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Luxemburg hat sich zum Ziel gesetzt, bis ins Jahr 2030 seine inländischen Treibhausgasemissionen um 55% gegenüber 2005 zu senken und spätestens 2050 null Nettoemissionen zu erreichen.

Im Juni 2023 hat die luxemburgische Regierung einen aktualisierten nationalen Energie- und Klimaplan bei der EU eingereicht  (Integrierter nationaler Energie- und Klimaplan Luxemburgs für den Zeitraum 2021-2030 (PNEC). Ein Vorentwurf dieser Aktualisierung wurde bereits im April 2023 veröffentlicht. Was denken Wissenschaftler über die Klimapolitik in Luxemburg? Dazu haben wir dem Präsidenten Dr. Andrew Ferrone und der Vize-präsidentin Dr. Mirjam Kosch des luxemburgischen Observatoriums für Klimapolitik (Observatoire de la politique climatique, OPC) ein Interview geführt. Das OPC ist ein Organ mit Beraterfunktion, das aus wissenschaftlichen Experten aus dem In- und Ausland zusammengesetzt ist.

Andrew Ferrone
Mirjam Kosch

Links/oben: Dr. Andrew Ferrone, Leiter des meteorologischen Dienstes der Verwaltung für technische Dienste der Landwirtschaft (ASTA) in Luxemburg, Präsident des OPC;
Rechts/unten: Dr. Mirjam Kosch, Umweltwissenschaftlerin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, Vizepräsidentin des OPC
(Biografien in der Infobox).

Das luxemburgische Observatorium für Klimapolitik wurde von der Regierung gemäß Artikel 7 des Klimagesetztes errichtet und die Mitglieder wurden 2021 von der Regierung ernannt. Die Mission des Observatoriums ist auf dessen Internetseite so definiert: „Die Aufgabe des OPC besteht darin, über Projekte, Aktionen oder Maßnahmen zu beraten, die sich auf die Klimapolitik auswirken können, durchgeführte oder geplante Maßnahmen im Bereich der Klimapolitik wissenschaftlich zu bewerten und ihre Wirksamkeit zu analysieren sowie neue Maßnahmen vorzuschlagen.“

Weitere Informationen über das OPC, seine Aufgaben und seine Mitglieder auf der Internetseite des OPC.

Andrew Ferrone

Andrew Ferrone ist ausgebildeter physikalischer Klimatologe und arbeitet vor allem an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Klimapolitik. Derzeit ist er Leiter des meteorologischen Dienstes der Verwaltung für technische Dienste der Landwirtschaft (ASTA) in Luxemburg. Er ist außerdem ständiger Vertreter bei der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), Leiter der luxemburgischen Delegation beim Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (IPCC) und koordiniert das Verhandlungsteam der Europäischen Union für wissenschaftliche Fragen im Rahmen des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (UNFCCC). Andrew promovierte an der Katholischen Universität Löwen zum Thema Luftfahrt und Klimawandel in Europa: von der regionalen Klimamodellierung zu politischen Optionen (Quelle: OPC).

Mirjam Kosch

Mirjam Kosch ist begeisterte Umweltwissenschaftlerin und hat an der ETH Zürich zum Thema Klimapolitik im Stromsektor promoviert. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit analysierte sie empirisch die Auswirkungen von Subventionen für erneuerbare Energien und Kohlenstoffpreisen. Derzeit beschäftigt sie sich am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung mit den Auswirkungen von Brennstoff- und Kohlenstoffpreisen auf die Strompreise sowie mit dem Ausbau des europäischen Emissionshandelssystems und dessen Zusammenspiel mit verschiedenen Politikinstrumenten. Als moderne Klimaökonomin ist sie davon überzeugt, dass Carbon Pricing ein zentrales Instrument der Klimapolitik sein sollte, aber durch einen breiten Policy-Mix ergänzt werden muss (Quelle: OPC).

Die folgenden Antworten basieren auf der jüngsten Stellungnahme des OPC zum Vorentwurf des aktualisierten nationalen Klima- und Energieplans. Die vollständige Stellungnahme (auf Englisch) ist auf der Internetseite des OPC zu finden.

Wie weit sind wir mit den Klimazielen in Luxemburg?

Luxemburg hat sich zum Ziel gesetzt, bis ins Jahr 2030 seine inländischen Treibhausgasemissionen um 55% gegenüber 2005 zu senken und spätestens 2050 null Nettoemissionen zu erreichen. Null Nettoemissionen bedeutet, dass alle verbleibenden Treibhausgasemissionen durch Senken kompensiert werden müssen. Bisher sind wir auf Pfad und die Zwischenziele für die Jahre 2021 und 2022 wurden eingehalten.

Um das -55%-Ziel im Jahr 2030 zu erreichen, müssen wir uns aber nochmals anstrengen: Der von der Regierung kürzlich veröffentlichte Vorentwurf des aktualisierten PNEC enthält einen detaillierten Fahrplan für die Erreichung der Klimaziele. In diesem Zusammenhang hat die nationale Statistikbehörde (STATEC) eine Modellierung der im PNEC vorgeschlagenen Maßnahmen durchgeführt. Das Ergebnis hat gezeigt, dass das wir unser 2030-Klimaziel nur erreichen, wenn alle Maßnahmen vollständig umgesetzt werden. Betrachtet man die einzelnen Sektoren, so sieht das Bild aber weniger positiv aus: Die Ziele in den Sektoren Gebäude und Industrie werden wahrscheinlich nicht erreicht. Andererseits werden die Ziele im Verkehrssektor gemäß den Annahmen der STATEC übererfüllt. Jedoch nur, wenn gewisse CO2-Emissionen einfach ins Ausland verlagert werden – was dem globalen Klimawandel wenig dient.

Wird genug getan, um den Klimawandel zu verlangsamen?

Die im PNEC vorgeschlagenen Maßnahmen führen zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen in Luxemburg. Aus wissenschaftlicher Sicht sind sie jedoch nicht ausreichend oder werden nicht schnell genug umgesetzt. Damit wir für das Netto-Null Ziel im Jahr 2050 auf Kurs bleiben, sollten folgende Punkte mehr Aufmerksamkeit erhalten:

  • Es fehlen ganzheitliche Lösungen: Der Schwerpunkt des PNEC liegt auf einzelnen, sektoralen, inkrementellen Maßnahmen. Es fehlt eine nationale Strategie mit ganzheitlichen und sektorübergreifenden Lösungen.  Ein gutes Beispiel sind die Energieplanungen, die gewisse Gemeinden im Rahmen des Klimapakt machen. Bei diesen müssen Wohnraumplanung und Energieversorgung gemeinsam gedacht werden. Solche Ansätze braucht es noch mehr. Außerdem braucht es zusätzliche Maßnahmen, die die Bürger dazu motivieren, ihr derzeitiges Verhalten mit hohem Verbrauch und hohen Treibhausgasemissionen in Richtung eines klimaresilienteren Lebensstils zu ändern.
  • Produktions- versus konsumbedingte Emissionen: Die meisten Maßnahmen zielen auf die Verringerung der produktionsbedingten Emissionen ab, wie sie in der offiziellen Treibhausgasbilanzierung erfasst werden. Dies führt unweigerlich zu einer Verlagerung von CO2-Emissionen ins Ausland (Externalisierung von kohlenstoffbedingten Schäden und Verschmutzungen), wie unten am Beispiel des Verkehrssektors dargestellt wird. Damit wir die Emissionen wirklich senken und nicht nur ins Ausland verschieben, braucht es zusätzliche Maßnahmen, die die Verringerung der konsumbedingten Emissionen unterstützen.

Infobox

Produktionsbasierte vs. konsumbasierte Emissionen

Produktionsbasierte Treibhausgasemissionen sind alle Emissionen, die während des Herstellungsprozesses von Gütern und Dienstleistung auf dem Territorium eines Landes freigesetzt werden. Beispiele hierfür sind die Emissionen von CO2 aus der Gewinnung von Rohstoffen, der Verbrennung fossiler Brennstoffe zur Energieerzeugung und aus industriellen Prozessen, oder aus der Verarbeitung, Transport oder anderen produktionsbezogenen Aktivitäten.

Konsumbasierte Treibhausgasemissionen sind alle Emissionen, die durch den Konsum von Gütern und Dienstleister in einem Land entstehen – auch wenn diese in einem andern Land hergestellt wurden. Diese Art von Emissionen erfassen die Gesamtmenge der Emissionen, die mit der Herstellung, Transport, Nutzung und Entsorgung verbunden sind. Ein Beispiel dafür wäre der CO2-Ausstoß, der bei der Herstellung eines importierten Smartphones in China entsteht und durch den Konsum in Luxemburg verursacht wird.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Arten von Emissionen besteht darin, dass produktionsbedingte Emissionen auf die Ort der Produktion abzielen und direkt mit den industriellen Aktivitäten zusammenhängen, während konsumbedingte Emissionen den gesamten Lebenszyklus von Waren und Dienstleistungen berücksichtigen, einschließlich ihrer Herstellung, Nutzung und Entsorgung, unabhängig vom Ort der Produktion. Die Berücksichtigung von konsumbedingten Emissionen kann helfen, ein umfassenderes Bild der tatsächlichen Treibhausgasbelastung eines Landes oder einer Gemeinschaft zu erhalten und die Verantwortung für Emissionen gerechter zu verteilen.

  • Hohe Gefahr der Verlagerung von CO2-Emissionen im Verkehrssektor: Laut Berechnungen des STATEC wird Luxemburg sein Klimaziel im Verkehrssektor übererfüllen. Dies soll insbesondere durch eine höhere Besteuerung der Treibstoffe erreicht werden. Das führt einerseits zu einer Veränderung des individuellen Fahrverhaltens (weniger Kilometer, mehr Elektrofahrzeuge) und somit zu einer Reduktion der Emissionen. Andererseits ist aber auch davon auszugehen, dass besonders in der Logistikbranche dadurch vermehrt im Ausland getankt wird und die Emissionen somit lediglich verlagert, aber nicht reduziert werden. Voraussichtlich erreichen wir unser 2030-Klimaziel für den Verkehrssektor also nur durch eine teilweise Verlagerung der Emissionen ins Ausland.  Eine Verlagerung von einem autoorientierten zu einem sanften Mobilitätssystem wäre hier zu bevorzugen.

Worauf sollte aus Sicht der Wissenschaft der Schwerpunkt gelegt werden?

In allen Sektoren muss die Abhängigkeit der luxemburgischen Wirtschaft und Gesellschaft von fossilen Energien (Kohle, Öl und Erdgas) stärker reduziert werden. Dieser Prozess ist nicht nur wichtig, um die Emissionsreduktionsziele zu erreichen, sondern auch, um die Abhängigkeit von importierten Energieträgern, die in letzter Zeit teurer und unsicherer geworden sind, zu verringern.  

Die Dekarbonisierung der Wirtschaft erfordert tiefgreifende strukturelle Veränderungen basierend auf drei Pfeilern:  

Suffizienz: Verbreitung eines energiearmen Lebensstils 
Energieeffizienz: Steigerung der Energieeffizienz
Erzeugung erneuerbarer Energie: Dekarbonisierung der Energieerzeugung und -importe 

Traditionell konzentriert sich die Klimapolitik auf die beiden letztgenannten Bereiche. Sowohl die Verbesserung der Energieeffizienz als auch die Erzeugung erneuerbarer Energien beruhen auf technologischem Wandel. Dieser kann beispielsweise durch CO2-Steuer, Energieeffizienz-Standards, das Verbot von Subventionen für fossile Energieträger und durch Investitionen in erneuerbare Energien gefördert werden. Dies sind notwendige erste Schritte, die jedoch nicht ausreichen. 

Um einen energiearmen und suffizienten Lebensstil zu ermöglichen, sind Verhaltensänderungen sowie Veränderungen im gesellschaftlichen System erforderlich. Die Möglichkeiten, solche Veränderungen vorzunehmen, sollten allen zugänglich sein, nicht nur denjenigen Bevölkerungsgruppen, die es sich leisten können, sich die Zeit zu nehmen und Geld zu investieren. Dazu braucht es Sensibilisierung der Bürger und Fachleute damit sie sich an Veränderungen beteiligen können und einschätzen welche Lösungen in ihrer Situation am besten funktionieren.

Welche konkreten Anpassungen und Maßnahmen sind in den nächsten 10-20 Jahren nötig??

Im Kampf gegen den Klimawandel gibt es kein Allheilmittel, sondern diverse Veränderungen müssen in den nächsten Jahrzehnten stattfinden, damit wir unsere Gesellschaft auf eine klimaresiliente Zukunft vorbereiten können. Hier eine kleine Auswahl an konkreten Empfehlungen:

  • Verlagerung von einem autoorientierten zu einem sanften Mobilitätssystem: Statt alles mit dem Auto zu erledigen, sollten wir vermehrt zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs sein. Damit dies möglich ist braucht es Investitionen in entsprechende Infrastrukturen. Ein sehr deutliches Signal wäre auch ein Verbot des Baus neuer Straßen, wie es die walisische Regierung eingeführt hat. Und die CO2-Steuer sollte von den aktuell geplanten 45€/tCO2 auf 200€/tCO2 erhöht werden; dies berücksichtigt sowohl wissenschaftliche Erkenntnisse also auch die öffentlichen Meinung des Klima-Biergerrots.  Hilfreich sind außerdem die Förderung der Arbeit von zu Hause sowie Pläne für eine 15-Minuten-Stadt, in der die wichtigsten Dinge des täglichen Bedarfs innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad von den Wohnungen aus erreichbar sind. Wo trotz allem Autofahrten notwendig sind, sollten diese ausschließlich mit elektrischen Fahrzeugen unternommen werden.
  • Reduzierung der Wohnfläche pro Person und Verbot neuer fossiler Heizungen: Luxemburg hält den europäischen Rekord für den höchsten Energieverbrauch pro Wohnung. Bei durchschnittlich 132 m2 /Wohnung für 2,5 Personen könnte die Fläche auf etwa 90 m2 im Jahr 2050 reduziert werden, so eine aktuelle Studie des UNEP Resource Panel. Die Gesamtfläche an bebautem Land könnte teilweise durch die Rückgewinnung ungenutzter Büro- oder Parkhausflächen reduziert werden. Die genutzte Wohnfläche soll baldmöglichst nur noch mit erneuerbaren Technologien beheizt werden. Damit dies erreicht wird, bräuchte es ab sofort ein Verbot, fossile Heizungen einzubauen.
  • Verringerung von Lebensmittelverschwendung und Umstellung auf eine gesunde und nachhaltige Ernährung: Die Lebensmittelverschwendung muss auf ein Minimum reduziert werden. Die Umstellung auf eine stärker pflanzlich geprägte Ernährung bringt einerseits gesundheitliche Vorteile und verursacht andererseits niedrigere Treibhausgasemissionen als die Ernährung mit einem hohen Anteil an rotem Fleisch.

Weitere Informationen über das OPC, seine Aufgaben und seine Mitglieder auf der Internetseite des Observatoriums.

Fragen: Michèle Weber (FNR)
Editor: Dhiraj Sabharwal

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