Burg Vianden

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Spuren des Mittelalters: Die Burganlage in Vianden

Welchen Platz nimmt das Mittealter in der heutigen Gesellschaft ein und wie deckt sich die Darstellung dieser Epoche mit den Erkenntnissen der Wissenschaft? Mit Fragen wie diesen haben sich kürzlich die Teilnehmer einer Mittelalter-Fachtagung an der Universität Luxemburg befasst.  Organisiert haben die Veranstaltung Germanisten und Historiker um Michel Margue. Als Geschichtsprofessor der Uni Luxemburg versucht er, der Realität des Mittelalters so nah wie möglich zu kommen. Als Experte auf diesem Gebiet interessiert er sich aber auch für diejenigen, die es mit der Annährung an diese Epoche nicht ganz so genau nehmen. 

Professor Margue, Sie befassen sich im Rahmen ihrer Forschung mit dem Mittelalter, in diesem Zusammenhang aber auch mit der Neuzeit. Wie passt das zusammen?

Mich interessiert nicht nur das Mittelalter, sondern auch wie es bis heute nachwirkt, also nicht nur die Realität des Mittelalters, sondern auch das Bild, das wir davon haben. In der Forschung hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Geschichte auch etwas ist, was zu bestimmten Zwecken gebraucht wird. Das passiert oft unbewusst, manchmal aber wird Geschichte auch ganz bewusst instrumentalisiert. Zum Beispiel im kulturellen Bereich oder aber in der Politik.

Das Mittelalter wird für politische Zwecke genutzt?

Ja, das gibt es oft. Wir stellen das in Europa nahezu durchgehend im Zuge der Nationen-Bildung, also in der Zeit des 18. und 19. sowie frühen 20. Jahrhunderts fest. In dieser Zeit entstanden viele Staaten, die ihre Legitimation meist in der Vergangenheit suchten und dabei sehr oft im Mittelalter fündig wurden. Dazu zählt beispielsweise die Entstehung des Deutschen Reichs im 19. Jahrhundert, bei dem die Nostalgie des Mittelalters zum Bild des großen Deutschen Reichs mit seinen kulturellen Leistungen beitrug. In Frankreich war es das Bild der Jeanne d’Arc gegen die Engländer. Es wurde im Grunde eine Identität geschaffen gegen andere Identitäten. Und im Rahmen der Fachtagung haben wir unter anderem untersucht, inwieweit das für Luxemburg gilt.

In Luxemburg gab es das auch?

Durchaus. Um in den 1930er Jahren dem starken Nachbarn Deutschland und der völkischen Bewegung der Nazis etwas entgegenzusetzen, entwickelten die Luxemburger das Bild eines luxemburgischen Mittelalters, also das Bild einer starken luxemburgischen Dynastie. Das Haus Luxemburg hatte ja schließlich im Mittelalter mehrere Kaiser und Könige gestellt. 

Für die luxemburgische Geschichtsschreibung war es aber nicht so einfach, die Kaiser des einstigen Deutschen Reichs als Luxemburger dazustellen. Denn im Sinne des Mittelalters waren sie ja eher „deutsch“. Aber in den 30er Jahren hat sich das Mittelalter angeboten, um eine luxemburgische Vergangenheit darzustellen und diese mit heute zu verbinden.

Die Sicht auf das Mittelalter wird also völlig verklärt?

Ganz genau. Und das ist es auch, was uns interessiert. Weil es sich dabei eben nicht um eine wissenschaftliche Sicht auf das Mittelalter handelt, sondern um eine Verwendung dieser Epoche zu einem bestimmten Zweck. Vor 1815 gab es ja überhaupt kein Luxemburg. Es gab lediglich die Stadt und die Grafschaft Luxemburg. Doch ist das nicht das, was wir heute als Luxemburg kennen. 

Es gab zwar im Mittelalter kein Luxemburg, dafür aber gibt es im heutigen Luxemburg genau wie im restlichen Europa noch viele Spuren des Mittelalters. Anders als beispielsweise in den USA. Doch gerade dort wurden und werden viele Mittelalter-Kinofilme produziert.

Michel Margue

In den USA gibt es Museen, in denen Kunstwerke aus dem Mittelalter gesammelt werden. Die Amerikaner müssen also auf etwas zurückgreifen, was sie vor Ort nicht haben. Die Faszination für das Mittelalter ist aber die gleiche wie bei uns. Was auch daran liegt, dass sich die USA mit ihrer indianischen Vergangenheit eher schwertun.

Die Geschichtswissenschaft untersucht die Vergangenheit, aber auch das Bild, das wir heute von dieser Vergangenheit haben. Man nennt das auch Geschichtsbewusstsein. Ein solches Bewusstsein hat jeder von uns in sich. Und es spielt für die meisten von uns eine größere Rolle als die wissenschaftliche Annäherung.

Und warum fasziniert uns dabei vor allem das Mittelalter? Warum nicht die Römerzeit oder eine andere Epoche?

Das römische Reich galt – bis zu seinem Untergang – als hochentwickelt, in dem alles festen Regeln unterworfen war. Nehmen wir als Beispiel die römische Armee, eine kompakte Gruppe mit Schildern und eben kein heilloses Durcheinander. Die Römerzeit prägt das Bild einer starren Gesellschaft und bietet daher viel weniger Spielraum als das Bild des romantischen Mittelalters. Einzige Ausnahme sind vielleicht die Gladiatoren. Auch die Renaissance ist zwar sehr schön, aber zu sehr sterilisiert. Dort ist alles zu perfekt. Und Humanismus und Aufklärung sind einfach zu kompliziert.

Das Mittelalter hingegen ist spannend, ja sogar bedrohlich und brutal – was anziehend auf uns wirkt. Es ist aber auch eine Zeit, die von Einfachheit geprägt ist. Eine Zeit ohne Internet und soziale Netzwerke, in der Handarbeit auch noch was wert ist. Ich war bei der Vorbereitung der Fachtagung überrascht, wie viele Mittelalterfeste es inzwischen gibt.

Die Menschen sehnen sich nach Ruhe, Einfachheit und der Nähe zur Natur, sie sind auf der Suche nach einem Gegenbild zur heutigen Zeit. Das sieht auf den Mittelaltermärkten vielleicht ganz unterhaltsam aus, doch ist das etwas, was man aus wissenschaftlicher Sicht nicht ignorieren kann. Egal ob man Historiker ist, oder aber Psychologe oder Soziologe.  

Autor: Uwe Hentschel

Fotos: sabinoparente/Shotshop.com, Uwe Hentschel

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