eindeutig weiblich.
Nach außen können intergeschlechtliche Personen ganz verschieden wirken. Entweder männlich oder weiblich oder androgyn.
Heute ist der Konsens eher, dass man bei der Geburt keine geschlechtsanpassenden OPs vollziehen sollte bei intergeschlechtlichen Personen, sondern abwarten sollte. Wie es dann aber tatsächlich in der Praxis läuft, ist dann aber wohl noch von Fall zu Fall unterschiedlich.
Was ist der Unterschied zu Transsexualität?
Nun gibt es aber auch Menschen, bei denen das biologische Geschlecht bei der Geburt zwar klar ist, die sich aber im Laufe ihres Lebens nicht (mehr) damit identifizieren.
Die Geschlechtsidentität sagt aus, als was wir uns in unserem Inneren fühlen. Stimmt das Geschlecht als das wir uns wahrnehmen mit dem uns bei der Geburt zugewiesenen überein, dann sind wir cisgeschlechtlich (cisgender). Empfinden wir uns aber als dem gegenteiligen Geschlecht zugehörig, dann sind wir transgeschlechtlich (transgender). Ordnen wir uns beiden oder einem dritten Geschlecht zu, spricht man von non-binär. Fühlen wir uns hingegen als keines von beiden, gehören wir zur Gruppe der Agender.
Nicht zu verwechseln ist Transgeschlechtigkeit damit wie wir uns nach Außen zeigen. Denn nicht jede Person, die sich im Inneren nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert, zeigt das auch.
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Wie wir uns nach Außen zeigen, wird unter Ausdruck des Geschlechts zusammengefasst. Vergleichsmaßstab sind hier die traditionellen Rollenmodelle der Gesellschaft, in der wir leben. Denn je nach Kultur und Epoche wurden und werden bestimmte Erwartungen an einen Mann oder eine Frau hinsichtlich Aussehens, Auftretens und der Lebensführung gestellt. Personen können dann als feminin (weiblich), maskulin (männlich) oder androgyn (etwas von beidem) gelten.
Wie wir bereits gesehen haben, schwanken die Zahlen dazu, wie viele Menschen transsexuell sind. Je nachdem wie offen diese Menschen und ihr Umfeld sind, fällt es ihnen mehr oder weniger leicht das zuzugeben, bzw. sind ihre Lebensumstände dadurch mehr oder weniger stark beeinflusst.
Trans Personen bzw Jugendliche haben laut Studien erhöhte Risiken für psychische Probleme wie etwa Depressionen, Essstörungen, oder gar Suizid.
(Quellen: u.a.https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25379511/; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36151828/;https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/36151828/; https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25577670/...)
Ein sehr delikates Thema sind geschlechtsangleichende Operationen und Hormontherapien. Denn hier gibt es das „Irreversibilitätsproblem“. Sowohl eine geschlechtsangleichende OP hat irreversible Folgen als auch das Durchlaufen der Pubertät.
Wenn Kinder oder Jugendliche das Gefühl haben, dem anderen Geschlecht zuzugehören, dann kann man entweder vorerst mal abwarten mit dem Argument: vielleicht ändert das Kind/der junge Jugendliche noch seine Meinung. Wenn es dann aber seine Pubertät durchläuft, verändert sich der Körper stark. Falls das Kind (bzw. in der Zwischenzeit Jugendliche oder junge Erwachsene) danach immer noch sein Geschlecht ändern will, dann sind viele körperlichen Veränderungen nicht mehr umkehrbar (z.B. tiefere oder höhere Stimme, breitere Schultern,....). Die Person leidet dann möglicherweise ihr Leben lang darunter, dass die OP nicht vollzogen wurde.
Umgekehrt: wenn das Kind im Kindesalter denkt im falschen Körper zu stecken und sich das Umfeld zu einer Geschlechtsumwandlung entscheidet, ist auch diese Entscheidung irreversibel. Falls die Entscheidung sich als falsch herausstellen sollte, wird auch so die Person ein Leben lang darunter leiden.
Eine Studie zeigt, dass trans Erwachsenen, die an sich gerne eine geschlechtsangleichende Operation hätten aber noch keine bekamen, mehr Suizidgedanken und eine stärkere psychische Belastung verspüren als solchen die eine OP hatten. Auch trans Jugendliche, die eine Hormontherapie erhalten haben, haben weniger Depressionen und Suizidgedanken als solche die zwar gerne eine hätten, aber keine bekommen. Allerdings ist dies nur eine Studie und es kann durchaus sein, dass hier noch andere Effekte mitspielen. Dass z.B. Jugendliche, welche eine Hormontherapie oder eine OP erhalten, zuhause auch mehr Rückhalt haben. Daher sind die Resultate hier mit Vorsicht zu genießen.
Außerdem: obwohl es trans Personen nach geschlechtsangleichenden OPs oder nach geschlechtsangleichender Hormontherapie laut dieser Studien psychisch besser geht, haben sie immer noch – im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung – erhöhte Depressionssymptome.
Trans Personen können u.a. Diskriminierung ausgesetzt sein, unter mangelnder Akzeptanz oder Schamgefühlen leiden.
Sexuelle Orientierung
Hauptsächlich während der Pubertät entwickelt sich dann auch die sexuelle Orientierung. Sie beschreibt, zu wem wir uns sexuell hingezogen fühlen. Heterosexuell bedeutet, wir fühlen uns zum anderen Geschlecht sexuell hingezogen. Homosexuell bedeutet, wir fühlen uns zum eigenen Geschlecht sexuell hingezogen. Bei Frauen ist dafür der Begriff lesbisch und bei Männern der Begriff schwul geläufig. Wer sich zu beiden Geschlechtern hingezogen fühlt, wird als bisexuell bezeichnet. Für wen weder das biologische Geschlecht noch die Geschlechtsidentität eine Rolle spielt, fällt unter den Begriff der Pansexualität. Konkret heißt das: Menschen, die sich auch zu trans-, nicht-binären und intergeschlechtlichen Menschen hingezogen fühlen. Menschen die sich sexuell zu niemandem angezogen fühlen, nennt man asexuell. Also auch auf dieser Ebene gibt es mehrere Variationen.
Fazit
In diesem Artikel haben wir aufgezeigt, dass LGBTIQ+ sich sowohl auf biologisches Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung beziehen. Dass es nicht einfach ist, gesicherte Zahlen zu erhalten, wie häufig diese Phänomene sind. Und wie es zu unterschiedlichen Entwicklungen des biologischen Geschlechts kommen kann, mit dem Effekt, dass die Eingrenzung in rein männlich und rein weiblich in Wirklichkeit komplexer ist. Was wir hier nicht thematisiert haben ist, wie die Betroffenen sich fühlen oder wie die Gesellschaft mit den Themen bzw. den betreffenden Personen umgeht oder umgehen sollte, sei es auf sprachlicher, administrativer, moralischer, gesellschaftlicher oder zwischenmenschlicher Ebene. Dies sind gesellschaftliche, ethische bzw psychologische Fragen. Wir wollen mit diesem Artikel in einem oftmals erhitzten Diskussionsklima einfach nur über wissenschaftliche Hintergründe aufklären.
Natürlich macht es im Alltag in vielen Situationen Sinn einfachheitshalber von zwei Geschlechtern zu sprechen, weil das auf die meisten Menschen zutrifft. Doch dies muss ja nicht bedeuten, dass wir nicht anerkennen, dass es tatsächlich, auch auf biologischer Ebene, komplexer ist. Und in manchen Situationen kann es dann auch angebracht sein, diese, wenn auch seltenen, Fälle gesondert zu betrachten. Den Betroffenen kann es ja egal sein, ob nun viele oder wenige Menschen in derselben Situation sind oder nicht. Für sie ist es eine Realität. Und idealerweise behandeln wir uns alle gegenseitig mit Respekt.