(C) Martin Schlichenmaier
Herr Professor Schlichenmaier, wie forschen Sie als Mathematiker?
Man braucht vor allem Phantasie und Intuition; denn Mathematik ist eine kreative Sache und im Prinzip sind wir ein Stück weit auch Künstler. Unser Beruf ist auf jeden Fall kein „Nine-to-five-Job“. Die Ideen können auch mitten in der Nacht kommen – das Nachdenken über unsere Forschungsfragen kann man nicht einfach an- und abschalten.
Was beschäftigt Sie gegenwärtig?
Es gibt ein ganzes Portfolio von Dingen, die ich gerne verstehen möchte: Da geht es etwa darum, verborgene Strukturen zu entdecken, solche, die man nicht sofort sehen kann, die man aber braucht, um abstrakte Systeme zu verstehen. Oder ich bin auf der Suche nach Anwendungen: innerhalb der Mathematik, oder in anderen Anwendungsbereiche, theoretischer oder praktischer Natur, wie etwa in der Physik, der Biologie, in der Informatik, in den Ingenieurwissenschaften und in vielen anderen Disziplinen.
In welcher Hinsicht?
Ein Beispiel: in den Anwendungsbereichen sucht man oft nach Lösungen von vorgegebenen Gleichungen. Natürlich ist es die Mathematik, die Lösungen liefert, falls man diese angeben kann. Aber selbst wenn die Gleichungen nicht exakt lösbar sind kann die Mathematik Aussagen treffen, etwa ob sie beschränkt bleiben oder nicht. Vereinfacht ausgedrückt: der Anwender, etwa ein Ingenieur hat in der Praxis ein Problem und zu dessen Lösung eine Art Werkzeugkoffer, den er benutzen kann. Der Mathematiker füllt den Werkzeugkoffer, er entwickelt neue Werkzeuge und erfindet neue Methoden. In der Praxis geht der Kontakt aber in beiden Richtungen.
Ihr Interessenschwerpunkt ist die Geometrie. Also die Arbeit mit Zirkel und Lineal?
Nein, denn letzteres wäre die klassische Schulgeometrie. Ich entwickele stattdessen geometrische Modelle und Techniken, die etwa – in diesem Fall ist dies schon lange gelöst – auf solchen Fragen Antworten liefern: Wie kann man die Form einer Kugel von einem Autoreifen unterscheiden? Mit den Händen kann man das vielleicht beschreiben, aber man muss es auch jemandem mitteilen können, der nicht anwesend ist. Die Geometrie, die mich interessiert ist zudem jene, die in den heutigen Modellen der theoretischen Physik eine Rolle spielt. Denken Sie etwa an Raum und Zeit. Hier kommt die Geometrie zum Tragen, denn die Raum-Zeit wird durch Materie gekrümmt.
Das klingt mehr nach Einstein und Physik, als nach Mathematik…
In der Tat bekomme ich viele Inspirationen aus der theoretischen Physik, die ich auch im Nebenfach studiert habe. Nach wie vor arbeite ich mit theoretischen Physikern zusammen, woraus viele gegenseitige Anregungen entstehen.
Was wäre hierfür ein Beispiel aus Ihrer Arbeit?
Ich arbeite unter anderem an Themen, die für die sogenannte String-Theorie wichtig sind, mit der Physiker versuchen Gravitation und Quantentheorie zu verbinden. Damit dies gelingen kann, kommt man jedoch mit den üblichen drei Raumdimensionen und der vierten Dimension, der Zeit, nicht aus. Die Physiker reden dann von sieben weiteren, internen Dimensionen. Einleuchtend und intuitiv kann man das nicht mehr begründen – dies lässt sich allein durch die Mathematik beschreiben. Ohne die Mathematik kann man zudem die Quantenmechanik nicht anwenden auf der viele moderne Technologien basieren: Vom Mobiltelefon über den Fernsehe bis zum Computer.
Autor: Tim Haarmann
Foto: (c) Martin Schlichenmaier
Infobox
Martin Schlichenmaier ist Professor für Mathematik an der Universität Luxemburg. Schwerpunkte seiner Arbeit sind geometrische, analytische und algebraische Theorien die einen engen Zusammenhang mit mathematischer oder theoretischer Physik haben. Er ist Vorsitzender der mathematischen Forschungseinheit an der Universität Luxemburg und Präsident der Luxemburgischen Mathematiker Vereinigung (SML), sowie Autor einer Vielzahl wissenschaftlicher Publikationen und Bücher.