LIH
Der Prix Galien für Pharmakologie ist die höchste Würdigung in der Biopharmazie in der Region. Dr. Andy Chevigné und Dr. Martyna Szpakowska konnten es kaum fassen, als sie im Dezember 2020 mit dem renommierten Preis für Belgien und Luxemburg ausgezeichnet wurden. Es ist das erste Mal, dass dieser Preis an einen Forscher bzw. eine Forscherin in Luxemburg geht. Für beide steht fest: Die Auszeichnung ist das Ergebnis jahrelanger Hingabe jedes einzelnen Wissenschaftlers und jeder Wissenschaftlerin ihrer Forschungsgruppe am Luxembourg Institute of Health (LIH). Sie befassen sich mit der Relevanz, Rolle, Funktion und Pharmakologie von atypischen Chemokinrezeptoren.
Sowohl klassische als atypische Chemokinrezeptoren sind eine Gruppe von 23 „Protein-Schaltern“, die sich auf der Oberfläche von menschlichen Zellen befinden und mit kleinen Molekülen – den Chemokinen - interagieren. Die Rezeptoren regulieren dort eine Vielzahl von Aufgaben, z.B.Zellwachstum, Immunantwort, oder Schmerzempfindung.
Mit etwas Mut und Durchhaltevermögen zum Erfolg
„Unser Forschungsgebiet geht gegen den Strom“, erklärt Dr. Andy Chevigné lachend. Seit mehr als zehn Jahren forscht der Biochemiker am LIH an atypischen Chemokinrezeptoren, von denen aktuell vier bekannt sind.
Sie wurden in der Forschung lange außer Acht gelassen. „Sie verhalten sich anders als klassische Chemokinrezeptoren. Wie der Name schon andeutet, sind diese etwas vorhersehbarer. Die atypischen Rezeptoren hingegen blieben weitesgehend unerforscht. Wir haben uns im Department of Infection and Immunity aber getraut, uns genau darin zu spezialisieren“, erzählt der 40-jährige Wissenschaftler.
Und mit großem Erfolg! Ihre Forschungsergebnisse finden in der Arzneimittelentwicklung ein breites Anwendungspotential: bei Entzündungen, Infektionskrankheiten, in der Krebsbehandlung, aber auch als alternative Schmerzbehandlung.
Aus Lüttich nach Luxemburg
Andy Chevignés Interesse für atypische Chemokinrezeptoren entfachte vor fast 13 Jahren. Damals zog der Belgier von der Universität Lüttich (ULg) nach Luxemburg.
Hier untersuchte er am LIH die Rolle der Chemokinrezeptoren zunächst bei Infektionen durch Retroviren, wie zum Beispiel beim HI-Virus. Während seiner Forschung untersuchte er die Rolle der sogenannten atypischen Chemokinrezeptoren und stellte fest, dass sie ein eigenes Forschungsprojekt verdienen. „Nur weil sie anders funktionieren heiβt nicht, dass sie weniger interessant sind. Ganz im Gegenteil!“, sagt der Pharmakologe. Das war die Geburtsstunde seiner Forschungsgruppe im Februar 2011.
Ein wichtiger Schulterschluss
„Martynas Beitritt hat unsere Forschung enorm beschleunigt“, erklärt Andy Chevigné mit großen Augen. Dr. Martyna Szpakowska schmunzelt verlegen, streitet seine Aussage aber auch nicht ab. Der Schulterschluss der beiden Wissenschaftler*innen ist die Grundlage für ihren Erfolg.
Die damals 28-jährige Polin hatte gerade ihr Masterstudium an der Vrije Universität Brüssel abgeschlossen, als sie 2011 auf Andy Chevignés Stellenangebot stieß. „Streng genommen war es mein Vater, der mich auf die Forschungsstelle aufmerksam machte. Er hört mir immer gespannt zu, wenn ich von meiner Forschung erzähle. Ihm ist damals aufgefallen, dass das LIH jemand sucht, der die gleiche Methodik drauf hat, wie ich.“
So ist die nun 38-jährige Wissenschaftlerin nach Luxemburg gekommen. Heute noch muss sie beim Familienessen ihre Eltern auf den neuesten Stand ihrer Forschung bringen.
Ein vielfältiges und junges Team
Dr. Chevigné und Dr. Szpakowska leiten ihre Forschungsgruppe im Department of Infection and Immunity. Mit sechs Nationalitäten ist das Team ist so vielfältig wie die Rezeptoren, die sie erforschen.
„Jede*r von uns knüpft sich einen Chemokinrezeptor vor. Wir teilen aber unsere Techniken, unser Wissen und unsere Ideen. Die Zusammenarbeit innerhalb unserer Gruppe ist eng und intensiv. Das bereichert unsere Besprechungen und wir können dadurch Gemeinsamkeiten oder Spezifitäten unter den Chemokinrezeptoren schneller entdecken“, erklärt Andy Chevigné.
Ein wichtiges Jahr für die Forschungsgruppe
„Dafür, dass wir nicht mal seit zehn Jahren an diesen Rezeptoren forschen, konnten wir unglaubliches leisten“, führt der Wissenschaftler fort. Seine junge Forschungsgruppe konnte letztes Jahr viele Meilensteine erreichen: eine Veröffentlichung in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature Communications, vier Patente, Vernetzung in zwei europäischen Netzwerken, den Léon und Henri Fredericq Fonds Preis der Royal Academy aus Belgien – und natürlich den Prix Galien.
Es ist eine großartige Errungenschaft für Luxemburg und unsere Gruppe. Eine Belohnung dafür, dass wir trotz Zweifel immer weiter gemacht haben
Andy Chevigné
Luxemburg, das ideale Forschungsland
Der internationale Aspekt Luxemburgs und die Kombination von Grundlagen- und angewandter Forschung verleihen Andy Chevigné zufolge dem LIH – aber auch Luxemburg allgemein – seine Attraktivität als Forschungsplatz. Denn auch wenn seine Gruppe nur aus einem Dutzend Wissenschaftler*innen besteht, erstreckt sich ihr Netzwerk in alle Nachbarländer und sogar darüber hinaus.
Für Dr. Andy Chevigné und Dr. Martyna Szpakowska sind die Auszeichnungen eine Art, sich zu bedanken – für das Durchhaltevermögen ihres Teams und für die treue Finanzierung vom LIH, vom Fonds National de la Recherche (FNR) und von Télévie.
Autor: Léonardo Kahn
Editor: Michèle Weber (FNR)
Infobox
Der Prix Galien wurde 1970 in Frankreich von dem Pharmakologen Roland Mehl zu Ehren von Galen, dem Vater der medizinischen Wissenschaft und der modernen Pharmakologie, ins Leben gerufen. Der Preis unterstützt und würdigt das Engagement von Wissenschaftlern, Forschern und Unternehmen, die sich dem Ziel verschrieben haben, medizinische Innovationen mit Potenzial zur Verbesserung der menschlichen Gesundheit voranzutreiben. Er gilt weltweit als das Äquivalent zum Nobelpreis in der biopharmazeutischen Forschung. In Belgien und Luxemburg wird der Prix Galien jährlich von Roularta HealthCare verliehen. Eine Expertenjury vergibt drei Preise: den Pharmakologie-Preis, mit dem Leistungen in der klinischen Pharmakologie und/oder im Bereich der Pharmakologie-Grundlagen ausgezeichnet werden, den Arzneimittel-Preis für Arzneimittel mit der größten Bedeutung für die Humanmedizin, und den Medizinprodukt-Preis, mit dem Medizingeräte ausgezeichnet werden, die zur Erreichung einer besseren Therapie am aussichtsreichen erscheinen. Der Preis für Pharmakologie besteht aus einer Goldmedaille und einem Preisgeld von 5.000 EUR und geht jeweils an einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlergruppe, die in einer akademischen Einrichtung in Belgien oder Luxemburg klinische Forschung oder Grundlagenforschung im Bereich Pharmakologie betreiben. Die Anwärter müssen jünger als 40 Jahre sein.