Rémi Villaggi MUDAM Luxembourg
Im MUDAM steht zurzeit eine Reproduktion des Foucault’schen Pendels, das auf verblüffende Weise zeigt, dass die Erde sich um ihre Achse dreht. Eine Erklärung.
Das Experiment von Léon Foucault
Im März 1851 hat Léon Foucault ein riesiges Pendel an der Decke des Pantheons in Paris angebracht: Eine Kugel aus Messing von 28 kg an einem Stahlseil von 67 m Länge! Einmal in Bewegung schwingt das Pendel auf eine bemerkenswerte Weise: Im Laufe der Zeit dreht sich langsam seine Schwingungsebene. Wird er in Nord-Süd Richtung angestoßen, so schwingt er nach einigen Stunden in West-Ost Richtung. Die Drehung des Pendels entsteht durch die Erdrotation. Das Experiment zeigt also, dass die Erde sich um ihre Achse dreht.
Du kannst Dir vorstellen, dass das Pendel immer geradeaus schwingt (gegenüber unbeweglichen Sternen), die Erde untendrunter sich aber dreht. Für den Beobachter auf der Erde sieht es so aus, als würde sich das Pendel drehen, eine komplette Umdrehung in einem Tag. Diese einfache Erklärung stimmt für ein Pendel auf dem Nordpol, doch nicht für das Pendel in Luxemburg, wie wir später sehen werden…
Historische Bedeutung des Experiments
Die Vorführungen von Léon Foucault weckten ein reges Interesse. Das majestätische Schwingen des Pendels und die verblüffende Einfachheit des Experiments kamen beim Publikum sehr gut an. Außerdem stellt das Experiment einen „internen Beweis“ für die Erdrotation dar, im Gegensatz zu den „externen Beweisen“, wie zum Beispiel die scheinbare tägliche Bewegung der Sonne und der Sterne am Himmel.
Ein sehr schönes Modell des Foucault’schen Pendels kannst Du bis zum 17. Januar 2016 in der Eingangshalle des MUDAM bewundern, in der Ausstellung „Eppur si muove“. Das Drehen des Pendels wird mit Hilfe kleiner Holzzylinder aufgezeigt, welche so aufgestellt sind, dass sie nach und nach vom Pendel umgestoßen werden. Doch wie kannst Du das Drehen des Pendels richtig verstehen?
Warum dreht sich das Pendel?
So simpel das Drehen des Pendels auch aussieht, so schwierig ist es diese Drehung korrekt zu interpretieren, ohne zum mathematischen Handwerk zu greifen.
Würden wir uns auf dem Nordpol befinden, so wäre die Erklärung allerdings einfach: Während das Pendel in einer festen Ebene schwingt, dreht sich die Erde unter dem Pendel hinweg. Wir würden also das Pendel in die entgegengesetzte Richtung drehen sehen, eine ganze Umdrehung an einem Tag ausführend. Es handelt sich um eine scheinbare Bewegung ähnlich wie der Tageslauf der Sonne am Himmel. (Abb. 1)
Abb. 1: Die Erde dreht sich unter dem Pendel hinweg.
Doch wir befinden uns in Luxemburg ungefähr auf dem 50. nördlichen Breitengrad. Das Pendel braucht nun 31 Stunden für eine komplette Umdrehung, also wesentlich mehr als 24 Stunden. Die Erklärung hierfür liegt immer noch bei der Erdrotation, doch ist sie nun wesentlich komplizierter (siehe unten).
Viele nicht wissenschaftliche Bücher, und sogar etliche populärwissenschaftliche Internetseiten enthalten leider fehlerhafte Interpretationen.
In welche Richtung dreht die Schwingungsebene?
Auf der Nordhalbkugel sieht ein Beobachter, der in die Bewegungsrichtung des Pendels schaut, die Masse nach rechts driften. Auf der Südhalbkugel ist es umgekehrt. Und auf dem Äquator dreht das Pendel überhaupt nicht.
Kunst und Wissenschaft
In der Ausstellung „Eppur si muove“ im MUDAM siehst Du nicht nur Instrumente von Wissenschaftlern, sondern auch Objekte von Künstlern - zum selben Thema. Unter dem Pendel hat Sophie Krier eine Platte aus geschliffenem Lehm auf eine Erhebung aus Steinen angebracht. So kannst Du bequem die Drehung des Pendels verfolgen.
Zusammen mit dem Foucault'schen Pendel kannst Du ein Kunstwerk des niederländischen Künstlers Guido van der Werve bewundern. Er ist der erste Mensch, der einen Tag lang nicht mit der Erde rotiert hat. Wie konnte er das schaffen?
Der interessierte Leser findet hier 2 Versuche einer intuitiven Interpretation, ohne mathematische Abhandlung.
Interpretation der Drehung des Pendels : 1. Versuch
Dazu betrachten wir folgende Überlegungen:
1. Das Pendel schwingt unter Einfluss seines Gewichts. Ohne die Erdanziehung würde es nicht schwingen. Wäre es dann in Ruhe, so würde es immer in Ruhe verharren. Wenn es schwingt, so steigt es auf der Seite en wenig empor. Da sein Gewicht nach unten zieht, wird es abgebremst bis es zum Stillstand kommt. Dann, wiederum wegen seines Gewichts, beschleunigt es in die andere Richtung bis zur vertikalen, also tiefsten Lage. Jenseits davon steigt es wiederum auf, und dasselbe Spiel beginnt von neuem. Gäbe es keinen Luftwiderstand, so würde das Pendel unaufhörlich schwingen. Von oben erkennt man nur die Hin-und-her-Bewegung der Masse längs einer bestimmten Richtung.
2. Diese Schwingungsrichtung hat die Tendenz, fest im Raum zu verharren. Sogar, wenn sich das Pendel auf der rotierenden Erde befindet. Diese Eigenschaft heißt „Trägheit der Masse“. Irgendwelche hypothetische Beobachter auf weit entfernten „Fix-Sternen“ würden eine feste Schwingungsrichtung beobachten, sofern das möglich wäre. Auf der Erde würden wir dann das Pendel in einem Tag eine komplette Drehung ausführen sehen.
3. Doch aufgrund der Erdanziehung ist es unmöglich, dass das Pendel eine feste Schwingungsrichtung behält. Es muss nämlich immer durch seine vertikale Lage schwingen. Das ist ein unausweichlicher Zwang. Und weil die Erde sich dreht, ändert sich dauernd die Richtung dieser Vertikalen: Sie rotiert auf einem Kegel, einmal am Tag eine ganze Drehung ausführend. (Abb. 2)
Abb. 2: Die Vertikale in Luxemburg liegt dauernd auf einem Kegel.
Schließlich entsteht eine Schwingung, die sowohl von der Trägheit der Masse als auch von dem Zwang immer wieder durch die Vertikale zu schwingen, hervorgerufen wird. Das Resultat ist, dass ein Beobachter in Luxemburg das Pendel in 31 Stunden eine komplette Drehung ausführen sieht.
Interpretation der Drehung des Pendels : 2. Versuch
Die Schwingungsrichtung sei die Ost-West-Richtung. In jeder Periode bewegt sich das Pendel einmal nach Westen hin, also genau auf einen Stern zu, der am westlichen Horizont dabei ist, unter zu gehen. Könnte das Pendel seine Schwingungsrichtung konstant halten, so müsste diese dem untergehenden Stern folgen. Das Pendel müsste also nach Westen etwas tiefer und nach Osten etwas höher schwingen. Das ist jedoch unmöglich. Das Pendel passiert immer seine tiefste vertikale Position, seine Bewegung muss „horizontal bleiben“. (Nur in erster Annäherung, denn in Wirklichkeit beschreibt die Masse einen kleinen Kreisbogen.)
Das Pendel folgt also nur der horizontalen Komponente der Bewegung des im Westen untergehenden Sterns (auch „Azimut“ genannt). Es dreht sich also gegenüber dem luxemburgischen Beobachter, doch weniger schnell als der Stern (Abb. 3 und 4). Die scheinbare Bewegung des Sterns entspricht einer kompletten Umdrehung in 24 Stunden (in Wirklichkeit 4 Minuten weniger), das Pendel braucht dafür etwa 31 Stunden.
Abb. 3: Bewegt sich der Fixstern von 1 auf 2, dann ändert sein Azimut weniger als seine Lage.
Abb. 4: Die am Westhorizont untergehende Sonne, alle 5 Minuten fotografiert. Die Sterne folgen einer ähnlichen Bahn.
Interpretation der Drehung des Pendels : 3. Versuch (quantitativ)
Im geozentrischen Bezugssystem beschreibt Luxemburg (Punkt L auf Abb. 5) an einem Tag eine ganze Umdrehung auf einer Kreisbahn mit Radius r und Zentrum C‘. Das geozentrische Bezugssystem besteht aus dem Mittelpunkt der Erde und 3 Fixsternen. In diesem Bezugssystem sieht man die Erde um ihre Achse drehen.
Zur Vereinfachung nehmen wir an, dass das Pendel eine geradlinige Hin-und-her-Bewegung ausführt. Das heißt, wir vernachlässigen die in Wirklichkeit schwach kreisförmige Krümmung der Pendelbahn.
Abb. 5: Die Bewegungen des Foucault’schen Pendels finden auf einem Kegel statt, dessen Basiskreis durch die Trajektorie des Standpunkts gegeben ist, und dessen halber Öffnungswinkel der geografischen Breite entspricht.
Wenn man den Kegel längs einer Mantellinie (zum Beispiel LO) aufschneidet und abwickelt, erhält man einen Kreissektor, dessen Radius a und dessen Mittelpunktswinkel a betragen. Auf der abgewickelten Mantelfläche tragen wir die Schwingungsbahn des Pendels als kleinen roten Strich auf. (Abb. 6)
Folgender Gedankengang enthält den Schlüssel zum Verstehen der Drehung des Foucault’schen Pendels:
Da das Pendel gezwungenermaßen in einer vertikalen Ebene schwingen muss (wegen der Erdanziehungskraft), und da alle vertikalen Ebenen senkrecht zur abgewickelten Mantelfläche stehen, gibt es keinen Grund dafür, dass sich die Schwingungsebene des Pendels, auf dieser Abbildung, ändert. Folglich bleibt sie, aufgrund der Trägheit, auf dieser Abbildung, erhalten (Abb. 6). Der luxemburgische Beobachter (Punkt L) sieht daher das Pendel sich im Laufe der Zeit drehen.
Abb.6: Die Schwingungsebene verändert sich auf der abgewickelten Mantelfläche nicht.
Am Afangspunkt LAnfang schwingt das Pendel in der Nord-Süd-Richtung (Richtung LO auf Abb. 5). In den folgenden 24 Stunden bewegt sich das Pendel (Punkt L) auf dem Basiskreis um genau eine Umdrehung weiter. Es hat also die Strecke 2πr zurückgelegt. Auf der abgewickelten Mantelfläche entspricht diese gleiche Strecke einem kleineren Kreisbogen mit Mittelpunktswinkel α. Der luxemburgische Beobachter stellt fest, dass das Pendel seine Nord-Süd-Richtung nach den 24 Stunden noch nicht wieder erlangt hat. Es hat zwar gedreht, aber eben nur um den Winkel α.
Wie viel beträgt α? Es ist einfach zu erkennen, dass α von dem Verhältnis r/a abhängt : α = (2p∙r)/a.
Wie groß ist nun die Periode des Foucault’schen Pendels? Aufgrund des Dreisatzes dürfen wir behaupten, dass, wenn das Pendel in 24 Stunden um den Winkel α dreht, es für eine ganze Umdrehung (Winkel von 2π) die Zeit 24∙(2π/α) Stunden benötigt.
Die Periode des Foucault’schen Pendels ist also durch die Formel gegeben: T = 24∙(2π/α) = 24∙(a/r).
Der Radius r lässt sich mit Hilfe der Länge a und der geografischen Breite lambda ausdrücken: r = a∙sin lambda (Abb. 5, Rechtwinkliges Dreieck (OC’L)).
Schließlich erhalten wir mit lambda = 50°: T = 24/sin lambda = 31 Stunden.
(In Wirklichkeit beträgt die Rotationsperiode der Erde im geozentrischen Bezugssystem nicht 24 h sondern 23 h 56 min 4 s = 23,9344 h, und die geografische Breite Luxemburgs nicht 50° sondern 49,6°. Dies ergibt den genaueren Wert: T = 31,4 Stunden.)
Und schließlich die mathematische Version:
Wenn Du keine Angst vor sphärischer Geometrie hast, dann kannst du eine der vielen Internetseiten besuchen, welche dieses Thema abhandeln.
Zum Beispiel: http://newt.phys.unsw.edu.au/~jw/pendulumdetails.html
Hier eine schöne Simulation:
Simulation (Achtung! Die länge des Pendels ist auf 500 km (!) eingestellt, ein unrealistischer Wert. Das ist notwendig, um das Drehen des Pendels im Zeitraffertempo zu simulieren. (In Echtzeit würde es Stunden dauern!)
Quellenangabe:
http://orbi.ulg.ac.be/bitstream/2268/87326/1/Derop_2002_Rev-Quest-Sci_261.pdf
Autoren: André Mousset (Physiker), Guillaume Trap (Physiker)
Foto © Rémi Villaggi MUDAM Luxembourg
Foto der untergehenden Sonne © Arno Rottal (www.far-light-photography.at)
Infobox
Damit das Pendel lange Zeit hin und her schwingt! Unter diesen Bedingungen dauert eine Schwingung lange und der Luftwiderstand ist gering gegenüber dem Gewicht des Pendels. Daher nehmen die Schwingungen nur langsam ab. Diese Dämpfung wird dadurch ausgeglichen, dass der Masse bei jedem Pendelschlag ein kleiner Betrag an Energie zugefügt wird. Somit muss das Pendel nicht immer wieder neu angeworfen werden, was die Richtung der Schwingungsebene beeinträchtigen würde.
Das Original von Léon Foucault (1851) mit einer Länge von 67 m und einer Masse von 28 kg hatte eine Periodendauer von 16 s und blieb während 6 Stunden ohne Energiezufuhr in Bewegung.
Formel: Periode (in Stunden) = 24 / sin (Breitengrad)
In Luxemburg, unweit des 50. nördlichen Breitengrades, beträgt sie ungefähr 31 Stunden. Das Pendel dreht also um ca. 6° in einer halben Stunde. Auf den Polen (Breitengrad = 90°) wäre die Periode gleich 24 Stunden - genauer einem Sternentag, d.h. 23 Stunden 56 Minuten 4 Sekunden. Auf dem Äquator (Breitengrad =0°) ist sie unendlich groß: Das Pendel dreht überhaupt nicht.
Die Ausstellung Eppur si muove . Kunst und Technik, ein gemeinsamer Raum (Und sie bewegt sich doch!) ist das Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen dem Mudam und dem Musée des arts et métiers in Paris. Sie beschäftigt sich mit den vielfältigen Querverbindungen zwischen bildender Kunst und Technik sowie mit dem bedeutenden Einfluss, den die Geschichte von Wissenschaft und Technik auf die zeitgenössischen Künstler hat.
Bespielt wird die gesamte Ausstellungsfläche des Mudam Luxembourg mit etwa 70 Leihgaben (vom 18. Jahrhundert bis heute) aus den prestigeträchtigen Sammlungen des Pariser Museums. Hinzu kommen mehr als 130 Werke von Künstlern, die sich mit den von ihnen thematisierten Konzepten und dem, was sie erfahrbar machen, aber auch durch ihre Herstellungs- und Kooperationsweisen Fragen annehmen, die Technik und Wissenschaft schon seit Jahrhunderten umtreiben.
Die Öffnungszeiten der Ausstellung vom 09/07/2015 bis 17/01/2016:
Montag - Freitag 11h-20h
Samstag - Montag 11h-18h
Feiertage 11h-18h
Geschlossen am 25.12.