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Autoren: Kai Dürfeld (scienceRELATIONS - Wissenschaftskommunikation), Jean-Paul Bertemes (FNR)
Interviewpartner und Experteneinschätzungen: Dr. Gérard Schockmel

 

Dass Covid-19-Impfungen gegen schwere Folgen einer Covid-19 Erkrankung wie Krankenhausaufenthalt, künstliche Beatmung oder gar den Tod schützen, ist mittlerweile nachgewiesen. Für die einzelnen Impfstoffe gibt es Wirksamkeitswerte. Menschen, die sich impfen lassen, wissen also, mit welcher Wahrscheinlichkeit sie gegen schwere Verläufe geschützt sind.

Doch was ist der Stand des Wissens zum Thema Übertragbarkeit von Sars-CoV-2 bei Geimpften? Kann ich noch ansteckend sein, wenn ich geimpft bin? Um wieviel wird die Übertragbarkeit durch Impfungen reduziert? Und welche Schlussfolgerungen ergeben sich daraus für die Lockerungen der Corona-Maßnahmen für Geimpfte und Genesene? Die Antworten auf diese Fragen haben wir hier zusammengetragen.

Für Eilige haben wir die Hauptpunkte sofort am Anfang zusammengefasst. Weiter unten kommen dann die detaillierteren Ausführungen, mit Experteneinschätzungen von Dr. Gérard Schockmel.

In a nutshell: Wie stark reduzieren die Covid-Impfstoffe die Transmission von Sars-CoV-2? Und gibt es Konzepte, die Transmissionsreduktion weiter zu senken?

Geimpfte sind im Schnitt weniger ansteckend als Nicht-Geimpfte.

Erstens weil die Wahrscheinlichkeit geringer ist, dass Geimpfte sich infizieren (die Impfungen bieten einen gewissen Infektionsschutz).

Und zweitens weil die Wahrscheinlichkeit geringer ist, dass Geimpfte – für den Fall, dass sie sich dennoch infiziert haben – andere anstecken (die Impfungen verringern die Transmissionsrate).

Die Wahrscheinlichkeit einer Transmission ist nach der Impfung reduziert, weil Geimpfte nach einer Infektion eine geringere Anzahl infektiöser Viruspartikel ausscheiden und dies über einen kürzeren Zeitraum.

Dadurch, dass durch Impfung die Transmission reduziert wird, hat die Impfung einen positiven Effekt auf das Infektionsgeschehen in der gesamten Bevölkerung. Für den Einzelnen kann dies dennoch bedeuten, dass sie/er noch ansteckend ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass er/sie andere ansteckt, ist jedoch deutlich reduziert.

Um wieviel genau verringern die Impfstoffe denn nun die Transmission?

Die Datenlage hierzu ist noch unvollständig und die Resultate variieren stark von Studie zu Studie. Aktuellen Studien zufolge wird bei AstraZeneca die Transmission um ca. 38% bis 67% gesenkt. Bei den mRNA-Impfstoffen kommen aktuelle Studien auf eine Transmissionsreduktion von 43% bis 49%. Es bedarf jedoch weiterer Studien, um präzisere Aussagen treffen zu können.

Weshalb wird die Transmission nicht vollständig unterbunden?

Die Covid-19-Impfstoffe werden intramuskulär injiziert. Die Immunität entsteht daher an der Einstichstelle und in den ableitenden regionalen Lymphknoten im Körper des Menschen. Kommt ein Geimpfter in Kontakt mit SARS-CoV-2, kann sein Körper schnell reagieren und das Virus bekämpfen. Deshalb kann es sich kaum ausbreiten und der Geimpfte ist kaum oder nicht ansteckend.

Gelangen jedoch Sars-CoV-2-Viren in die oberen Atemwege, können sie sich dort lokal vermehren, ehe sie vom Körper attackiert werden. Der Geimpfte kann dann das Virus weitergeben.

Durch die Covid-19-Impfstoffe wird deshalb keine sterile Immunität erlangt – also eine Immunität, welche die Transmission vollständig unterbindet.

Übrigens gibt es tatsächlich Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten, die eine sterile Immunität hervorrufen, wie z.B. Lebend-Impfstoffe gegen Masern, Röteln, Mumps oder Gelbfieber. Bei anderen Infektionskrankheiten wie beispielsweise der Grippe erreichen die Impfstoffe bekanntlich keine sterile Immunität. Die Covid-Impfstoffe sind also diesbezüglich kein Einzelfall. Laut Experte Dr. Gérard Schockmel ist die Transmissionsreduktion bei den Covid-Impfstoffen jedoch sehr gut.

Gibt es Ansätze, um die Transmission weiter zu reduzieren?

Es gibt in der Tat Forschungsansätze, die zum Ziel haben Impfstoffe zu entwickeln, welche die Transmissionsrate weiter senken. Denn je stärker die Transmissionsreduktion, desto einfacher ist Herdenimmunität zu erreichen.

Es werden beispielsweise zurzeit Lebendimpfstoffe erprobt, die über die Nase verabreicht werden – und somit lokal in den oberen Atemwegen die Produktion neutralisierender Antikörper anregen. Kommt es zum Eindringen von Coronaviren in die oberen Atemwege, werden diese sogleich an der Eintrittspforte neutralisiert. Damit wäre dann eine sterile Immunität möglich. Und die Herdenimmunität einfacher erreichbar.

Geimpfte und Genesene nach schwerem Krankheitsverlauf, weisen übrigens im Falle einer Infektion eine geringere Transmissionsrate auf als Genesene nach mildem oder asymptomatischem Verlauf. „Die allerbeste Immunität erhält meiner Meinung nach jemand, der erst die Erkrankung durchgemacht hat und sich dann trotzdem impfen lässt“, so Dr. Gérard Schockmel.

Was bedeutet dies alles für unser Verhalten gegenüber unseren Mitmenschen?

„Auch wenn geimpfte Personen mit normalem Immunsystem nicht mehr sehr ansteckend sind, machen die bewährten Maßnahmen wie Abstand halten oder Maske tragen unter gewissen Umständen noch Sinn“, meint Dr. Gérard Schockmel, „je nach der aktuellen, lokalen Infektionsinzidenz und je nach den Umständen, unter denen man mit anderen Personen Kontakt hat – vor allem bei Kontakt mit vulnerablen Personen und Personen, deren Impfstatus nicht bekannt ist“.

Wenn ich doch noch andere anstecken kann, bringt eine Impfung dann überhaupt etwas?

Auf individueller Ebene ist der Wunsch nach 100%-iger Sicherheit nachzuvollziehen. Aber die 100%-ige Sicherheit gibt es nicht. Wir sind nicht in einem Schwarz-Weiß-Szenario. Die Realität besteht aus vielen Grautönen und ist wesentlich differenzierter.

Wenn ich mich impfen lasse, reduziere ich die Wahrscheinlichkeit, dass ich schwer erkranke, dass ich mich überhaupt infiziere und dass ich andere anstecke. Das Risiko liegt jedoch nie bei null.

In einer Pandemie geht es nicht nur um mich, sondern um die gesamte Bevölkerung, bzw. die öffentliche Gesundheit. Damit die Krankenhäuser nicht überlastet werden, muss die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe innerhalb der Bevölkerung insgesamt reduziert werden. Impfungen tragen sehr wesentlich dazu bei.

Hier nun der ganze Artikel mit mehr Details und Quellen. Um die Daten und Fakten einzuordnen, haben wir Dr. Gérard Schockmel um seine Expertenmeinung gebeten. Er ist Facharzt für Infektionskrankheiten und hat zehn Jahre lang in Oxford und Genf an RNA-Viren geforscht. Außerdem hat er bei verschiedenen Pharma- und Biotech-Unternehmen Medikamente entwickelt und durch die unterschiedlichen Studienphasen geführt. Bis vor kurzem leitete er das multidisziplinäre Krankenhauslabor und die Abteilung für Infektionsprävention und -kontrolle an den Hôpitaux Robert Schuman in Luxemburg. Aktuell steht er dem Krankenhaus als Konsiliararzt für Infektionskrankheiten zur Seite.

Gérard Schockmel

Warum reduzieren Impfstoffe oder eine überstandene Erkrankung die Virustransmission?

Damit das Virus überhaupt von einem Menschen auf andere übertragen werden kann, ist eine ausreichende Menge infektiöser Viruspartikel notwendig. Diese muss die infizierte Person ausstoßen (Emission – siehe Infobox) und der Empfänger aufnehmen (Transmission – siehe Infobox). Nach einer Aufnahme gibt es vier Möglichkeiten:

  • Keine Infektion: Das Virus kann sich nicht im Körper des Empfängers ausbreiten. Ein SARS-CoV-2 Test ist negativ.
  • Asymptomatische Infektion: Das Virus breitet sich im Körper des Empfängers aus, ruft aber keine Symptome hervor. Die Infektion hat also nicht zu einer Infektionskrankheit (Covid-19) geführt. Ein SARS-CoV-2 Test ist positiv.
  • Milde Covid-19 Erkrankung: Das Virus breitet sich im Körper des Empfängers aus und ruft leichte Symptome hervor. Ein SARS-CoV-2 Test ist positiv.
  • Schwere Covid-19 Erkrankung: Das Virus breitet sich im Körper des Empfängers aus und ruft schwere bis lebensbedrohliche Komplikationen hervor. Ein SARS-CoV-2 Test ist positiv.

Eine Immunität – sei sie nun künstlich durch eine Impfung oder natürlich durch eine überstandene Infektion erworben – lässt den Körper schneller auf eindringende Viren reagieren, diese bekämpfen und ihre Vermehrung unterbinden.

  • Dies schützt erstens vor einer schweren Covid-19 Erkrankung.
  • Zweitens steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine geimpfte Person gar nicht erst mit dem Virus infiziert und damit auch niemanden anderen infizieren kann.
  • Und drittens erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit eines asymptomatischen oder milden Verlaufs, bei welchem nach aktuellem Kenntnisstand die Viruslast (Ansteckungsfähigkeit) verringert ist.

Das heißt, im Falle einer Impfung sinkt die Emission infektiöser Viruspartikel und damit sinkt auch die Wahrscheinlichkeit für eine Transmission.

Nicht jede Emission führt zur Transmission

„Grundsätzlich unterscheiden wir zwischen Emission und Transmission. Die Emission ist die Ausscheidung infektiöser Viruspartikel über die verschiedenen Körpersekrete in die Umgebung. Transmission ist die Übertragung des Virus auf einen anderen Wirt. Eine bedeutende Rolle spielt dabei der Inokulum-Effekt. Dieser besagt, dass je nach Erkrankung eine bestimmte Mindestanzahl an Erregern in den Körper eindringen muss, um eine Infektion auszulösen. Konkret bedeutet dies: Scheiden infizierte Personen nur wenige Viruspartikel aus oder kommt nur eine geringe Anzahl Viruspartikel bei einem Empfänger an, erfolgt keine Ansteckung.“

- Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA Viren

Wie stark verringern die aktuellen Impfstoffe eine Transmission des SARS-CoV-2 Virus?

Die Frage, ob und wie stark eine Impfung die Übertragung des SARS-CoV-2 Virus hemmt – wie groß also die Transmissionsreduktion ist – steht im Zentrum der Pandemiebekämpfung. Tatsächlich scheinen die bisher zugelassenen mRNA- und Vektor-Impfstoffe auch die Transmission zu verringern. Das legen aktuelle Studien im Labor und Untersuchungen im Zuge der Impfprogramme in verschiedensten Ländern der Welt nahe.

Eine Studie, die sich mit dem israelischen Impfprogramm befasst hat, kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass der BioNTech/Pfizer Impfstoff BNT162b2 die Transmission um das 1,6 bis 20-fache verringert. Eine britische Studie hat den AstraZeneca-Impfstoff AZD1222 untersucht und kommt in ihrer noch nicht geprüften Vorabveröffentlichung zu dem Schluss, dass die Transmission durch die Impfung um bis zu 67 Prozent sinkt. Eine finnische Studie hat Haushalte untersucht und schätzt, dass mRNA-basierte Impfstoffe mit rund 43 Prozent Wahrscheinlichkeit ungeimpfte Personen im Haushalt schützt. Eine weitere Studie hat die Daten aus mehr als einer halben Million britischer Haushalte ausgewertet und kommt zum Schluss, dass der AstraZeneca Impfstoff die Transmission um 38 Prozent verringert und der BioNTech/Pfizer Impfstoff um 49 Prozent.

Die exakte Verringerung der Transmission für einen Impfstoff festzustellen, ist allerdings äußerst schwierig. Denn Feldstudien wie die oben angeführten unterscheiden sich stark voneinander. Manche Studien untersuchen spezielle Personengruppen wie zum Beispiel Pflegepersonal, andere ziehen einen Querschnitt durch die Bevölkerung eines bestimmten Landes. Derzeit beziehen sich die Ergebnisse oftmals auf die erste Impfung in einem 2-Dosen-Schema. Teilweise werden aber auch Personen einbezogen, die beide Impfungen erhalten haben.

Studien unter Laborbedingungen zeigen, dass Geimpfte nach einer Infektion weniger infektiöse Viruspartikel ausscheiden und das über einen kürzeren Zeitraum. Während der weltweiten Impfkampagnen durchgeführte epidemiologische Studien deuten in die gleiche Richtung. Allerdings gibt es sehr viele Faktoren, welche die Transmission beeinflussen, so dass es so gut wie unmöglich ist, aus epidemiologischen Studien einen Einzeleffekt herauszufiltern.

Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA-Viren

Warum wird die Transmission nicht zu 100 Prozent gestoppt?

Eine sterile Immunität (siehe Infobox) ist bei einem Atemwegserreger wie dem SARS-CoV-2 Virus mit den aktuellen Impfstoffen nur sehr schwer zu erreichen, weil die neutralisierenden Antikörper primär nicht in den Schleimhäuten der oberen Atemwege gebildet werden.

Da alle zurzeit in der EU zugelassenen Impfstoffe durch intramuskuläre Injektion verabreicht werden, findet die Bildung neutralisierender Antikörper im Innern des Körpers statt. Die Eintrittspforten der Viren im „Ernstfall“ sind hingegen unsere oberen Atemwege. Die Erreger können sich also mitunter trotz Impfung in unseren Schleimhäuten vermehren, bevor unsere Immunabwehr reagieren kann. Es kommt dann zwar aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem asymptomatischen oder milden Verlauf, allerdings können wir trotzdem infektiöse Viruspartikel ausscheiden. Es erfolgt also eine Emission.

Die Transmissionsreduktion – also die Verringerung der Ansteckungsfähigkeit – ist bei den aktuellen Covid-Impfstoffen meiner Meinung nach sehr gut. Einen Impfstoff gegen das SARS-CoV-2 Virus zu entwickeln, der eine sterile Immunität erzeugt, wäre allerdings zu schön. Das war bei den Impfstoffen der 1. Generation von Anfang an auch nicht zu erwarten. Denn wir haben es hier nicht nur mit sich ständig verändernden Virusstämmen zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass die aktuellen Impfstoffe nur gegen ein einziges Virusprotein sensibilisieren und dies fernab der Schleimhäute der oberen Atemwege.

Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA-Viren

Infobox

Was ist sterile Immunität?

Verhindert ein Impfstoff die Übertragung einer Erkrankung nahezu vollständig, sprechen Wissenschaftler von steriler Immunität. In einem solchen Fall zirkulieren sehr viele neutralisierende Antikörper im Organismus. Diese Antikörper werden vom Immunsystem produziert, hängen sich an die Oberfläche der eingedrungenen Krankheitserreger und hindern diese daran, in unsere Körperzellen einzudringen. Sie schützen uns also vor einer Infektion.

Gibt es überhaupt Impfstoffe, bei welchen die Transmission nahezu vollständig verhindert wird?

Es gibt tatsächlich Impfstoffe, die eine sterile Immunität erzeugen und damit die Transmission weitgehend verhindern, Impfstoffe gegen Gelbfieber zum Beispiel. Von mehr als 540 Millionen Geimpften erkrankten lediglich 23 an der Virusinfektion; fünf von ihnen weniger als zehn Tage nach der Impfung, also noch vor Erreichen des vollständigen Impfschutzes. Ein weiteres Beispiel ist die auch als Kinderlähmung bekannte Poliomyelitis, kurz Polio. Bei den dort verwendeten abgeschwächten Lebendimpfstoffen kommt es zu einem nahezu 100-prozentigen Impfschutz. Allerdings kombinieren sich die Impfviren in schätzungsweise 1 von 750.000 Fällen mit freien Viren, sodass eine neue Infektionskette entstehen kann.

Wenn Sie von 100-prozentiger Transmissionsreduktion sprechen, heißt das ja, dass null von hundert geimpften Menschen infektiöse Viruspartikel in ausreichenden Mengen ausscheiden. Das mögen Sie tatsächlich in Einzelfällen finden. Weltweit betrachtet, sieht das hingegen anders aus. Unter vielen Millionen keinen einzigen Geimpften zu finden, der infektiöse Viruspartikel in ausreichenden Mengen ausscheidet, halte ich für äußerst unwahrscheinlich.

Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA-Viren

Wie ist die Transmission bei Geimpften im Vergleich zu Genesenen?

Als Reaktion auf eine Impfung oder auf eine durchgemachte Infektion entwickelt das Immunsystem neutralisierenden Antikörper. Beim SARS-CoV-2 Virus sind diese in der Regel gegen das Spike-Protein auf der Virushülle gerichtet. Da alle bisher bei uns zugelassenen Impfstoffe den Bauplan für eben dieses Spike-Protein in den Körper schleusen und das Immunsystem daraufhin mit einer hohen Anzahl dieser Proteine in Kontakt kommt, erzeugen die Impfungen auch einen recht hohe Immunität. Bei Genesenen hingegen gibt es sehr große Unterschiede. Vor allem Personen mit asymptomatischem oder mildem Verlauf sind oft weniger, bzw. weniger lange geschützt als jene, die sich von einer schweren Covid-19 Erkrankung wieder erholt haben.

Da eine hohe Immunität wiederum die Transmission stärker zu reduzieren scheint, liegt nahe, dass Geimpfte und von schweren Krankheitsverläufen Genesene im Falle einer (erneuten) Infektion weniger ansteckend sind als von asymptomatischen oder milden Verläufen Genesene.

Die allerbeste Immunität erhält meiner Meinung nach jemand, der erst die Erkrankung durchgemacht hat und sich dann trotzdem impfen lässt. Aus medizinischer Sicht sehe ich auch keinen Grund, warum ein Genesener mehr als 4 Wochen mit der Impfung warten sollte. Lediglich die Impfstoffknappheit könnte dafür sprechen, Genesene später zu impfen.

Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA-Viren

Ist es gerechtfertigt, Geimpften alle ihre Freiheiten zurückzugeben?

Um den Kampf gegen die Pandemie zu gewinnen, kommt die vielzitierte Herdenimmunität ins Spiel. Lange galten 70 Prozent als magische Zahl. Sollte ein solcher Anteil der Bevölkerung durch Impfung oder überstandene Infektion weitgehend immun sein, würde das Virus zurückgedrängt. Mittlerweile gehen die Wissenschaftler jedoch davon aus, dass dieser Wert – auch wegen der infektiöseren Virusvarianten – höher angesetzt werden muss. Die Impfprogramme in den verschiedenen Ländern sind jedoch davon zum Teil noch sehr weit entfernt. Sollen Geimpfte trotzdem alle Freiheiten zurückerhalten?

Ich glaube, wenn man vollständig geimpft ist und ein normales Immunsystem hat, ist man auch im Falle einer Infektion nicht sehr ansteckend. Allerdings muss man immer auch das Umfeld berücksichtigen. Bin ich mit vielen fremden Menschen auf engstem Raum zusammen – zum Beispiel im Bus, im Flugzeug, in einem Gebäude – oder habe ich Kontakt zu besonders gefährdeten Personen – zum Beispiel im Krankenhaus, im Pflegeheim oder in der häuslichen Pflege – dann sollten auch Geimpfte in solchen Situationen vorerst noch Schutzmaßnahmen einhalten. Also Maske tragen, Hände desinfizieren und Abstand halten.

Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA-Viren.

Könnten als Nasenspray verabreichte Impfstoffe die Transmission reduzieren?

Das Virus bereits an der Pforte zu bekämpfen, durch die es in den Körper eindringt – das ist die Idee hinter Impfpräparaten in Nasensprayform, an denen aktuell geforscht wird. Codagenix, ein US-amerikanisches Biotech Unternehmen, hat sich dafür mit dem Serum Institute of India, dem nach hergestellten Dosen größten Impfstoffhersteller der Welt, zusammengetan. Ziel der Kooperation ist ein Lebendimpfstoff. Dieser soll durch die Nase verabreicht werden. Mit Techniken der synthetischen Biologie haben die Wissenschaftler nach eigenen Aussagen den genetischen Code des Virus neu programmiert, damit es sich im Körper zwar vermehren, aber keine Erkrankung auslösen kann. Abgeschwächte Lebendimpfstoffe, wie die Fachwelt diese schon sehr lange bekannte Form der Immunisierung nennt, haben einen großen Vorteil: Sie präsentieren dem Immunsystem nicht nur ein einziges Erkennungsmerkmal des Krankheitserregers, sondern gleich alle auf einmal. Dadurch ist unser Körper in der Lage, seine Immunantwort breiter auszurichten. Das funktioniert in der Regel auch dann noch, wenn das Virus durch Mutationen eines oder mehrere seiner Erkennungsmerkmale verändert. Anfang 2021 befand sich das Codagenix Präparat in Phase I der klinischen Tests und soll nun weitere Studien durchlaufen.

Ein abgeschwächter Lebendimpfstoff, der nasal verabreicht wird, hätte verschiedene Vorteile. Da sich das Immunsystem mit dem gesamten Virus befassen muss, ist einerseits eine maximale und breite Immunantwort zu erwarten. Da ein solcher Impfstoff die lokale Schleimhaut in der Nase stimuliert, sorgt er andererseits an genau der Stelle für eine Antikörperproduktion, an der die Viren zuerst eindringen. Eine so erreichte Immunität könnte nicht nur länger anhalten, sondern auch die Transmission stärker unterbinden.

Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA-Viren.

Gibt es noch andere Möglichkeiten, um die Transmission zu reduzieren?

Bewährte und allgemein akzeptierte Möglichkeiten, eine Übertragung des Virus zu reduzieren, sind natürlich die AHA-Regeln. Abstand halten; Hygienemaßnahmen wie Händewaschen und Desinfizieren umsetzen; Atemmaske tragen. Eine Erweiterung um den Buchstaben L für Lüften wird der Tatsache gerecht, dass vor allem stark frequentierte Innenräume zur Verbreitung des Virus beitragen.

Ich glaube, in Zukunft sollten die Belüftungskonzepte für Innenräume, also die Ventilation eine wesentliche Rolle spielen. Denn in geschlossenen Innenräumen wird das Virus hauptsächlich durch Aerosole verbreitet. Wenn jemand hustet oder niest aber auch nur atmet oder spricht, verbreitet er Tröpfchen und Aerosole. Die Tröpfchen sind etwas größer und fallen schnell zu Boden. Die Aerosole hingegen sind sehr klein. Das sind luftgetragene Feinpartikel. Sie schweben längere Zeit in der Luft und können sich so in einem Raum verteilen. Dieser Fakt macht Innenräume zum Problem und dieses ist nur durch eine gute Ventilation zu lösen. So sollte zum Beispiel in großen Veranstaltungssälen die zugeführte Luft vom Bodenbereich unter jedem einzelnen Sitzplatz vertikal nach oben strömen, so dass es wenig seitliche Vermischung gibt. Außerdem sollten Filtersysteme die Krankheitserreger aus der Luft entfernen. Auf diese Weise können übrigens alle durch Aerosole übertragenen Krankheiten zurückgedrängt werden.

Dr. Gérard Schockmel, Facharzt für Infektionskrankheiten und Experte für RNA-Viren.

Infobox

Quellen

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