© Uwe Hentschel

Das Team von Arno Gutleb hat ein Lungenmodell entwickelt, für das auf den Einsatz von Tieren verzichtet werden kann

Was wir einatmen, wandert bis zu den Alveolen, also bis in die Lungenbläschen in den Tiefen unserer Luftwege. Das gilt für alle Nanopartikel in der Luft und damit auch für jene, die für uns schädlich sind. Ob Stoffe gesundheitsgefährdend sind oder nicht, muss deshalb im Vorfeld getestet werden. Die Forschungsgruppe Environmental Health am Luxembourg Institute for Science and Technology (LIST) befasst sich genau damit. Das Team von Arno Gutleb hat dabei ein Lungenmodell entwickelt, für das auf den Einsatz von Tieren verzichtet werden kann. Wie der Forscher erklärt, sind Tierversuche auf diesem Gebiet nicht nur aus ethischen und gesellschaftlichen Gründen problematisch.

Arno, dank eurer Forschung können Mäuse und Tierschützer gleichermaßen aufatmen, oder?

Das stimmt. Wobei es zwischen den Mäusen und uns Menschen hierbei entscheidende Unterschiede gibt. Wenn wir unsere Lunge mit der einer Maus vergleichen und dabei dann auch noch berücksichtigen müssen, dass wir zweibeinig sind und aufrecht gehen, dann ist die Aerodynamik einer menschlichen Lunge eine ganz andere als die bei einer Maus, die vierbeinig ist und sich vorne übergebeugt bewegt. Nanopartikel gehen in einer Mauslunge also ganz andere Wege als in einer Menschenlunge. Wenn man Mäuse-Asthma studiert, bekommt man zwar eine Idee davon, was man beim Menschen untersuchen könnte, viel mehr aber auch nicht. Unsere Überlegung war deshalb die, dass wir selbst ein Lungenzellkultur-Modell für die Alveolen entwickeln.

Was ist das Besondere an diesem Modell?

Für die Bronchien (die Lungenkanäle durch die Luft bis zu den Alveolen gelangt)  gibt es bereits seit längerem kommerzielle Modelle, für die Alveolen jedoch bislang so gut wie keine. Und in dieser Nische haben wir uns eben ausgebreitet und auch bereits ein Patent angemeldet. Aline Chary, eine Doktorandin aus unserem Team, wurde dafür sogar mit dem Lush Prize ausgezeichnet. Aline hat im vergangenen Jahr auch ein Projekt vom PETA International Science Consortium, dem wissenschaftlichen Arm der Tierschutzorganisation PETA, übertragen bekommen. Bei diesem Projekt geht es darum, auf eine serumfreie Herstellung vom Zellkulturen umzustellen. 

Auf den Einsatz von Tieren wird also auch bei Zellmodellen noch nicht ganz verzichtet?

Man verwendet bei Zellkulturen zwar keine Tiere, aber in fast jeder Zellkultur steckt Kälberserum, ein Bestandteil des Blutes. Und dieses Blut spenden die Tiere nicht freiwillig, sondern die Kälber werden während der Schlachtung der Mutterkuh aus dem Mutterleib entfernt. Und dann wird Blut abgezapft und daraus schließlich Serum hergestellt. Es ist also vielleicht tierversuchsfrei, aber eben nicht tierfrei. PETA unterstützt uns nun in einem nächsten Schritt dabei, eine tierfreie Zellkultur aufzubauen. 

Wie funktioniert eine Zellkultur?

Bei den Zellkulturen wird zwischen primären Zellen und Zelllinien unterschieden. Primäre Zellen kommen vom Patienten. Wenn beispielsweise im Rahmen einer Lungentumor-Operation ein Teil der Lunge weggeschnitten wird, dann ist ja nicht der komplette, entfernte Teil vom Tumor befallen. Und diese Material ist zugängig. Es gibt Unternehmen, die aus diesem Material dann zum Beispiel Bronchialzellkultur-Modelle machen. Der Vorteil ist, dass es sich dabei eben um eine primäre Zelle handelt, die sich genauso verhält wie in unserer Lunge.

Wir jedoch verwenden dazu Tumorzelllinien. Eine solche Zelllinie lebt praktisch unendlich da sie sich immer wieder teilt. Wir haben also keine Probleme mit Nachschub oder ethischen Fragen, benötigen keinen Patienten, keine Krankenhäuser und müssen auch keine Sorge wegen Aids oder Hepatitis haben. Genetisch gesehen ist natürlich jede Tumorzelle ein wenig anders als eine Nicht-Tumorzelle. Das ist ein Nachteil unserer Zelllinien. Dafür aber ist die Antwort, die man bekommt, immer gleich, was bei primären Zellen eben nicht immer der Fall ist. 

Wie geht es mit diesen Zelllinien weiter?

Unser Zellkulturmodell hat bis zu fünf verschiedene Zelllinien. Diese wachsen in kleinen Körbchen. Und weil die Lungenzellen in unserem Körper ja auch nicht im Blut, sondern an der Luft wachsen, ist über diesen Zelllinien auch kein sonstiges Medium, sondern nur Luft. Die Zellkulturen liegen auf einer Membran mit feinen Löchern, und darunter sind die Nährstoffe.

Die Lungenzellen produzieren – wie auch in der Lunge - die Substanz Surfactant, die dafür sorgt, dass die Lungenzellen nicht zusammenkleben. Oben drauf sind Makrophagen, die sogenannten Fresszellen. Auf der Unterseite der Membran haben wir Blutkapillarzellen und schließlich noch die die dendritischen Zellen. Das sind weiße Blutzellen, die in den Lungenbläschen Ausschau nach allem halten, was in irgendeiner Form eine Allergie auslösen könnte. Und wenn da was ist, dann melden sie das. 

Lungenmodell_1
Lungenmodell_2

Und um diese Zellen geht es dann auch?

Genau. Diese Zellen untersuchen wir, nachdem wir bestimmte Chemikalien zugeführt haben. Die Zellen geben uns dann die Antwort darauf, ob dieser zugefügte Stoff das Potenzial hat, um asthmaähnliche Symptome hervorzurufen oder eben nicht.

Welche Stoffe werden dabei getestet?

Im Moment setzen wir hauptsächlich bekannte Stoffe ein, um zu sehen, ob unser System auch richtig funktioniert. Wir verwenden also zum Beispiel Industriechemikalien, denen der normale Konsument nie ausgesetzt ist und die in einer Fabrik in abgetrennten Bereichen, mit Abzug oder Atemschutz verwendet werden. Diese Stoffe testen wir, um zu sehen, wie unser System anschlägt. Gleichzeitig prüfen wir auch harmlose Stoffe, bei denen dann keine positive Meldung kommen darf. 

Wenn wir das alles durchgetestet haben, dann können wir sagen: Okay, gebt uns die neuen Industriechemikalien der Zukunft, und wir versuchen dann, die möglichen Wirkungen vorherzusagen. Das ist deshalb so wichtig, weil Firmen bei der Herstellung oder aber auch beim Import größerer Mengen von Stoffen auch Informationen über mögliche Auswirkungen auf die Atemwege vorlegen müssen. Viele Firmen haben aber gar keine Möglichkeit, das verlässlich zu testen. Auch nicht mit Hilfe von Tierversuchen. 

Es gibt also einen Markt dafür…

Durchaus. Und den wollen wir abdecken. Wir können im Grunde alles, was man inhaliert, in diesem Modell testen. Ganz egal ob das jetzt Chemikalien oder aber Nanomaterialien sind. Wir haben aktuell zum Beispiel ein Projekt, in dem wir algenbasierte Öle testen, die in der Zukunft als Getriebeöl als Ersatz für Mineralöl verwendet werden sollen. Ein Getriebe ist zwar ein geschlossenes System, aber wenn ein Mechaniker das Getriebe öffnen muss, dann wird er dort möglicherweise Öl einatmen. Die Firmen kommen also auf uns zu und fragen uns, ob wir das testen können. 

Und wie viel Zeit benötigt man für einen solchen Test?

Wir beginnen am Freitag mit der Zellkultur und am Dienstag darauf ist sie dann fertig. Dann sind die Zellen zusammengebaut und leben. Mittwochs kommt schließlich die Chemikalie drauf und einen Tag später ernten wir dann die Zellen. Dann brauchen wir ungefähr noch mal eine Woche, bis wir alles gemessen haben. Wenn alles vorbereitet ist und wir dann die Chemikalie bekommen, können wir innerhalb von einer Woche bis zehn Tagen sagen, ob der Stoff bedenkliche Auswirkungen auf die Atemwege hat oder nicht. Es geht also recht schnell. 

Interview: Uwe Hentschel

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