Aus Hautzellen werden Nervenzellen! Wissenschaftler am Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB) der Universität Luxemburg haben ein Computer-Modell entwickelt, mit dessen Voraussagen ausdifferenzierte Zellen – etwa Hautzellen – im Labor sehr effizient in völlig andere Zelltypen – beispielsweise Nervenzellen – umgewandelt werden können. Dabei müssen keine Stammzellen erzeugt werden.

Die computerbasierte Anleitung zur Umprogrammierung von Zellen hat große Bedeutung für die regenerative Medizin.

Sämtliche Zellen eines Organismus entstehen aus embryonalen Stammzellen, die sich teilen und dabei immer stärker ausdifferenzieren. Die resultierenden Gewebezellen befinden sich in einem stabilen Zustand: Eine Hautzelle verwandelt sich nicht spontan in eine Nerven- oder Herzmuskelzelle.

„An solchen Umwandlungen sind Mediziner jedoch sehr interessiert. Daraus können sich neue Optionen für die regenerative Medizin ergeben“, sagt Professor Antonio del Sol, Leiter der Computational Biology-Gruppe am LCSB.

Das Ziel

Wenn zum Beispiel Nervengewebe erkrankt ist, entnehmen Ärzte Zellen aus gesundem Gewebe des Patienten, etwa aus der Haut. Diese Hautzellenprogrammieren sie so um, dass sich daraus gesunde Nervenzellen entwickeln. Diese neu erzeugten Nervenzellen werden dann in das erkrankte Gewebe eingepflanzt.

Die Hoffnung besteht darin, dass so eines Tages Krankheiten wie Parkinson gelindert oder im Idealfall sogar geheilt werden können.

Die Techniken zur Zellprogrammierung sind sehr jung

Im vergangenen Jahr haben die Stammzellforscher Shinya Yamanaka und John Burdon den Nobelpreis dafür erhalten, dass sie ausdifferenzierte Körperzellen im Labor in Stammzellen zurückverwandeln konnten. Im Jahr 2010 ist erstmals im Labor die direkte Umwandlung von Haut- in Nervenzellen gelungen.

Diese Verfahren beruhen jedoch bisher auf dem Prinzip von ‚Versuch und Irrtum’. Biologen arbeiten mit ausgeklügelten Mischungen von Molekülen, den Wachstumsfaktoren, die in bestimmter Abfolge den Zellkulturen zugesetzt werden. Damit lässt sich die genetische Aktivität im Prozess der Umwandlung steuern.

Variables Springen zwischen verschiedenen Zelltypen möglich

Jetzt ersetzen die LCSB-Forscher ‚Versuch und Irrtum’ durch Computerberechnungen, wie Isaac Crespo, Informatiker und Doktorand am LCSB, erläutert: „Unser theoretisches Modell nutzt Datenbanken, in denen enormes Wissen über Genaktivitäten und ihre Wirkung gespeichert ist. Mit Hilfe der Daten identifiziert das Modell die Gene, die für die Stabilität ausdifferenzierter Zellen sorgen. Anschließend macht das System Vorschläge, welche Gene in den Ausgangszellen zu welchem Zeitpunkt ein- und wieder ausgeschaltet werden müssen, um sie in einen anderen Zelltyp zu verwandeln.“

„Unsere Vorhersagen haben sich im Labor als sehr genau herausgestellt“, sagt Professor del Sol: „Dabei ist es völlig gleichgültig, wie ähnlich sich die Zellen sind. Die Modellierungen treffen bei Zelllinien zu, die sich im Zellstammbaum gerade erst getrennt, als auch bei solchen, die sich schon sehr weit voneinander entfernt haben.“

del Sols und Crespos Modell ermöglicht also ein sehr variables Springen zwischen ganz verschiedenen Zelltypen - ohne den Umweg über Stammzellen.

Nächste Schritte

Der jetzt für die Biologen anstehende nächste Schritt ist ein gewaltiger: Sie müssen nun die Wachstumsfaktoren finden, die die gewünschten Genaktivitäten in der richtigen und vorhergesagten Reihenfolge ablaufen lassen.

Foto: Shotshop ©leonardo medicalShotsh
Shotshop ©Iaroslav Danylchenko Shotshop.com

Infobox

Publikation der Forschungsergebnisse

Die LCSB-Forscher präsentieren ihre Ergebnisse aktuell in dem renommierten Fachjournal „Stem Cells“. Zum ersten Mal erscheint damit in diesem Wissenschaftsjournal eine Veröffentlichung, die ausschließlich auf Ergebnissen der so genannten Computational Biology beruht. (DOI: 10.1002/stem.1473)

Auch interessant

Alleskönner-Zellen Königinnen der Transformation

Jens Schwamborn an der Uni Luxemburg kann erwachsene Körperzellen in ihr embryonales Stadium zurückversetzen und anschl...

Aus Haut wird Hirn Implantierte Zellen werden Teil des Gehirns

Parkinson-Forschung: Aus Hautzellen haben Luxemburger Wissenschaftler Nervenzellen erzeugt – und konnten diese stabil i...

Stammzellen für jeden ohne moralische Probleme

Stammzellenforschung ist genauso vielversprechend wie umstritten. Eine noch relativ neuartige Technologie könnte den St...

Auch in dieser Rubrik

Handy in Schule
Screentime Smartphone-Verbot in Schulen: Was ist der Stand der Wissenschaft?

Sollen Sekundarschulen Handys in Klassenraum und Pausenhof verbieten oder nicht? Das diskutieren Eltern, Lehrer, Schüler und Politik in Luxemburg und weltweit. Ein Blick auf den Stand der Forschung.

Demenzerkrankungen Alzheimer: Wo steht die Wissenschaft?

Sie beginnt schleichend und ist bisher nicht heilbar: die Alzheimer-Krankheit. Prof. Dr. Michael Heneka, Direktor des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine, über Forschungsstand und Therapien.

Nobel Prize in Medicine 2024 Research in Luxembourg on the topic of microRNAs

Dr. Yvan Devaux from LIH works on the theme of the Nobel Prize awarded today to two American researchers for their work on microRNAs. He explains the importance of the discovery and his own research....

LIH
Sportwissenschaft Wie können Spitzensportler ihre Leistung steigern?

Es geht auch ohne verbotene leistungssteigernde Medikamente – z. B. mit Hitze, Kälte und Höhe. Frédéric Margue erklärt, wie ein Team am LIHPS Spitzensportler aus Luxemburg unterstützt.