National Institute of Allergy and Infectious Diseases(NIAID)
Anmerkung der Redaktion: einige Stunden nach Veröffentlichung dieses Artikels wurden am Abend des 24. Januars in den Medien zwei erste Coronavirus-Fälle in Europa bestätigt (Paris). Die Zahl der Infizierten in China ist inzwischen auf fast 2761 gestiegen, die Zahl der Tote auf 80 (Stand 27. Januar, Quelle: WHO). Alle anderen Angaben des Artikels bleiben zunächst unverändert.
Was für ein Erreger ist das Coronavirus?
Die Coronaviren sind eine Virusfamilie, die weltweit relativ häufig in Tieren und Menschen vorkommen und dort unterschiedliche Krankheiten hervorrufen. Bis vor einigen Wochen gab es sechs verschiedene Coronaviren, die Menschen infizieren können und normalerweise leichte Atemwegsinfektionen (Erkältungen, Schnupfen) verursachen. Jetzt gibt es ein siebtes.
Das Coronavirus, das zur Zeit in China sein Unwesen treibt, ist ein neues, unbekanntes Virus aus der Familie der Coronaviren das bei den infizierten Menschen zu teilwese schweren Lungenentzündungen, und bisher in ca. 3% der bestätigten Fälle in China zum Tod geführt hat (Stand 27.01.2020, Quelle: WHO). Forscher, die das Erbgut des neuen Virus entschlüsselt haben, gaben ihm den provisorischen Namen 2019-nCoV.
Anders als Bakterien wie z.B. Streptokokken, können Infektionen mit Viren nicht mit Medikamenten wie z.B. Antibiotika bekämpft werden. Lediglich die Symptome der Krankheit können behandelt werden.
Die bisher bekannten menschlichen Coronaviren werden über Aerosole (Niesen, Husten) und engen Körperkontakt übertragen. Wie leicht das neue Coronavirus von Mensch zu Mensch übertragen wird ist zur Zeit noch nicht ganz klar. Die Symptome der aktuellen Coronavirusinfektionen in China sind Fieber, Husten und Atembeschwerden. Die Inkubationszeit (Zeit zwischen Ansteckung und Erscheinen erster Symptome) wird zur Zeit vom Center for Disease Control (CDC) auf 2-14 Tage geschätzt.
Woher kommt das neue Coronavirus?
Die allerersten infizierten Fälle des neuen Coronavirus wurde alle aus der Stadt Wuhan in China gemeldet.
Woher das neue Coronavirus kommt, ist zur Zeit noch unklar. Eine Vermutung: die ersten Menschen haben sich auf einem grossen Fischmarkt in der chinesischen Stadt mit dem Erreger infiziert, durch Kontakt mit infizierten Tieren, die dort verkauft wurden und das Virus in sich trugen.
„Dass ein Mensch mit einem Virus, das normalerweise nur in Tieren kursiert, infiziert wird ist eher selten“, erklärt Dr Pierre Weicherding, Leiter der Division de l’Inspection Sanitaire beim luxemburgischen Gesundheitsministerium. „Viren gibt es schon sehr lange, länger als Bakterien, Tiere und Menschen. Sie brauchen ein Wirt zum überleben und um sich zu vermehren. Die gängigen Coronaviren, die beim Menschen normale, milde Erkältungen verursachen, sind Viren die nur von Mensch zu Mensch übertragen werden. Das neue Coronavirus stellt eine Ausnahme dar, weil es vermutlich vom Tier auf den Menschen übertragen wurde.“
Wie gefährlich ist das neue Coronavirus?
Zwischen dem 31. Dezember 2019 und 23. Januar 2020 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO weltweit 581 2019-nCOV-Infizierte bestätigt (571 davon in China), darunter 17 Todesfälle in der Stadt Wuhan. Bei 25% der bestätigten Fälle gilt bzw. galt der Krankheitsverlauf als ernsthaft. Die WHO bestätigte mittlerweile sogar rund 2800 Erkrankte (2741 davon in China) und 80 Todesfälle (Stand 27. Januar 2020). Es gibt bisher 37 bestätigte Fälle ausserhalb China, wovon die Mehrheit aus der Stadt Wuhan gereist sind. Laut WHO gehören die bisher infizierten Menschen hauptsächlich zur älteren Bevölkerungsgruppe, und die Todesfälle waren bereits zuvor schwer chronisch krank.
Experten der WHO und in China gehen derzeit davon aus, dass zumindest eine begrenzte Übertragung von Mensch-zu-Mensch durch direkten Kontakt möglich sei. Um eine mögliche Verbreitung einzudämmen hat China mittlerweile mehr als 50 Millionen Menschen durch Quarantänemassnahmen oder Unterbindung des Nah- und Fernverkehrs von der Aussenwelt abgeschottet.
Eine entscheidende Frage, um die Dynamik der möglichen Verbreitung der Epidemie einzuschätzen, ist nun, wie leicht das Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann und ob es im weiteren Verlauf mutiert und sich an den menschlichen Wirt anpasst.
Coronaviren im allgemeinen können ihr Erbgut schnell verändern (mutieren). Dadurch könnte das neue Virus gefährlicher werden, indem es ansteckender wird oder einen schwereren Krankheitsverlauf verursacht. Eine Mutation könnte aber auch das Gegenteil hervorrufen, und das Virus abschwächen. Laut einem Steckbrief des Science Media Center Germany scheinen alle bekannten sequenzierten Patientenproben genetisch relativ ähnlich.
Wie ansteckend ist das Coronavirus?
Was zur Zeit noch nicht gewusst ist, ist wie viele andere Menschen ein nCoV-Infizierter im Durchschnitt ansteckt. Die WHO erwähnt in einem Statement eine vorläufige Schätzung der sogenannten R0 von 1.4.-2.5. Vereinfacht dargestellt bedeutet diese Zahl („Basic Reproduction Number“) dass ein Infizierter im Durchschnitt während seiner Erkrankung 1-3 weidere Personen infizieren könnte. Sollte sich die R0 als höher herausstellen, könnte das Virus sich schneller ausbreiten. Die R0 beim Masernvirus liegt beispielsweise bei 12-18.
Dr Weicherding hält diese erste Einschätzung noch für verfrüht. Er argumentiert: „Wichtig zu wissen ist, dass die ursprünglichen bestätigten Fälle aus China alle aus der Stadt Wuhan stammen. Die meisten Menschen, die sich dort infiziert haben, sind dann weiter gereist, haben aber keine neuen Menschen infiziert.“
Er fügt hinzu: „Die Dunkelziffer der Infizierten ist höher. Schätzungen des Center for Disease Control (CDC) zufolge stellen die offiziell bestätigten Fälle nur 10% der realen Fälle dar. Demnach würden es aktuell eher um die 5.000 Infizierte geben (Stand 24. Januar). Die R0 könnte dann sogar unter 1 liegen, also dass nicht jeder Infizierte zwingend eine weitere Person ansteckt.“
Welche Ähnlichkeiten bzw Unterschiede hat das neue Coronavirus mit den SARS und MESR Erregern, oder denen der Vogel- und Schweinsgrippe?
Das neue Coronavirus ist zu 70% mit dem SARS-Virus verwandt, das sich 2002/2003 aus China weltweit verbreitete und zu 800 Toten führte. Beginnend 2012 gab es noch die MERS-Epidemie, mit schweren, teilweise tödlichen Atemwegsinfektionen die ebenfalls durch ein Coronavirus verursacht wurden. Als Ursprung beider Epidemien damals wird ebenfalls eine Übertragung von Tier auf Mensch genannt.
Ein grosser Unterschied zwischen dem neuen Coronavirus und SARS-CoV/MERS-CoV: Die klinischen Verläufe der bestätigten 2019-nCOV-Fälle sind bisher deutlich milder als damals beim SARS- oder MERS-Coronavirus, die eine „Case Fatality Rate“ zwischen 9 und 30 Prozent aufwiesen. Anders ausgedrückt: Bei der Sars-Pandemie vor 17 Jahren starb rund einer von zehn Infizierten. Bei der derzeitigen Coronavirusinfektion hingegen liegt die Mortalitätsrate aktuellen Zahlen zufolge bei 3% Prozent, also 3 von 100 sterben. „Das Ansteckungspotenzial ist beim neuen Coronavirus viel niedriger als bei SARS oder MESR. Die Mortalitätsrate ist vergleichbar mit der der aktuellen saisonalen Grippeepidemie “, so Dr Weicherding.
Und wie vergleichbar sind diese neuen Coronavirusinfektionen mit der Vogel- oder Schweinegrippe, die in der Vergangenheit mit Epidemien für Aufregung gesorgt hatten?
Dazu sagt Dr Weicherding: „Vogel- und Schweinegrippe werden von Influenzaviren verursacht. Das ist ein ganz anderer Typ Virus. Der Übertragungsweg über die Luft ist zwar der gleiche, aber das Krankheitsbild ist bei den Influenzaviren ganz anders. Ausserdem können Influenzaviren sich genetisch viel schneller verändern als Coronaviren.“ Demnach könnte man diese Virustypen nicht direkt miteinander vergleichen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass das neue Coronavirus sich gross ausbreitet?
Die Situation wird permanent von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) überwacht. Diese hat bisher keinen "internationalen Gesundheitsnotstand" ausgerufen. (Stand 23.01.2019)
Die bisherige Einschätzung des European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) ist, dass das Virus ein geringes Risiko für den europäischen Raum darstellt. Selbst bei einem potenziellem Fall in Europa sei vorläufig keine weitere Ausbreitung zu erwarten, da bisher kein Nachweis einer leichten Mensch-zu-Mensch-Übertragung vorhanden wäre, so ein Steckbrief zum Coronavirus des deutschen Science Media Centers.
Am Abend des 22. Januar 2020 hat das ECDC die Notfallstufe 1 (PHE1) für die öffentliche Gesundheit festgelegt, die der ersten Alarmstufe entspricht und es ermöglicht, mehr internes Personal für die Überwachung der Situation zu mobilisieren. Alle Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen werden auf europäischer Ebene zwischen den Ländern vom Health Security Committee mit Sitz in Luxemburg koordiniert, so das Gesundheitsministerium in einer Pressemitteilung.
Bislang gibt es keine Reisewarnung der WHO oder der luxemburgischen Behörden.
Wie wahrscheinlich ist es, dass das neue Coronavirus nach Luxemburg kommt?
„Die Wahrscheinlichkeit, dass in Luxemburg ebenfalls Fälle nach Reiseaufenthalten auftauchen ist gering“, verkündete das luxemburgische Gesundheitsministerium gestern in einer Pressemitteilung. Es gäbe zur Zeit keine direkten Verbindungen zwischen Luxemburg un der chinesischen Stadt Wuhan.
In Anwesenheit von Patienten mit Infektionssymptomen, die mit dem Coronavirus in Zusammenhang stehen können (Fieber, Husten, Atembeschwerden), empfiehlt das Gesundheitsministerium, die Reisegeschichte dieser Personen in der betreffenden Region während letzten beiden Wochen zu erfragen.
Jeder verdächtige Fall muss vom behandelnden Arzt unverzüglich dem Gesundheitsamt gemeldet werden. Personen aus betroffenen Gebieten mit Symptomen einer Coronavirus-Infektion sollten in einem geeigneten Krankenhaus isoliert werden, bis das Krankenhaus ausgeschlossen werden kann. In Luxemburg eignen sich speziell ausgestattete Räume beim Service national des maladies infectieuses du Centre Hospitalier de Luxembourg für eine angemessene Isolierung der Patienten.
Das Laboratoire National de Santé (LNS) baut derzeit seine Fähigkeit zur Durchführung von Tests zur Identifizierung von 2019-nCoV aus. Gleichzeitig hat es eine Vereinbarung mit der Universitätsklinik Charité in Berlin, die Proben aus dem LNS testen kann. Das Charité-Labor erscheint als Referenzlabor in der vom ECDC erstellten Liste und entwickelte den ersten Diagnose-Test für das neue Coronavirus (siehe Infobox).
Autor: Michèle Weber (FNR)
Bild: National Institute of Allergy and Infectious Diseases(NIAID) via Wikimedia Commons
Links zu Quellen und weiteren Informationsportalen gibt es ebenfalls noch in einer Infobox (s.u.)
Infobox
Innerhalb von 10 Tagen der ersten verkündeten Fälle aus China hatten Forscher das Genom des neuen Virus bestimmt (sequenziert) und veröffentlicht. Eine Woche später hatten Forscher am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung am Charité Berlin einen ersten Diagnose-Test für das neue Virus entwickelt und die WHO das enstprechende Testprotokoll publiziert.